Diese Arbeit soll einen Überblick über die ethnografische Forschungsstrategie liefern und dabei die Ziele, Möglichkeiten und Probleme beleuchten. Dafür geht es zunächst um die Begriffsklärung der Ethnografie. Darauffolgend werden die ethnografischen Methoden dargestellt. Der Fokus liegt hierbei auf dem Feldzugang sowie der Datengewinnung, welche sich wiederum in die teilnehmende Beobachtung und die Befremdung unterteilt. Im nächsten Schritt werden die Schwierigkeiten und Probleme aufgezeigt. Dabei wird unterschieden zwischen den Schwierigkeiten in der Einstiegsphase, der Phase der Datengewinnung und der Kritik der mangelnden Kontrollierbarkeit. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit den Vorteilen und Möglichkeiten ethnografischer Forschung. Die Arbeit endet mit einem Fazit.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. BEGRIFFSKLARUNG: ETHNOGRAFIE
3. METHODEN DER ETHNOGRAFIE
3.1 Der Feldzugang
3.2 Die Datengewinnung
3.2.1 Teilnehmende Beobachtung
3.2.2 Befremdung 7
4. SCHWIERIGKEITEN UND PROBLEME
4.1 SCHWIERIGKEITEN IN DER ElNSTIEGSPHASE
4.2 SCHWIERIGKEITEN IN DER PHASE DER DATENGEWINNUNG
4.3 Die Kritik der mangelnden Kontrollierbarkeit
5. VORTEILE UND MOGLICHKEITEN
6. FAZIT
7. LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Ethnografische Forschung gewinnt in padagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Zusammenhangen seit den 90er Jahren und insbesondere seit dem neuen Jahrtausend zunehmend an Bedeutung (Hunersdorf, 2008, S. 29). Kulturelle und soziale Praktiken, Handlungsmodalitaten und deren institutionell strukturelle Rahmungen konnen mithilfe der ethnografischen Forschungsstrategie untersucht werden. Die Ethnografie stellt inzwischen einen Teil des methodischen Repertoires der sozial- und erziehungswissenschaftlichen Forschung dar (Cloos & Thole, 2006, S. 9). Nach Hitzler beobachtet und beschreibt Ethnografie Lebensformen und Lebenswelten aus der Sicht der Akteure und versucht dabei die Eigenheiten und Besonderheiten dieser aufzudecken. Hierzu werden die Akteure und ihre Erfahrungen in der Welt beschrieben. Wichtig ist hierbei, dass der Forscher moglichst unvoreingenommen und neutral ins Feld geht (Hitzler, 2010, S. 48). Die ethnografische Forschung beschaftigt sich dabei mit den unterschiedlichsten Themen. Uber universitare Fachkulturen, familiare Essensrituale, Klassenrat bis hin zu Freizeitaktivitaten gibt es viele Bereiche, die anhand ethnografischer Methoden untersucht werden (Budde, 2015, S. 7).
Diese Arbeit soll einen Uberblick uber die ethnografische Forschungsstrategie liefern und dabei die Ziele, Moglichkeiten und Probleme beleuchten. Dafur geht es zunachst um die Begriffsklarung der Ethnografie. Darauffolgend werden die ethnografischen Methoden dargestellt. Der Fokus liegt hierbei auf dem Feldzugang sowie der Datengewinnung, welche sich wiederum in die teilnehmende Beobachtung und die Befremdung unterteilt. Im nachsten Schritt werden die Schwierigkeiten und Probleme aufgezeigt. Dabei wird unterschieden zwischen den Schwierigkeiten in der Einstiegsphase, der Phase der Datengewinnung und der Kritik der mangelnden Kontrollierbarkeit. Das letzte Kapitel beschaftigt sich mit den Vorteilen und Moglichkeiten ethnografischer Forschung. Die Arbeit endet mit einem Fazit.
2. Begriffsklarung: Ethnografie
Zunachst stellt sich die Frage, was sich hinter dem Begriff der Ethnografie verbirgt. Nach Hunersdorf liegt der ethnografischen Forschung keine „klare Taxonomie“ (Hunersdorf, 2008, S. 30) zugrunde. Eine eindeutige Trennung von der biographischen Forschung, der Diskursanalyse, der Ethnomethodologie oder den quantitativen Methoden ist nicht moglich. Aufgrund dessen scheint es umso bedeutender zu sein, ethnografische Forschung naher zu definieren, um eine Abgrenzung von anderen Methoden zu ermoglichen.
Hitzler beschreibt die Ethnografie als ein „Forschungsprogramm“ (Hitzler, 2010, S. 48), das darauf ausgelegt ist andere Formen, Stile und Weisen des Lebens von ,innen her‘ zu begreifen und somit fremde Welten mit Blick auf ihre eigene Sinnhaftigkeit hin zu erforschen. Versteht man den Begriff der Welten als Korrelat des Erfahrens von Sinnzusammenhangen, so zeichnet sich ein stark deskriptiv orientiertes Programm ab, welches den Blick auf die Erfahrungen der Menschen richtet. Somit handelt es sich um ein Forschungskonzept, bei dem der Ethnograf nicht uber die Kopfe der Akteure hinwegsieht, sondern stattdessen versucht die Perspektive der Akteure selbst einzunehmen.
Nach Thomas stellt Ethnografie die klassische Methode zur Erforschung der Sozialwelt dar (Thomas, 2019, S. 1). Dennoch bezeichnet Ethnografie streng genommen keine konkrete Methode, sondern einen Forschungsstil. Begrundet wird dies damit, dass das methodische Vorgehen vorab nicht festlegbar ist, da die Sozialwelt bereits vor der Untersuchung besteht und nicht erst fur das Forschungsvorhaben konstruiert wird, wie es beispielsweise bei einem Experiment der Fall ware. Die reale Sozialwelt der Menschen steht dabei im Vordergrund, sodass sich der Forschungsprozess unterordnet, damit die Besonderheiten und Kennzeichen unverfalscht entdeckt, beschrieben und verstanden werden konnen.
Die der Erforschung vorausgehende Wirklichkeit lasst sich jedoch nicht im direkten Zugriff wahrnehmen. Stattdessen sind fur die Wahrnehmung Begriffe und Theorien notig, die eine Erfassung der Wirklichkeit zulassen. Es ist nicht moglich die Empirie getrennt von der Theorie zu betrachten und somit das Erkenntnisverhaltnis zwischen der Sozialwelt und der Wissenschaft aufzulosen, da die empirische Alltagswelt nach Thomas „langst in (Alltags-) Begriffen und (Alltags-) Theorien gefasst“ ist (ebd., S. 2). Die Bedeutungen in der Sozialwelt sind nicht von Natur aus vorhanden, sondern die Ergebnisse von sozialen Aushandlungs-, Verstandigungs- und Konstruktionsprozessen. Im Feld werden die Alltagsbedeutungen, - begriffe und -verstandnisweisen von dem Ethnografen aufgegriffen und in die Wissenschaftssprache ubernommen.
Die Ethnografie verfolgt dabei das Ziel verschiedene Kulturen kennenzulernen, zu erforschen und zu verstehen. Durch das Erleben von Menschen in ihren sozialen Situationen, ermoglicht sich dem Ethnografen1 die ErschlieBung der kulturellen Bedeutungswelten. Charakteristisch fur die ethnografische Forschung ist, dass der Ethnograf sich inmitten der Menschen aufhalt, uber deren Lebenspraxis er etwas lernen mochte (ebd., S. 1). Bei der Ethnografie handelt es sich um eine Feldforschung (Atkinson, 2015, S. 3 f.). Erfasst werden dabei typische Alltagssituationen sowie das menschliche Fuhlen, Sprechen, Denken und Handeln. Den Ausgangspunkt konnen alle moglichen Blickwinkel sozialwissenschaftlicher Felder bilden. Dazu zahlen beispielsweise die Anthropologie, die Soziologie, die Padagogik, die Soziale Arbeit und die Psychologie. Der Ethnograf erkundet das Feld dabei personlich und arbeitet nicht anhand von vorgegebenem Wissen vom Schreibtisch aus.
Zusammenfassend lasst sich festhalten, dass ethnografische Forschung darauf abzielt, offene und komplexe soziale Situationen des Alltags, in denen Individuen durch ihre kulturelle Praxis zusammen Wirklichkeit erzeugen, zu erfassen. Dies geschieht durch verschiedene Methoden, wie die teilnehmende Beobachtung, die Befremdung, die Koprasenz im Feld sowie die Befragung (Cloos, 2013, S. 61 f.), auf die im Folgenden noch naher eingegangen werden soll.
3. Methoden der Ethnografie
Damit der Forschungsgegenstand in der Sozialwelt aufgefunden werden kann, benotigt Feldforschung ein gesteigertes MaB an methodischer Flexibilitat sowie praktischem opportunismus, sodass Standardisierungen und Formalisierungen im Widerspruch zu diesem offenen Erkenntnisinteresse stehen (Thomas, 2019, S. 2). Es soll keine Beschrankung auf vereinzelte Methoden stattfinden, sondern eine offenheit fur alle Forschungsmethoden erzeugt werden (Luders, 2000, S. 394). Die Ethnographie zeichnet sich folglich durch einen Methodenpluralismus aus. Das bedeutet, dass ublicherweise nicht ein theoretisch vorbestimmter Gegenstand mit einer Methode exploriert wird, sondern beruhend auf den Erscheinungen und Zusammensetzungen des zu untersuchenden Feldes festgelegt wird, welche Methoden oder Kombinationen dieser fur die ethnographische untersuchung des Feldes geeignet und erkenntnisreich sein konnen (Kelle, 2016, S. 6). Im Folgenden soll es um den Feldzugang und die Datengewinnung gehen.
3.1 Der Feldzugang
Bei den Aushandlungen vor dem Beginn einer untersuchung oder in den ersten Tagen des Feldaufenthalts steht zunachst das Problem des Feldzugangs im Mittelpunkt. Der Zugang stellt eine Herausforderung dar, die bei jeder Feldforschung zu bewaltigen gilt. Dabei offenbaren sich je nach Forschungsfeld unterschiedliche Zugangsprobleme (Breidenstein, 2013, S. 50). Unter dem Begriff Forschungsfeld versteht man keine kunstlichen situativen Arrangements, die explizit fur die Forschungszwecke geschaffen wurden, sondern naturliche soziale Handlungsfelder (Wolff, 2000, S. 335). Die Ethnografen sind in diesem Zeitraum damit beschaftigt Briefe zu schreiben, zu telefonieren und Menschen kennenzulernen. Die Verschaffung des Feldzugangs zieht sich durch den gesamten Forschungsprozess. Der soziale Kontext, in dem geforscht wird, muss dabei gesichert und gestaltet werden. Die Frage, die sich beim Feldzugang zunachst stellt, ist, wie der Ethnograf an die institutionelle Geschichte oder die feldspezifischen Bedingungen anschlieBen kann (Breidenstein, 2013, S. 50).
Aus der Perspektive des Feldes ist der Ethnograf, so wie jeder Fremde, zu Beginn ein Mensch ohne Geschichte. Seine Loyalitat ist zunachst zweifelhaft und er lasst sich nur schwer in die gewohnten Kategorien einordnen. Der Prozess kann daruber hinaus durch Verstandigungsschwierigkeiten auf verbaler und nonverbaler Ebene erschwert werden. Wichtig fur die Antwort auf die Frage, ob man sich auf die fremde Person einlassen sollte, ist, ob und wie die Person und ihr Anliegen als anschlussfahig verstanden beziehungsweise anschlussfahig gemacht werden konnen. Der Zugangsprozess beinhaltet somit neben dem Versuch einer kognitiven und sozialen Verortung von dem Ethnografen und seinem Anliegen, eine Grenze zwischen der sozialen Einheit und ihrer Umwelt. Die soziale Verortung durchlauft grundsatzlich zwei Schritte. Die Uberprufung der Anschlussfahigkeit sowie die Zuweisung von beziehungsweise Einigung auf konkrete Rollen der Teilnehmer (Wolff, 2000, S. 340).
Den Zugang zu erhalten, stellt bei der Kontaktaufnahme zu Beginn einer Untersuchung somit eine Frage der Akzeptanz des Feldeintritts dar. Der ethnologische Forscher klassischen Zuschnitts muss fur den Zugang zum Feld oftmals weite Reisen auf sich nehmen. Der Zugang stellt hierbei nicht nur einen physischen Aspekt dar, sondern ebenso einen sozialen. Die soziologischen Ethnografien widmeten sich bereits fruh Feldern, die beispielsweise von Chefarzten, Unternehmensleitern und Naturwissenschaftlern bewohnt waren, und wo sich der Zugang als besonders stark kontrolliert erwies (Breidenstein, 2013, S. 50 f.).
Auch Organisationen verfugen uber eine Vielzahl an Vorgehensweisen, um neugierige Dritte abzuwehren und die Kontrollierbarkeit von eigens erzeugten Informationen und deren Verwendung zu gewahrleisten. AuBerdem befinden sich in Organisationen oftmals sozialwissenschaftlich vorgebildete Mitarbeiter, sodass der Zugangsversuch der Forscher von diesen entweder erleichtert oder aber hochkompetent abgewehrt werden kann. Derartige Widerstande sollten jedoch als Herausforderung angesehen werden.
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1 Aus Grunden der leichteren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die mannliche Geschlechtsform genutzt. Es sei angemerkt, dass ich im Sinne der Gleichbehandlung immer alle Geschlechter anspreche.