Diese studentische Hausarbeit aus dem Bereich Evangelische Religion befasst sich mit der Exegese (Erklärung und Auslegung) des Textes "Zur Frage nach der Ehescheidung" aus dem Matthäusevangelium im Neuen Testament. Begonnen wurde mit der Textanalyse (semantische, narrative und pragmatische Analyse), sowie mit der Abgrenzung und Einordnung des Textes. Danach folgen die Literarkritik mit dem synoptischen Vergleich mit Mk 10, 2-12, die Formgeschichte, die Untersuchung der Begriffs- und Motivgeschichten zu den Worten „Fleisch“ und „Eunuch“, je mit religionsgeschichtlichem Vergleich, sowie die Redaktionskritik beziehungsweise Redaktionsgeschichte. Zuletzt folgt das Fazit.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Textanalyse
2.1.1 Text und Kontext
2.1.2 Semantische Analyse
2.1.3 Narrative Analyse
2.1.4 Pragmatische Analyse
2.1.5 Feststellung der Kohärenz
2.2 Literarkritik
2.2.1 Synoptischer Vergleich mit Mk 10,2-12
2.3 Formgeschichte
2.3.1 Textgattung
2.3.2 Sitz im Leben
2.4. Begriffs- und Motivgeschichte des Wortes „Fleisch“ mitsamt religionsgeschichtlichem Vergleich
2.5 Begriffs- und Motivgeschichte des Wortes „Eunuch“ mitsamt religionsgeschichtlichem Vergleich
2.6 Redaktionskritik und -geschichte
3. Fazit
Quellenverzeichnis (alphabetisch)
Abkürzungsverzeichnis (alphabetisch)
Anhang
1. Einleitung
In dieser Hausarbeit werde ich die Verse drei bis zwölf aus Kapitel 19 des Matthäusevangeliums nach den Methoden der neutestamentlichen Exegese analysieren. Der Text behandelt die Frage nach der Ehescheidung. Er ist im Anhang als „Anhang 3“ zu finden.
Die Pharisäer kommen zu Jesus und fragen ihn, ob man sich scheiden lassen dürfe. Jesus antwortet, dass Gott die Menschen zusammenfügt und man von Gott Zusammengefügtes nicht trennen dürfe, es sei denn, die Frau mache sich der Unzucht schuldig. Auf die Frage, warum dann Mose ihnen erlaubt hätte, ihre Frauen zu entlassen, erklärt Jesus die Ausnahme mit der Hartherzigkeit der Männer. Daraufhin fragen die Jünger, wozu das Heiraten, wenn die Sache des Mannes mit der Frau so stehe. Jesus erklärt, dass nicht alle zur Ehe fähig wären, manche seien von Gott nicht so gemacht, andere von Menschen und wieder andere von sich selbst aus nicht dazu im Stande. Doch wer das Wort fassen könne, der fasse es.
Ich habe mich für diesen Text entschieden, da ich an die Heiligkeit der Ehe und an die Bestimmung zweier konkreter Menschen füreinander glaube. Ich bin wie Jesus im Text deutlich macht auch der Meinung, dass zwei solche Menschen, wenn sie sich gefunden haben, beziehungsweise von Gott zusammengeführt wurden, sich nicht wegen Geringfügigkeiten voneinander abwenden sollten. Zudem empfinde ich das in der mir vorliegenden Zürcher Bibel verwendete Sinnbild des Eunuchen für einen unvollständigen und damit zur Ehe unfähigen Mann als sehr interessant. Dies impliziert nämlich, dass zum Führen einer (glücklichen) Ehe gewisse persönliche, charakterliche Voraussetzungen von Nöten sind, nach denen – denke ich – jeder Mensch als soziales Wesen strebt.
Die Interpretationsmöglichkeiten des Neuen Testaments beziehungsweise der Bibel an sich sind sehr vielfältig, sodass ich den zur Analyse vorliegenden Text auf verschiedene Arten untersuchen werde. Zunächst werde ich mich der Textanalyse mitsamt Abgrenzung des Textes, Einordnung in den Makro- und Mikrokontext, sowie der semantischen, narrativen und pragmatischen Analyse zuwenden, um nachfolgend die Frage nach der Kohärenz zu klären. Danach folgen die Literarkritik mit dem synoptischen Vergleich mit Mk 10,2-12, die Formgeschichte, die Untersuchung der Begriffs- und Motivgeschichten zu den Worten „Fleisch“ und „Eunuch“, je mit religionsgeschichtlichem Vergleich, sowie die Redaktionskritik beziehungsweise -geschichte. Zuletzt folgt das Fazit.
Ich erhoffe mir von meiner Analyse des Textes ein klareres Bild von den soziokulturellen Werten zu Zeiten Jesu, besonders im Hinblick auf das Verständnis der Ehe. Zudem möchte ich gern die Erwähnung der Eunuchen in ihrer ganzen (symbolischen) Bedeutung erfassen.
2. Hauptteil
2.1 Textanalyse
In der Textanalyse geht es besonders um den Inhalt des Textes auf sprachlicher und auf literarischer Ebene. In der Regel wird die zugehörige sprachlich-syntaktische Analyse an den griechischen Originalen untersucht, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse werde ich diese daher auslassen und mich auch bei den übrigen Punkten auf die deutschen Übersetzungen stützen. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, nehme ich hierfür die Zürcher Bibel als Grundlage.
2.1.1 Text und Kontext
Zum Makrokontext lässt sich zunächst sagen, dass das Matthäusevangelium ganz am Anfang des Neuen Testaments, vor dem Markusevangelium, zu finden ist. Es beginnt mit einer ausführlichen Darstellung des „Ursprungs Jesu Christi“ (1,1-25) und schafft so eine Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament. Es ist stark thematisch geordnet. So grenzt Matthäus vor allem fünf große Reden voneinander ab: die Bergpredigt (5-7), die Aussendungsrede (10), die Gleichnisrede (13), die Gemeinderegeln (18) und die Doppelrede gegen die Pharisäer und von den letzten Dingen (23-25). Die Reden sind noch besonders dadurch hervorgehoben, dass Matthäus nach jeder Rede mit einer fast immer gleichlautenden Redewendung fortfährt (7,28; 11,1; 13,53; 19,1; 26,1). Außerdem weist das Evangelium ein intratextuelles Netzwerk auf, in dem auf Späteres vorausgegriffen und in dem Früheres wieder aufgenommen wird.1
Die Frage nach der Ehescheidung, die der von mir gewählte Textabschnitt behandelt, ist meines Erachtens somit sinnvoll zwischen den Gemeinderegeln und der Rede gegen die Pharisäer eingeordnet, da hier gesellschaftliche Konventionen und Werte besprochen werden und die kritische Fragestellung, der sich Jesus annimmt, von den Pharisäern kommt. Somit schafft Mt 19, wie auch die sich anschließenden Kapitel 20-22, durch ein explizites Fallbeispiel eine Brücke zwischen den zuvor gegebenen Direktiven und der nachfolgenden Rüge des verwerflichen Verhaltens der geistlichen Führer des Volkes, der Pharisäer. Wenn man allerdings einen kleineren Kontext betrachtet, so findet man am Ende des Gesprächs über die Frage der Ehescheidung die rätselhaften Worte von den Eunuchen, welche auch die Frage des Zugangs zum Himmelreich ansprechen, die die folgenden Perikopen bestimmt: Segnung der Kinder, Frage von Reichtum und Besitz und das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (19,13 bis 20,16). Auch hier wird somit ein weicher und inhaltlich logischer Übergang geschaffen.
Um den Mikrokontext zu ermitteln, werde ich sowohl die Verse 1-2 sowie auch die Verse 13-15 aus Mt 19 miteinbeziehen. In den ersten beiden Versen des Kapitels findet ein Ortswechsel statt: Jesus reist, nachdem er das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht in Mt 18,21-35 beendet hat, von Galiläa in das Gebiet von Judäa jenseits des Jordan. Der Vers 2 („Und viele Leute folgten ihm, und er heilte sie dort.“2 ) zeigt zudem einen Themenwechsel auf, da Jesus hier von seiner Rolle des Predigers zur Rolle des Heilers wechselt. Dieser Wechsel vollzieht sich zwischen dem Vers 2 und dem Beginn meines Textabschnittes in Vers 3 noch einmal rückwärts, da Jesus nun wieder als beratende Instanz und religiöser Lehrer fungiert. Zudem ist dort durch das Erscheinen der Pharisäer ein Neueinsatz geschildert, der mit einem Personenwechsel einhergeht. Die Verse 1-2 bilden folglich die erste, und durch die einleitende Funktion etwas abgegrenzte, Sinneinheit von Kapitel 19.
Die Verse 3-9 bilden für mich den zweiten Sinnabschnitt, eine Frage-Antwort-Szene, in der nach der Beantwortung der ersten Frage durch Jesus die Pharisäer noch eine Nachfrage stellen. Jesus zeigt die Ausnahmesituation, in der die Fragesteller sich befinden, als eine solche auf und bekräftigt nochmals seinen zuvor erklärten Standpunkt. Man könnte aber diese zweite Sinneinheit noch einmal teilen, dies wäre nämlich einmal ab Vers 3 und die nächste Sinneinheit ab Vers 7. So würde man jeder Pharisäerfrage und der dazugehörigen Antwort von Jesus (die Zitate aus dem Alten Testament beinhaltet) einen Sinnabschnitt zuteilen.
In Vers 10 ist ein Bruch des Handlungsträgers vorzufinden, da nun auch die Jünger erstmals im Text genannt werden und ebenso wie die Pharisäer eine kritische Nachfrage an Jesus richten. In den Versen 11 und 12 antwortet Jesus ihnen und erklärt, dass die Ehe einzugehen auf der Basis von persönlichem Format beruhe. Seine zuvor ausgesprochene Weisung, eine bestehende Ehe in Ehren zu halten, schränkt er dadurch nicht ein. Die Jüngerbelehrung in den Versen 10-12 bildet somit den dritten Sinnabschnitt. Der Abschnitt endet mit einem abschließenden Appell: „Wer das fassen kann, fasse es!“3 Gemeint ist hiermit, dass jeder, der zur Ehe fähig sei, diese auch anstreben und gewissenhaft führen sollte.
Der vierte Sinnabschnitt (Vers 13-15) beinhaltet sowohl einen Themen- als auch einen Personenwechsel. Die Pharisäer kommen nicht mehr vor, stattdessen werden Kinder zu Jesus geführt. Als die Jünger diese anfahren, sagt Jesus, sie sollen sie nicht hindern, da ihnen das Himmelreich gehöre. Der Abschnitt endet mit einem Ortswechsel und beendet so die übergeordnete Szenerie meiner Textstelle: „Und er legte ihnen die Hände auf und ging weg von dort.“4
2.1.2 Semantische Analyse
Die auffallendsten und am häufigsten vertretenen Wortfelder in Mt 19,3-12 sind Ehe beziehungsweise Scheidung (chronologisch: „Mann“, „Frau“, „entlassen“, „ein Fleisch sein“, „scheiden“, „Scheidebrief“, „heiraten“, „Ehebruch“, „dieses Wort fassen“). Dies ist nicht verwunderlich, da sich der Textabschnitt vorwiegend mit der Frage nach der Ehescheidung befasst. Die beiden Wortfelder sind zum einen Gegensatzpaare und gehören zum anderen für mich persönlich dennoch zusammen, da eine Scheidung ohne eine vorangegangene Ehe nicht möglich wäre. Die Frage nach der Ehescheidung und vor allem die Antwort Jesu darauf beziehen sich zudem auf die gegebenen Bedingungen in einer spezifischen Ehe als Einzelfall (zum Beispiel: Scheidung bei Untreue). Die Wörter der zwei Wortgruppen Ehe und Scheidung kommen aufgrund ihrer unmittelbaren Bedeutsamkeit für das Thema über den ganzen Textabschnitt verteilt vor.
Das dritte auffallende Wortfeld ist das der Schöpfung („der Schöpfer“, „von Anfang an“, „geschaffen“, „ursprünglich“, „um des Himmelreiches willen“). Dass das Wortfeld der Schöpfung vorkommt, erklärt sich dadurch, dass Jesus die Schöpfungsgeschichte zitiert, somit wird die Bestimmung von Mann und Frau füreinander noch einmal unterstrichen. Auch das Wortfeld der Ehe passt zu dem der Schöpfung, da in der Genesis die Menschen als Mann und Frau geschaffen wurden und somit auch die Ehe geschaffen wurde.
Drei der Wörter aus dem Wortfeld der Schöpfung kommen innerhalb eines Satzes in Vers 4 vor. Das Wort „ursprünglich“ erscheint in Vers 8 und die Redewendung „um des Himmelreiches willen“ ist in Vers 12 zu finden. Diese ungleiche Verteilung erklärt sich mir so, dass nur Jesus in dem Wechselgespräch mit den Pharisäern und Jüngern in seinen Ausführungen von diesem Begriffsfeld Gebrauch macht, da die Schöpfung ihm bei der Beantwortung der ihm gestellten Fragen den theologischen Rahmen vorgibt. Der Natur der Sache folgend ist dieses Wortfeld in Vers 4 ganz besonders stark vertreten, da Jesus dort von der Schöpfung von Mann und Frau spricht.
Die zwei Worte „Mann“ und „Frau“ kann man somit in meinen Augen besonders hervorheben, da diese sowohl in den Wortfeldern von Ehe und Scheidung vorkommen als auch im Kontext der Schöpfung. Hier entsteht eine implizierte Kausalität, beginnend mit Gott, der die gesamte Schöpfung vollbrachte. Dazu gehören auch Mann und Frau, welche wiederum die zwei wesentlichen Ausgangspunkte der Ehe sind. Und diese ist Voraussetzung für die Frage nach der Scheidung, welche das Thema der zu analysierenden Textstelle Mt 19,3-12 ist.
Im Gesamttext gibt es eine Informationslücke in Vers 10, denn für den Leser ist es nicht ersichtlich, wieso dort plötzlich auch die Jünger auftreten. Eine semantische Kohärenz ist somit nicht gegeben.
2.1.3 Narrative Analyse
Die Anteile direkter Rede in der zur Analyse vorliegenden Textstelle sind sehr hoch. Diese bestimmen auch den Handlungsverlauf. Daher sind erzählte Zeit und Erzählzeit in Mt 19,3-12 nahezu identisch. Pausen zur Reflexion oder für narrative Erklärungen, etwa durch den Erzähler, gibt es in dem Frage-Antwort-Text nicht.
Der Text beginnt mit der an Jesus gerichteten Frage der Pharisäer nach der Ehescheidung. Jesus antwortet, dass von Gott Zusammengefügtes, außer bei Ehebruch, nicht getrennt werden dürfe und beruft sich dabei auf die Schöpfungsgeschichte. Die Pharisäer stellen die Nachfrage, warum dann Mose ihnen die Scheidebriefe geboten hätte. Jesus erklärt, dass diese Ausnahme auf der Hartherzigkeit der Männer beruhe, es aber ursprünglich anders gewesen sei. Nun schalten sich auch die Jünger ein und fragen Jesus, warum man dann noch heiraten solle. Er antwortet mit dem Beispiel und Sinnbild der aus unterschiedlichen Gründen so gemachten oder gewordenen Eunuchen, die nicht zur Ehe befähigt seien. Doch wer zu ihr fähig sei, solle die Ehe eingehen.
Die Pharisäer bilden die Opposition zu Jesus und den Jüngern, wobei die plötzlich in Vers 10 auftauchenden Jünger durch ihre Nachfrage zu Jesus‘ Erläuterungen auch mit zur Partei der Gegenseite Jesu gezählt werden könnten, da sie auf die unterschwelligen Bedenken der Pharisäer gegen die Ehe weiter eingehen. Dies ist für mich ein Knotenpunkt, da Jesus auf die bohrende Nachfrage durch seine eigenen Jünger, die eigentlich hinter ihm stehen und seine Lehren verbreiten statt hinterfragen sollten, auch hätte verärgert reagieren können. Dies tut er allerdings nicht.
Jesus wird als Lehrer dargestellt, die Pharisäer, besonders deutlich in Vers 3, als seine Kritiker („Und es kamen Pharisäer zu ihm, um ihn auf die Probe zu stellen“5 ). Jesus wird zudem indirekt als glaubensfest und geduldig charakterisiert, da er auf alle vorgetragenen Fragen eine auf Gott gestützte Antwort vortragen kann und auch auf die kritischen Fragen seiner eigenen Jünger hin die Ruhe bewahrt und die Unklarheiten ausräumt. Die Benennung der Schöpfung als aller Anfang und Grundlage seiner Aussagen ist die habitualisierte Reaktion eines religiösen Führers.
Im Vers 12 findet ein Bruch in der Handlungssequenz statt, da die Antwort Jesu, die die Eunuchen beinhaltet, eine „vom Handlungsablauf nicht motivierte Reaktion“6 darstellen könnte. Denn schließlich fragen die Jünger nicht nach der Einordnung der Eunuchen, sondern nach der Sinnhaftigkeit der Ehe. Sinnbildlich stehen die Eunuchen hier allerdings für die aus unterschiedlichen Gründen zur Ehe unfähigen Männer, was einem allegorischen Gleichnis im Kleinformat gleichkommt. Dieses kann meiner Ansicht nach zwei verschiedene Bedeutungsebenen haben. Zum einen die psychisch-emotionale Bedeutung, die sich etwa in der von Jesus erwähnten Hartherzigkeit und der damit einhergehenden persönlich-charakterlichen Unzulänglichkeit der Pharisäer für die Ehe zeigt. Es ist gut möglich, dass auch geistliche oder Beamte derzeit schon vereinzelt im Sinne von Keuschheit asketisch gelebt haben. Mit „Eunuchen, die sich um des Himmelsreiches willen selbst zu solchen gemacht haben“7 könnten solche freiwilligen Asketen gemeint sein, die den fleischlichen Gelüsten und den womöglich damit einhergehenden Sünden entsagt hatten, um Gott besser dienen zu können. Papst Siricius forderte allerdings erst im Jahre 385 das Zölibat für Priester und Leviten8. Erst 1139 wurde die Zölibatsverpflichtung zum Kirchengesetz.9
Zum anderen gibt es aber auch die Möglichkeit der rein physischen Unfähigkeit zu einer klassischen Ehe, denn in manchen Fällen ist mit dem Wort „Eunuch“ in der Bibel ein zeugungsunfähig gemachter Mann gemeint (zum Beispiel: Taufe des Eunuchen aus Äthiopien (Apostelgeschichte 8,27-39)). Diese meint Jesus vermutlich, wenn er davon spricht, dass es „Eunuchen [gibt], die von Menschen zu solchen gemacht wurden“10.
Diese Doppeldeutigkeit der Verwendung des Wortes „Eunuch“ setzt bei dem Leser ein gewisses interpretatives Vermögen voraus, da sonst nicht deutlich wird, warum Jesus auf die Frage der Jünger, warum sie überhaupt heiraten sollen, mit der Erzählung von den Eunuchen antwortet. Es wird außerdem vorausgesetzt, dass Mose als Prophet und die Pharisäer als theologische Gelehrte des Judentums und Kritiker Jesu bekannt sind. Ansonsten muss dem Leser nichts weiter erklärt werden, da Jesus die im Text gestellten Fragen selbst und unmittelbar beantwortet.
2.1.4 Pragmatische Analyse
In Mt 19,3 werden die Pharisäer vorgestellt, die Jesus offenbar absichtlich auf die Probe stellen wollen. Die Pharisäer sind auch an anderen Bibelstellen negativ konnotiert, da sie als hochmütig und scheinheilig dargestellt werden, zugleich sind sie aber auch Jesus‘ wichtigste Diskussionspartner und schaffen somit vor allem im Neuen Testament für Jesus viele Möglichkeiten, den christlichen Glauben weiter zu erläutern und zu verbreiten (zum Beispiel: Apg 4,1ff.; Apg 5,17ff.; Mk 12,38‒39; Lk 20,45‒46; Mt 23,1–39). Sie sind somit literarisch und theologisch als Handlungstreiber von großer Bedeutung, was ihr trotz all ihrer Kritik häufiges Auftreten erklärt. Auch hier bilden die Pharisäer die Gegenseite Jesu, da sie das Gesetz Gottes in Frage stellen. Dass Jesus sich in seiner Antwort auf bereits vorhandene Bibelstellen des Alten Testaments und somit auf das Wort Gottes bezieht, bestärkt seine Antworten und die Signifikanz der Gesetze Gottes. Zudem ist Jesus auch der Einzige, der wirklich argumentiert. Er wird als ruhiger, versierter und glaubensfester religiöser Lehrer dargestellt, was dem Leser Vertrauen in Gott und die Bibel geben soll. Damit schafft es der Autor, die Sympathie der Leser auf Jesus zu richten. Die Pharisäer stellen zwar eine Frage, aber nehmen nicht wirklich Stellung. Die Absicht des Autors ist also, den Leser beziehungsweise das Volk zu belehren und sie an die christlichen Werte zu erinnern. Vor allem daran, dass man sich nicht scheiden lassen sollte, denn das, was Gott zusammengefügt hat, sollte der Mensch nicht trennen. Dies bildet einen Rückbezug auf die Gemeinderegeln in Kapitel 18 des Matthäusevangeliums und bekräftigt somit die Wichtigkeit dieser bestimmten Verhaltensregel. Der Verfasser richtet sich jedoch nicht direkt an die Leser. Das Gespräch besteht fast ausschließlich aus wörtlicher Rede und die Absichten der Äußerungen sind somit abgesehen von der unmittelbaren Bedeutung der Weisungen Jesu nur implizit. Jesus ermahnt seine Zuhörer, die Ehe nicht zu brechen und appelliert am Schluss der Textstelle an seine Zuhörer (und damit auch indirekt an die Leser), die Ehe einzugehen und in Ehren zu halten.
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1 Vgl. Konradt, Matthias: Das Evangelium nach Matthäus, NTD 1, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, S. 1
2 Zürcher Bibel (4. Auflage): Matthäusevangelium, Kapitel 19, Vers 2, Theologischer Verlag Zürich, Zürich 2012
3 Siehe Anhang 3, Vers 12
4 Zürcher Bibel (4. Auflage): Matthäusevangelium, Kapitel 19, Vers 15, Theologischer Verlag Zürich, Zürich 2012
5 Siehe Anhang 3, Vers 3
6 Schnelle, Udo: Einführung in die neutestamentliche Exegese, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2005, S. 57
7 Siehe Anhang 3, Vers 12
8 Klein, Mechthild: Zölibat / Gott liebt die Enthaltsamen – angeblich (18.03.2020) mit Bezug auf „HW, Zölibat, S. 20“ auf der Internetseite des Deutschlandfunks unter https://www.deutschlandfunk.de/zoelibat-gott-liebt-die-enthaltsamen-angeblich-100.html [05.03.2022]
9 Bistum Essen: Das Zölibat. Unter: https://www.bistum-essen.de/pressemenue/lexikon/z-lexikon/zoelibat?gclid=CjwKCAiAsYyRBhACEiwAkJFKoqPRyuoiznMwvMp6niHWlGtd8ZuSIRrxzMUIVelnpvG9flAq0xuCyxoCsgUQAvD_BwE [05.03.2022]
10 Siehe Anhang 3, Vers 12