Dieser Essay befasst sich mit den folgenden Spannungsfeldern: Sünden-Sündenerlass, Krieg-Erlösung, Schandtat-Heilstat, Politik-Kirche sowie Heidenverfolgung-Judenschonung. Dieser Essay will versuchen, die Spannungsfelder in sieben Schritten aufzulösen oder sie zumindest einordnend zu beschreiben.
Die Sätze von Clairvaux stehen gleichzeitig für die Conversio, mit der Bernhard eine eigentliche Schandtat – die Tötung von Menschen – zur Heilstat, zum göttlichen Erfordernis, werden lässt. Die zwei Sätze, dicht gewoben, stehen drittens für die Genialität, mit der Bernhard für den Kreuzzug warb: Er bediente sich der merkantilen Logik und setzte einer Beteiligung des prinzipiell sündigen Menschen am Kreuzzug den grössten zu erhoffenden Lohn entgegen: den Sündenerlass.
"Jetzt tapferer Soldat, jetzt, streitbarer Mann, hast Du ein Feld, wo Du ohne Gefahr kämpfen kannst, wo der Sieg Rum, 'der Tod aber Gewinn ist.' (Phil 1,21) Wenn Du ein kluger Kaufmann bist, 'ein Mann des Erwerbs in dieser Welt' (1Kor 1,20) dann prophezeie ich Dir reiche Märkte."
Diese zwei Sätze aus Ep. 363 dynamisieren das Eins-Sein, oder besser: das Eins-Werden von Bernhard von Clairvaux nach anfänglichem Widerstand mit seiner Aufgabe als nimmermüder Promotor, als führende geistliche Instanz des Zweiten Kreuzzuges.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die dreifache Grundlegung in der Persönlichkeitsstruktur
3. Die Grundzüge seines Erfolges
4. Die Rolle Bernhards als Prozess des Werdens
5. Die Schreiben als Ausdruck einer professionellen Maschinerie
6. Die Kaufmann-Logik
7. Die Judenfrage
8. Vom Höhe- zum Tiefpunkt
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
"Jetzt tapferer Soldat, jetzt, streitbarer Mann, hast Du ein Feld, wo Du ohne Gefahr kämpfen kannst, wo der Sieg Rum, 'der Tod aber Gewinn ist.' (Phil 1,21) Wenn Du ein kluger Kaufmann bist, 'ein Mann des Erwerbs in dieser Welt' (1Kor 1,20) dann prophezeie ich Dir reiche Märkte."1
Diese zwei Sätze aus Ep. 363 dynamisieren das Eins-Sein, oder besser: das Eins-Werden von Bernhard von Clairvaux nach anfänglichem Widerstand mit seiner Aufgabe als nimmermüder Promotor, als führende geistliche Instanz des Zweiten Kreuzzuges. Die Sätze stehen gleichzeitig für die Conversio, mit der Bernhard eine eigentliche Schandtat - die Tötung von Menschen - zur Heilstat, zum göttlichen Erfordernis, werden lässt. Die zwei Sätze, dicht gewoben, stehen drittens für die Genialität, mit der Bernhard für den Kreuzzug warb: Er bediente sich der merkantilen Logik und setzte einer Beteiligung des prinzipiell sündigen Menschen am Kreuzzug den grössten zu erhoffenden Lohn entgegen: den Sündenerlass.
Die beiden Sätze aus Ep. 363 werfen auch ein erstes, noch etwas diffuses Licht auf die Spannungsfelder oder vielleicht besser: aufdie Pole, in denen sich dieser Essay bewegen will und muss. Sünden-Sündenerlass, Krieg-Erlösung, Schandtat-Heilstat, Politik-Kirche, Heidenverfolgung-Judenschonung. Dieser Essay will versuchen, die Spannungsfelder in sieben Schritten aufzulösen oder sie zumindest einordnend zu beschreiben.
2. Die dreifache Grundlegung in der Persönlichkeitsstruktur
Die basale Strukturiertheit für das Wirken von Bernhard von Clairvaux ist in seiner Persönlichkeit zu verorten, die in seinen Schriften und in seinem Tun als "sehr komplexes Bild"2 aufscheint. Bernhard vereint in sich das gehorchend-dienende Moment ebenso wie das kraftvollgestaltende. Er ist ein hervorragender Beobachter, der sich auf das jeweilige Gegenüber ebenso schnell wie konzis einstellt. Durch das und zugleich im Handeln wird Bernhard von einem (göttlichen) Eifer erfasst, wird vom Zauderer zum Zauberer. Seine Wundertätigkeit, seine schnelle Auffassungsgabe, seine Fähigkeit, sich blitzschnell auf das Gegenüber einzustellen, und natürlich seine "hinreissende Beredsamkeit"3 (siehe Kap. 3) machen ihn zu einer charis- matischen Figur, von der Fechner sagt: "Eine Generation hat nur immer einen charismatischen Herrscher, und da Bernhard der 'Erwählte Gottes' war, mussten Persönlichkeiten, die sich nicht gleich ihm durch ausseralltägliche Fähigkeiten und Wunder bewähren konnten, zurücktreten. Papst und Könige jener Zeit, denen sonst die Führerrolle zustand, mussten der revolutionären Gewalt, die von Bernhard ausging, weichen."4 Dieser Einschätzung darf ihn ihrer Grundtendenz sicher zugestimmt werden.
Als grösstes Hemmnis im charismatischen Wirken erwies sich dabei eine anthropologische Determinante: die angeschlagene Gesundheit von Bernhard, zu diesem Zeitpunkt bereits 55 Jahre alt und damit für die damaligen Verhältnisse ein alter Mann, die ihn schon früher, in Ep. 245, schreiben liessen, dass seine Kräfte für schwierige Aufgaben nicht ausreichen würden. Sie reichten hin, wohl durchaus in der Erwartung des himmlischen Lohns, der, so die Auffassung in jener Zeit, in seiner endzeitlichen Gestalt nicht mehr allzu fern sein dürfte. Ob Bernhard selber in eschatologischer Naherwartung war, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt; Diers spricht von widersprüchlichen Signalen, die von Bernhard ausgingen5.
3. Die Grundzüge seines Erfolges
Dass seine Worte eine derartige Breiten- und Tiefenwirkung erzeugen konnten, liegt zum einen an der Stellung, die Bernhard innehatte. Diese hatte er sich durch seinen brillanten Geist vorab bei der kirchlichen und politischen Elite ebenso erarbeitet wie durch seine Wundertätigkeit beim gemeinen Volk. Selbst Kritiker wie Otto von Freising attestierten ihm, Heilwunder zu vollbringen, und wagten nicht, diese in Zweifel zu ziehen.
Gerade an der Wundertätigkeit zeigt sich auch die bipolare Strukturiertheit des Wirkens von Bernhard. Er vollbringt Wunder - und trifft auf eine Gesellschaft, die sich wundern lässt und geradezu von einer Wundersucht ergriffen ist. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte Bernhards Wundertätigkeit deutlich an Glanz und Effizienz eingebüsst. So aber mussten seine Wunder, erwartungsgetrieben, so zahlreich sein, "dass seine Gefährten vor der Unmöglichkeit kapitulierten, sie alle aufzuschreiben"6. Die Vita prima hält dazu fest: "Und wie zahlreich und verschiedenartig waren doch diese Wunderzeichen. Sie auch nur aufzuzählen, geschweige denn zu erzählen, würde schwerhalten [sic!]. Man begann wohl, sie gleichzeitig aufzuschreiben, aber zuletzt kam der Schreiber auch nur der Zahl der zu verzeichnenden Fälle mit Zählen und der Verfasser dem Stoffe mit Schreiben nicht nach."7 Die Wundertätigkeit kann somit als Befeuerung seiner Autorität verstanden werden.
Seine Wirkung gründet zum anderen in seiner ungeheuren sprachlichen Begabung, die von Schreiben zu Schreiben noch an - inhaltlicher wie formaler - Schärfe gewinnt. Auch in seinen Reden und Schreiben zeigt sich, wie bei der Wundertätigkeit, ein bipolares Moment: Es braucht ein Gegenüber, das sich bereden lässt. "Zweifellos verfügt Bernhard über eine aussergewöhnliche rhetorische Begabung. Dennoch vermag Bernhards Beredsamkeit nicht allein seine Wirkkraft zu erklären. Diese setzt vielmehr seine Anerkennung als Werkzeug Gottes, d.h. eine Legitimation voraus, an der für viele Zeitgenossen Bernhards Wundertätigkeit beträchtlichen Anteil hat."8 Bernhard versteht es dabei blendend, sich auf das jeweilige Gegenüber einzustellen, es in seinem jeweiligen Da-Sein abzuholen. Die Kreuzzugsbriefe, vorab an theologisch nicht versierte Männer respektive an die Ritter gerichtet, sprechen eine ganz andere Sprache, eine durch und durch kämpferisch-aufgeladene, als jene Werke, die er an die geistliche Elite richtet. Bernhard versteht es mitWorten,Taten zu generieren. Dass damit eine "Tendenz zur Manipulation"9 einhergeht, ist nicht von der Hand zu weisen.
4. Die Rolle Bernhards als Prozess des Werdens
Es war auch ein Schock für Bernhard, als die Grafschaft Edessa, das "starke Bollwerk der Christen"10, fiel. Denn nun schien auch das Geburtshaus des christlichen Glaubens, das Heilige Land und mit ihm Jerusalem, bedroht - eine mit dem Heilsplan Gottes nicht zusammendenkbare Ungeheuerlichkeit und Absurdität zugleich. Bernhard, der zum Heiligen Land eine doppelte Verbundenheit hatte - zum einen zum Templerorden, zum anderen zu Melissende, der Königin von Jerusalem -, war, wie seine Umgebung, über die Vorgänge geschockt, was er auch in mehreren Episteln zum Ausdruck brachte. Die einzige Erklärung, die das Unfassbare zumindest etwas fassbar machen konnte, war jene der Sündhaftigkeit der Menschen; sie war ursächlich für den Schwebezustand zwischen Sein und Schein, zwischen Himmel und Hölle verantwortlich.
Dieser Zustand des geistigen Erstarrt-Seins, das sich im Denken-Müssen des Undenkbaren manifestierte, trug auch dazu bei, dass sich Bernhard nach anfänglichem Widerstand vor den Karren des Kreuzzuges spannen lies.
[...]
1 Winkler, Gerhard B. (Hg.), Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke lateinisch/deutsch III, 1992, Ep. 363, 657.
2 Leclercq, Jean, Art. Bernhard von Clairvaux, in: Krause, Gerhard; Müller, Gerhard (Hg.), TRE V, 645-651, 1980, 649.
3 Kober, Adolf, Bernhard von Clairvaux, in: Elbogen, Ismar; Herlitz, Georg; Kirschner, Bruno (Hg.), Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden, Bd 1, 1928, 908f.
4 Fechner, Hilde, Die politischen Theorien des Abtes Bernhard von Clairvaux in seinen Briefen, 1933, 60f.
5 vgl. Diers, Michaela, Bernhard von Clairvaux. Elitäre Frömmigkeit und begnadetes Wirken, 1991, 393.
6 Dinzelbacher, Peter, Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers, 2001, 296.
7 Sinz, Paul, Das Leben des heiligen Bernhard von Clairvaux (Vita prima), 1962, 3. Buch, 170.
8 Diers, Bernhard, 273f.
9 Ebd., 241.
10 Pfeiffer, P. Eberhard, Die Stellung des hl. Bernhard zur Kreuzzugsbewegung nach seinen Schriften, in: Cist- cienser Chronik 46, 1934, 276.