Così fan tutte – Mozarts lange Zeit umstrittenste Oper entstand im 18. Jahrhundert zu einer Zeit des Umbruchs. Man befindet sich zwischen Materialismus und Aufklärung und die Protagonisten sehen sich nun mit einer neuen Liebeskonzeption konfrontiert. Mozart und da Ponte versuchen aristokratische und bürgerliche Liebesauffassungen gegenüber zu stellen, und dabei besonderen Schwerpunkt auf den Rationalismus zu legen. Vor dem Hintergrund eines gefährlichen Experiments, einem Spiel mit Gefühlen und der Liebe, ja mit der Psyche des Menschen, wird die Strömung der Empfindsamkeit, die Einheit von Liebe und Ehe, eine Neuerung, die erst kürzlich Einzug in die Gesellschaft gefunden hat, mit kritischem Auge betrachtet. Doch um was geht es eigentlich in dieser so verwirrenden Oper, und warum verlässt der Zuschauer heute noch wie damals die Oper mit einem ungewöhnlich unbehaglichen, nachdenklichen Gefühl? Die Antwort findet sich versteckt in einer geschickt hinter Parodie, Ironie und Realität verborgenen „Psychologie“.
Da Ponte hinterlässt der Regie karge optische, räumliche und mimische Anweisungen. Die Aussage des Stücks muss sich also im Libretto verbergen, in der Handlung, dem Geschehen – und zwar sowohl in den Worten als auch in der Struktur des Libretto. Bei einer genaueren Analyse dieser Aspekte treten verborgene Motivationslagen der Protagonisten hervor, die uns Aufschluss über die Wirkung dieser im Kreuzfeuer der Kritik stehenden Oper geben und eine sinnvolle Interpretation zulassen.
Auf die Vorgabe einer konkreten Bühnenlösung verzichten Mozart und da Ponte absichtlich ausdrücklich, da sie eine Oper für die Ewigkeit kreierten. Sie schufen ein Werk, das sich mit einer zeitlosen Thematik beschäftigt, mit Gefühlen und körperlichen Bedürfnissen. Innerste Triebe und Zerrissenheiten des menschlichen Wesens stehen im Vordergrund. Strebt der Mensch nach Sicherheit, Geborgenheit und Treue, oder ist er auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer?
Oder birgt er Tendenzen zu beiden Extremen in sich? Ist der Mensch ein zerrissenes Wesen, das vielleicht selbst nicht weiβ, was es will? Oder sind es vielleicht nur die Frauen, die nicht wissen was sie wollen und somit Herzensleid schaffen?
Antwort auf diese Fragen will nun die folgende Abhandlung liefern, indem sie die einzelnen Charaktere im Hinblick auf ihre jeweilige Situation und ihre emotionalen Entwicklungsstadien beleuchtet und natürlich auch den gesamten Handlungsvorgang von einem psychologischen Standpunkt aus hinterfragt.
Gliederung
1. Thematik einer umstrittenen Oper
2. Eine Wette als Rahmenhandlung
3. Verborgene Motivationslagen
3.1 Ausgangssituation
3.2 Weg zur Selbstfindung
4. Ende gut – alles gut?
5. Literaturangaben
1. Thematik einer umstrittenen Oper
Così fan tutte – Mozarts lange Zeit umstrittenste Oper entstand im 18. Jahrhundert zu einer Zeit des Umbruchs. Man befindet sich zwischen Materialismus und Aufklärung und die Protagonisten sehen sich nun mit einer neuen Liebeskonzeption konfrontiert. Mozart und da Ponte versuchen aristokratische und bürgerliche Liebesauffassungen gegenüber zu stellen, und dabei besonderen Schwerpunkt auf den Rationalismus zu legen. Vor dem Hintergrund eines gefährlichen Experiments, einem Spiel mit Gefühlen und der Liebe, ja mit der Psyche des Menschen, wird die Strömung der Empfindsamkeit, die Einheit von Liebe und Ehe, eine Neuerung, die erst kürzlich Einzug in die Gesellschaft gefunden hat, mit kritischem Auge betrachtet. Doch um was geht es eigentlich in dieser so verwirrenden Oper, und warum verlässt der Zuschauer heute noch wie damals die Oper mit einem ungewöhnlich unbehaglichen, nachdenklichen Gefühl? Die Antwort findet sich versteckt in einer geschickt hinter Parodie, Ironie und Realität verborgenen „Psychologie“.
Da Ponte hinterlässt der Regie karge optische, räumliche und mimische Anweisungen. Die Aussage des Stücks muss sich also im Libretto verbergen, in der Handlung, dem Geschehen – und zwar sowohl in den Worten als auch in der Struktur des Libretto. Bei einer genaueren Analyse dieser Aspekte treten verborgene Motivationslagen der Protagonisten hervor, die uns Aufschluss über die Wirkung dieser im Kreuzfeuer der Kritik stehenden Oper geben und eine sinnvolle Interpretation zulassen.
Auf die Vorgabe einer konkreten Bühnenlösung verzichten Mozart und da Ponte absichtlich ausdrücklich, da sie eine Oper für die Ewigkeit kreierten.[1] Sie schufen ein Werk, das sich mit einer zeitlosen Thematik beschäftigt, mit Gefühlen und körperlichen Bedürfnissen. Innerste Triebe und Zerrissenheiten des menschlichen Wesens stehen im Vordergrund. Strebt der Mensch nach Sicherheit, Geborgenheit und Treue, oder ist er auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer?[2]
Oder birgt er Tendenzen zu beiden Extremen in sich? Ist der Mensch ein zerrissenes Wesen, das vielleicht selbst nicht weiβ, was es will? Oder sind es vielleicht nur die Frauen, die nicht wissen was sie wollen und somit Herzensleid schaffen?
Antwort auf diese Fragen will nun die folgende Abhandlung liefern, indem sie die einzelnen Charaktere im Hinblick auf ihre jeweilige Situation und ihre emotionalen Entwicklungsstadien beleuchtet und natürlich auch den gesamten Handlungsvorgang von einem psychologischen Standpunkt aus hinterfragt.
2. Eine Wette als Rahmenhandlung
Eine Opera buffa, eine Seriaparodie, die ihrem Namen alle Ehre macht: ein weltkundiger, durch das Alter erfahrener, aufgeklärter, vom Leben abgebrühter Philosoph provoziert zwei junge, frisch verliebte Herren, indem er die Treue ihrer Verlobten in Frage stellt, und das ganze endet in einer Wette. In einer Wette, in der der Einsatz nicht ein paar Goldstücke beträgt, sondern die treue Liebe zweier Damen. Ohne zu zögern lassen sich die beiden hitzigen Herren darauf ein, mit den Gefühlen ihrer Verlobten zu spielen, sie absichtlich zu betrügen, anzulügen, ja geradewegs hinters Licht zu führen. Jedem normalen Liebenden würden doch früher oder später Zweifel kommen, ob ein derartiges Misstrauen einer Liebesbeziehung nicht gefährlich werden könnte, oder ob ein solches Verhalten überhaupt ethisch vertretbar ist.[3] Zusätzlich ist die Verkleidung der Herren dermaβen dürftig, dass es eigentlich eine Beleidigung der Intelligenz der beiden Frauen ist, zu denken, sie würden dieses Spiel nicht durchschauen (I.11). Die Tatsachen, dass unsere beiden Herren bedenkenlos „die Liebe aufs Spiel setzen“ und unsere attraktiven jungen Damen wie vorprogrammiert in die gelegte Falle tappen, sind eindeutige Anzeichen dafür, dass es sich hier nicht um eine reale Geschichte handeln kann. Die Handlung in unserer Oper ist eine künstlich inszenierte, aufgesetzte, so wie sie im Leben niemals vorkommen kann. Innerhalb von 24 Stunden durchleben die Protagonisten eine Wandlung im Zeitraffer. Sie besuchen eine Schule, und zwar die Schule des Lebens. Die Stadien, die sie durchlaufen, durchläuft jeder junge Verliebte auf dem Weg vom Verliebtsein bis hin zur Findung der wahren, realen Liebe mit Bestand, doch dauert dieser Prozess im Allgemeinen einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Vielleicht wird er in manchen Fällen auch niemals abgeschlossen, und das Finden einer wirklichen Glückseligkeit, nämlich der Wahrheit bleibt versagt. Unseren beiden Paaren wird von Anfang an ein unausweichliches Schicksal in die Wiege gelegt. Sie sind wie Kinder, die man über das Leben und seine grausamen Realitäten aufklären muss. Selbst Handeln können und sollen sie auch nicht, sie sollen nur erkennen. In einem Crashkurs für Neuverliebte sollen sie vorbereitet werden auf die Leiden der echten Liebe mit all ihren Ecken und Kanten. Alfonso, der erfahrene Kursleiter und Spielmacher in diesem „Spiel des Lebens“ möchte nicht den Glauben an eine einzige wahrhaftige Liebe zu einer einzigen Frau zerstören, er möchte nur klarstellen, dass die Illusion einer einseitigen Idealisierung von Treue die reale Liebe verzerrt und nicht in der Realität existiert. In unserer Oper darf der Eros, die unterdrückte Leidenschaft des Menschen, seinen wahren Charakter zeigen und innerste Bedürfnisse hervorrufen, die in der Phase des Verliebtseins von einer Art vorübergehenden Faszination des Partners verdrängt werden.[4]
Doch warum nimmt da Ponte eigentlich ausgerechnet eine Wette als Rahmenhandlung her und setzt die Oper damit von Anfang an in ein groteskes Licht? Das Resultat der Wette erscheint grausam: die Wirklichkeit ist anders als die heile Märchenwelt des Verliebtseins – hart, verletzend, entblößend und deshalb ehrlich. Um diese Härte der Wahrheit für das Publikum zu lindern und überhaupt erträglich zu machen, so dass zumindest eine Art lieto fine erreicht werden kann, kleidet man die harte Realität in ein Spiel, um von vornherein zu gewährleisten, dass die Aufdeckung der Wahrheit psychologisch leichter verarbeitet werden kann. Vor dem Hintergrund, alles sei nur ein Spass gewesen, können sich unsere Protagonisten, Männer wie Frauen, leichter zu einer Versöhnung durchringen, selbst, wenn sich jeder Teilnehmer der Schwere des Geschehenen bewusst ist.
[...]
[1] Herz (1994): 137.
[2] Bauer-Jenlineck (2005): 55ff.
[3] Bauer-Jelinek (2005):56.
[4] Wunderlich (1996): 1ff.