In dieser Arbeit soll auf Basis der judenfeindlichen Schriften Luthers der Frage nachgegangen werden, inwiefern Martin Luther als Legitimation im Dritten Reich benutzt wurde. Hierbei wird sich vor allem auf die Instrumentalisierung seiner Person und seines Gedankenguts in den verschiedensten Facetten konzentriert. Welchen Anteil hatte Luther postum am Propagandaapparat in der NS-Diktatur? Kann man ihm die Rolle eines Antisemiten zuschreiben?
2017 wurde in Deutschland mit großem Aufwand dem Mann gedacht, welcher vor 500 Jahren die Reformation einläutete. Zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen zum Reformations-Jubiläum zogen bundesweit die Massen an und waren ein Beispiel dafür, dass die Reformation und damit der Mann dahinter auch noch im 21. Jahrhundert Relevanz besitzen und bis heute nachwirken.
Dass Martin Luther aber in seinen späteren Lebensjahren in seinen Auftritten und vor allem seinen Schriften auch zunehmend antisemitische Ansichten vertrat, wird selten kommuniziert. Das obige Zitat gibt eindrucksvoll darüber Aufschluss, dass Luther und das Dritte Reich eine engere Beziehung haben, als vielen vermutlich lieb ist. Aber wie kann man nur den Reformator, ausgerechnet einen Theologen, mit Adolf Hitler, einem Diktator, gleichsetzen? Wie konnte es nur soweit kommen und was heißt das für das Andenken des Reformators?
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum 2017 kam es auch zu einer erneuten Aufarbeitung der Judenfeindlichkeit des Reformators und dessen Wirkungsweisen im Nationalsozialismus. Unter anderem konnte man im Dokumentationszentrum der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin in der Ausstellung zum Thema Luther im Nationalsozialismus den dunkleren Teil seiner Rezeptionsgeschichte kennenlernen. Die von der Stiftung Topographie des Terrors initiierte Ausstellung klärt auf und regt auch zum Nachdenken an über einen Mann, der einen großen Anteil an unserer deutschen Identität, insbesondere durch seine Grundsteinlegung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache, hat.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Antijudaismus in Luthers Schriften
2.1 Die drei Phasen Luthers
2.2 Vom Antijudaismus zum Antisemitismus?
3. Die Wirkungsgeschichte im Dritten Reich
3.1 Die Nutzung durch die evangelische Kirche
3.2 Verbindung der Schmähschriften mit der Rassenideologie
3.3 Luther in den Symboldarstellungen der Antisemiten
4. Vergleiche mit Hitler
5. Schlussfolgerung
6. Bibliographie
6.1 Quellenverzeichnis
6.2 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Und wenn Martin Luther auf seinem Wege dem Führer heute begegnen würde, dem unsere Herzen aller dankbar schlagen – tief würde er ihm in die Augen schauen, und beide Hände würde er ihm drücken. Dank dir, du deutscher Mann! Du bist Blut von meinem Blut, Art von meiner Art. Wir beide gehören eng zusammen.1
2017 wurde in Deutschland mit großem Aufwand dem Mann gedacht, welcher vor 500 Jahren die Reformation einläutete. Zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen zum Reformations-Jubiläum zogen bundesweit die Massen an und waren ein Beispiel dafür, dass die Reformation und damit der Mann dahinter auch noch im 21. Jahrhundert Relevanz besitzen und bis heute nachwirken.
Dass Martin Luther aber in seinen späteren Lebensjahren in seinen Auftritten und vor allem seinen Schriften auch zunehmend antisemitische Ansichten vertrat, wird selten kommuniziert. Das obige Zitat gibt eindrucksvoll darüber Aufschluss, dass Luther und das Dritte Reich eine engere Beziehung haben, als vielen vermutlich lieb ist. Aber wie kann man nur den Reformator, ausgerechnet einen Theologen, mit Adolf Hitler, einem Diktator, gleichsetzen? Wie konnte es nur soweit kommen und was heißt das für das Andenken des Reformators?
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum 2017 kam es auch zu einer erneuten Aufarbeitung der Judenfeindlichkeit des Reformators und dessen Wirkungsweisen im Nationalsozialismus. Unter anderem konnte man im Dokumentationszentrum der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin in der Ausstellung zum Thema Luther im Nationalsozialismus den dunkleren Teil seiner Rezeptionsgeschichte kennenlernen. Die von der Stiftung Topographie des Terrors initiierte Ausstellung klärt auf und regt auch zum Nachdenken an über einen Mann, der einen großen Anteil an unserer deutschen Identität, insbesondere durch seine Grundsteinlegung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache, hat.
In dieser Arbeit soll nun auf Basis der judenfeindlichen Schriften Luthers der Frage nachgegangen werden, inwiefern Martin Luther als Legitimation im Dritten Reich benutzt wurde. Hierbei wird sich vor allem auf die Instrumentalisierung seiner Person und seines Gedankenguts in den verschiedensten Facetten konzentriert. Welchen Anteil hatte Luther postum am Propagandaapparat in der NS-Diktatur? Kann man ihm die Rolle eines Antisemiten zuschreiben?
Luthers Antijudaismus in seinen Spätschriften ist vor allem in den Kreisen der Theologen und Kirchenhistorikern erforscht. Führend sind hierbei vor allem die Forschungsarbeiten von Manfred Gailus und Thomas Kaufmann, welche sich hierbei besonders mit der Rolle der (Evangelischen) Kirche im Dritten Reich auseinandersetzen. Im Zuge der oben genannten Ausstellung, wurde eigens ein Ausstellungskatalog angefertigt, welcher für diese Arbeit auch als Grundlage für die weiterführende Literatur diente. In der Forschung und vor allem auch in der Evangelischen Kirche gibt es aber weiterhin Bedarf an einer lückenlosen und tiefgreifenden Aufarbeitung des Andenken Luthers in Bezug auf die Rezeption im Dritten Reich und des damaligen Verhaltens der Kirchen zum Holocaust.
Als Einstieg zu dieser Arbeit dient ein Überblick über die Entwicklung des Verhältnisses Luthers gegenüber den Juden in verschiedenen Lebensphasen. Als Übergang für Kapitel drei wird hierbei zudem der Frage nachgegangen, inwieweit man bei Luther eine Grenze zwischen Antijudaismus und Antisemitismus ziehen sollte. Als Quelle wird sich hier vor allem auf die letzte publizierte Schmähschrift Luthers (1546) gestützt, da diese auch im Nationalsozialismus als häufigste Quelle herangezogen wurde. Im darauffolgenden Kapitel wird die Wirkungsgeschichte Martin Luthers auf das Dritte Reich untersucht. Der Fokus liegt dabei auf zum einen auf der Nutzung seiner Person durch die Evangelische Kirche. Zum anderen werden die Verbindungen seiner Schriften mit der Rassenideologie im Nationalsozialismus beleuchtet, um anschließend auf die Nutzung seiner Person in der Symbolpropaganda einzugehen. Daraufhin befasst sich die vorliegende Arbeit noch mit einem Umriss der Luther-Hitler-Vergleiche und zeigt auf, inwieweit Parallelen gezogen wurden. Den Schluss dieser Arbeit bildet eine Zusammenfassung der aufgezeigten Erkenntnisse und Zusammenhänge.
2. Der Antijudaismus in Luthers Schriften
Im Volksgedächtnis wird Martin Luther in erster Linie mit seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche in Verbindung gebracht. Viel weniger bekannt sind dabei seine Schriften über die Juden, die er im Laufe seines Lebens veröffentlichte. Im folgenden Kapitel soll in Kürze Luthers Verhältnis zu den Juden dargestellt werden. Weiterführend steht der Antijudaismus bei Luther im Vordergrund und dessen potentielle Abgrenzung zum Antisemitismus.
2.1 Die drei Phasen Luthers
Um die Wirkungsgeschichte Martin Luthers im Dritten Reich zu verstehen und eine mögliche Instrumentalisierung seiner Person untersuchen zu können, ist es unabdingbar sich zuallererst seinem persönlichen Verhältnis zu den Juden zu widmen. Inwiefern sich Luthers Verhalten gegenüber den Juden über die Jahre seines Wirkens veränderte und welche Auswirkungen dies auf nachfolgende Generationen hatte, soll nun untersucht werden.
Luthers Verhältnis zu den Juden lässt sich nach dem deutschen Rabbiner Reinhold Lewin grob in drei Phasen unterteilen. Die erste Phase kann in den Zeitraum bis 1521 eingeordnet werden und bedeutet einen Zeitraum der Gleichgültigkeit Luthers gegenüber den Juden. In dieser Zeit begegnet er den Juden zwar mit Verachtung, allerdings ohne praktisches Interesse. Die nächste Periode wird 1523 mit seiner Schrift, Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei eingeführt. Zu dieser Zeit entsteht bei ihm die Hoffnung, er könnte die Juden bekehren und diese zum Christentum konvertieren. Mit zunehmender Dauer machte sich bei ihm jedoch Ernüchterung breit, da er merkte, dass seine Bemühungen keinen Erfolg versprachen.2 In Phase drei erreichten die Judenfeindlichkeiten dann in der Schmähschrift Von den Juden und ihren Lügen ihren Höhepunkt.
Eine ähnliche dreiteilige Gliederung nehmen auch Christina Braun und Ludger Heid in ihrem Buch vor. Jedoch weicht hierbei die Datierung der Phasen von denen Lewins etwas ab. Die erste Phase ist hierbei die zweite Phase bei Lewin und startet mit der Veröffentlichung der Schrift, Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei. Luther erhält in dieser Zeit große Zustimmung im Volk, da dieses durch seine mutigen Angriffe gegen die altertümliche Katholische Kirche und den Papst gestärkt fühlt. In dieser Zeit ist Luther den Juden gegenüber positiv gestimmt und erhofft sich, sie für seinen Glauben zu gewinnen.3 In seiner Schrift setzt er sich auch dafür ein, die Restriktionen und Vorgehen gegen den Juden einzustellen und spricht sich für eine Aufhebung der bestehenden Verbote aus.4
In der zweiten Phase stehen laut der Schilderung der Autoren vermehrt politische Ereignisse im Vordergrund. Auf der einen Seite sieht sich Luther der Gefahr der Türken auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite laufen seine Bemühungen einer Bekehrung der Juden zum christlichen Glauben erfolglos.5 Hierbei wird in den Quellen oft erwähnt, dass Luther seine daraus resultierende Verbitterung auch den jüdischen Bittsteller Josel von Rosheim spüren lässt, welcher im Jahr 1537 mit der Bitte um Fürsprache beim Kurfürsten von Sachsen auf Luther zukommt.6
Die dritte und letzte Phase liegt zwischen 1538 und 1546 und zeichnet sich durch einen gesellschaftlichen „Rundumschlag“ Luthers aus.7 Mit seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen aus dem Jahr 1543 verwendet er alle Mittel der für ihn eigentlich verhassten mittelalterlichen Polemik gegen die Juden.8 In den beispielhaft folgenden Zeilen ist die Vorwegnahme der Pogromsprache aus dem Dritten Reich wiederzufinden:
… daß man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben ebendasselbige drinnen, das sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun, wie die Zigeuner, auf daß sie wissen, sie seien nicht Herrn in unserem Lande, wie sie rühmen, sondern im Elend und gefangen, wie sie ohn‘ Unterlaß vor Gott über uns Zeter schreien und klagen.9
… daß man ihre Synagoga oder Schule mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, daß kein Mensch eine Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich.
… daß man ihnen alle ihre Bücher nehme, Betbücher, Talmudisten, auch die ganze Bibel, und nicht ein Blatt ließe, und verwahrte auf die, so sich bekehrten.10
Heinz Kremers beschreibt Luthers letzte Schrift als das „offene Eingeständnis des Scheiterns gegenüber den Juden.“11 Dadurch, dass Luther hierbei weit über eine rein theologische Argumentation hinausgeht und sichtbar politische Empfehlungen gibt, begibt er sich in den Bereich eines politischen Antijudaismus. Im Umkehrschluss wird hierbei somit Politik theologisch begründet.12
In Luthers Augen ist das Judentum im Vergleich zum Christentum die falsche, wenn nicht sogar überflüssige Religion. Heinz Schilling argumentiert, dass Toleranz wie wir sie heute kennen, für Luther und die damalige Zeit ein Fremdwort war. Als eine „dunkle Kehrseite von Luthers prophetischer Selbstsicherheit“13 beschreibt er die Unfähigkeit Luthers, mit Andersdenkenden in den Dialog zu treten und offen für andere Meinungen zu sein. Dieser Umstand lässt sich folglich in seinen Schriften wiederfinden.
[...]
1 Hansjörg Buss, Der Deutsche Luthertag 1933 und die Deutschen Christen, in: Kirchliche Zeitgeschichte (Hrsg.), „Befreier der deutschen Seele.“ Politische Inszenierung und Instrumentalisierung von Reformationsjubiläen im 20. Jahrhundert, 2013, S. 272-288, S. 272.
2 Karsten Krampitz (Hrsg.), Luthers Stellung zu den Juden. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Reformationszeitalters, Aschaffenburg 2018, S. 19f.
3 Christina Braun/Ludger Heid (Hrsg.), Der ewige Judenhass. Christlicher Antijudaismus, Deutschnationale Judenfeindlichkeit, Rassistischer Antisemitismus, Berlin/Wien 2000, S. 46.
4 Braun/Heid, Der ewige Judenhass, S. 47. Der Wortlaut Luthers lautete wie folgt: „Ich hoffe, wenn man mit den Juden freundlich handelt und aus der heiligen Schrift sie säuberlich unterweist, es sollten ihrer viele rechte Christen werden und wieder zu ihren Väter, der Propheten und Patriarchen, Glauben treten; davon sie nur weiter geschreckt werden, wenn man ihr Ding verwirft und so gar nichts will sein lassen und handelt nur mit Hochmut und Verachtung gegen sie. Wenn die Apostel, die auch Juden waren, also hätten mit uns Heiden gehandelt, wie wir Heiden mit den Juden, es wären nie keine Christen unter den Heiden geworden.“ (Ebd., S. 52).
5 Ebd., S. 48.
6 Braun/Heid, Der ewige Judenhass, S. 48.
7 Ebd., S. 49.
8 Ebd., S. 50.
9 Ebd., S. 53.
10 Ebd., S. 54.
11 Heinz Kremers (Hrsg.), Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden. Geschichte, Wirkungsgeschichte, Herausforderung, Neukirchen-Vluynn 1985, S. 82.
12 Michael Ley, Kleine Geschichte des Antisemitismus, München 2003, S. 70.
13 Bernd Buchner, Martin Luther und die Juden – Fragen und Antworten, in: Reformationsjubiläum 2017. URL: https://www.luther2017.de/de/wiki/martin-luther-und-die-juden/martin-luther-und-die-juden-fragen-und-antworten/index.html (29. Mai 2020).