Das Ziel dieser Seminararbeit ist es, zu überprüfen, wie nachhaltig die Finanzierung der öffentlichen Haushalte sowie der sozialen Sicherungssysteme tatsächlich ist, indem zunächst die derzeitige finanzielle Situation betrachtet und anhand von Prognosen eine Zukunftseinschätzung getroffen wird.
So wird im Rahmen dieser Seminararbeit zunächst das Instrument der Generationenbilanz vorgestellt, mit dem die Nachhaltigkeit einer Finanzpolitik identifiziert werden kann sowie weitere für das Verständnis relevante theoretische Grundlagen erläutert. Danach werden die aktuellen Herausforderungen für die öffentlichen Haushalte und die Sozialversicherungen vertiefend betrachtet und gleichzeitig die Ursachen eines Nachhaltigkeitsdefizits untersucht, bevor abschließend die Nachhaltigkeitsbeurteilung dieser erfolgt. Final findet noch eine kritische Würdigung des gesamten Themenkomplexes, bei welcher eigene Gedanken basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen dieser Arbeit angeführt werden, sowie eine kurze Zusammenfassung der Thematik, statt.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Nomenklatur
1. Einführung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Untersuchungshergang
2. Grundlagen
2.1 Generationenbilanz
2.2 Sozialversicherungen
2.2.1 Die gesetzliche Krankenversicherung
2.2.2 Die gesetzliche Rentenversicherung
2.2.3 Die soziale Pflegeversicherung
2.3 Öffentliche Haushalte
3. Hauptteil
3.1 Aktuelle Finanzlage
3.1.1 Explizite Staatsverschuldung
3.1.2 Schuldenbremse und Maastricht-Kriterien
3.1.3 Prognosen bis 2025
3.1.4 Implizite Staatsverschuldung
3.2 Herausforderungen der Sozialversicherungen
3.2.1 Demografischer Wandel
3.2.2 Medizinisch-technischer Fortschritt
3.2.3 COVID-19
3.2.4 Pflegereform
4. Fazit
4.1 Kritische Würdigung
4.2 Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Deutlicher Anstieg der Gesamterschuldung
Abbildung 2: Wirtschaftssubjekte einer Volkswirtschaft
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht über die 5 Pflegegrade
Tabelle 2: Entwicklung der öffentlichen Finanzen
Tabelle 3: Entwicklung des gesamtstaatlichen Finanzierungssaldos und Schulden- 17 standsquote
Tabelle 4: EU-Nachhaltigkeitsranking
Tabelle 5: Generationen im Wandel - Anzahl der Beitragszahler, die für einen Rentner...22 aufkommen
Tabelle 6: Die Entlastung Pflegebedürftiger mit vollstationärer Pflege
Nomenklatur
Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Begriffe und Definitionen
Babyboomer:Mit diesem Begriff werden die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegsgeneration bis Anfang der 60er Jahre bezeichnet. In Deutschland vor allem die Kinder der 60er Jahre.
Generationenvertrag:Der Generationenvertrag ist ein soziales Grundprinzip zwischen den beitragszahlenden und leistungsempfangenden Generationen einer Gesellschaft. Diese Solidarität zwischen den Generationen beinhaltet die Verpflichtung der arbeitenden Generation zur Beitragszahlung in der Erwartung, dass die ihr nachfolgende Generation die gleiche Verpflichtung übernimmt.
Pillenknick:Der sogenannte Pillenknick ist ein Erklärungsmodell des Geburtenrückgangs ab in vielen Industrienationen der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Da der Geburtenrückgang in etwa zeitgleich mit der Verbreitung der Antibabypille zusammenfällt, wurde diese für den Geburtenrückgang verantwortlich gemacht.
Sozialgarantie 2021:Die Sozialgarantie ist eine Maßnahme, zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Da während der Covid-19-Pandemie, die Ausgaben der Sozialversicherung gestiegen sind, sichert diese zu, dass die Beitragsbelastung 40 Prozent nicht überschreitet, sondern zusätzliche Finanzbedarfe im Jahr 2021 aus dem Bundeshaushaltgedeckt werden.
1. Einführung
Wie nachhaltig sind die sozialen Sicherungssysteme? Das ist eine Frage mit der sich die Politik nicht erst seit kurzem, sondern schon seit geraumer Zeit beschäftigt. Bereits ein im Jahr 2002 erschienener Artikel von Stefan Fetzer, Stefan Moog und Bernd Raffelhüschen, die sich mit der Nachhaltigkeit der Generationenverträge auseinandersetzten, kam zu dem Ergebnis, dass „ohne grundlegende Reformen, eine nachhaltige Finanzierung der Fiskalpolitik insbesondere der umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme nicht gewährleistet ist“ (Fetzer et al. 2002: 279ff).
1.1 Problemstellung
Trotz dieser frühen Erkenntnis hat die Notwendigkeit einer nachhaltigen Finanzpolitik aufgrund aktueller Geschehnisse, wie Zuwanderung, einer hohen Staatsverschuldung oder dem unaufhaltsamen demografischen Wandel mehr denn je an Aktualität gewonnen, da diese Problematiken das soziale Sicherungssystem und die öffentlichen Haushalte vor zusätzliche Herausforderungen stellen und damit die Sozial- und Finanzpolitik maßgeblich beeinflussen (vgl. Kitterer 2002: 67). Ein weiterer wesentlicher Faktor, der ebenfalls hinzukommt, ist zudem die COVID-19-Pandemie, die insbesondere für die Krankenversicherungen eine gewaltige Belastung darstellt und die Politik zu rapidem Handeln zwingt. Denn wenn die Ausgaben der Sozialversicherungen langfristig stark steigen, könnte dies zum einen die jüngeren Generationen in Form von Beitragserhöhungen, zum anderen aber auch die Älteren durch Leistungseinschränkungen oder -kürzungen betreffen (vgl. Breyer und Lorenz 2020). Im Zuge dessen wird auf politischer Ebene immer wieder über verschiedene Maßnahmen diskutiert, da das Umlagesystem aufgrund dieser Einflussfaktoren zunehmend an die Grenzen der Finanzierbarkeit stößt (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2021). Doch was ist unter finanzieller Nachhaltigkeit zu verstehen und wie ist es möglich diese zu überprüfen?
1.2 Zielsetzung und Untersuchungshergang
Das Ziel dieser Seminararbeit ist es, zu überprüfen, wie nachhaltig die Finanzierung der öffentlichen Haushalte, sowie der sozialen Sicherungssysteme tatsächlich ist, indem zunächst die derzeitige finanzielle Situation betrachtet und anhand von Prognosen eine Zukunftseinschätzung getroffen wird.
So wird im Rahmen dieser Seminararbeit zunächst das Instrument der Generationenbilanz vorgestellt, mit dem die Nachhaltigkeit einer Finanzpolitik identifiziert werden kann, sowie weitere für das Verständnis relevante theoretische Grundlagen erläutert. Danach werden die aktuellen Herausforderungen für die öffentlichen Haushalte und die Sozialversicherungen vertiefend betrachtet und gleichzeitig die Ursachen eines Nachhaltigkeitsdefizits untersucht, bevor abschließend die Nachhaltigkeitsbeurteilung dieser erfolgt. Final findet noch eine kritische Würdigung des gesamten Themenkomplexes, bei welcher eigene Gedanken basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen dieser Arbeit angeführt werden, sowie eine kurze Zusammenfassung der Thematik, statt.
2. Grundlagen
Für eine fundierte Basis und ein besseres Verständnis der anschließenden Hauptthematik, werden in diesem Kapitel zunächst die grundlegenden Begriffe dieser Seminararbeit vorgestellt. Dabei wird zuerst das Instrument der Generationenbilanz zur Nachhaltigkeitsbestimmung einer Finanzpolitik präsentiert bevor die Sozialversicherung näher erläutert wird. Dabei werden insbesondere drei ihrer Komponenten vertiefend betrachtet und zwar die gesetzliche Krankenversicherung, die gesetzlichen Rentenversicherung sowie die soziale Pflegeversicherung. Als letztes wird das Finanzierungssystem der öffentlichen Haushalte erklärt.
2.1 Generationenbilanz
Ein kurzfristiger Indikator, die Nachhaltigkeit einer Finanzpolitik zu bestimmen, wäre die Betrachtung des expliziten staatlichen Schuldenstands, also der zum heutigen Zeitpunkt bestehenden Staatsschuld. Allerdings ist die Verschuldung nicht immer ein sicherer Indikator für die Betrachtung von Zukunftsbelastungen, da die Möglichkeit besteht, dass trotz gleichbleibender oder sinkender Defizitquote, bei der der staatliche Fehlbetrag in das Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (im Folgenden auch BIP) eines Landes gesetzt wird, die Verschuldungsquote dennoch ansteigt. Des Weiteren können zukünftige Ausgabenbelastungen, wie Renten- oder Pensionsansprüche nicht in der zeitlich begrenzten Haushaltsund Finanzplanung erfasst werden (vgl. Kitterer und Raffelhüschen 2002: 67). Ein Ansatz, um die Nachhaltigkeit einer Finanzpolitik konkreter und langfristiger bestimmen zu können, ist die sogenannte Generationenbilanz, welche nun im folgenden Unterkapitel vertiefend erläutert wird.
Bei der Generationenbilanzierung („generational accounting"), welche bereits in den 1990er Jahren entwickelt wurde, handelt es sich um ein Instrument der „intertemporalen Budgetierung einer (Gebiets-) Körperschaft bzw. einer Körperschaft des öffentlichen Rechts“ und dient damit zur langfristigen Analyse der Finanz- und Sozialpolitik zwischen verschiedenen Generationen (Wagner 2017: 358). Dabei werden alle künftigen öffentlichen Einnahmen, die der Staat erhält, wie zum Beispiel Steuerzahlungen mit allen künftigen Ausgaben des Staats, also Leistungen, die erbracht werden müssen, wie beispielsweise Renten- oder Pensionsverpflichtungen oder Pflegeleistungen, unter Berücksichtigung demografischer Entwicklungen, sowie wirtschaftlichen und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, gegenübergestellt. Zu den demografischen Entwicklungen zählen unter anderem die Geburtenrate, sowie die Lebenserwartung von Männern und Frauen, wohingegen bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Trendwachstumsraten und ein langfristiger realer Zinssatz berücksichtigt werden (vgl. Raffelhüschen und Seuffert 2020: 5). Ergo kann anhand der Generationenbilanz der intertemporale Lastenausgleich zwischen den Generationen gemessen werden (vgl. Wagner 2017: 358).
Reicht der Barwert der Nettoeinzahlungen aller heutigen und zukünftigen Generationen aus, um sowohl die Staatsschuld als auch die Staatsausgaben zu finanzieren, gilt eine Finanz- und Sozialpolitik als nachhaltig (vgl. Jochimsen 2008: 109). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Finanzpolitik als nicht nachhaltig angesehen wird, wenn die zukünftigen Ausgaben die zukünftigen Einnahmen des Staats auf Basis der getroffenen Prämissen überschreiten und somit eine implizite Staatsverschuldung vorliegt. Diese implizite Staatsverschuldung gibt Auskunft darüber, wie stark die explizite Staatsverschuldung, also die bereits zum heutigen Zeitpunkt bestehende Staatsschuld in Zukunft noch ansteigen wird und demonstriert damit eine realistischere Prognose über die tatsächliche zukünftige Verschuldungslast eines Staates (vgl. Raffelhüschen und Seuffert 2020: 5).
Die Summe aus implizierter und explizierter Staatsschuld wird auch als Nachhaltigkeitslücke bezeichnet und gibt an, wie hoch der Betrag der Rücklagenbildung sein muss, damit das derzeitige Leistungsniveau auch zukünftig finanzierbar bleibt (vgl. Stiftung Marktwirtschaft 2021a). Das bedeutet im Falle einer Nachhaltigkeitslücke, ist eine aktuelle Finanzpolitik langfristig nicht tragfähig (vgl. Raffelhüschen und Seuffert 2020: 7). Um eine etwaige Nachhaltigkeitslücke zu schließen und somit dem Missverhältnis zwischen öffentlichen Ausgaben und Einnahmen entgegenwirken zu können, müsste entweder eine Steuererhöhung für die gegenwärtige Generation erfolgen oder die staatlichen Ausgaben gesenkt werden, in Form von weniger öffentlichen Leistungen oder sogar eine Kombination aus Einnahmenerhöhung als auch Ausgabensenkung seitens des Staats erfolgen (vgl. Kitterer und Raffelhüschen 2002: 68).
Der Vorteil der Generationenbilanz im Vergleich zur bloßen Betrachtung der expliziten Verschuldungsquote liegt in der generationsgenauen Zuordnung der öffentlichen staatlichen Einnahmen und Ausgaben. Das bedeutet, dass genau der Betrag ermittelt werden kann, mit dem die jetzigen und die zukünftigen Generationen jeweils zu diesen zukünftigen Einnahmen und Ausgaben beitragen (vgl. Raffelhüschen und Seuffert 2020: 5). Ein weiterer Aspekt, den die Generationenbilanz anderen konzeptionellen Ansätzen zur Bestimmung der Nachhaltigkeit einer Finanzpolitik voraushat, ist die Berücksichtigung der staatlichen Verbindlichkeiten, wie Sozialversicherungsleistungen, die in die Berechnungen miteinfließen. Ein dritter Vorzug der Generationenbilanz ist ein langer Prognosezeitraum, der sich in der Theorie bis in die Unendlichkeit, praktisch in der Regel bis zu 250 Jahren erstrecken kann (vgl. Kitterer und Raffelhüschen 2002: 68ff) Darin besteht jedoch auch gleichzeitig ihr Nachteil, denn ein derart langer Zeithorizont ist auch immer mit zahlreichen Unsicherheiten verbunden. So sind beispielsweise demografische Entwicklungen wie Wanderungsbewegungen schwer zu prognostizieren (vgl. Jochimsen 2008: 111).
Wie sich aus Abbildung 1 ergibt, beläuft sich, die aus der Summe der expliziten und impliziten Staatsverschuldung resultierenden Nachhaltigkeitslücke der öffentlichen Haushalte aktuell auf 439,2 Prozent des BIP, was einen enormen Anstieg im Vergleich zum Sommer des Vorjahres 2020 darstellt. Vor allem die impliziten Staatsschulden, die nicht gedeckten, aber in der Zukunft anstehenden staatlichen Leistungsverbindlichkeiten verzeichnen dabei im direkten Vergleich mit den expliziten Schulden einen stärkeren Anstieg. Insgesamt liegt die „wahre“ Verschuldung 2021 absolut bei 14,7 Billionen Euro. Damit weist der deutsche Staat gerade einmal etwa ein Sechstel seiner tatsächlichen Nachhaltigkeitslücke, die sich aus der Summe der expliziten und impliziten Schulden ergibt, aus (vgl. Raffelhüschen, Brinkschmidt et. al. 2021a).
Abbildung 1: Deutlicher Anstieg der Gesamtverschuldung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Raffelhüschen, Brinkschmidt, Kohlstruck, Seuffert, Wimmesberger 2021a, S.1
2.2 Sozialversicherungen
Die Sozialversicherung ist ein wichtiger Bestandteil der Sozialpolitik. Unter einer Versicherung wird grundsätzlich ein Risikoausgleich verstanden, der entsteht, wenn sich Gemeinschaften zusammenschließen, die von ähnlichen oder gleichartigen Gefahren bedroht sind. Alle Beteiligten dieser Gemeinschaft verpflichten sich, durch regelmäßige Beitragszahlungen, bei Eintritt eines Schadenfalls für einen Schadensausgleich einzutreten (vgl. Stöfen 2021). So dient die Sozialversicherung als Absicherung gegen allgemeine Lebensrisiken, wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter oder Pflegebedürftigkeit, die dazu führen können, dass Versicherungsmitglieder ihre Existenzgrundlage aufgrund von Einkommensausfällen, die durch die Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit entstehen können, gefährden (vgl. Wagner 2017: 862). Bei der Sozialversicherung handelt es sich um eine gesetzliche Pflichtversicherung, das bedeutet, dass ein Versicherungszwang besteht. So besteht die Pflicht, in die Sozialversicherung einzubezahlen unter der Voraussetzung, dass das Einkommen der Erwerbstätigen bei über 450 Euro brutto liegt, für „ alle Angestellten oder abhängig Beschäftigten, bestimmte Gruppen von Selbstständigen, wie Landwirte, Handwerker, Künstler, Publizisten, Auszubildende (in Berufsausbildung oder Studium), Praktikanten und Menschen, die Arbeitslosengeld erhalten“ (Schröder 2017). Ein weiteres Merkmal ist, dass sie auf dem Solidaritätsprinzip basiert, das heißt, dass im Gegensatz zu freiwilligen Individualversicherungen, keine Zuschläge für individuelle Risiken erhoben werden, sondern die Beiträge abhängig von der Höhe des Einkommens der Versicherten sind. Dadurch kommt es im Rahmen des Solidaritätsprinzips zu einer sozialen Umverteilung, da bei der gleichen Versicherungsleistung Versicherte mit höherem Einkommen höhere Beiträge zahlen müssen als jene mit niedrigerem Einkommen (vgl. MUBk ohne Jahr). Aber nicht allein die Versicherten selbst sind an den Beitragszahlungen beteiligt, sondern es werden auch die Arbeitgeber einbezogen und auch staatliche Zuschüsse, sowie sonstige Einnahmen fließen mit ein (vgl. § 20 Abs. 1 SGB IV).
Zu den Versicherungszweigen der Sozialversicherung zählen in Deutschland die Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung, welche auch als fünf Säulen der Sozialversicherung bezeichnet werden (vgl. Wagner 2017: 862). Näher betrachtet werden im Rahmen dieser Seminararbeit die gesetzliche Krankenversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung und die soziale Pflegeversicherung, da insbesondere diese umlagefinanzierten Komponenten der Sozialversicherung die Nachhaltigkeit der Finanzpolitik in Frage stellen, sowie künftig vor besonderen Herausforderungen stehen (vgl. Fetzer et al. 2001: 2).
2.2.1 Die gesetzliche Krankenversicherung
Die gesetzliche Krankenversicherung ist der älteste Versicherungszweig des sozialen Sicherungssystems und ist gleichzeitig die wichtigste Säule im deutschen Gesundheitssystem. Sie geht auf das „ Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter“, welches bereits 1883 unter Otto von Bismarck erlassen wurde zurück. Inzwischen sind etwa 88% der Bevölkerung Versicherte einer gesetzlichen Krankenversicherung. Neben der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es die private Krankenversicherung oder spezielle Versorgungsformen wie die freie Heilfürsorge der Bundeswehr (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2021a). Die gesetzliche Krankenversicherung setzte sich im Jahr 2021 aus 103 unabhängigen Krankenkassen zusammen, zwischen denen Versicherte frei wechseln und wählen dürfen (vgl. GKV Spitzenverband 2021).
Die Finanzierung erfolgt über Beiträge seitens der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie über Bundeszuschüsse. Es wird unterschieden zwischen einem allgemeinen Beitragssatz in Höhe von 14,6 Prozent und einem ermäßigten Beitragssatz in Höhe von 14,0 Prozent des Bruttogehalts, welchen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen tragen (7,3 bzw. 7,0 Prozent). Daneben gibt es den kassenindividuellen Zusatzbeitrag, den Krankenkassen erheben, um den Finanzbedarf zu decken, der die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfond überschreitet. Dieser wird seit 2019 ebenfalls zu gleichen Teilen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgeteilt. Die Beitragsbemessungsgrenze lag 2021 dabei bei einem Jahreseinkommen in Höhe von 58.050 Euro (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2021b).
Ursprünglich diente die gesetzliche Krankenversicherung, genau wie die private Krankenversicherung lediglich dazu, Lohnersatzleistung für die Zeit im Krankheitsfall zu gewährleisten. Jedoch wird inzwischen auch die Erstattung von Behandlungskosten und Medikamente durch die Krankenversicherung übernommen (vgl. Amelung et al. 2021).
Nach § 1 Sozialgesetzbuch V „hat die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“. Daneben sind im dritten Kapitel des fünften Sozialgesetzbuch auch die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt und zwar haben Versicherte gemäß §11 Absatz 1 nach den folgenden Vorschriften Anspruch auf Leistungen:
1. „bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§§ 24c bis 24i)
2. zur Verhütung von Krankheiten und von deren Verschlimmerung sowie zur Empfängnisverhütung, bei Sterilisation und bei Schwangerschaftsabbruch (§§ 20 bis 24b),
3. zur Erfassung von gesundheitlichen Risiken und Früherkennung von Krankheiten (§§25 und 26),
4. zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52),
5. des Persönlichen Budgets nach § 29 des Neunten Buches.
Ferner steht im Gesetz, dass Versicherte einen Anspruch auf „eine ausreichende, bedarfsgerechte, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende medizinische Krankenbehandlung“ haben (Bundesministerium für Gesundheit 2016).
So umfassen die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung mittlerweile ärztliche sowie zahnärztliche oder psychotherapeutische Behandlungen, Krankenhausaufenthalte, Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmittel, die häusliche Krankenpflege und Präventionsmaßnahmen. Bei manchen Leistungen kann es, wie es im § 61 Sozialgesetzbuch V geregelt ist, allerdings zu Zuzahlungen seitens der Versicherten kommen, wie beispielsweise bei Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Krankenhausaufenthalten. Daneben ist die gesetzliche Krankenversicherung ebenfalls verantwortlich für die Erteilung von Kranken- und Mutterschaftsgeld. (vgl. Amelung 2021). Die Leistungen, die gewährt werden, müssen unter dem Wirtschaftlichkeitsgebot erfolgen, was bedeutet, dass diese Leistungen zwar ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen, allerdings das notwendige Quantum nicht überschreiten dürfen (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2016).
2.2.2 Die gesetzliche Rentenversicherung
Nach der gesetzlichen Krankenversicherung, sowie der gesetzlichen Unfallversicherung, ist die gesetzliche Rentenversicherung die drittälteste der fünf Säulen der Sozialversicherung. Ihre Grundlage bildet das „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung“ von 1889 (vgl. Deutsche Rentenversicherung 2021a). Heute ist die gesetzliche Rentenversicherung das zentrale Element der Altersvorsorge.
Sie umfasst im Wesentlichen Leistungen zur Sicherung der Versorgung bei alters- oder krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit durch die regelmäßige Rentenzahlung in Form von Alters- oder Erwerbsminderungsrente (vgl. Schroeder 2017), wobei die Altersrente mit etwa 90 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung die größte Position einnimmt (vgl. Bäcker und Kistler 2020a). Daneben leistet die gesetzliche Rentenversicherung nicht nur für Versicherte selbst, sondern im Falle ihres Todes, auch für deren Hinterbliebene in Form von der Hinterbliebenenrente. Hautsächlich zählen hierzu die Witwen-/Witwerrente und die Halb-/ beziehungsweise Vollwaisenrente. Daneben umfassen die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung Rehabilitations- und Präventionsmaßnahmen, sowie die Zahlung von Zuschüssen an die Krankenversicherung der Rentner oder kurz KVdR (vgl. Deutsche Rentenversicherung 2021b).
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