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Hausarbeit, 2019
15 Seiten, Note: 1,7
Germanistik - Komparatistik, Vergleichende Literaturwissenschaft
1. Einleitung
2. Eine ahistorische Ballade Schillers: „Der Ring des Polykrates“
2.1. Die Problematik des „unbegrenzten Glück[s]“ und die damit verbundenen Konsequenzen am Beispiel eines Tyrannen
2.2. Die Steigerung der Spannung und des Unheimlichen
3. Die Quelle: Eine von Herodot überlieferte Erzählung über einen Briefwechsel
4. Gestaltung einer Ballade aus dem „Herodot-Märchen“
4.1. Vom Briefwechsel zum kürzeren, dramatischen Dialog
4.2. „Freie“ Nähe in der Verarbeitung
4.3. Mehrdeutigkeit zu einem gemeinsamen Zweck
5. Fazit: Verkannte Darstellung eines Menschenbildes
6. Literaturverzeichnis
Am 24. Juni 1797, im sogenannten Balladenjahr, vollendete Schiller die Ballade „Der Ring des Polykrates“.1 Diese schickt er daraufhin an Goethe als „Gegenstück zu Ihren Kranichen“2. Der Erstdruck der Ballade findet sich im Musen-Almanach für das Jahr 1798.3
In der Ballade greift Schiller die Erzählung über Polykrates und den Ring aus Herodots Historien auf, die Schiller dem dritten Buch (Abschnitt 39-44) in der Übersetzung von Johann Friedrich Degen entnahm.4 Auf diesen Stoff wurde er durch den „2. Teil von Christian Garves Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben “ aufmerksam.5 In diesem Teil spricht Garve Ueber zwey Stellen des Herodot 6 und nennt die Geschichte des Polykrates als Beispiel für die „Überzeugung der Alten“7, dass Menschen, denen das Glück außergewöhnlich gut gesinnt ist, dadurch dem Unglück ausgeliefert sind.8
In dieser Seminararbeit soll nun gezeigt werden, wie Schiller die Quelle („Herodots Geschichte“) und die darin enthaltene Thematik des Glücks verarbeitet hat. Dazu werden zunächst die beiden Texte, Schillers „Der Ring des Polykrates“ und Herodots Erzählung über Polykrates und dessen Korrespondenz mit dem ägyptischen König, einzeln vorgestellt. Im Anschluss werden die beiden Texte dann formal und inhaltlich verglichen.
Die ahistorische Schicksalsballade, Ideen- bzw. Exempelballade9 oder auch die „dramatische Kurzgeschichte mit einem verschlüsselten parabolischen Sinn“10 handelt vom unermesslichen Glück des Tyrannen Polykrates, der gegen 540 bis 522 v. Chr. über Samos herrschte11.
Die ersichtlichste Thematik der Ballade „Der Ring des Polykrates“ von Schiller wird bereits in der ersten Strophe durch den Protagonisten selbst erwähnt: Er verlangt, dass sein Freund Amasis, der König Ägyptens, ihm sein Glück bestätigt.12 13
Auf diese Aufforderung des Polykrates folgt eine dreifache Wiederholung der gleichen Struktur. Diese Struktur besteht zum einen aus der Äußerung eines Vorbehalts des Königs von Ägypten gegenüber dem Glück des Polykrates und zum zweiten aus einem darauffolgenden Ereignis, das den Vorbehalt scheinbar augenblicklich widerlegt:
Amasis spricht von einem Feind, der noch nicht besiegt ist14 und schon erscheint ein Bote mit dem Kopf eben dieses Feindes (vgl. Sch. V. 13-24). Hierauf warnt der König Ägyptens davor „[…] dem Glück zu trauen […]“ (Sch. V. 26) und verweist auf die Flotte des Tyrannen und die unzähligen Gefahren, denen sie auf dem Meer ausgesetzt ist (vgl. Sch. V. 28-30). Daraufhin erscheinen die Schiffe „reich beladen“ (Sch. V. 34) an der Küste (vgl. Sch. V. 24-36). Zuletzt mahnt „Der königliche Gast […]“ (Sch. V. 37) Polykrates abermals vor der Unbeständigkeit des Glücks (vgl. Sch. V. 38-39) und der Gefahr, die von den nahenden Kretern ausgeht (vgl. Sch. V. 40-42). Im nächsten Augenblick jedoch wird bereits der Sieg über diese verkündet (vgl. Sch. V. 45-48).15
Auf dieses Hin und Her folgt die von Polykrates verlangte Bestätigung seines Glücks (vgl. Sch. V. 50). Sie wird von einer weiteren Warnung des Königs begleitet, die die Struktur der vorherigen Vorbehalte und Widerlegungen aufgreift. Diese Mahnung ist ausführlicher formuliert als die vorangehenden und die Widerlegung folgt nicht unmittelbar darauf. Amasis ermahnt Polykrates vor seinem unbegrenzten Glück, durch das er den Neid und somit die Nemesis der Götter auf sich zieht:
„[…] Doch«, spricht er, »zittr’ ich für dein Heil./ Mir grauet vor der Götter Neide,/ Das Leben ungemischte Freude, Ward keinem Irdischen zuteil./ […] /Drum, willst du dich vor Leid bewahren,/ So flehe zu den Unsichtbaren,/ Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn./ Noch keinen sah ich fröhlich enden,/ Auf den mit immer vollen Händen/ Die Götter ihre Gaben streun.“ (Sch. V. 51-54 & 61-66)
In den Versen 55-60 erzählt Amasis von seinen eigenen Erfahrungen mit dem Wechselspiel von Glück und Unglück: Auch ihm fiel das Glück in seiner Herrschaft zu, doch wurde dieses damit ausgeglichen, dass sein Erbe vor seinen Augen verstorben ist. (vgl. Sch. V. 55-60)
Aus diesem Grund ermutigt er Polykrates die Götter um Ausgleich zu bitten (vgl. Sch. V. 62-63) oder sein Glück bzw. Unglück selbst in die Hand zu nehmen, falls die Götter ihn nicht erhören (vgl. Sch. V. 67-72). Verängstigt (vgl. Sch. V. 73) nimmt Polykrates sich den Rat seines Freundes zu Herzen und wirft „sein höchstes Gut“ (Sch. V. 75), einen Ring, ins Meer.
Am nächsten Tag kommt ein Fischer zum Herrscher von Samos und möchte ihm einen prächtigen (vgl. Sch. V. 83) Fisch schenken. Als dieser Fisch zubereitet werden soll, findet der Koch den Ring, den Polykrates geopfert hatte um sein Glück einzuschränken. Hiermit wird das unbegrenzte Glück des Polykrates erneut bewiesen, der Rat des Königs für nichtig erklärt (Widerlegung) und dessen Sorge verstärkt.16 Eine Versöhnung mit dem Schicksal scheint dem Herrscher verwehrt zu bleiben17 und so graust es dem König von Ägypten in der letzten Strophe. Er wendet sich von Polykrates ab, damit nicht dessen bevorstehendes Unglück auf ihn übergeht: „Die Götter wollen dein Verderben,/ Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben.«/ Und sprach’s und schiffte schnell sich ein.“ (Sch. V.94-96)
Das Ende bleibt in der Ballade Schillers offen: Die Warnung lässt der ägyptische König bei seinem Abschied zurück und das Schicksal des Polykrates bleibt dem Leser vorenthalten.18
Werner Schubert hingegen deutet an, dass es Schiller eher „um eine Darstellung der Unbeständigkeit menschlichen Geschicks“19 ging, als um die Thematik des Glücks und den damit hervorgebrachten „Neid der Götter“20. Schubert hebt hervor, dass Polykrates in Hybris verfällt und damit die „Ordnung der Welt und deren Harmonie“21 aus dem Gleichgewicht bringt. Durch dieses „vermessene“22 Handeln zieht er die Missgunst der Nemesis auf sich.23
Benno von Wiese erwähnt des Weiteren das Thema des Königtums, das in vielen Balladen Schillers eine entscheidende Rolle spielt:24
„Auch in diesem Gedicht wird das Königtum als politisches Amt, wenn auch im Grunde ohne eigenes Verschulden, verfehlt. Bereits der „glückliche“ Polykrates ist in Wahrheit unglücklich, noch ehe eine rächende Nemesis des Glücks (Neid der Götter) ihn erreicht. Denn in dem willenlosen und willkürlichen Preisgegebensein an ein Geschehen, das über ihn verfügt, ist jede eigene Gestaltung seines Geschickes, jede „Würde“ im Schillerschen Sinne unmöglich geworden.“25
Diesen Gedanken kann man mit der Thematik der „Bestimmung des Menschen“26 verbinden, die Oschmann in „Friedrich Schiller“ nennt. Laut Oschmann gibt es zwei „Gesichtspunkte“27, die sich auf diese Thematik beziehen und prägend für Schillers gesamtes Werk sind. Für die Ballade „Der Ring des Polykrates“ scheint vor allem der erste Punkt relevant zu sein: „Erstens soll der Mensch frei sein: er soll unabhängig von äußeren Zwängen und in der Lage sein, sich auf dem Fundament seiner Vernunft selbst zu bestimmen.“.28
Genau diese Eigenschaft bleibt Polykrates in der Ballade verwehrt, denn er ist der „fortuna“29 (hier: Glück) vollkommen ausgeliefert und diese kann nicht durch ihn bzw. seinen Willen beeinflusst werden (Opferung des Ringes).30
Die Ballade besteht aus 16 sechszeiligen Strophen bzw. insgesamt 96 Versen mit vierhebigen Jamben.31 Der dritte und sechste Vers jeder Strophe endet jeweils mit einer männlichen Kadenz, während die anderen Verse der Strophe mit einer weiblichen Kadenz abschließen.32
Des Weiteren verwendet Schiller einen Schweifreim. Durch dieses Reimschema, die männlichen Kadenzen in dem dritten und sechsten Vers jeder Strophe und die Interpunktion, bildet sich nach jedem dritten Vers eine Art Abschluss. Dieser Abschluss teilt die jeweiligen Strophen in zwei syntaktische und inhaltliche Blöcke.33 Zu dieser wiederkehrenden Struktur bemerkt Laufhütte:
„Diese bereits in der Strophenform angelegte Tendenz zur Aneinanderreihung knapper, deutlich begrenzter, antithetische Strukturen ermöglichender Blöcke findet ihre genaue Korrespondenz im Inhalt: in der Reihung dicht aufeinander folgender, überraschender Ereignisse und unmittelbarem Eindruck entstammender, mit jenen kontrastierender Reden.“34
Die formale Struktur sowie der Inhalt korrespondieren also, um dadurch die „Darstellung […], der es um intensive Vorführung einer pausenlos ablaufenden Ereignisfolge geht“35 zu unterstützen.36
Außerdem überwiegt in der Ballade die Personenrede (63 Verse: Amasis 42; Polykrates & Bote jeweils 6; Schiffsleute, Fischer & Koch jeweils 3) den Erzählerbericht (33 Verse). Dies und die Verwendung der Tempora unterstützen, so Laufhütte, den „szenisch-situativen Charakter“37, der die Unmittelbarkeit der „Rezeption und Wirkung“38 steigern soll.39
Der Erzählbericht unterstützt die inhaltliche Steigerung der Spannung und des Unheimlichen in der Ballade (Reaktionen des ägyptischen Königs auf die Demonstrationen von Polykrates Glück), die sich zum Ende hin zuspitzen (Flucht des Gastes).40
Auffällig in Bezug auf die Steigerung ist auch die Wiederholung des Reimes von „Blick“ (Sch. V. 27 & 87) und „Glück“ (Sch. V. 30 & 90). Sie bilden die jeweiligen Abschlüsse der Blöcke der Strophen 5 und 15 und verbinden diese miteinander. Hierbei beinhaltet Strophe 5 die Reaktion des Königs auf die erste Widerlegung seines ausgesprochenen Zweifels und die darauffolgende zweite Warnung. Die fünfzehnte Strophe dagegen enthält die Widerlegung aller Zweifel des Gastes an Polykrates Glück und damit den Grund, warum Amasis sich „mit Grausen“ (Sch. V.91) abwendet. Strophe 5 bildet sozusagen den Beginn des sich steigernden Grauens des ägyptischen Königs, das bis zur 15ten Strophe anschwillt, um in die Flucht des Gastes zu gipfeln.
Im dritten Buch, Abschnitt 39, beginnt Herodot mit der Geschichte des Polykrates. Er schildert, wie dieser die gesamte Herrschaft über Samos erhielt, einen „Freundschaftsbund“41 mit dem ägyptischen König Amasis schloss und immer mehr an Macht gewann.
Auf diese kurze Einführung von Polykrates Machterwerb folgt dann die Erzählung vom Brief über das stets anwachsende Glück des Polykrates, den der besorgte König dem Herrscher über Samos zukommen lässt:
„Amasis läßt dem Polykrates sagen: es freuet mich zwar, wenn ich von dem Wohlergehen eines Freundes und Bundsgenossen höre, allein dein großes Glück ist mir, der ich die Mißgunst der Götter kenne, nicht angenehm. […] Denn ich habe noch von niemand gehört, der als ein vollkommener Günstling des Glücks nicht zuletzt noch ganz unglücklich geworden wäre. Willst du mir nun Gehör geben, so verhalte dich so gegen dein Glück: untersuche nemlich, was dir vorzüglich lieb seyn und wessen Verlust dich am meisten schmerzen möchte, und dieses Suche dann so weit zu entfernen, daß es von Menschen nicht mehr gefunden werden kann. Wird nun künftighin dein Glück nicht von selbst mit widrigen Begegnissen abwechseln, so bediene dich des dir von mit mitgetheilten Mittels.“ (H. 40, S. 37-38)
[...]
1 Vgl. Hofmann, Michael (2005): Der Ring des Polykrates. Ballade (1798). In: Schiller-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Hrsg. von Matthias Luserke-Jaqui. Stuttgart. S. 281
2 Kurscheidt, Georg (Hg.) (1992): Kommentar. Der Ring des Polykrates. In: Friedrich Schiller. Gedichte. Frankfurt am Main. S. 893
3 Vgl. Ebd. S. 892 & Vgl. Hofmann, M. (2005): Der Ring des Polykrates. Stuttgart. S. 281
4 Vgl. Ebd. S. 280-281
5 (Vgl.) Kurscheidt, G. (1992): Kommentar. Frankfurt am Main. S. 892
6 Vgl. Ebd. S. 892 & Vgl. Garve, Christian (1796): Ueber zwey Stellen des Herodot. In: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Zweyter Theil. Breslau. Inhaltverzeichnis (Titel, erstes Kapitel)
7 Kurscheidt, G. (1992): Kommentar. Frankfurt am Main. S. 893
8 Vgl. Ebd. S. 892-893
9 Vgl. Weißert, Gottfried (19932): Ballade. Stuttgart. S. 33 & 37
10 Von Wiese, Benno von (19784): Friedrich Schiller. Stuttgart. S. 622 & Vgl. Weißert, Gottfried (19932): Ballade. Stuttgart. S. 76
11 Vgl. Cobet, Justus (2001): Polykrates. 1. In: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Hrsg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Stuttgart. Band 10, Sp. 69
12 Laufhütte, Hartmut (1979): Die Deutsche Kunstballade. Grundlegung einer Gattungsgeschichte. Heidelberg. S. 116 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. Dritte Folge, Band 42.)
13 Vgl. Ebd. S. 116
14 Vgl. Schiller, Friedrich von (1991): Der Ring des Polykrates. In: Deutsche Balladen. Hrsg. von Hartmut Laufhütte. Stuttgart. S. 98, V.10-12 - Zur Entlastung der Fußnoten werden die Zitate des oben genannten Primärtextes, in Klammern, mit der Abkürzung Sch. und Versangabe, direkt im Text belegt.
15 Vgl. Laufhütte, H. (1979): Die Deutsche Kunstballade. Heidelberg. S. 116
16 Vgl. Laufhütte, H. (1979): Die Deutsche Kunstballade. Heidelberg. S. 116-117
17 Vgl. Weißert, G. (19932): Ballade. Stuttgart. S. 37
18 Vgl. Von Wiese, B. (19784): Friedrich Schiller. Stuttgart. S. 616
19 Schubert, Werner (1988): Antike Mythologie und sittliche Weltordnung. Anmerkungen zum poetischen Werk Friedrich Schillers. In: Daß eine Nation die ander verstehen möge. Festschrift für Marian Szyrocki zu seinem 60. Geburtstag. Hrsg. von Norbert Honsza und Hans-Gert Roloff. Amsterdam. S. 689
20 Ebd. S. 689
21 Ebd. S. 689
22 Ebd. S. 689
23 Vgl. Ebd. S. 689
24 Vgl. Von Wiese, B. (19784): Friedrich Schiller. Stuttgart. S. 616
25 Von Wiese, B. (19784): Friedrich Schiller. Stuttgart. S. 617
26 Oschmann, D. (2009): Friedrich Schiller. Köln. S. 7
27 Ebd. S. 7
28 (Vgl.) Ebd. S. 7
29 Von Wiese, B. (19784): Friedrich Schiller. Stuttgart. S. 617
30 Vgl. Ebd. S. 617
31 Vgl. Hofmann, M. (2005): Der Ring des Polykrates. Stuttgart. S. 281
32 Vgl. Laufhütte, H. (1979): Die Deutsche Kunstballade. Heidelberg. S. 117
33 Vgl. Ebd. S. 117
34 Ebd. S. 117
35 Laufhütte, H. (1979): Die Deutsche Kunstballade. Heidelberg. S. 118
36 Vgl. Ebd. S. 117-118
37 Ebd. S. 118
38 Ebd. S. 118
39 Vgl. Ebd. S. 118
40 Vgl. Ebd. S. 118-120
41 Degen, Johann Friedrich (1788): Herodots Geschichte. Zweiter Band. Frankfurt am Main. S. 36 - Auch hier werden, zur Entlastung der Fußnoten, die Zitate des oben genannten Primärtextes, in Klammern, mit der Abkürzung H. und Abschnitt- und Seitenangabe, direkt im Text belegt.