Im Zuge der Globalisierung steigt die internationale Mobilität ständig an. In der Folge leben auch immer mehr Kinder in einem Land, in dem sie nicht geboren wurden, dessen Staatsbürgerschaft sie nicht besitzen oder in dem ihre Eltern nicht geboren wurden. Die zunehmende Migration kann einerseits zu kultureller Entwurzelung führen, andererseits bietet sie auch Chancen für interkulturelle Kompetenz. Solche Kinder werden als Drittkulturkinder (in der englischsprachigen Literatur Third Culture Kids) bezeichnet.
In meiner Arbeit untersuche ich die Verhaltens- und Denkweisen von Drittkulturkinder und beschreibe, wie die Kinder mit ihrer Multikulturalität umgehen. Da ich als gebürtige Dänin seit fast zehn Jahren in der Schweiz wohne, beschäftigt mich dieses Thema sehr, weil ich täglich damit in Berührung komme.
Meine Arbeit geht vier Fragestellungen nach, die ein besseres Verständnis für das Leben der Drittkulturkinder liefern sollten. Dabei beschäftige ich mich in der Arbeit mit dem Ethnozentrismus und dem Ethnorelativismus von Drittkulturkindern, wobei der Vergleich zu nicht-Drittkulturkindern ebenfalls eine Rolle spielt. Die ethnozentrische beziehungsweise ethnorelativistische Denkweise der Drittkulturkinder gibt ein Bild ihrer kulturelle Wahrnehmung. Eine hochmobile Kindheit kann zu Wurzellosigkeit führen, was ein erschwertes Verständnis der Kinder für ihre Herkunft und Kultur b-wirken kann. Ich frage mich deswegen zusätzlich in dieser Arbeit, in welchem Land sich Drittkulturkinder am meisten zu Hause und mit welchem Land sie sich am meisten verbunden fühlen. Ihr Gefühl von Zuhause kann möglicherweise mit ihrem Freundeskreis zu tun haben, weshalb ich weiterführend der Frage nachgehe, mit welche Gruppe von Kindern Drittkulturkinder ihre Freizeit verbringen. Geben sie sich mit den lokalen Kindern des Gastlandes ab? Suchen sie sich Freundinnen und Freunde aus ihrem Heimatland, die ebenfalls ihre Muttersprache sprechen? Oder verbringen sie ihre Freizeit mit anderen Drittkulturkindern?
Letztlich beschäftige ich mich mit der Offenheit der Drittkulturkinder und ob diese mit der Offenheit der nicht-Drittkulturkinder zu vergleichen ist. Dadurch, dass Drittkulturkinder ein so vielfältiges Leben führen mit täglichen Eindrücken kultureller Unterschiede, ist eine allgemeine offenere Weltsicht denkbar.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. LITERATURÜBERBLICK
3. THEORETISCHE GRUNDLAGEN
3.1. Drittkulturkinder
3.1.1. Interkulturelle Kompetenz
3.1.2. Verstecken,AblehnungundWurzellosigkeit
3.2. Ethnozentrismus und Ethnorelativismus
3.2.1. Ethnozentrismus
3.2.2. Ethnorelativismus
3.3. Modelle der interkulturellen Kompetenz
3.3.1. DevelopmentalModeloflnterculturalSensitivity(DMIS)
3.3.2. Intercultural Development Inventory (IDI)
4. METHODIK
4.1. Definition von Drittkulturkindem
4.2. Fragestellungen
4.2.1. EthnozentrismusundEthnorelativismus
4.2.2. Das Gefühl von Zuhause
4.2.3. Das soziale Umfeld
4.2.4. OffenheitundNeugier
4.3. Durchführung der Umfrage
5. ERGEBNISSE
5.1. Ethnozentrismus und Ethnorelativismus unter Drittkulturkindern
5.2. Das Wohlbefinden von Drittkulturkindern
5.3. Das soziale Umfeld von Drittkulturkindern
5.4. Neue Kulturen kennenlemen und fremde Länder bereisen
APPENDIX. UMFRAGE
1. Einleitung
Im Zuge der Globalisierung steigt die internationale Mobilität ständig an.1 In der Folge leben auch immer mehr Kinder in einem Land, in dem sie nicht geboren wurden, dessen Staatsbürgerschaft sie nicht besitzen oder in dem ihre Eltern nicht geboren wurden. Die zunehmende Migration kann einerseits zu kultureller Entwurzelung führen, andererseits bietet sie auch Chancen für interkulturelle Kompetenz. Solche Kinder werden als Drittkulturkinder (in der englischsprachigen Literatur Third Culture Kids') bezeichnet. In meiner Arbeit untersuche ich die Verhaltens- und Denkweisen von Drittkulturkinder und beschreibe, wie die Kinder mit ihrer Multikulturalität umgehen. Da ich als gebürtige Dänin seit fast zehn Jahren in der Schweiz wohne, beschäftigt mich dieses Thema sehr, weil ich täglich damit in Berührung komme.
Meine Arbeit geht vier Fragestellungen nach, die ein besseres Verständnis für das Leben der Drittkulturkinder liefern sollten. Dabei beschäftige ich mich in der Arbeit mit dem Ethnozentrismus und dem Ethnorelativismus von Drittkulturkindern, wobei der Vergleich zu nicht-Drittkulturkindern ebenfalls eine Rolle spielt. Die ethnozentrische beziehungsweise ethnorelativistische Denkweise der Drittkulturkinder gibt ein Bild ihrer kulturelle Wahrnehmung. Eine hochmobile Kindheit kann zu Wurzellosigkeit führen, was ein erschwertes Verständnis der Kinder für ihre Herkunft und Kultur bewirken kann. Ich frage mich deswegen zusätzlich in dieser Arbeit, in welchem Land sich Drittkulturkinder am meisten zu Hause und mit welchem Land sie sich am meisten verbunden fühlen. Ihr Gefühl von Zuhause kann möglicherweise mit ihrem Freundeskreis zu tun haben, weshalb ich weiterführend der Frage nachgehe, mit welche Gruppe von Kindern Drittkulturkinder ihre Freizeit verbringen. Geben sie sich mit den lokalen Kindern des Gastlandes ab? Suchen sie sich Freundinnen aus ihrem Heimatland, die ebenfalls ihre Muttersprache sprechen? Oder verbringen sie ihre Freizeit mit anderen Drittkulturkindern? Letztlich beschäftige ich mich mit der Offenheit der Drittkulturkinder und ob diese mit der Offenheit der nicht-Drittkulturkinder zu vergleichen ist. Dadurch, dass Drittkulturkinder ein so vielfältiges Leben führen mit täglichen Eindrücken kultureller Unterschiede, ist eine allgemeine offenere Weitsicht denkbar.
Die Antworten und Auswertungen der vier Fragestellungen ziehe ich hierbei aus einer, für diese Arbeit spezifische, Umfrage. Die Umfrage habe ich so gestaltet, dass sie für jedes Kind verständlich ist und mir gleichzeitig die nötigen Informationen liefert, um meiner Fragestellung so exakt wie möglich nachzugehen. Die Umfrage ist einerseits von Modellen inspiriert, die den interkulturelle Kompetenzen von Menschen nachgehen und sie prüfen (siehe Abschnitt 3.3.1 & 3.3.2) und basiert andererseits auf weiteren Aspekten, wie kulturelle Neugierde, Offenheit und Freundesgruppen.
Die wissenschaftliche Literatur hat bisher ein breites Spektrum an Themen in Zusammenhang mit Drittkulturkindern erforscht. Viele Veröffentlichungen gelten als eine Zusammenfassung mehrerer Studien, die einen groben Überblick über den Forschungsstand der Drittkulturkinder liefern.2 Es sind jedoch auch zahlreich Studien zu Drittkulturkindern mit unterschiedlichen Fragestellungen zu finden. Einige Studien behandeln die Frage nach dem Wohlbefinden der Drittkulturkindern3 sowie den Ethnozentrismus und den Ethnorelativismus.4 In der Fallstudie von Greenholtz & Kim5 stellte sich heraus, dass das getestete Drittkulturkind sowohl über eine ethnozentrische als auch eine eth- norelativistische Denkweise verfügte. Mit Hilfe der Umfrage versuche ich, in dieser Arbeit zu klären, ob das Phänomen der gemischten Weltanschauung, das heisst eine sowohl ethnozentrische als auch ethnorelativistische Weltanschauung, bei anderen Drittkulturkindern ebenfalls zu finden ist. Meine Arbeit sehe ich als Überprüfung dieser Studien.
Wissenschaftlerinnen haben sich auch unter anderem mit der Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Dabei zeigt die Wissenschaft mehrheitlich auf, dass Drittkulturkinder Schwierigkeiten in verschiedenen Bereichen erleben können.6 Meine Arbeit ist ein Forschungsbeitrag, der einerseits als Bestätigung der bestehenden wissenschaftlichen Literatur gilt, andererseits aber auch neue Informationen zu Fragestellungen liefert, die in der Forschung bisher nur begrenzt untersucht wurden.
Im zweiten Abschnitt «Literaturüberblick» liefert meine Arbeit einen Überblick über die bisherige Literatur, worauf der dritte Abschnitt «Theoretische Grundlagen» theoretische Begriffe, wie Drittkulturkinder, Ethnozentrismus und Ethnorelativismus definiert und erklärt, da sie fundamental für diese Arbeit sind. Im dritten Abschnitt werden ebenfalls die interkulturellen Theorien und Modelle vorgestellt. Darauf folgt die Methodik dieser Arbeit, die auf den vorherigen Modellen basiert. Schliesslich werden im fünften Abschnitt «Ergebnisse» die Auswertungen und deren Ergebnisse bekanntgegeben und im Detail erklärt und interpretiert.
2. Literaturüberblick
Ein Standartwerk über Drittkulturkinder wurde von Pollock, Van Reken und Pollock verfasst.7 In. Ihrem Buch beschreiben die Autorinnen zunächst die Welt der Drittkulturkinder grundlegend, zeichnen dann das Persönlichkeitsprofil eines Drittkulturkindes und nennen schliesslich potenzielle Vorteile und Herausforderungen und wie diese bewältigt werden können. Obwohl sich das Buch vor allem mit den Drittkulturkindern in ihrem Gastland auseinandersetzt, werden auch Übergangserfahrungen und der Wiedereinstieg ins Heimatland thematisiert, worauf letztlich ein Abschnitt über das Erwachsenenleben eines Drittkulturkindes folgt.
Eine Vielzahl neuer empirischer Studien befasst sich zudem mit der Frage, welche Eigenschaften das Persönlichkeitsprofil eines Drittkulturkindes ausmachen. Dewaele & van Oudenhoven untersuchen beispielsweise den Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit beziehungsweise Multikulturalismus und dem Persönlichkeitsprofil von 79 jungen Londoner Teenagern.8 Die Hälfte dieser Jugendlichen war im Ausland geboren und erst im Kindheitsalter nach London gekommen. Durch einen 91-Punkte-Fragebogen konnten die Autoren die Persönlichkeitsmerkmale der Kinder und Jugendlichen erfassen. Statistische Analysen ergaben, dass Drittkulturkinder in Bezug auf Offenheit und kulturelles Einfühlungsvermögen eine höhere Punktzahl, in Bezug auf emotionale Stabilität hingegen eine niedrigere Punktzahl erzielten. Analoge Effekte fanden die Forscher für die Mehrsprachigkeit. Mehrsprachige Kinder zeigten sich bemerkenswert offener als Zweisprachige, gleichzeitig allerdings emotional instabiler.9 Der Artikel scheint mir ein guter Einstieg in das Thema zu sein, da erstmals grobe und allgemeine Persönlichkeitsmerkmale von Drittkulturkindern präsentiert werden.
Ein Artikel von Miller, Wiggins & Feather befasst sich ebenfalls mit dem Persönlichkeitsprofil von Drittkulturkindern.10 Dabei gilt der Aufsatz weniger als eine Studie an sich, sondern Miller, Wiggins & Feather werten in ihrem Aufsatz eine Vielzahl von Studien aus und zeigen auf, inwiefern Drittkulturkinder Probleme bei der Identitätsentwicklung haben. Wenn ein Mensch seine Jugend erfolgreich abschliesst, hat er theoretisch ein starkes Selbstbewusstsein und kann seinen Überzeugungen und Werten treu bleiben. Ist dies nicht der Fall, kann es zu einer Rollenverwirrung und einer Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft führen. Somit müssen sich manche ohne eine individualisierte Identität als erwachsene Person durchkämpfen. Wenn Jugendliche sich immer aufs Neue an Länder, Sprachen und Schulen anpassen müssen, schaffen sie es oft nicht, eine eigene, vollständige und persönliche Identität zu entwickeln. Mehrere Studien ergaben, dass Jugendliche ohne konkrete Identität anfälliger für Essstörungen, akademische Probleme, Neurotizismus sowie frühen Drogen- und Alkoholkonsum sind. Auch macht es eine mangelnde und lückenhafte Identität schwer, langfristige Verbindungen und Beziehungen aufzubauen.11
Wie in der Einleitung erwähnt, frage ich mich in dieser Arbeit, wo sich Drittkulturkinder zu Hause fühlen. Dabei nehme ich auf eine Studie von A. Lijadi & Van Schalwyk Bezug. Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur Literatur der Drittkulturkinder, insbesondere in Bezug darauf, wie junge Drittkulturkinder (im Alter von 7-16 Jahren) in einem Lebensstil mit hoher Mobilität ihr Zuhause wahrnehmen.12 Die Teilnehmerinnen dieser Studie wurden gebeten, eine Collage mit Bildern zu erstellen. Diese Bilder sollten aus Printmedien, von Websites oder privaten Fotos stammen. Der ganze Prozess wurde geleitet von der Frage: «Wie repräsentiert dieses Bild/diese Zeichnung/dieser Ort dein Zuhause?»13 Die Kinder fügten Bilder auf das Blatt mit Symbolen, Landschaften und Naturphänomenen, Architektur und Essen, die alle an den Orten, wo sie gelebt und die sie besucht hatten, zu finden waren. Die Kinder fügten ebenfalls Bilder mit ihren schulischen Aktivitäten und Arbeitsorten ihrer Eltern hinzu. Schliesslich identifizierte man Bilder, die Interaktionen mit Freundinnen und innerhalb der Familie darstellten. Aus der Denotationsanalyse der Collagen schlossen A. Lijadi & Van Schalwyk, dass die Drittkulturkinder alle Orte, an denen sie gelebt oder die sie besucht hatten, als Heimat betrachteten.14 Dabei kann das Gefühl von 'Zuhause sein' mit der Weltanschauung des Kindes Zusammenhängen. Ein ethnorelativistisches Kind mag es zum Beispiel schwieriger finden, sich in einem neuen Land zurechtzufinden und sich dort zu Hause zu fühlen. Eine Fallstudie von Greenholtz & Kim15 beschäftigt sich mit dieser Frage: Hat die ethnozentrische beziehungsweise ethnorelativistische Weltanschauung eines Kindes etwas mit dem Gefühl von einem Zuhause oder der Verbundenheit mit einem Land zu tun? Obwohl meine Arbeit den Zusammenhang dieser zwei Aspekte nur begrenzt betrachtet, geht sie sehr genau auf den Ethnozentrismus und den Ethnorelativismus von Drittkulturkindern ein. Die Studie Greenholtz & Kim16 ist unter anderem, wie meine Arbeit, auf einer Umfrage aufgebaut, die über die Denk- und Verhaltensweise in Bezug auf Ethnozentrismus und Ethnorelativismus Bescheid gibt. Die Autorinnen verwenden allerdings nicht nur die Umfrage, um das zentrale Paradox des globalen Nomadismus zu untersuchen, sondern ebenfalls weitere Methoden, wie zum Beispiel Interviews. Ihre These besagt, dass kulturelle Hybriden, welche in dieser Arbeit als Drittkulturkinder definiert werden, in jedem kulturellen Kontext zu Hause zu sein scheinen,17 wie auch schon in der obigen Studie von A. Lijadi & Van Schalwyk18 festgestellt wurde. In der Fallstudie ging Lena, die getestete Person, durch 12 Interviews a 90 Minuten. Zudem musste sie das IDI ausfüllen, ein Testverfahren für interkulturelle Sensibilität (siehe Abschnitt 3.3.2), um ihre ethnozentrischen, beziehungsweise ethnorelativistischen Züge zu untersuchen. Das IDI-Profil von Lena weicht erheblich von der Vorhersehung der DMIS-Theorie, eine Theorie, die auf Wahrnehmung und Kommunikation beruht (siehe Abschnitt 3.3.1), ab. Es erwies sich, dass sich Lena sowohl ethnozentrisch als auch ethnorelativistisch verhält. Wenn es um andere Kulturen geht, hat Lena Probleme damit, die gemeinsamen Bedürfnisse und Eigenschaften zu erkennen. Andererseits realisiert sie, dass ihre eigene Kultur Teil von einem komplexeren Netz vieler Kulturen ist.
3. Theoretische Grundlagen
3.1. Drittkulturkinder
Der Begriff Drittkulturkind, oder auf Englisch Third Culture Kid, wurde erstmals anfangs der 1960er Jahre von Ruth Hill Useem definiert.19 Sie verbrachte mit ihrer amerikanischen Familie Zeit in Indien und bemerkte schnell, wie die Kinder, die sich mit ihren Eltern im Ausland aufhielten, eine verblüffend differenzierte Haltung zeigten, verglichen mit den lokalen Kindern. Sie waren verwirrt, wussten nicht, wo ihr Zuhause war und zeigten zusätzlich massive Schwierigkeiten bei der Rückkehr in die USA.20
«A third Culture Kid (TCK) is a person who has spent a significant part of his or her developmental years outside the parents' culture. The TCK frequently builds relationships to all of other cultures, while not having full ownership of any. Although elements from each culture may be assimilated into the TCK's life experience, the sense of belonging is (often) in relationship to others of similar background.»21
Abbildung 1: Das Modell der dritten Kultur
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).
Abbildung 1 illustriert die Kernthese des Begriffs der Drittkulturkinder. Diese verinnerlichen drei verschiedene Arten von Kulturen gleichzeitig.22 Die erste Kultur ist die Kultur, in der die Eltern sozialisiert wurden, auch die Heimatkultur oder die Passkultur der Kinder, genannt. Die zweite Kultur ist die sogenannte Gastgeberkultur, also die Kultur eines Staates, in den die Familie migriert ist. Die dritte Kultur wird von den Kindern und Jugendlichen mit Migrationserfahrung geteilt. Sie entspricht weder zur Gänze der Heimatkultur noch der Gastkultur.23
Drittkulturkinder zeigen ein klares und definiertes Persönlichkeitsprofil, was uns interessante und erhebliche Informationen über verschiedene Kulturen und unsere mobile und globalisierte Welt gibt. Die Forschung kann vieles über die Auswirkungen der Globalisierung auf Kinder mit Migrationshintergrund und Multikulturalismus zeigen. Dabei kann das Auswachsen in mehreren Ländern und Kulturen persönliche Vor- und Nachteile für die Kinder mit sich bringen.24
3.1.1. Interkulturelle Kompetenz
Ein klarer Vorteil, über welche Drittkulturkinder verfügen, ist nicht nur das geografische, sondern ebenso das gesellschaftliche Verständnis unserer Welt. Sie beobachten aus erster Hand, wie Neujahr zum Beispiel auf viele verschiedene Arten und Weisen und an verschiedenen Daten gefeiert werden kann. Das mag bedeutungslos wirken, gibt den Kindern aber von klein auf ein breiteres Bild der Welt. Sie lernen schon in ihren ersten Lebensjahren, wie interessant und divers sich unsere Welt darbietet. Dazu kommt, dass sie früh ein Verständnis dafür entwickeln, dass das Leben nicht immer gleichbleibt, sondern es immer wieder tiefgreifende Veränderungen im Leben gibt. Sie lernen mit diesen Veränderungen umzugehen, was ihnen zusätzlich ein gewisses Selbstbewusstsein verleiht, mit dem sie Freundinnen finden und neue Situationen meistern können.25
Der Erwerb von mehr als einer Sprache ist möglicherweise eine der nützlichsten Fähigkeiten, die eine interkulturelle Erziehung den Kindern vermitteln kann. Neben den offensichtlichen Vorteilen, wie einfache Kommunikation mit diversen Gruppen, kann zwei- oder mehrsprachiges Aufwachsen in der Karriere, wie auch in Bezug auf ein allgemeines globales Verständnis, helfen.26
3.1.2. Verstecken, Ablehnung und Wurzellosigkeit
Manche Drittkulturkinder versuchen sich äusserlich an die Gesellschaft des Gastlandes anzupassen, um nicht als fremd gesehen zu werden. Andere stehen offen zu ihrem Anderssein. Leider formen manche Drittkulturkinder mit diesem Verhalten eine Art «Antiidentität» gegenüber dem Gastland. Dies macht es schwierig sich mit den örtlichen Einwohnerinnen anzufreunden und sie verlieren somit viele Chancen, die sie als Drittkulturkinder in ihrem Gastland gehabt hätten.27
Obwohl die erweiterte Weitsicht der Drittkulturkinder ausschliesslich vorteilhaft aussieht, kann sie ein grosses Gefühl von Verwirrung geben. Die Weltmeisterschaften in Fussball sind für viele Drittkulturkinder ein Alptraum. Feuert man nun das Team des Wohnlandes an oder das Team, welches der Pass zeigt? Oder vielleicht doch das Land, in dem man als Kind aufgewachsen ist? Während der Konflikt der Teamloyalität eine Realität ist, beruht er auf viel mehr Themen, wie Politik, Patriotismus und grundlegenden Werten der Kinder und Jugendlichen.28 Die allgemeine Verwirrung über ihre Herkunft kann sogar zu einer sogenannten Wurzellosigkeit führen. Dabei gibt es Fragen, von denen sich viele Drittkulturkinder fürchten. Die Frage «Woher kommst du?», ist eine dieser Fragen. Was soll das überhaupt heissen? Wo man wohnt? Oder vielleicht, wo man aufgewachsen ist? Will man wissen, wo die Eltern herkommen? Entweder entscheiden sich die Drittkulturkinder dafür, der:die Fragende mit einer kurzen Antwort zufriedenzustellen oder sie erzählen ihre ganze Lebensgeschichte. Die Frage verunsichert die Drittkulturkinder, weil sie selbst nicht genau wissen, wie sie ihre Herkunft artikulieren sollen. Drittkulturkinder haben es heute mit dieser Frage dennoch immer einfacher, dadurch, dass es immer mehr Drittkulturkinder gibt. Oft muss man nicht mehr, verglichen mit früher, zwischen Ländern unterscheiden. Von unserer hochmobilen Gesellschaft und globalisierten Welt wird es immer mehr akzeptiert, nicht die Herkunft des
[...]
1 Eurostat, (2021).
2 Miller, Wiggins, & Feather, (2020).
3 Lijadi &Van Schalkwyk, (2017).
4 Greenholtz & Kim, (2009).
5 Greenholtz & Kim, (2009).
6 Dewaele & van Oudenhoven, (2010) & Miller, Wiggins, & Feather, (2020).
7 Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).
8 Dewaele & van Oudenhoven, (2009).
9 Dewaele & van Oudenhoven, (2009).
10 Miller, Wiggins, & Feather, (2020).
11 Miller, Wiggins, & Feather, (2020).
12 Lijadi &Van Schalkwyk, (2017).
13 Lijadi &Van Schalkwyk, (2017). Eigene Übersetzung.
14 Lijadi &Van Schalkwyk, (2017).
15 Greenholtz & Kim, (2009).
16 Greenholtz & Kim, (2009).
17 Greenholtz & Kim, (2009).
18 Lijadi &Van Schalkwyk, (2017).
19 Useem, Hill Useem, & Donoghue, (1963).
20 Lijadi A. A., (2018).
21 Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).
22 Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).
23 Lijadi A. A., (2018).
24 Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).
25 Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).
26 Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).
27 Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).
28 Pollock, Van Reken, & Pollock, (2001).