Hinsichtlich des Bedarfs einer Neugestaltung von Grundschulen veröffentlichte "Der Grundschulverband – e.V." im Rahmen eines Projekts das Werk "Die Zukunft beginnt in der Grundschule - Empfehlungen zur Neugestaltung der Primarstufe" im Jahre 1996, der unter anderem auf ein neues Konzept der Bewegungserziehung in der Grundschule aufmerksam machte. Dabei wurden Reformvorschläge angebracht, worunter die Eingliederung von körperlichen Aktivitäten über den Sportunterricht hinaus in weitere Bereiche der Schule zugehören sollte. Diesbezüglich stellt sich die Frage, inwiefern es Grundschulen heutzutage geschafft haben, sich so weit zu entwickeln, dass diesen Anmerkungen und Empfehlungen gerecht wurde. Um dieser Frage nachzugehen, werden zunächst die Vorschläge des G.e.V. wiedergegeben. Danach werden aktuelle Forschungsstände zu den Auswirkungen von Bewegungen aufgeführt. Um einen angemessenen Bezug zur Grundschule herzustellen, werden die Bedeutungsfelder von Bewegung in der Schule und das Konzept der Bewegten Schulen vorgestellt. Dazu wird der Umgang mit Bewegung während des Unterrichts betrachtet. Dabei wird gesondert der Lehrplan des Sportunterrichts aufgezeigt.
Wer sich körperlich viel bewegt, der lebt gesünder, baut mehr Muskeln auf und erlangt Stärke. Über die physischen Vorzüge von körperlichen Aktivitäten und Bewegungen im Alltag sind sich die Menschen seit geraumer Zeit bewusst. Dagegen rückte die Bedeutsamkeit und der positive Einfluss von körperlicher Betätigung auf die menschliche Psyche erst in den vergangenen Jahrzehnten durch die Errungenschaften der Hirnforschung in den Vordergrund. Diese Entdeckungen erregten in Bildungsinstitutionen große Aufmerksamkeit. Parallel stand die Schule vor der Herausforderung, ein inklusives Schulsystem aufzubauen, in dem sie auf die Heterogenität der Lernenden sowie ihren individuellen Voraussetzungen eingehen sollte. Dabei waren die Errungenschaften bezüglich der exekutiven Funktionen für das Bildungswesen von hoher Relevanz, die den Bedarf einer Neugestaltung der Lehrpläne und des Schulunterrichts aufdeckten. Jedoch war dieser nicht neu, denn der Grundgedanke von Montessori beinhaltete, dass die Denk- und Wahrnehmungsleistungen eng an die Motorik gebunden waren und Lernen auf verschiedenen Sinneskanälen erfolgt, sodass Bewegung als wichtiges Mittel zur Aneignung der Welt und Selbstentwicklung notwendig war.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2.1 Grundsätze
2.2 Bewegungserziehung statt Sportunterricht
2.3 Freie Bewegungsangebote als Bestandteil des Schulalltags
2.4 Grundschule als Raum für körperlich-sinnliches Lernen
3 Entwicklungen und aktueller Forschungsstand
in der Primarstufe
3.1 Entwicklungen in der Neurowissenschaft
3.2 Bedeutungsfelder von Bewegung in der Schule
3.3 Bewegte Schulen
3.4 Bewegtes Lernen
3.4.1 Verknüpfung von Lernen und Bewegung
3.4.2 Bewegtes Lernen im Fachunterricht
3.5 Der „neue“ Sportunterricht
4 Diskussion und Ausblick
5 Literaturverzeichnis
6. Anhang
1 Einleitung
Wer sich körperlich viel bewegt, der lebt gesünder, baut mehr Muskeln auf und erlangt Stärke. Über die physischen Vorzüge von körperlichen Aktivitäten und Bewegungen im Alltag sind sich die Menschen seit geraumer Zeit bewusst. Dagegen rückte die Bedeutsamkeit und der positive Einfluss von körperlicher Betätigung auf die menschliche Psyche erst in den vergangenen Jahrzehnten durch die Errungenschaften der Hirnforschung in den Vordergrund. Diese Entdeckungen erregten besonders in Bildungsinstitutionen große Aufmerksamkeit. Parallel stand die Schule vor der Herausforderung, ein inklusives Schulsystem aufzubauen, in dem sie auf die Heterogenität der Lernenden sowie ihren individuellen Voraussetzungen eingehen soll (vgl. u.a. Benölken et al., 2018, S. 1f). Dabei waren die Errungenschaften bezüglich der exekutiven Funktionen für das Bildungswesen von hoher Relevanz, die den Bedarf einer Neugestaltung der Lehrpläne und des Schulunterrichts aufdeckten. Jedoch war dieser nicht neu, denn der Grundgedanke von Montessori beinhaltete, dass die Denk- und Wahrnehmungsleistungen eng an die Motorik gebunden waren und Lernen auf verschiedenen Sinneskanälen erfolgt, sodass Bewegung las wichtiges Mittel zur Aneignung der Welt und Selbstentwicklung notwendig war (vgl. Ludwig, 2003).
Hinsichtlich des Bedarfs einer Neugestaltung von Grundschulen veröffentlichte Der Grundschulverband – e.V.1 im Rahmen eines Projekts ihr Werk Die Zukunft beginnt in der Grundschule - Empfehlungen zur Neugestaltung der Primarstufe im Jahre 1996, der u.a. zu einem neuen Konzept der Bewegungserziehung in der Grundschule aufmerksam machte. Dabei wurden Reformvorschläge angebracht, worunter die Eingliederung von körperlichen Aktivitäten über den Sportunterricht hinaus in weitere Bereiche der Schule zugehören sollte. Diesbezüglich stellt sich die Frage, inwiefern es Grundschulen heutzutage geschafft haben, sich soweit zu entwickeln, dass diesen Anmerkungen und Empfehlungen gerecht wurde?
Um dieser Frage nachzugehen, werden zunächst die Vorschläge des G.e.V. wiedergegeben (Kapitel 2). Danach werden aktuelle Forschungsstände zu den Auswirkungen von Bewegungen aufgeführt (Kapitel 3.1). Um einen angemessen Bezug zur Grundschule zu erstellen, werden die Bedeutungsfelder von Bewegung in der Schule (Kapitel 3.2) und das Konzept der Bewegten Schulen (Kapitel 3.3) vorgestellt. Dazu wird der Umgang mit Bewegung während des Unterrichts betrachtet (Kapitel 3.4). Dabei wird gesondert der Lehrplan des Sportunterrichts aufgezeigt (Kapitel 3.5). Zum Schluss wird in einer Diskussion die Fragestellung beantwortet, indem die Reformvorschläge mit den neuen Sachverhalten verglichen werden (Kapitel 4).
2 Empfehlungen zur Neugestaltung der Primarstufe – 1996
„Die Grundschule ist 75 Jahre alt“ (Faust-Siehl et al., 1996, S. 10). Mit diesem Satz leitet der Grundschulverband – e.V , eine Arbeitsgruppe aus ungefähr 15000 freiwilligen Grundschullehrkräften, ihr Werk D ie Zukunft beginnt in der Grundschule - E mpfehlungen zur Neugestaltung der Primarstufe ein, der die Reformbedürftigkeit der Grundschule und dessen Analysen aufzeigt (vgl. ebd.). Dabei werden über die Analysen der alten Schule sowie über eine reinen Philosophie der neuen Schule hinaus Reform- und Umsetzungsvorschläge zu verschiedenen Inhalten gegeben. Im Rahmen dessen wird ein pädagogisch begründeter Gesamtentwurf für eine neue Grundschule als gesellschaftliche Institution entwickelt, die für das psychische und geistige Wohl des SuS sorgen soll.Hinsichtlich dieser Arbeit werden in diesem Kapitel die Analysen und Reformvorschläge zum Schwerpunkt „Leben und Lernen in der Grundschule“ unter dem Aspekt „Körper und Bewegung – Spiel und Sport“ vorgestellt.
2.1 Grundsätze
Der G.e.V. gibt dem „Sichbewegen“ eine neue Bedeutung und verkörpert diese als „eine Lebensform des Kindes und ein Weg der Auseinandersetzung mit der sozialen und materialen Welt“ (ebd., S. 96). Sie wird somit als wichtiger Teil der Lebens von SuS gewertet, den sie ständig erleben. Darunter fasst der G.e.V. die „kinästhetischen Sensationen: Schwere und Leichtigkeit, Geschwindigkeit und Rhythmus, das Zusammenspiel äußerer und innere Kräfte und der Wechsel der körperlichen Lage in Raum und Zeit“, die die SuS im Alltag erfahren und ausgesetzt sind (ebd.). Gleichfalls dient sie als Kommunikationsmittel zur Außenwelt. Dabei unterscheiden sich Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Bedürfnisse und der Drang, Bewegung auszuüben. Bei jedem Individuum prägen sich diese unterschiedlich stark aus, sodass jedes Individuum mit Bewegung auf eigene Weise umgeht sowie eine eigene Beziehung zur Bewegung und demnach zum Sport entwickelt. Die Schule steht vor der Herausforderung, eine Bewegungserziehung durchzusetzen, die diese individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes wahrzunehmen bzw. auch „ernst zu nehmen und durch Anregungen weiterzuentwickeln“ weiß (ebd.).
2.2 Bewegungserziehung statt Sportunterricht
In der Vergangenheit lag der Fokus des Sportunterricht in der Vermittlung von Leistungssport und den zugehörigen Normen (u.a. Umgang mit Geräten, Sporträumen), welche sich gesellschaftlich etabliert hatten (vgl. Faust-Siehl et al., 1996, S. 97). Exemplarisch hierfür werden die jährlich stattfindenden „Bundesjugendspiele“ erwähnt. Diesbezüglich weist der G.e.V. allgemein darauf hin, dass das Ziel des Sportunterricht „nicht den Sport, sondern das «Sich-Bewegen» der Kinder zum Thema“ machen sollte (ebd.). Dabei zeigt er die Konsequenzen auf, die durch die gesellschaftlich entstandene Bewegungskultur folgen. Hervorgehoben werden die Nachteile für die Individuen, die diesen gesellschaftlich festgelegten Normen (z.B. das Verfügen eines gesunden und „fitten“ Körpers) nicht entsprechen. Diese werden in einem solchen Sportunterricht untergraben, der ihren Bedürfnissen nicht gerecht wird und sie nicht einbezieht. Zeitgleich geht mit diesem ein Verlust „der Eigenständigkeit und Lebendigkeit des Sich-Bewegens“ einher (ebd.)
Hinsichtlich dieser Konsequenzen rät der G.e.V. zu einer Bewegungserziehung, der das Sichbewegen sowie die Körperwahrnehmung in diese einbettet. Darunter verlegt er die Schwerpunkte der Sportunterrichts auf folgenden Aspekte: „Körpererfahrungen, Bewegungsimprovisation, alltagsmotorische Tätigkeiten wie Klettern, Steigen, Balancieren, Bewegungsspiele nach eigenen Vorstellungen, kreativer Umgang mit Bewegungslandschaften, Konstruktionen von eigenen Bewegungsarrangements und ähnliches mehr“ (ebd.). Unter Berücksichtigung dieser wird die Abschaffung der „Bundesjugendspiele“ und die Einführung von „Spielfesten“ empfohlen, bei denen ein Wandel von einem Gegeneinander zu einem Miteinander geschehen soll. Statt einen Wettkampf zu fördern, versuchen Spielfeste durch das Kooperieren eine angemessene Bewegungserziehung zu ermöglichen (vgl. ebd., S. 98).
2.3 Freie Bewegungsangebote als Bestandteil des Schulalltags
Der gesellschaftliche Wandel verursachte bei SuS eine Unwissenheit, ihrem Bedürfnis und Drang nach Bewegung selbstständig und selbst gestaltend stillen zu können, da sie diesbezüglich Vorgaben gewohnt waren. Dabei soll die Schule diese Mängel ausgleichen und „deshalb mehr Bewegungsmöglichkeiten“ in den Unterrichtsalltag eingliedern, bei denen die SuS diese selbst mitgestalten (ebd.). In diesem Kontext sieht der G.e.V. einen Konflikt, der durch den Zwang des Stillsitzens im Unterricht entsteht. In Anbetracht dessen befürwortet dieser die Öffnung der Arbeitsplätze der Kinder, sodass sie eigenständig im Klassenraum die Wahl treffen, wo sie ihre schulische Arbeit erledigen wollen (vgl. ebd.).
Zwischen dem Unterricht gilt es den SuS in einer „tägliche[n] Bewegungszeit“ im Schulhof unter Aufsicht von Aufsichtspersonen, Zeit und Möglichkeiten zu bieten, ihren Bewegungsdrang ausleben zu können (ebd.). Zu den Möglichkeiten gehören neben der Schaffung von Bewegungsräumen, das Verfügen von angemessenen Geräte (z.B. verschiedene Bälle, Seile, Tennisschläger), Schulhofausstattungen (z.B. Rutschen, Schaukeln), bewegungsfreudiger Schulumgebung (z.B. Treppen, Mauern) und Alternativen für schlechte Wetterbedingungen (vgl. ebd., S. 99). Dabei soll freigestellt sein, auf welche Weise das Sichbewegen stattfindet. Die Ereignisse im Schulhof gehören ebenso zur Lernzeit, da SuS „grundlegend in ihrer Entwicklung gefördert, nicht zuletzt auch soziale Bedürfnisse erfüllt werden“ (ebd.). Dadurch erfolgt eine pädagogische Gestaltung des Schulhofs, der sie zu eigenen Aktivitäten einladen soll. Zeitgleich werden die Bewegungsräume zur freien außerschulischen Nutzung für die Umgebung geöffnet (vgl. ebd.).
Auch wenn die Bewegungserziehung über den Sportunterricht hinaus gefördert werden soll, ist seine Eingliederung im diesem ebenso unabdingbar. Da bei der Bewegungserziehung die Selbstständigkeit im Vordergrund steht, soll der Sportunterricht Raum für „freie Erfahrungsgelegenheiten“ schaffen, sodass nach dem Konzept der Freien Arbeit „Wunsch- oder Initiativstunden“ eingeführt werden (ebd.). In diesen nimmt die Lehrkraft eine beratende und betreuende Rolle ein, sodass SuS Inhalte und Aktivitäten selbst gestalten und die Lehrkraft beim Realisieren dieser aushilft. Der Sportunterricht gewinnt dadurch einen offenen Charakter, der die Selbstständigkeit der SuS schult und fördert. Zeitgleich verliert er mit der Zeit den belehrenden Charakter, der auf das notwendige Minimum reduziert wird (vgl. ebd., S. 100).
2.4 Grundschule als Raum für körperlich-sinnliches Lernen
Bisher wurde die Bewegungserziehung im Rahmen der Gestaltung von Hofpausen, vom Sportunterricht und von außerschulischen Aktivitäten erläutert. Des Weiteren befürwortet der G.e.V. die Eingliederung von Bewegung in den Fachunterricht der SuS. Hierbei wird Bewegung als ein Lernkanal mit dem „visuelle[n] und auditive[n] Aufnehmen und intellektuelle[n] Bewältigen von Aufgaben“ gleichgesetzt (ebd.). Der Körper und das Bewegen werden zu einem Werkzeug, der Lernzuwachs unterstützt und „praktisches Lernen“ ermöglicht (ebd.). Neben der Bewegung als Anspannung gilt es gleichermaßen den Umgang mit Entspannung einzuführen.
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1 Im Verlauf der Arbeit abgekürzt mit G.e.V.