Die vorliegende Arbeit ist in einen Theorie-Teil und einen Praxis-Teil gegliedert. Im Theorie-Teil werden das Verständnis eines handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts aufgezeigt, ein Überblick über handlungs- und produktionsorientierte Verfahren gegeben, seine Chancen und Möglichkeiten für schulisches Lernen sowie mögliche Nachteile untersucht und die Verknüpfung zu den Bildungsstandards dargelegt. Mit der Schilderung einer hierzu konzipierten Unterrichtseinheit zum Bilderbuch "Die Geschichte vom Löwen, der nicht kochen konnte" von Martin Baltscheit beginnt der Praxis-Teil, zu dem auch die genaue Schilderung einer Unterrichtsstunde dieser Einheit und deren Reflexion gehören. Abschließend werden die Untersuchungsergebnisse zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
Einführung
1. Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht innerhalb der Literaturdidaktik
1.1 Überblick handlungs- und produktionsorientierte Verfahren
1.1.1 Die visuellen Verfahren
1.1.2 Die schreibenden Verfahren
1.1.3 Die haptischen Verfahren
1.1.4 Die akustischen Verfahren
1.1.5 Die szenischen Verfahren
1.2 Chancen und Kritik
1.3 Verortung in Bildungsstandards und Kernlehrplan
2. Bilderbucheinsatz im Unterricht
2.1 Analyse des Bilderbuchs „Die Geschichte des Löwen, der nicht kochen konnte“
2.2 Verortung der Unterrichtseinheit im Kernlehrplan
2.3 Einordnung der Stunde in die Unterrichtsreihe
2.5 Didaktische Ausführung der Unterrichtsstunde
2.6 Weiterführende thematische Anknüpfungspunkte
Fazit
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang
Einführung
„Lies, um zu leben!“, lautet der Appell des französischen Schriftstellers Gustave Flaubert, der damit in einem einzigen Satz die Bedeutung und den überragenden Wert von Lesen und Literatur ausdrückte. Literatur ermöglicht es, in Vergangenes, Gegenwärtiges oder Zukünftiges, in Reales oder Fiktives einzutauchen, zu verstehen, zu reflektieren und zu revidieren. Lesen begleitet den Menschen bewusst sowie unbewusst jeden Tag und nahezu mit jedem Schritt und jeder Handlung. Damit ist Lesefähigkeit sowohl Erleichterung als auch Grundlage für das Leben in der heutigen menschlichen Gesellschaft. Infolgedessen wurde „Lesen – mit Texten und Medien umgehen“ als zentraler Bestandteil der Kompetenzbereiche des Faches Deutsch in den Bildungsstandards fest verankert. Darin wurde als Unterrichtsziel festgehalten, dass die Schülerinnen und Schüler1 erfahren, „dass Lesen eine Auseinandersetzung mit der Welt ermöglicht und Vergnügen bereiten kann“ (KMK, 2004, S.9). Erkenntnisse aus den IGLU-Studien 2016 lassen jedoch Zweifel daran aufkommen, dass diese Ziele im hohen Umfang erreicht werden. Die Untersuchung der Lesemotivation sowie des Lesens aus Vergnügen ergab, dass „fast jedes sechste Kind in der vierten Grundschulklasse […] eine niedrige Lesemotivation [hat]“ (IGLU, 2016, S.18) und Testerhebungen seit 2001 einen negativen Trend aufweisen. Diese Trendbewegung liegt unter anderem an der großen Leistungsspanne bezüglich der Lesefähigkeit der Schüler sowie den nicht ausreichend auftretenden Erfahrungen von Lesefreude in Verbindung mit Literatur. Im Gegensatz zu den geübten Lesern ist Lesen für die Leistungsschwächeren mit erheblich mehr Aufwand und Mühe verbunden. Fehlt dann noch ein vielfältiges Literaturangebot, um Interesse, Freude und Spaß zu wecken, so kann bereits in jungen Jahren eine Lesekrise ausgelöst werden, die das ganze Leben beeinflusst. Demzufolge muss es die Aufgabe des schulischen Literaturunterrichts sein, einen motivierenden und interessefördernden Umgang mit Literatur zu ermöglichen. In der schulischen Praxis ergeben sich in diesem Bereich Chancen durch den Einsatz von Bilderbüchern, da diese in allen Klassen der Grundschule gewinnbringend eingesetzt werden können. Zum einen bereiten Bilderbücher im Allgemeinen sehr viel Freude, zum anderen wecken sie die Neugier der Kinder auf andere Arten und Gattungen von Literatur. Zu einem guten und motivierenden Literaturunterricht gehört jedoch noch mehr als die passende Wahl des Literaturangebots. Viele Untersuchungen zu Hirnstrukturen, die für die Steuerung kognitiver Funktionen sowie die intellektuelle Leistungsfähigkeit verantwortlich sind, weisen auf die hohe Bedeutung sensorischer und motorischer Aktivitäten hin (vgl. Möller, 1987 & Spitzer, 2004). Insbesondere für Grundschüler, aber auch noch für ältere Schüler gilt, dass neue Lerninhalte „im effektiven Umgang leichter erlernt und verstanden [werden] als im reinen Gedankenexperiment“ (Aebli, 2006, S.195). Bilderbücher eignen sich aufgrund ihrer Verbindung von Schrift- und Bildlichkeit, der Kürze des Textes sowie den literarischen Leerstellen besonders gut für einen schaffenden, sensorischen Unterricht. Herbert Gudjons kritisierte 2008, dass Lehrkräfte im schulischen Unterricht heute immer noch „aus Büchern vergegenständlichte […] [Wissensinhalte] holen und als Erkenntnisse in begrifflicher Form vermitteln“ (S.51f.) und dabei ignorieren, dass Voraussetzung für das begriffliche Lernen das Beobachten, Nachdenken und (Nach-) Schaffen ist. Denn es gehört mehr dazu, als lediglich eine Liste sprachlicher Mittel auswendig zu lernen, um ein literarisches Werk zu verstehen. Angesichts der schon lange bestehenden Debatte zu Kriterien guten Literaturunterrichts untersucht die vorliegende Arbeit nun ein didaktisches Unterrichtskonzept eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts. Dieser verfolgt das übergeordnete Ziel, Kognition mit sinnhafter Erfahrung zu verknüpfen, um jedem Schüler seinen subjektiven, ganzheitlichen Zugang zur Literatur zu ermöglichen. Der produktive und handlungsorientierte Umgang mit Literatur wird in der folgenden Darstellung in seinen Zielen und Inhalten vorgestellt sowie nach seiner Effizienz in der Praxis untersucht. Dementsprechend ist die vorliegende Arbeit in einen Theorie-Teil und einen Praxis-Teil gegliedert. Im Theorie-Teil werden das Verständnis eines handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts aufgezeigt, ein Überblick über handlungs- und produktionsorientierte Verfahren gegeben, seine Chancen und Möglichkeiten für schulisches Lernen sowie mögliche Nachteile untersucht und die Verknüpfung zu den Bildungsstandards dargelegt. Mit der Schilderung einer hierzu konzipierten Unterrichtseinheit zum Bilderbuch „Die Geschichte vom Löwen, der nicht kochen konnte“ von Martin Baltscheit beginnt der Praxis-Teil, zu dem auch die genaue Schilderung einer Unterrichtsstunde dieser Einheit und deren Reflexion gehören. Abschließend werden die Untersuchungsergebnisse zusammengefasst.
1. Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht innerhalb der Literaturdidaktik
Die traditionelle Literaturdidaktik ist von einem normativ-statischen Dichtungsverständnis geprägt, das ein literarisches Werk als unverrückbar und vollkommen versteht. Ein dementsprechender Literaturunterricht beschränkt sich fast ausschließlich auf Lehrervorträge, fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräche, schriftliche Inhaltsangaben, Charakteristiken und Interpretationen. Anhand vorgegebener Kriterien sollen literarische Werke nach der Intention des Autors analysiert werden. Damit einhergehend entwickelt sich die sogenannte „Angst vor dem leeren Blatt“ (vgl. Kruse, 2000, S.21ff.), die Überforderung, sofort einen perfekten Text zu schaffen, und schlussendlich die Resignation, d.h. die Überzeugung, nicht gut im Fach Deutsch zu sein. Dies führt zu Demotivation, die sich zumeist auch in den Schulleistungen wiederspiegelt. Ein solch strikt analytischer Literaturunterricht erzieht Schüler zu „dressierten Lesern“ (vgl. Haas, 2013, S.39), ermöglicht analytisch schwächeren Schülern keinen Zugang zu Literatur und verhindert infolgedessen eine offene, unbefangene und aktive Begegnung von Leser und Text.
Piaget-Schüler Hans Aebli merkte an, dass „Denken […] aus dem Handeln [hervorgeht] und […] noch grundlegende Züge des Handelns, insbesondere seine Zielgerichtetheit und seine Konstruktivität, [trägt]“ (Aebli, 2001, S.26). Literatur soll nicht nur von der Lerngruppe behandelt werden, sondern die Schüler sollen ebenfalls mit Literatur handelnd tätig werden. D.h., dass, im Gegensatz zu einer rein rezipierenden Besprechung, eine selbst produzierende Reaktion auf literarische Texte im Mittelpunkt der Textvermittlung steht. Damit einhergehend entwickelt sich das Literaturverständnis weiter, sodass der Prozesscharakter eines literarischen Werkes ins Bewusstsein gerufen wird. Diese Verdeutlichung der Produziertheit von Texten leistet einen entscheidenden Beitrag für die Textanalysekompetenz der Schüler. Auf dieser Grundlage öffnet sich die Strenge des Literaturbegriffs zu etwas situativ Vielfältigem, etwas Offenem, einer Präsentation von „Spiel-Arten, die den Leser animieren“ (Frizen, 1996, S.28). Dadurch sollen eigenständige und motivierte Leser ausgebildet werden. Das übergeordnete Ziel, jeden Schüler einen subjektiven und ganzheitlichen Zugang zum Text finden und literarische Erfahrungen machen zu lassen, zeichnet das handlungs- und produktionsorientierte Konzept aus. Literatur soll durch aktives, selbstbestimmtes Handeln für jeden Schüler zugänglich werden, indem durch ein vielfältiges methodisches Angebot versucht wird allen Begabungstypen gerecht zu werden. Im Rahmen der Rezeptionsästhetik findet eine Orientierung weg vom Text und hin zum Leser statt. Untersuchungen zum Verhältnis von Leser und Text ergaben, dass der Leser ausschlaggebend am Sinnbildungsprozess beteiligt ist. Dabei nimmt der Leser in der Textrezeption eine aktive Rolle ein, indem er als „Co-Autor“ (ebd.) fungiert. Dadurch öffnet sich der Text einer Vielzahl von individuellen Interpretationen, die in Verbindung von Text und Lesererfahrungen alle ihre Berechtigung finden, soweit sie nicht im eindeutigen und klaren Widerspruch zur Textvorlage stehen. Eine Interpretation ist laut Schutte nicht viel mehr als die „Inszenierung der eigenen Leseerfahrung“ (1985, S.10), denn „[a] text can mean anything it has been understood to mean“ (Hirsch, 1976, S.75). Grundlage dafür bildet Isers Leerstellentheorie (vgl. Iser, 1970, S.15) mit ihrer Annahme, dass „jeder literarische Text sogenannte, Leerstellen‘ lässt, die von den Vorstellungen, Erfahrungen und Wünschen des Lesers konkretisiert werden müssen“ (Bismarck, 2014, S.24). Der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht ist somit ein methodischer Ansatz und „bezeichnet das schreibende, darstellende, gestalterische Reagieren auf Texte und andere mediale Symbolisierungsformen, das neben dem Interpretieren auch eine Umgestaltung und Ergänzung des Ausgangstextes bzw. -mediums umfasst“ (Bismarck, 2014, S.23). Ein häufig auftretendes Missverständnis im handlungs- und produktionsorientierten Ansatz ist die scheinbare Ablehnung analytisch-kognitiver Leseprozesse. Dies ist nicht der Fall, doch betont der handlungs- und produktionsorienierte Literaturunterricht gegenüber dem traditionellen die Bedeutung der Vorstellungsbildung für das Verständnis literarischer Texte. Das Einlassen auf einen Text im Rahmen eines Perspektivwechsels von der „Betrachterwarte in die Perspektive des Dabeiseins“ (Köppert, 1997, S.89) kann bei den Schülern nicht vorausgesetzt werden. Demnach ist es Aufgabe des Unterrichts, durch verschiedene handelnde und produktive Verfahren den Sinnbildungsprozess der Schüler zu unterstützen sowie sichtbar und diskutierbar zu machen. Der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht sieht den ersten Schritt bei der Arbeit mit Literatur im vorstellungsmäßigen Herantreten an den literarischen Text, an den sich analytische Prozesse in einem zweiten Schritt anschließen oder bereits aus den produktiven Verfahren entstehen. Dabei ist zu beachten, dass produktive Verfahren zum Text hinführen, sie demzufolge nicht angebracht sind, wenn eine Texterschließung bereits stattgefunden hat. Darin zeigt sich, dass handlungs- und produktionsorientierte Verfahren keinen Selbstzweck erfüllen, sondern nur ein Mittel sind, Texte besser zu verstehen. Insofern macht nicht die Ablehnung kognitiver Analyseprozesse in Verbindung mit der Literatur den handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht aus, sondern vielmehr das Ziel, Kognition und sinnhafte Erfahrungen miteinander zu verbinden (vgl. Bismarck, 2014, S.23).
1.1 Überblick handlungs- und produktionsorientierte Verfahren
Die Vielfalt an handlungs- und produktionsorientierten Verfahren ermöglicht es, Schülern aller Begabungstypen gerecht zu werden, gleichgültig, ob diese nun auditive, visuelle oder kinästhetische Lerner sind (kritisch dazu: Nolting, 2012, S.185). Aufgrund der Fülle an unterschiedlichen Verfahren sollen im Folgenden einige dieser Verfahren, in fünf Zugänge untergliedert, beispielhaft vorgestellt werden: die visuellen, haptischen, schreibenden, akustischen und szenischen Verfahren.
1.1.1 Die visuellen Verfahren
Ein grundlegender Wert der visuellen Verfahren beruht auf dem „frei wählbaren Gesamtangebot an Möglichkeiten, auf Texte zu reagieren“ (Haas, 2013, S.155). Da das intuitive Verständnis der Schüler zu Literatur weit größer ist als das, das sie tatsächlich in Worte fassen und erläutern können, bieten diese künstlerischen Verfahren auch Schülern ohne besondere poetische Formulierungsfähigkeiten eine Möglichkeit, einen individuellen Zugang zum Text zu finden. Durch ihre künstlerischen Äußerungen wird auf den literarischen Text eingegangen, Vorstellungen entwickelt und ihr sprachliches Wirkungsvermögen in Verbindung mit der Anschlusskommunikation geschult (vgl. Spinner, 1997, S.58f.). Ein Beispiel dieses breiten Angebots wäre das Umsetzen von Szenen und Figuren in Farben. Dabei wird jeder Farbe eine emotionale Qualität beigemessen und dies auf einen literarischen Text übertragen (vgl. Kretschmer, 2009, S.84). Dadurch können die in Erzählungen häufig ausgesparten Gedanken und Empfindungen farblich visualisiert (farbige Tücher, Wasserfarben, …) sinnlich erfahrbar und diskutierbar gemacht werden. Diese Illustrationen der Schüler unterstützen in ihrer Präsenz und Vergleichbarkeit die zentrale Anschlusskommunikation und stellen zudem eine anregende Basis für die weitere Beschäftigung mit der Geschichte dar. Eine weitere Möglichkeit im Darstellen charakteristischer Situationen innerhalb des literarischen Textes besteht im Erstellen einer Collage, die zudem unabhängig vom zeichnerischen Können der Schüler durch Ausschneiden und Zusammenfügen von Bildelementen aus Zeitungen etc. gestaltet werden kann (vgl. Kretschmer, 2009). Zudem besteht an dieser Stelle durch Einfügungen zentraler Gedanken und Aussagen der Charaktere in Sprechblasen die Möglichkeit einer Bild-Text-Collage, die sowohl inhaltliche als auch sprachliche Komponenten des literarischen Textes konkretisieren können. Durch eine gemeinsame Reflexion der Schülerwerke kann in der unterrichtlichen Praxis ein wichtiger Beitrag zur Ausbildung von Sinnverstehen und der Erschließung der Wirklichkeit geleistet werden (vgl. Kretschmer, 2009, S.26).
1.1.2 Die schreibenden Verfahren
Literarische Leerstellen fordern die Schüler zu vertieften Vorstellungsbildungen und Sinnbildungsprozessen heraus, deren Grundlage neben dem Verknüpfen eigener Erfahrungen mit dem literarischen Text die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme darstellt. Die zentrale Funktion schreibender Verfahren besteht hier im flexiblen Hineinversetzen in verschiedene Charaktere oder Handlungen und die damit verbundene intuitive Analyse der jeweiligen Person oder Situation, den Gedanken, Gefühlen und umgebenden Bedingungen. Durch das Verfassen von Tagebucheinträgen oder Monologen stehen die intrinsischen Handlungsantriebe, die Emotionen und Träume im Fokus der Betrachtung. Allgemein bieten Verfahren zum Wechsel von Textsorten, sei es nun das Umformen in Zeitungsartikel, Bericht, Gedicht, Brief oder SMS, eine Anknüpfung an Alltagserfahrungen. Literarische Texte werden von Schülern häufig als fremd und unzugänglich erfahren, während der Prozess des Textumformens diese Blockade überbrücken kann (vgl. Haas, 2013, S.164). Prinzipiell gilt, dass „jede Art von Eigenproduktion das Selbstbewusstsein stärkt und geeignet ist, einen Kontakt zum Text herzustellen“ (Haas, 2013, S.164). Ein weiteres beliebtes schreibendes Verfahren stellt das Verfassen von Vorgeschichten oder Fortsetzungen dar. Dafür müssen zentrale inhaltliche Elemente erfasst und weitergedacht werden. Ein solcher Prozess fördert die eigene Vorstellungsbildung und ermöglicht eine Verbindung von Literatur und Schreibunterricht. Zusätzlich bietet es sich für leistungsstarke Schüler an, charakteristische sprachliche Eigenschaften (Reimform, Rhythmus, …) im Text zu identifizieren, in ihrer Struktur zu erkennen und auf die eigene Textproduktion zu übertragen. Darin zeigt sich die Verknüpfung verschiedener Kompetenzbereiche, was einen integrativen Deutschunterricht ausmacht.
1.1.3 Die haptischen Verfahren
Haptische Verfahren zeichnen sich zumeist durch das Anstreben eines Endproduktes aus, das durch eine Unterrichtseinheit angefertigt werden soll. So ist ein Beispiel der haptischen Verfahren das Gestalten bzw. Nachbauen von Gegenständen oder Figuren aus einem literarischen Text. Die neu gewonnenen Lernerfahrungen der Kinder werden in einem Endprodukt sichtbar und bieten weitere Anregungen zur Reflexion. Eine besondere Möglichkeit stellt die Herstellung eines Karten- oder Würfelspiels dar, für das die Schüler die zentrale Textlehre umsetzen müssen. Dafür müssen zentrale Szeneninhalte verstanden werden. Das Legen von Bodenbildern zu Textstellen (z.B. durch farbige Tücher, konkrete Gegenstände, …) kann helfen, zentrale Textinhalte herauszufiltern und Wendepunkte der Handlung sichtbar zu machen. Dabei unterstützt es gleichwohl die visuellen Lerner und fungiert als Erinnerungs- und Gedächtnisstütze, die die zentralen Textelemente in der Anschlusskommunikation visuell hervorhebt.
1.1.4 Die akustischen Verfahren
Literatur und Musik weisen enge Zusammenhänge auf, die durch die akustischen Verfahren des Literaturunterrichts verknüpft werden können. Die Literatur als „Wortkunstwerk“ (Haas, 2013, S.185) steht in Beziehung zum Klang und zur Musik. Vortragsweisen können durch musikalisches Training, Rhythmusgefühl, Betonungen und Atmungsmethoden erprobt und einstudiert werden. Die akustischen Verfahren zeichnen sich vor allem durch zwei Formen aus. Zum einen gibt es die musikalische Untermalung eines literarischen Textes durch das Finden von atmosphärisch aussagemäßig paralleler Hintergrundmusik. Dabei muss die „Tonlage eines Textes“ (Kretschmer, 2009, S.182) mit seinen Stimmungen und inhaltlichen Elementen erkannt und in musikalische Elemente umgesetzt werden. Mögliche Anknüpfungspunkte wären das Aufnehmen eines Hörspiels (vgl. Haas, 2013, S.185) oder das Verfassen einer Traumreise, die die Schüler in eine zum Text passende Situation hineinführt. Diese akustischen Verfahren lassen Leseerfahrungen sinnlich wahrnehmbar werden. Eine zweite Variante der akustischen Verfahren besteht in der Übersetzung der zentralen Textaussage in einen Song. Durch diese Methode zeigt sich, wie man mit wenigen Wörtern viel auszudrücken vermag. Eine Grundvoraussetzung stellt das Herausarbeiten der Kernaussage des literarischen Textes dar. Es setzt das Einlassen auf den literarischen Text voraus.
1.1.5 Die szenischen Verfahren
Der Hintergedanke beim Einsatz szenischer Verfahren sind die Chancen einer szenischen Interpretation eines literarischen Textes, durch die die Leseerfahrung sichtbar und interpretierbar gemacht werden soll (vgl. Kretschmer, 2009, S.85). Die szenischen Verfahren eröffnen Möglichkeiten, sich in die Figuren einzufühlen, Handlungen an ihrer Stelle zu erproben und in ihrer Wirkung zu erfahren. Dabei bleibt der Text Bezugspunkt für die Verstehensversuche (vgl. Kretschmer, 2009, S.85). Die szenisch dargestellten Interpretationsversuche stellen die Basis für darauf aufbauende analytische Gespräche dar (vgl. Haas, 2013, S.111-115). Dabei verweist Ehlers (2011, S.193) auf die „spezifische Interpendenz von [Text] und Inszenierung“, die dem Schüler eine Doppelrolle zuspricht. Der Schüler ist einerseits der Leser und andererseits der Zuschauer, sodass sich zwei Wege der Interpretation ergeben und diskutiert werden können. Mögliche Inszenierungen des szenischen Spiels wären z.B. das Sprech-, Masken-, Stabpuppen- oder Schwarzlichtheater, die sich in dem „Verschleierungsgrad“ der darstellenden Schüler unterscheiden.
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1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf gegenderte Sprache verzichtet. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diverse Geschlechter mitzudenken sind.