In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie Hans überhaupt „unters Rad“ gekommen ist, wer dabei eine Rolle spielt und ob sich feststellen lässt, was letztendlich seinen Tod verursacht hat. Ein unglücklicher Selbstmord oder ein Unglück?
Hesse schafft mit Hans Giebenrath einen begabten Schüler, der auf dem Weg zum Erwachsen werden scheitert und durch die Anforderungen der Gesellschaft und der Schule zu Fall kommt. Der Titel „Unterm Rad“ lässt den Leser das tragische Ende schon zu Beginn erahnen. Die Wahl des Titels spielt auf das Motiv des „unters Rad Kommens“ an und bedeutet so viel wie „zugrunde gehen“. Der Tod von Hans Giebenrath spitzt die Kritik am Schulsystem und der Gesellschaft noch weiter zu. Die Geschichte erzählt ebenfalls den scheiternden Prozess der Selbstwerdung durch die Zwänge einer „spießigen irregeleiteten gesellschaftlichen Umwelt“. Der grundlegende dargestellte Gegensatz ist der, dass die Selbstbestimmung des Menschen, die Entfaltung nach seinen eigenen Vorstellungen gehemmt wird, durch die Erziehungsinstitutionen.
Am Ende lässt der Erzähler jedoch offen, ob es sich um ein Unglück oder einen Selbstmord handelt.
Inhalt
1. Einleitung
2. „Unterm Rad“ als Kritik am Schulsystem und der Gesellschaft
2.1 Die Lehrer
2.2 Der Vater Joseph Giebenrath
2.3 Die Freundschaft zu Hermann Heilner
3. Selbstmord oder Unglück?
4. Resümee
Literatur
1. Einleitung
„In der Geschichte und Gestalt des kleinen Hans Giebenrath, […], wollte ich die Krise jener Entwicklungsjahre darstellen und mich von der Erinnerung an sie befreien, […], spielte ich ein wenig den Ankläger und Kritiker jenen gegenüber , denen Giebenrath erliegt und denen ich selber beinahe erlegen wäre: der Schule, der Theologie, der Tradition und Autorität.“1 Hermann Hesse verarbeitet mit dieser Erzählung Geschehnisse, die er selbst erlebt hat. Der von ihm veröffentlichte Roman erlangte zu seiner Entstehungszeit bereits große Beliebtheit, welche bis heute anhält. Zu Hesses Lebzeiten spiegelte er die in der jüngeren Gesellschaft weit verbreitete, herrschende Unzufriedenheit wider. Die Jugend fordert vermehrt Selbstbestimmung und sieht dieses Anliegen in „Unterm Rad“ vertreten, „während seine einfache Sprache und unkomplizierte Gedankenführung die Identifikation erleichterte“2. Es handelt sich um einen fiktionalen Text, der das damalige Schulsystem und die Gesellschaft stark kritisiert.
Hesse schafft mit Hans Giebenrath einen begabten Schüler, der auf dem Weg zum Erwachsen werden scheitert und durch die Anforderungen der Gesellschaft und der Schule zu Fall kommt. Der Titel „Unterm Rad“ lässt den Leser das tragische Ende schon zu Beginn erahnen. Die Wahl des Titels spielt auf das Motiv des „unters Rad Kommens“ an und bedeutet so viel wie „zugrunde gehen“3. Der Tod von Hans Giebenrath spitzt die Kritik am Schulsystem und der Gesellschaft noch weiter zu. Die Geschichte erzählt ebenfalls den scheiternden Prozess der Selbstwerdung durch die Zwänge einer „spießigen irregeleiteten gesellschaftlichen Umwelt“4. Der grundlegende dargestellte Gegensatz ist der, dass die Selbstbestimmung des Menschen, die Entfaltung nach seinen eigenen Vorstellungen gehemmt wird, durch die Erziehungsinstitutionen.5
Am Ende lässt der Erzähler jedoch offen, ob es sich um ein Unglück oder einen Selbstmord handelt. In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie Hans überhaupt „unters Rad“ gekommen ist, wer dabei eine Rolle spielt und ob sich feststellen lässt, was letztendlich seinen Tod verursacht hat. Ein unglücklicher Selbstmord oder ein Unglück? Dazu soll zunächst auf die Rolle der Lehrer eingegangen werden. Anschließend soll der Vater Joseph Giebenrath und sein Verhältnis zu Hans, sowie seine Erziehung näher betrachtet werden. Hans‘ Studienfreund Hermann Heilner besitzt eine gegensätzliche Persönlichkeit im Vergleich zu Hans. Diese Freundschaft bringt eine Reihe von Problemen mit sich, die großen Einfluss auf das Schicksal von Hans haben. Deshalb wird diese Beziehung der beiden im Verlauf ebenfalls thematisiert werden.
2. „Unterm Rad“ als Kritik am Schulsystem und der Gesellschaft
2.1 Die Lehrer
Der Roman stellt seinen Lesern ein weitestgehend negatives Lehrerbild dar. Die Lehrer verkörpern die zur Zeit des Kaiserreichs wichtigen Tugenden, die von den Lernenden verlangt werden. Dazu zählen vor allem Fleiß, Ordnung, Pünktlichkeit und das oberste Ziel, sich eine möglichst große Menge an Wissen anzueignen.6 Um das Jahr 1900 befand sich das Deutsche Reich unter der Herrschaft von Kaiser Wilhelm II. Innen- und außenpolitisch dominierten Imperialismus und Nationalismus. Die Gesellschaft war innerlich zerrüttet und das politische System zeigte sich insbesondere als autoritäres Erziehungssystem.7
Hans Giebenrath, der aus einer kleinen Stadt im Schwarzwald stammt, ist der einzige Kandidat für das Landesexamen. Mit Hilfe eines Stipendiums soll ihm die Teilnahme an einem theologischen Seminar und anschließend die Absolvierung des Tübinger Stifts ermöglicht werden. Hans, der nur noch seinen Vater hat, wird von diesem und seinen Lehrern zu den besten Leistungen angetrieben. Er lernt ununterbrochen, wofür er Aktivitäten, die ihm Freude bereiten, nur noch selten erlebt. Die Auswirkungen auf seinen körperlichen Zustand, welcher von Übermüdung gezeichnet ist, wird von seinem Rektor als eine „Vergeistigung“8 abgetan. Bereits zu Beginn des Schulromans werden die Lehrkräfte als reine Wissensvermittler beschrieben, die weder ein Gespür für kindliche Befindlichkeiten aufweisen oder die Schüler als Individuen wahrnehmen. Der Rektor wird als „gefürchteter Herrscher“9 beschrieben. Hans steht kurz vor dem Examen unter hohem innerem und äußerem Druck, den er sich zu einem selbst macht, aber der auch von den hohen Erwartungen seitens des Vaters herrührt. Nachdem er das Landesexamen bestanden hat, kann er in den Ferien für kurze Zeit seinem alten Hobby, dem Angeln, nachgehen. Jedoch wollen ihn der Stadtpfarrer, der Rektor und der Mathematikprofessor auf das Studium vorbereiten, sodass Hans auch in den Ferien lernen muss. Zu diesem Zweck führt der Rektor ein Gespräch mit Hans, indem er erneut Druck auf ihn ausübt.10 „Hier in der Schule hast du es ja leicht gehabt, immer der Erste zu sein. Im Seminar findest du aber andere Kameraden, [..], die sich nicht so spielend überholen lassen. Du begreifst das?“.11 Hans verspricht sein Bestes zu geben, aber eine andere Wahl hat er natürlich kaum. Hesse schreibt, der Beruf des Lehrers besteht darin, „die rohen Kräfte und Begierden der Natur zu bändigen und auszurotten und an ihre Stelle stille, mäßige und staatlich anerkannte Ideale zu pflanzen“12. So zeigt sich bei Hans bereits ein schlechtes Gewissen, wenn er sich eine Stunde mal nicht dem Lernen widmet. Kurz vor Beginn seines Studiums leidet er bereits unter einem schlechten Gesundheitszustand, der sich durch starke Kopfschmerzen äußert.13
Als Hans schließlich mit seinem Vater im Zisterzienserkloster Maulbronn eintrifft, wird er mit neun weiteren Knaben der Stube „Hellas“14 zugeteilt. Vom Ehrgeiz getrieben will er auch dort zu den Besten gehören. Nach einiger Zeit freundet er sich mit seinem Stubengenossen Hermann Heilner an, dessen Einstellungen sich von denen Hans‘ unterscheiden. Heilner ist ein Freigeist und nimmt das Lernen bei weitem nicht so ernst, wie Hans Giebenrath. Obwohl Hans Stunden für das Lernen opfern muss, ist er froh einen Freund gefunden zu haben. Die Lehrer sehen diese Freundschaft zwischen dem „leichtsinnigen“15 Hermann und dem „gewissenhaften“16 Hans nicht gern und versuchen die Freundschaft zu unterbinden. Zwischenzeitlich stirbt ein Stubengenosse der beiden und man erwartet das Bestürzen der Lehrer, doch nur für einen „Augenblick“17 werden sie „vom Wert und von der Unwiederbringlichkeit jedes Lebens und jeder Jugend überzeugt, an denen sie sich sonst so häufig sorglos versündigen“18. Hans Giebenrath verändert sich durch die Freundschaft zu Hermann Heilner. Die Lehrer bemerken, wie ihr einstiger tadelloser Schüler auf die schiefe Bahn gerät und machen dafür Heilner verantwortlich.19 An ihm „wird ein Exempel statuiert, indem mit ihm einer, der sich nicht einordnet, strengstens bestraft und von der Schule verwiesen wird“20. Hesse beschreibt die Lehrer als unfähig, sich auf die Individualität der Schüler einzulassen, denn sie wollen sie so formen, dass aus ihnen „gute Lateiner, Rechner und Biedermänner“21 werden. Wenn ein Schüler demnach von der Norm abweicht, wie es Hermann Heilner in ihren Augen tut, dann sind die Lehrer damit überfordert, denn ein „Schulmeister hat lieber einige Esel als ein Genie in seiner Klasse [..]“22. Die Schüler, die von der Norm abweichen versuchen die Lehrer „an der Wurzel zu knicken“23, manche schaffen es der Schule zum Trotz und andere „verzehren sich dem stillen Trotz und gehen unter“24.
In diesem Zusammenhang beschreibt Hesse auch den Lehrer als eine Person, die gequält wird: „Wer aber mehr und Schweres vom anderen leidet, der Lehrer vom Knaben oder umgekehrt, [..], das kann man nicht untersuchen [..]“.25 In „Unterm Rad“ wird der Lehrer jedoch überwiegend als der Quälende dargestellt, der sich als Sturkopf erweist und alles, was von seinem vorgesehenen Weg abweicht, nicht toleriert.26 So profiliert sich auch der Ephorus, der es nicht ertragen konnte, seine „Macht und Autorität nur im geringsten bezweifelt zu sehen“27, Irrtümer einzugestehen oder Widersprüche zuzulassen. Als der Ephorus noch vor der Entlassung von Hermann Heilner das Gespräch zu Hans Giebenrath sucht, da sich sein Gesundheitszustand stark verschlechtert hat, schlüpft er in die Rolle des „väterlichen Freundes mit aufmunterndem Blick und gerührtem Ton“28. Er will Hans davon überzeugen, dass er zu seinen alten Leistungen zurückkehrt, als er der „beste Hebräer“ und „fleißiger“ war29. Nach den Worten des Ephorus gehört Hans bereits zur Wissenselite, welcher Heilner nie angehören wird, weil er nichts dafür tut. Er stempelt Heilner als Taugenichts ab, der keinen guten Einfluss auf Hans ausübt.30 Jedoch zeigt er sehr schnell sein wahres Gesicht, als seine Methode keine Wirkung zu zeigen scheint und Hans sich nicht darauf einlässt die Freundschaft zu Hermann Heilner zu beenden. Von zentraler Bedeutung ist jedoch die Aussage von Ephorus: „Nur nicht matt werden, sonst kommt man unters Rad“.31 Der Titel des Buches verrät dem Leser an dieser Stelle allerdings schon, dass Hans „unter das Rad“ gekommen ist. Dennoch werden zwei verschiedene Auffassungen deutlich. Für den Lehrer bedeutet „unter das Rad“ zu kommen, in der Schule zu versagen. Hesse meint damit jedoch, dass Hans gerade durch die Schule versagt. Dass er durch die hohen Anforderungen, den Druck und seinem eigenen Ehrgeiz „unter das Rad“ gerät.32
Kurze Zeit nachdem Heilner fortgegangen ist, versucht Hans noch die Leistungsanforderungen zu erfüllen, doch es gelingt ihm nicht. Der einzige Lehrer, der Mitleid erkennen lässt, ist ein „junger, freundlicher Lehrer [..], der den aus der Bahn gekommenen Knaben mit einer mitleidigen Schonung behandelte“33. Die anderen Lehrer bringen kein Verständnis für Hans‘ Situation auf und versuchen ihn zu neuem Ehrgeiz anzuspornen. Besonders Ephorus, sowie Hesse beschreibt „war außer sich, wenn Giebenrath seinem majestätischen drohenden Augenrollen immer wieder sein demütig ergebenes Lächeln entgegenhielt, das ihn allmählich nervös machte“34.
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1 Martin Pfeifer (Hg.): Hesse-Kommentar zu sämtlichen Werken.München: Winkler 1980, S. 90, im Weiteren als Pfiefer (1980).
2 Helga Esselbron-Krumbiegel: Hermann Hesse. Demian / Unterm Rad. Hg. Von Bernhard Sowinski, Reinhard Meurer. München: Oldenbourg 1989 (=Oldenbourg Interpretationen 39), S. 67, im Weiteren als Esselborn-Krumbiegel (1989).
3 Pfeifer (1980), S. 91.
4 Esselborn-Krumbiegel (1989), S. 80.
5 Vgl. ebd., S. 81.
6 Vgl. Lange, A. / Melches, A.: Vorurteile gegenüber der Lehrkraft im Roman: Unterm (Hermann Hesse) und Der Club der toten Dichter (N.H. Kleinbaum). In: Hans-Ulrich Grunder (Hg.): „Der Kerl ist verrückt!“. Das Bild des Lehrers und der Lehrerin in der Literatur und Pädagogik . Zürich: Pestalozzianum 1999, S. 17, im Weiteren als Lange / Melches (1999).
7 Vgl. Maria-Felicitas Herforth: Textanalyse und Interpretation zu Hermann Hesse. Unterm Rad. 4. Aufl. Hollfeld: Bange 2018, S. 12f, im Weiteren als Herforth (2018).
8 Vgl. Hermann Hesse: Unterm Rad. 56. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2018, S. 10f, im Weiteren Hesse (2018).
9 Hesse (2018), S.11.
10 Vgl. ebd., S. 47f.
11 Ebd., S. 48.
12 Ebd., S. 46.
13 Vgl. ebd., S. 46-52.
14 Herforth (2018), S. 21.
15 Ebd., S. 22.
16 Ebd., S.22.
17 Hesse (2018), S.85.
18 Ebd., S. 85.
19 Vgl. Herforth (2018), 23.
20 Lange / Melches (1999), S. 19.
21 Lange /Melches (1999), S. 17f.
22 Hesse (2018), S. 90.
23 Ebd., S. 91.
24 Ebd., S. 91.
25 Ebd., S. 90.
26 Vgl. Lange / Melches (1999), S. 19.
27 Hesse (2018), S. 91.
28 Ebd., S. 91.
29 Ebd., S. 92.
30 Vgl. Lange / Melches (1999), S. 20.
31 Hesse (2018), S. 93.
32 Vgl. Georg Patzer: Hermann Hesse Unterm Rad. Reclam Lektüreschlüssel. Ditzingen: Reclam 2004, S.45, im Weiteren Patzer (2004).
33 Hesse (2018), S. 108.
34 Ebd., S. 108.