Diese Arbeit beschäftigt sich mit Clemens Brentanos "Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl" und handelt von der Entfremdung und Krise des Autors, welche ihn in die Isolation und in den Ausschluss aus der Gesellschaft drängen.
Clemens Brentano, ein Vertreter der Heidelberger Romantik, verschriftliche in dem 1817 publizierten Werk "Die Geschichte des braven Kasperls und dem schönen Annerl" seine eigene Krise, die sich in der Darstellung des Ich-Erzählers niederschlägt.
Im Hinblick auf die Problematik erscheint in der Stadt die alte Bäuerin aus dem ländlichen Gebiet, und weckt das Interesse des Ich-Erzählers: Isolation und Entfremdung stehen Religion und Gottvertrauen gegenüber. Wie die Entfremdung des Ich-Erzählers dargestellt wird, und inwiefern das dargestellte Volk dem Individuum aus seiner Isolation helfen kann, soll in dieser Hausarbeit analysiert werden.
Um herauszuarbeiten, wie die Entfremdung des Ich-Erzählers dargestellt wird, und inwiefern die alte Bäuerin als Repräsentantin des Volkes Hilfe leisten kann, wird die Textstelle der ersten Begegnung des Ich-Erzählers und der alten Bäuerin analysiert. Dabei wird das Verhältnis zu seinen Mitmenschen erläutert, aber auch das zu der Bäuerin selbst. Der Kontrast zwischen dem Ich-Erzähler und der alten Bäuerin gibt Aufschluss darüber, inwiefern er sich von seiner Umwelt differenziert, und macht anhand der alten Frau seine Sehnsüchte und Begierden deutlich.
Die alte Bäuerin macht dem Ich-Erzähler bewusst, woran es ihm mangelt, wobei die Krise des Autors thematisiert wird. Zudem soll erläutert werden, inwiefern die alte Bäuerin das Volk repräsentiert, und inwieweit sie die Perspektiven des Ich-Erzählers erweitert. In einer weiteren Textstelle wird auf den Schreiber-Komplex eingegangen, der veranschaulicht, welche Stellung der Schriftstellerberuf in der Gesellschaft einnimmt, was zu der Entfremdung des Ich-Erzählers beiträgt.
In einer Gesellschaft, in der er nicht anerkannt wird und sich verstecken muss, kann er nicht sein volles Potenzial ausleben, und fühlt sich dementsprechend der Gesellschaft nicht zugehörig. In Bezug auf das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, das sich zwischen dem Ich-Erzähler und der alten Bäuerin abzeichnet, soll auf die Bedeutung der Bittschrift eingegangen werden, und weshalb damit Einheit erzeugt werden kann. Schließlich werden in einem Fazit die wichtigsten Ergebnisse rekapituliert, und es werden weitere Forschungsanstöße gegeben.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Zerstreuung des Individuums und die Einheit des Volkes
2.1 Der Einfluss der alten Bäuerin auf den entfremdeten Ich-Erzähler
2.2 Die Reflexion über die Profession des Schriftstellers
3. Schluss
4. Bibliografie
1. Einleitung
«Die Romantik hatte die tieferen Regionen des Seelenlebens erschlossen»1
Clemens Brentano, ein Vertreter der Heidelberger Romantik,2 verschriftliche in dem 1817 publizierten Werk Die Geschichte des braven Kasperls und dem schönen Annerl seine eigene Krise,3 die sich in der Darstellung des Ich-Erzählers niederschlägt. Er ist von Entfremdung und von der Krise des Autors geprägt, welche ihn in die Isolation und in den Ausschluss aus der Gesellschaft drängen. Im Hinblick auf diese Problematik erscheint in der Stadt die alte Bäuerin aus dem ländlichen Gebiet, und weckt das Interesse des Ich-Erzählers: Isolation und Entfremdung stehen Religion und Gottvertrauen gegenüber. Wie die Entfremdung des Ich-Erzählers dargestellt wird, und inwiefern das dargestellte Volk dem Individuum aus seiner Isolation helfen kann, soll in dieser Hausarbeit analysiert werden.
Um herauszuarbeiten, wie die Entfremdung des Ich-Erzählers dargestellt wird, und inwiefern die alte Bäuerin als Repräsentantin des Volkes Hilfe leisten kann, wird die Textstelle der ersten Begegnung des Ich-Erzählers und der alten Bäuerin analysiert (S. 3—10).4 Dabei wird das Verhältnis zu seinen Mitmenschen erläutert, aber auch das zu der Bäuerin selbst. Der Kontrast zwischen dem Ich-Erzähler und der alten Bäuerin gibt Aufschluss darüber, inwiefern er sich von seiner Umwelt differenziert, und macht anhand der alten Frau seine Sehnsüchte und Begierden deutlich. Die alte Bäuerin macht dem Ich-Erzähler bewusst, woran es ihm mangelt, wobei die Krise des Autors thematisiert wird. Zudem soll erläutert werden, inwiefern die alte Bäuerin das Volk repräsentiert, und inwieweit sie die Perspektiven des Ich-Erzählers erweitert. In einer weiteren Textstelle wird auf den Schreiber-Komplex eingegangen (S. 12—16), der veranschaulicht, welche Stellung der Schriftstellerberuf in der Gesellschaft einnimmt, was zu der Entfremdung des Ich-Erzählers beiträgt. In einer Gesellschaft, in der er nicht anerkannt wird und sich verstecken muss, kann er nicht sein volles Potenzial ausleben, und fühlt sich dementsprechend der Gesellschaft nicht zugehörig. In Bezug auf das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, das sich zwischen dem Ich-Erzähler und der alten Bäuerin abzeichnet, soll auf die Bedeutung der Bittschrift eingegangen werden, und weshalb damit Einheit erzeugt werden kann. Schließlich werden in einem Fazit die wichtigsten Ergebnisse rekapituliert, und es werden weitere Forschungsanstöße gegeben.
2. Die Zerstreuung des Individuums und die Einheit des Volkes
2.1 Der Einfluss der alten Bäuerin auf den entfremdeten Ich-Erzähler
Der Ich-Erzähler eröffnet die extradiegetische Ebene der Geschichte, wobei bereits in der ersten Textpassage auf sprachlicher Ebene eine Trennung stattfindet: Zunächst geschieht eine personelle Trennung durch die Gegenüberstellung von «ich» (S. 3, Z. 5) und «eine[m] Trupp von allerlei Gesellen» (S. 3, Z. 6f.), aber auch eine räumliche Trennung wird vorgenommen, indem sein Weg «nach Hause» (S. 3, Z. 5) dem «großen Gebäude[…]» (S. 3, Z. 6) entgegengesetzt wird. Auf diese Weise wird der Ich-Erzähler bereits zu Anfang der Novelle von den anderen Personen auf personeller, aber auch auf räumlicher Ebene separiert dargestellt.
Die erste Entfremdung finde zwischen dem Ich-Erzähler und der Gruppe von Gesellen statt.5 Durch diese Gruppe, die sich um die alte Bäuerin versammelt, wird der Ich-Erzähler auf die alte Frau aufmerksam, womit sie in die Geschichte eingeführt wird. Der Ich-Erzähler nähert sich dem Kreis der Menschen, weil er sich um ein «Unglück» (S. 3, Z. 9) bekümmert. Durch diese Koinzidenz entwickele sich die Geschichte der Novelle, und die Vorbereitung der Lösung des Problems beginne.6 Unter den Gesellen tritt der Ich-Erzähler zuerst als Entfremdeter auf, da er nichts von der Situation weiß, und aufgeklärt werden muss. Diese Gruppe repräsentiere die «bewusstlose Modernität»,7 die sich durch ihre Unreflektiertheit auszeichne.8 Sie würden sich das Verhalten der alten Bäuerin durch die Zunahme von Alkohol erklären, und würden ihr eine Unzurechnungsfähigkeit zuschreiben: «sie muss wohl betrunken sein. – Ich glaube, sie ist blödsinnig» (S. 4, Z. 5f.), wobei dies die Art der Erklärung fremdartigen Verhaltens sei, die die bewusstlose Modernität verwenden könne.9 Der Ich-Erzähler hebt sich von den derart charakterisierten Gesellen ab, da er sich im Gegensatz zu ihnen eines Urteils enthält, und sich ein eigenes Bild von der alten Bäuerin macht. Dieses Bild zeichnet sich nicht als «verwirrt, […] betrunken [oder] blödsinnig» (S. 4, Z. 5f.) ab, sondern er ist fasziniert davon, wie sie sich nicht um die anderen bekümmert, sich zur Nachtruhe vorbereitet und «auf keine Frage Antwort» (S. 3, Z. 22) gibt. Im Gegensatz zu den Gesellen kann der Ich-Erzähler die alte Bäuerin tatkräftig unterstützen, was daran zu erkennen ist, dass er im Laufe der Erzählung in die Geschichte eingreift, und die zweite Binnengeschichte des Annerls zu Ende führt; jedoch sind die Gesellen nicht imstande, Hilfe zu leisten: «Ich wollte sie führen, sagte einer, aber es ist ein weiter Weg und ich habe meinen Hausschlüssel nicht bei mir.» (S. 3, Z. 28—30)
Nicht nur bezüglich der Gesellen, mit denen sich der Ich-Erzähler seinen Wohnort teilt, findet die Entfremdung statt, sondern auch zu der alten Bäuerin, die aus einem anderen Ort abstammt, werden Kontraste gesetzt: «so lebhaft die Gesellen sich um sie bekümmerten, so wenig ließ sie sich von den neugierigen Fragen und gutmütigen Vorschlägen derselben stören.» (S. 3, Z. 12—14) Der Ich-Erzähler beschreibt das Verhalten der alten Frau auf eine Weise, die sich in Bewunderung ausdrückt: «Es hatte etwas sehr Befremdendes, ja schier Großes, wie die gute alte Frau so sehr wusste, was sie wollte» (S. 3, Z. 14—16). Dadurch differenziert sich der Ich-Erzähler sprachlich von der alten Bäuerin, weil er ihr Verhalten ebenfalls als fremdartig einstuft, da sie im Gegensatz zu ihm das macht, was sie möchte, ohne sich um ihre Außenwelt zu bekümmern. Die Bäuerin zeige eine Welt auf, die sich von den in der Stadt Lebenden unterscheide, was zum einen durch ihr eigentümliches Verhalten geschehe, aber zum anderen auch durch ihre Provenienz aus dem Land. Diese Welt sei den Städtern unbekannt, weshalb der Ich-Erzähler derartige Bewunderung gegenüber der alten Bäuerin ausdrücke, da er diese Ruhe aus dem Leben in der Stadt nicht kenne.10 So wird auch ein Kontrast zwischen Stadt und Land gesetzt, indem berichtet wird, dass die alte Bäuerin vom Land komme, und sich nicht in der Stadt auskenne (vgl. S. 3, Z. 26). Damit steht das städtische Volk dem ländlichen Volk gegenüber, wobei letzteres in einer Minderheit dargestellt wird. Die vielen Gesellen, die dem städtischen Volk angehören, aber auch der Ich-Erzähler, der zwar im Milieu des städtischen Volkes lebt, aber sich dort nicht persönlich entfalten kann, werden mit einer Vertreterin des ländlichen Volkes konfrontiert, die von anderen Glaubensmustern geprägt ist, wobei vor allem die Religion und der Volksaberglaube eine wichtige Rolle spielen. Diese Fremdartigkeit wird von den Gesellen unter anderem als orientierungslos aufgenommen: «sie kann nicht weiter, […] sie hat Befreundete am andern Ende der Stadt und kann nicht hinfinden.» (S. 3, Z. 25—28), aber im Gegensatz zu den Gesellen bewahrt sie trotz ihrer Orientierungslosigkeit Ruhe. Diese Ruhe bildet einen weiteren Kontrast zum Ich-Erzähler, der einer inneren Orientierungslosigkeit unterliegt, aber dabei keine Ruhe finden kann (vgl. S. 3, Z. 12—16), was auch seiner Umgebung geschuldet sei.11 Somit findet die Entfremdung nicht nur zwischen dem Ich-Erzähler und den anderen Gesellen statt, sondern auch zwischen ihm und der alten Bäuerin, und zeigt damit, dass er keinem Volk wirklich teilhaftig ist: Nicht dem städtischen, aber auch nicht dem ländlichen Volk.
[...]
1 Horwarth, Über den Fatalismus, S. 25.
2 Vgl. Peter, Zur Identität des Volkes, S. 15.
3 Vgl. Neumann, Autorschaft, S. 234f.
4 Alle weiteren Literaturangaben im Fließtext beziehen sich auf: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Gerhard Schaub (Hg.): Durchgesehene und um Anmerkungen ergänzte Ausgabe, Stuttgart 2003.
5 Vgl. ebd., S. 85.
6 Vgl. Plonien, Krise „ästhetischer Subjektivität“, S. 84.
7 Ebd.
8 Vgl. ebd.
9 Vgl. ebd.
10 Vgl. Peter, Zur Identität des Volkes, S. 13f.
11 Vgl. ebd., S. 16.