Durch welche konkreten Aspekte beeinflusst die politische Kultur Großbritanniens die schottische Frage über den Verbleib Schottlands innerhalb des Vereinigten Königreichs? Und welche weiteren Faktoren begünstigen den gesellschaftlichen Wunsch Schottlands nach Unabhängigkeit?
Der These des Soziologen Oscar Gabriel zufolge liegt der klassischen politischen Kulturforschung die zentrale Hypothese zugrunde, die Stabilität eines politischen Systems sei abhängig von der Kompatibilität zwischen politischer Kultur und politischer Struktur. Politische Kultur als Schnittstelle zwischen Politik und Kultur bezieht sich auf die politische Lebenspraxis der Staatsbürger*innen innerhalb der jeweiligen Gesellschaft. Je positiver diese die der Gesellschaft zugrunde liegende politische Struktur bewerte, desto stabiler dessen gesamtes politisches System. Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, diese Annahme anhand des konkreten Beispiels Großbritanniens zu prüfen, ausgehend von der Frage, wie sich die politische Kultur Großbritanniens auf die schottische Frage hinsichtlich der territorialen Zukunft des Landes auswirkt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Politische Kultur
3. Großbritannien und Schottland
3.1 Politische Kultur in Großbritannien
3.2 Die Schottische Frage
3.3 Einflussfaktoren
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Wenn die politische Kultur und die politische Struktur zueinander passen, dann ist ein politisches System stabil.“1
Dieser These des Soziologen Oscar W. Gabriel zufolge, liegt der klassischen politischen Kulturforschung die zentrale Hypothese zugrunde, die Stabilität eines politischen Systems sei abhängig von der Kompatibilität zwischen politischer Kultur und politischer Struktur. Politische Kultur als Schnittstelle zwischen Politik und Kultur bezieht sich auf die politische Lebenspraxis der Staatsbürger*innen innerhalb der jeweiligen Gesellschaft. Je positiver diese die der Gesellschaft zugrunde liegende politische Struktur bewerte, desto stabiler dessen gesamtes politisches System.
Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, diese Annahme anhand des konkreten Beispiels Großbritanniens zu prüfen, ausgehend von der Frage, wie sich die politische Kultur Großbritanniens auf die schottische Frage hinsichtlich der territorialen Zukunft des Landes auswirkt. Dabei stehen folgende Fragestellungen für die vorliegende Arbeit im Zentrun: Durch welche konkreten Aspekte beeinflusst die politische Kultur Großbritanniens die schottische Frage über den Verbleib Schottlands innerhalb des Vereinigten Königreichs? Und welche weiteren Faktoren begünstigen den gesellschaftlichen Wunsch Schottlands nach Unabhängigkeit? Für eine umfassende Erörterung dieser Fragen ergibt sich folgende Gliederung: Der erste Teil liefert das theoretische Fundament und setzt sich mit dem Konzept der politischen Kultur auseinander. Wie wird dieser Terminus innerhalb der Kulturforschung heutzutage definiert und welche Kritik kann an diesem Konzept geübt werden? Das anschließende Kapitel der Analyse knüpft an die theoretischen Erkenntnisse an und setzt sich mit der Beziehung zwischen Großbritannien und Schottland auseinander. Dazu werden zunächst in Kapitel 3.1 ausgewählte Aspekte der politischen Kultur Großbritanniens dargestellt, daran anschließend die schottische Frage erörtert und schließlich wird diskutiert, inwiefern die politische Kultur Großbritanniens sowie weitere Einflussfaktoren den schottischen Wunsch des Unabhängigwerdens begünstigen. In einem Fazit werden die wichtigsten Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst.
2. Politische Kultur
Das folgende Kapitel liefert das theoretische Fundament der Arbeit. Es stellt die wichtigsten Erkenntnisse aus der politischen Kulturforschung dar und erörtert, welche Hauptmerkmale dem Konzept der politischen Kultur zu Grunde liegen. Was bedeutet politische Kultur ? Wie wird das Konzept in der einschlägigen Literatur verstanden und welche Kritik kann an diesem geäußert werden?
Geprägt durch eine vergleichende Studie ausgewählter politischer Systeme (USA, Großbritannien, Deutschland, Italien, Mexiko) hinsichtlich des Verhältnisses von politischer Kultur und politischer Stabilität, durchgeführt von den Politologen Gabriel A. Almond und Sidney Verba in den 1960er Jahren, erhielt das Konzept der politischen Kultur Einzug in den Kanon des politikwissenschaftlichen Fachbereichs. Almond und Verba verstehen unter politisch Prozesse des inputs, also das Einfließen von Forderungen aus einer Gesellschaft in das Gemeinwesen sowie die Umsetzung dieser Forderungen in eine verbindliche Politik.2 Kultur sei eine psychologische Orientierung in Richtung sozialer Objekte. Unter Orientierungen verstehen die beiden Politologen die verinnerlichten Aspekte von Objekten und Beziehungen, die a.) auf kognitiver Ebene (z.B. Kenntnisse über und Glaube an ein bestimmtes politisches System), b.) emotionaler Ebene (z.B. Gefühle über politische Systeme) und c.) evaluativer Ebene (z.B. Urteile und Meinungen über politische Objekte) stattfinden.3 Sie bezeichnen deshalb eine politische Kultur als ein Set aus politischen Orientierungen in Bezug auf soziale Objekte und Prozesse.4 Anknüpfend an diese Ausführungen wird für Karl Rohe das Konzept der politischen Kultur zur Schnittstelle zwischen dem Politischen und Kultur.5 Für ihn ist das Konzept der politischen Kultur das politisch relevante „Weltbild“ einer Gruppe, welches den entsprechenden sozialen Trägern*innen nicht bewusst ist, „weil die in dem Weltbild enthaltenen Grundannahmen über die Wirklichkeit als ‚natürlich‘ und ‚selbstverständlich‘ empfunden werden“6. Politische Kultur ist also ein „mit Sinnbezügen gefüllter Rahmen“7, innerhalb dessen sich interessensgeleitete politische Lebenspraxis vollziehe. Somit ist politische Kultur immer auch charakterisiert durch ihre Grenzen, die ihr das nötige Gerüst verleihen, um sich von anderen sinnstiftenden Strukturen zu unterscheiden und das politische Verhalten kalkulierbarer zu machen.8 Susanne und Gert Pickel betonen, die politische Kultur treffe keine Aussagen über das Verhalten von einzelnen Individuen, sondern untersuche ihre Einstellungen und Werte gegenüber der vorherrschenden Politik und dem politischen System.9 Gabriel bestätigt, die Zusammenfassung aller individuellen politischen Einstellungen gegenüber bestimmten Objekten ergeben die politische Kultur des Kollektivs.10 Forschungsgegenstand ist somit die Makroebene eines politischen Systems, das durch die Analyse seiner Mikroebene in seinen Wirkmechanismen transparent gemacht wird.
Das Konzept der politischen Kultur ermöglicht es also auf Grundlage dieser empirischen Ergebnisse Hypothesen über die Beziehungen verschiedener Komponenten einer politischen Kultur aufzustellen. Pickel und Pickel erklären, Ziel des Theorieansatzes sei es, komplexe gesellschaftliche Phänomene durch generelle Gegebenheiten allgemeingültig zu beschreiben.11 Dabei gehe es bei dem empirischen Forschungsansatz vor allem darum, Erklärungen für und Prognosen über die Stabilität eines politischen Systems zu treffen.12 Stabilitätsgebend für eine politische Kultur sind dabei gewisse Übereinstimmungen zwischen politischer Struktur und politischer Orientierung innerhalb derselben Gruppe. Weichen beide Faktoren zu stark voneinander ab, so könne dies zu einer Legitimitäts- und Stabilitätskrise innerhalb des politischen Systems führen, so Greiffenhagen.13
Rohe kritisiert das Konzept der politischen Kultur als wenig greifbar, da jede/r Wissenschaftler/in in der Forschung von einem anderen Kulturverständnis ausgehe.14 Pickel und Pickel bestätigen, der Begriff der politischen Kultur werde zu allumfassend genutzt, weshalb zusätzlich zum unterschiedlichen Kulturverständnis keine präzise Definition des Konzeptes möglich sei.15 Gabriel kritisiert außerdem, innerhalb der politischen Kulturforschung sei unklar, welche konkreten Eigenschaften eine demokratische politische Kultur ausmachen und wie weit diese Eigenschaften verbreitet sein müssen, damit von einer Kongruenz zwischen politischer Kultur und politischer Struktur gesprochen werden könne.16 Pickel und Pickel ergänzen, Anhänger*innen des rational choice Ansatzes kritisieren, die Relevanz des Einflusses kultureller Faktoren auf politische Prozesse werde überbewertet.17 Innerhalb der Kulturforschung selber werden sowohl die Methodik als auch der verkürzte Kulturbegriff generell kritisiert, welcher als Grundlage für die politische Kulturforschung genutzt wird.18
Trotz dieser Kritik der mangelnden Präzisionsmöglichkeit kann das Konzept der politischen Kultur im Hinblick auf die vorherigen Ausführungen als eine auf das Kollektiv bezogene, mit Sinnbezügen gefüllte Struktur verstanden werden, die sich inhaltlich auf das politisch relevante Weltbild der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe bezieht. Dabei wird die interessensgeleitete politische Lebenspraxis eng verknüpft mit den der Gemeinschaft zugrunde liegenden Werten und Normen. Je höher dabei die Übereinstimmung dieser beiden Faktoren ist, desto stabiler wird der gesellschaftliche Handlungsrahmen, innerhalb dessen die Gesellschaft agiert. Basierend auf diesen theoretischen Grundannahmen werden diese nun auf das konkrete Beispiel der politischen Kultur Großbritanniens angewendet. Dabei steht die Frage im Zentrum der Untersuchung, durch welche Merkmale sich die politische Kultur Großbritanniens besonders stark kennzeichnet.
[...]
1 Vgl. Gabriel, Oscar W.: Politische Kultur, in: Kaina, Viktoria / Römmele, Andrea (Hrsg.): Politische Soziologie. Ein Studienbuch, Wiesbaden 2009, S. 17-51, S. 21.
2 Vgl. Almond, Gabriel A. / Verba, Sidney: The Civic Culture. Political attitudes and democracy in five nations, Princeton 1963, S. 15.
3 Vgl. ebd. S. 14 f.
4 Vgl. ebd., S. 13.
5 Vgl. Rohe, Karl: Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift, Jg. 250 (1990) 2, S. 321-346, S. 346.
6 Ebd. S. 333.
7 Ebd.
8 Vgl. ebd.
9 Vgl. Pickel, Susanne / Pickel, Gert: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung, Wiesbaden 2006, S. 57.
10 Vgl. Gabriel, Oscar W.: Politische Kultur, in: Kaina, Viktoria / Römmele, Andrea (Hrsg.): Politische Soziologie. Ein Studienbuch, Wiesbaden 2009, S. 17-51, S. 22.
11 Vgl. Pickel, Susanne / Pickel, Gert: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung, Wiesbaden 2006, S. 50.
12 Vgl. ebd. S. 52.
13 Vgl. Greiffenhagen, Sylvia: Theorie(n) der Politischen Kultur, in: Salzborn, Samuel (Hrsg.): Politische Kultur. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, Frankfurt am Main 2009, S. 11-29, S. 11.
14 Vgl. Rohe, Karl: Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift, Jg. 250 (1990) 2, S. 321-346, S. 329.
15 Vgl. Pickel, Susanne / Pickel, Gert: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung, Wiesbaden 2006, S. 50.
16 Vgl. Gabriel, Oscar W.: Politische Kultur, in: Kaina, Viktoria / Römmele, Andrea (Hrsg.): Politische Soziologie. Ein Studienbuch, Wiesbaden 2009, S. 17-51, S. 27.
17 Vgl. Pickel, Susanne / Pickel, Gert: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung, Wiesbaden 2006, S. 101 f.
18 Vgl. ebd., S. 107.