Welchen Stellenwert nimmt die Erzählung beziehungsweise Verschriftlichung des Abenteuers in Hartmanns „Iwein“ und Ransmayrs „die Schrecken des Eises und der Finsternis“ ein und inwiefern lässt sich die Wirkung eben dieser Berichte vom Abenteuer in den beiden Romanen vergleichen?
Zunächst erfolgt eine Begriffsbestimmung von Narrativität beziehungsweise Erzählung, um die allgemeine Gewichtigkeit von Narration zu verdeutlichen. Anschließend soll die Unverzichtbarkeit der Erzählung für die mittelalterliche Aventiure erörtert werden, wozu zunächst eine allgemeine Bestimmung des mittelalterlichen Aventiure-Begriffs erfolgt. Auf dieser Grundlage wird dann die Unverzichtbarkeit der Erzählung der Aventiure in Hartmann von Aues „Iwein“ näher analysiert. Da es sich bei der zweiten Textgrundlage um einen
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung von Narrativität / Erzählung
3. Die Unverzichtbarkeit der Erzählung für die mittelalterliche Aventiure
3.1 Der mittelalterliche Aventiure-Begriff
3.2 Die Unverzichtbarkeit der Erzählung der Aventiure in Hartmann von Aues 7 „Iwein“
4. Die Bedingung der Überlieferung des Abenteuers im neuzeitlichen Abenteuerroman
4.1 Der neuzeitliche Abenteuerbegriff
4.2 Die Bedingung der Überlieferung des Abenteuers in Ransmayrs „die Schrecken 11 des Eises und der Finsternis“
5. Vergleich der Voraussetzung der Erzählung zur Entstehung des Abenteuers in 15 Hartmanns „Iwein“ und in Ransmayrs „die Schrecken des Eises und der Finsternis“
6. Schlussbetrachtung
1. Einleitung
„Das Abenteuererzählen ist [...] die wohl ältestes und erfolgreichste Erzählform überhaupt, die in der literaturgeschichtlichen Epoche ihre Vertreter fand.“1 Erfahrungen, Geschehnisse und Erlebnisse „sind nicht an sich abenteuerlich“, aber sie können es werden, wenn sie auf eine bestimmte Art erzählt werden.2 Es kann somit davon ausgegangen werden, „dass Abenteuer im Wesentlichen dadurch entstehen, dass von ihnen erzählt wird“.3 Stefan Zweig hält fest: „Es genügt nicht die Tat, es muß auch ein Schilderer da sein, der sie lebendig erhält [.. ,]“.4 Die Art der Erzählung erfolgt dabei zum Beispiel in verbaler, schriftlicher, oder medialer Form.5 Hieraus lässt sich erkennen, dass bei einer näheren Betrachtung des Abenteuerbegriffs der Erzählung eine elementare Bedeutung zukommt, weshalb der Aspekt der Narration des Abenteuers als Voraussetzung für das Abenteuers selbst in dieser Seminararbeit näher beleuchtet werden soll. Als Grundlage für diese Betrachtung dient der mittelalterliche Artusroman „Iwein“ von Hartmann von Aue, sowie der postmoderne Roman „die Schrecken des Eises und der Finsternis“ von Christoph Ransmayr. Das Leitmotiv der Überlieferung soll somit in zwei geschichtlich sehr weit auseinanderliegenden Texten analysiert werden, um den Aspekt der Erzählung des Abenteuers nicht auf eine Epoche zu begrenzen und einen weiten Blickwinkel bei der Untersuchung zu ermöglichen. Für die Arbeit ergibt sich dementsprechend die Fragestellung, welchen Stellenwert die Erzählung beziehungsweise Verschriftlichung des Abenteuers in Hartmanns „Iwein“ und Ransmayrs „die Schrecken des Eises und der Finsternis“ einnimmt und in inwiefern sich die Wirkung eben dieser Berichte vom Abenteuer in den beiden Romanen vergleichen lässt.
Zur Klärung dieser Fragestellung wird im Folgenden auf eine bestimmte Weise vorgegangen. Zunächst erfolgt eine Begriffsbestimmung von Narrativität beziehungsweise Erzählung, um die allgemeine Gewichtigkeit von Narration zu verdeutlichen. Anschließend soll die Unverzichtbarkeit der Erzählung für die mittelalterliche Aventiure erörtert werden, wozu zunächst eine allgemeine Bestimmung des mittelalterlichen Aventiure-Begriffs erfolgt. Auf dieser Grundlage wird dann die Unverzichtbarkeit der Erzählung der Aventiure in Hartmann von Aues „Iwein“ näher analysiert. Da es sich bei der zweiten Textgrundlage um einen postmodernen Roman handelt, erfolgt auch hier zuerst eine Bestimmung des neuzeitlichen Abenteuerbegriffs. Hieraufhin wird die Bedingung der Überlieferung des Abenteuers in Ransmayrs „die Schrecken des Eises und der Finsternis“ ausführlich betrachtet. Abschließend findet eine Analyse der Vergleichbarkeit der beiden Texte statt. Zum diesem Zweck wird die Voraussetzung der Erzählung zur Entstehung des Abenteuers in Hartmanns „Iwein“ und in Ransmayrs „die Schrecken des Eises und der Finsternis“ an einzelnen Beispielen verglichen und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herausgearbeitet. Den Abschluss der Arbeit bildet eine kurze Schlussbetrachtung, in welcher das Ergebnis der Fragestellung zusammengefasst und ein Fazit getroffen wird.
2. Begriffsbestimmung von Narrativität / Erzählung
Mit „Erzählung“ beziehungsweise „Narration“ kann die Handlung des Erzählens an sich, als auch die damit entstandene Geschichte gemeint sein.6 „Erzählungen entfalten Ereignis- und Handlungsverläufe, Handlungen menschlicher Protagonist/innen, aber auch andere Ereignisse, werden dabei in einer symbolischen und zeitlichen Ordnung dargestellt“.7 Dem zufolge kann Erzählen als eine „kommunikative und rekonstruktive Tätigkeit“ verstanden werden.8 Laut Barthes kommen Erzählungen in „nahezu unendlichen Formen zu allen Zeiten, an allen Orten und in allen Gesellschaften“ vor.9 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die „narrative Praxis“ zu den allgemeinen Bedingungen des Menschseins, der sogenannten „conditio humana“, gehört.10 Anders formuliert gehört Erzählen „zu den grundsätzlichsten kulturellen Praktiken“ welche überhaupt vorstellbar sind.11 Termini wie „Gedächtnis“, „Erfahrung“, „Erinnerung“ oder „Geschichte“ wären gefährdet, ohne den Zusammenhang der Erzählung, ihren gänzlichen Sinn zu verlieren.12 Dies verdeutlicht Stierle durch seine These, dass die Erzählung oder Narration „grundlegend für die Organisation, Transformation und Kommunikation von Erfahrung“ sei.13 Durch die zeitliche Ordnung von Vorgefallenem wird mit Narrationen gewissermaßen die Welt geordnet.14 Die Erzählung stellt somit eine bedeutende verbale Vorgehendweise dar, aus Ereignissen und Erlebnissen „intersubjektiv kommunizierbare“ und nachvollziehbare Erfahrungen zu gestalten.15 Der Begriff der Narrativität kann sehr weit gefasst werden, da Geschichten nicht nur literarisch erzählt werden, sondern auch in Opern, Filmen oder Comics dargestellt sind. Um zu einem „engeren Verständnis“ von Narrativität zu gelangen, ist es sinnvoll, den Terminus hier auf „sprachliche vermittelte Ereignisdarstellungen“ einzugrenzen.16 Das Erzählen kann für den Menschen ganz unterschiedliche Funktionen einnehmen. Mithilfe von Erzählung kann zum Beispiel das Hervorbringen von Sinn und Bedeutung erfolgen.17 Damit ist narratives Erzählen in diesem Sinne „eine kognitive Operation mittels derer Geschehen [...] in eine verständliche, abgeschlossene Geschichte mit Anfang und Ende überführt wird“.18 In diesem Prozess erfolgt auch immer eine Bearbeitung der sogenannten „Kontingenz“. Durch Narration kann Zufall angesprochen, aber auch reduziert werden, was eine „Komplexitätsreduktion“ der Geschichte und ein besseres Verständnis bewirkt.19 Es lässt sich also festhalten, dass der Mensch „das Wesen ist, das nicht nur erzählen, sondern vom Erzählen erzählen und sich zu dieser reflexiven Struktur bewusst verhalten kann“.20 Dies zeigt auf, dass es bei einer näheren Beschäftigung mit dem Abenteuerbegriff unerlässlich ist, sich auch mit der Erzählung des Abenteuers näher auseinander zu setzen.
3. Die Unverzichtbarkeit der Erzählung für die mittelalterliche Aventiure in Hartmann von Aues „Iwein“
3.1 Der mittelalterliche Aventiure-Begriff
Bevor die Gewichtigkeit der Erzählung in der mittelalterlichen Aventiure anhand von dem Artusroman „Iwein“ von Hartmann von Aue näher erörtert wird, soll zuerst eine kurze Begriffsund Bedeutungsbestimmung der Aventiure erfolgen. Ganz allgemein kann die Aventiure als „ritterliche Bewährungsprobe als Strukturelement des Artusroman“ bezeichnet werden.21 22 Wortgeschichtlich gesehen stammt der Begriff aus dem Altfranzösischen, wo dieser aventure lautete (abgeleitet von vulgärlt. adventura)[71] Ins Deutsche wird der Terminus als aventiure übernommen, wo er auch bald schon die Bedeutung des „ritterlichen Kampfs“ und der Erzählung darüber erlangt.23 Der Artusritter Kalogrenant definiert die Aventiure für den wilden Mann übersetzt folgendermaßen:
Du siehst, wie ich bewaffnet bin: ich nennen mich Ritter und habe im Sinn, dahinzureiten und einen Mann zu suchen, der-bewaffnet wie ich- mit mir kämpfe. Es erhöht seinen Ruhm, wenn er mich schlägt; aber besiege ich ihn, so hält man mich für einen echten Mann.24
Ein wichtiges Phänomen der Aventiure stellt also die Ehre des Ritters dar, welche durch eine „Bewährungsmöglichkeit“, wie zum Beispiel ein Sieg im Zweikampf, erhöht wird.25 Mit der Bewältigung der dargebotenen Herausforderung findet und erhält der Ritter seinen Platz in der Gesellschaftsordnung beziehungsweise höfischen Ordnung.26 Nach Hartmut Bleumer wird der mittelhochdeutsche Begriff durch ein „in der Reihe der Artusromane bekanntlich zuerst das auf den Einzelnen zukommende, von ihm als Bewährungsmöglichkeit begriffene Geschehen, dann aber auch die Erzählung von diesem Geschehen“ klassifiziert.27 Hier wird also schon deutlich, dass der Begriff der Aventiure nicht getrennt von einer Erzählung dieser zu verstehen ist. Es zeigt sich, dass die Aventiure eine vom Ritter selbstgesuchte, aber auch gewissermaßen durch die Erzählung schon vorbestimmte „Bewährungsprobe“ ist.28 Für seine Bewährungsprobe muss der Ritter oder Held meist in eine für ihn „exotische Ferne“ reisen, um die Aventiure bestehen können.29 Der Auszug in die Fremde, welcher ein typisches Merkmal für sämtliche Abenteuerromane auch in heutiger Zeit darstellt, war somit bereits im mittelalterlichen Aventiure-Roman vertreten. Aventiure kann im Artusroman zusätzlich als Wiederherstellung einer göttlichen Ordnung, der Ordnung am Artushof, sowie Ordnung des Geschehens verstanden werden, indem durch Aventiure die Realisierung eines „göttlichen Plans“ erfolgt.30 Gott nimmt also auch einen wichtigen Stellenwert in der Aventiure ein, da diese gewissermaßen
[...]
1 Eming, Jutta/Schlechtweg-Jahn, Ralf: Abenteuer als Narrativ, in: dies. (Hg.): Abenteuerund Eskapade. Narrative des Abenteuerlichen vom Mittelalter zur Moderne, Göttingen 2017, S. 7-34, S. 9.
2 Vgl. Ebd.
3 Ebd.
4 Vgl. Zweig, Stefan: Die Geschichte als Dichterin, in: Knut Beck (Hrsg.), Die schlaflose Welt. Aufsätze und Vorträge aus den Jahren 1909-1941. Gesammelte Werke in Einzelbänden, Frankfurt am Main 1983, S. 249-270, S. 266.
5 Vgl. Eming, Schlechtweg-Jahn, Abenteuer als Narrativ, S. 9.
6 Vgl. Straub, Jürgen: Erzähltheorie/Narration, in: GünterMey/KatjaMruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Band 1: Ansätze und Anwendungsfelder, 2. Auflage, Berlin 2020, SpringerVerlag, S. 241-261, S. 252.
7 Ebd.
8 Gülich/Hausendorf 2000, zitiert nach Aumüller, Matthias: Narrativität. Bestimmungen: Erzählen/Narrativität, in: Christian Klein (Hrsg.), Handbuch Biographie: Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart, 2009, J.B. Metzler-Verlag, S. 17-18, S. 17.
9 Barthes 1988, zitiert nach Straub, Erzähltheorie/Narration, S. 242.
10 Vgl. Ebd.
11 Rüth, Axel: Narrativität in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, in: Matthias Aumüller (Hrsg.), Narrativität als Begriff: Analysen und Anwendungsbeispiele zwischen philologischer und anthropologischer Orientierung, Berlin 2012, De Gruyter-Verlag, S. 21- 42, S. 24.
12 Vgl. Straub, Erzähltheorie/Narration, S. 242.
13 Stierle 1979, zitiert nach Straub, Erzähltheorie/Narration S. 242.
14 Vgl. Ebd.
15 Vgl. Ebd.
16 Vgl. Aumüller, Erzählen/Narrativität, S. 17.
17 Vgl. Straub, Erzähltheorie/Narration, S. 254.
18 Rüth, Narrativität in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, S. 24.
19 Vgl. Straub, Erzähltheorie/Narration, S. 254.
20 Vgl. Ebd. S. 243.
21 Weimar, Klaus, u.a. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft: Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band 1. Aventiure, Berlin/New-York 1997, De Gruyter-Verlag, S. 187.
22 Vgl. Ebd.
23 Vgl. Ebd.
24 Hartmann von Aue: Iwein. Aus dem mittelhochdeutschen übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Max Wehrli, Zürich 1988, Manesse Verlag, S. 39, V. 529-537.
25 Bleumer, Hartmut: Im Feld der aventiure. Zum begrifflichen Wert der Feldmetapher am Beispiel einer poetischen Leitvokabel, in: Gerd Dicke u.a. (Hrsg.), Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, Berlin/New York 2006, S. 347-367, S. 357.
26 Weimar, Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, S. 187.
27 Bleumer, Im Feld der aventiure, S. 347 f.
28 Weimar, Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, S. 187.
29 Kohl, Stephan: Weltbild im mittelalterlichen Abenteuerroman, in: Günter Berger/Stephan Kohl (Hrsg.), Fremderfahrung in Texten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, WVT wissenschaftlicher Verlag, Trier 1993, S. 15-21, S. 15.
30 Schnyder, Mireille: Aventiure? waz ist daz? Zum Begriff des Abenteuers in der deutschen Literatur des Mittelalters, in: Euphorion 96. Zeitschrift für Literaturgeschichte, Heidelberg 2002, Universitätsverlag Winter, S. 257—272. S. 258, S. 260 f.