Die Welt wird immer älter: Der Fakt der demografischen Alterung ist heute hinlänglich bekannt und wird vielfach diskutiert, Auswirkungen analysiert und nach Lösungen gesucht. Weniger bekannt ist, dass auch die sogenannten „Entwicklungsländer“ von diesem Prozess betroffen sind. Während man heute in Afrika davon ausgeht, dass 3,1% der Bevölkerung über 60 Jahre
alt ist, prognostiziert United Nations (UN) bis zum Jahr 2050 einen Anstieg auf 11,4% (UN/ESA 2007:9). Für Ostafrika im Speziellen wird in der Zeit von 1980 bis 2050 ein Anstieg der Menschen über 75 Jahren um 434% erwartet (Apt 2001:1).
Aus diesem Grunde verwundert es nicht, dass alte Menschen in den Entwicklungsländern immer mehr in das Blickfeld von Politik und Forschung rücken, primär mit dem Fokus auf materielle Altersversorgung und Armut. Während der wachstumsorientierten Entwicklungspolitik der 1970er Jahre wurde noch angenommen, dass allgemeine wirtschaftliche Entwicklung
automatisch auch alte Menschen erreiche. Außerdem ging man davon aus, dass traditionelle Versorgungssysteme in der Lage seien, das Problem der Altersversorgung aufzufangen und familiäre Lösungen zu finden (Jensen 1998:185). In Zeiten der demografischen Alterung aber
auch von niedrigen Wachstumsraten und veränderten Familienstrukturen ist es allerdings heute fraglich, inwieweit Traditionen noch greifen und ob die Versorgung der Senioren noch gewährleistet ist.
AIDS – ein Thema, das im Gegensatz zur demografischen Alterung meist direkt mit Afrika verknüpft wird – wirkt in dieser Problematik wie ein Katalysator: Zum einen verstärkt diese Pandemie die gesellschaftliche Alterung, sie greift zum anderen Familienstrukturen zusätzlich an und löst allgemeinen gesellschaftlichen Wandel aus. Armut, AIDS, Alter – Themen die in
Bezug auf Afrika nicht weiter getrennt betrachtet werden können.
Die vorliegende Arbeit beschreibt auf Basis einer Feldforschung die Situation und das Leben alter Menschen im Kontext von AIDS exemplarisch für den Mwanga Distrikt im Norden Tansanias. Dabei sollen allerdings nicht nur die materielle Versorgung und Altersarmut Beachtung finden, vielmehr wird einen Schritt weiter gegangen: Es wird aufgezeigt, dass AIDS das Leben, das Denken und das Verhalten alter Menschen auf den unterschiedlichsten Ebenen
beeinflusst.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zielsetzung und Fragestellung
- Aufbau der Arbeit und allgemeine Anmerkungen
- Forschungsstand und Quellenlage
- Ethnologische Forschung zum Thema HIV/AIDS
- Ethnologische Alternsforschung und Gerontologie
- Quellenlage und Literatur
- Theorien zu Rollen und Status alter Menschen
- Theorien zur Kontinuität von Rollen im Alter
- Theorien zum Status alter Menschen
- Grundlagen der Feldforschung in Mwanga
- Forschungssituation
- Ort der Feldforschung: Mwanga
- Auswahl der Informanten und Zusammensetzung des Samples
- Methodik
- Ethnographische und regionale Rahmenbedingungen und soziale Transformationsprozesse
- HIV/AIDS
- HIV/Aids in Mwanga bzw. Tansania – Zahlen und Fakten
- HIV-Infektionen im Alter und andere gesundheitliche Aspekte
- Alte Menschen in der Entwicklungszusammenarbeit und AIDS-Politik
- AIDS-Politik Tansanias
- Alte Menschen in der AIDS-Politik und Entwicklungszusammenarbeit
- „Alt sein“ bei den Pare
- Definition von Alter und „mzee“
- Traditionelle Rollen alter Menschen und deren Wandel
- Politische Rolle
- Beraterfunktion und juristische Rolle
- Wirtschaftliche Rolle
- Familiäre Rollen
- Religiöse Rolle
- Pädagogische Rolle
- Kontinuität oder Rückzug?
- Status alter Menschen bei den Pare
- Staatliche Vorsorge und moderne Vorsorgesysteme
- Traditionelle Systeme der Alterssicherung
- Fürsorgeverpflichtung der Kinder – die „filial obligation“
- Patrilokalität
- Polygynie und serielle Polygamie
- Levirat/Witwenerbe und Erbschaft
- Clansystem
- Die Rolle der Großfamilie
- Einfluss von HIV/Aids auf das Leben alter Menschen
- Existenzsicherung
- Zusätzliche finanzielle Belastungen
- Pflege von AIDS-Patienten
- Beerdigungen
- Versorgung der Waisenkinder
- AIDS und traditionelle Existenzsicherungssysteme
- AIDS und Existenzsicherungsmechanismen der Kernfamilie
- AIDS und die Rolle der Großfamilie
- Innovationen, Lösungsstrategien und die Rolle moderner Institutionen
- Einkommensgenerierende Aktivitäten
- Beerdigungsvereine
- „Unconditional Cash Transfer“ und die staatliche Verantwortung
- Internationale Entwicklungszusammenarbeit und NRO
- Christliche Institutionen
- Muslimische Institutionen
- Rollenwandel
- Wandel elternspezifischer Rollen
- Wandel der Großelternrolle
- Aus Spaß wird Ernst – Wandel der Autorität
- Die pädagogische Rolle: Großeltern als Aufklärer?
- Großeltern als Versorger
- Wandel der außerfamiliären Rollen
- Rollenwandel durch Isolation
- Übertragung familiärer Rollen auf außerfamiliäre Kontakte
- HIV/AIDS, Alter und Moralität
- Fürsorge: Moralische Verpflichtung, Egoismus oder Altruismus?
- AIDS und Fürsorgeverpflichtungen als Eltern
- Verantwortungen bei Versorgung der Enkelkinder
- Individualismus versus Familismus
- Fazit: Grundlagen für Fürsorge
- Moral, Schuld und Bestrafung
- Schuld ist das Fremde?
- Schuld in der eigenen Gesellschaft
- Sanktionen und Lösungsvorschläge
- Moral und Stigmatisierung
- Die Auswirkungen von HIV/AIDS auf die Existenzsicherung älterer Menschen
- Der Wandel von traditionellen Rollen und Status im Alter
- Die Bedeutung von Moralvorstellungen im Kontext von HIV/AIDS und alternden Gesellschaften
- Die Rolle von traditionellen und modernen Institutionen in der Bewältigung der Herausforderungen
- Die Bedeutung von intergenerationalen Beziehungen im Umgang mit HIV/AIDS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit den Auswirkungen von HIV/AIDS auf das Leben älterer Menschen im Mwanga Distrikt Nordtansanias. Sie untersucht, wie sich die Krankheit auf die Existenzsicherung, die sozialen Rollen und die Moralvorstellungen dieser Altersgruppe auswirkt.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und erläutert die Zielsetzung und den Aufbau der Arbeit. Sie beleuchtet den Forschungsstand zum Thema HIV/AIDS und Alternsforschung sowie die Quellenlage. Weiterhin werden Theorien zu Rollen und Status alter Menschen vorgestellt.
Das zweite Kapitel beschreibt die Grundlagen der Feldforschung in Mwanga, Tansania. Hier werden die Forschungssituation, der Ort der Feldforschung, die Auswahl der Informanten und die Methodik der Studie dargelegt.
Das dritte Kapitel behandelt die ethnographischen und regionalen Rahmenbedingungen sowie soziale Transformationsprozesse in Mwanga. Es beleuchtet die Situation von HIV/AIDS in Tansania und die Auswirkungen auf die ältere Bevölkerung. Außerdem werden traditionelle Vorstellungen von Alter und die Rollen alter Menschen bei den Pare dargestellt.
Das vierte Kapitel untersucht den Einfluss von HIV/AIDS auf das Leben älterer Menschen in Mwanga. Es analysiert die Auswirkungen auf die Existenzsicherung, den Wandel von Rollen und die Moralvorstellungen dieser Altersgruppe.
Schlüsselwörter
HIV/AIDS, Alter, Existenzsicherung, Rollenwandel, Moralität, Tradition, Moderne, Tansania, Mwanga, Pare, Familie, Großfamilie, Entwicklungszusammenarbeit, NGOs, Stigmatisierung, Fürsorge, intergenerationale Beziehungen.
- Arbeit zitieren
- Lena Wilk (Autor:in), 2008, Alter und HIV/AIDS - Existenzsicherung, Moralität und Rollenwandel im Mwanga District Nordtansanias, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/118482