In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, wie Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung im offenen Unterricht aussehen kann. Dabei wird Leistung mithilfe des erweiterten Lernbegriffs, des pädagogischen und gesellschaftlichen Leistungsbegriffs und dem Ziel der Handlungskompetenz definiert. Entsprechend wird ein Bedarf nach Möglichkeiten für alternative Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung aus dem veränderten Verständnis für Lernen und Leistung heraus ermittelt und schließlich exemplarisch anhand des Portfolios, des Lerntagebuchs und des Lernentwicklungsgesprächs konkretisiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung
2.1. Offener Unterricht
2.2. Der erweiterte Lernbegriff
2.3. Begriffder Handlungskompetenz
2.4. Gesellschaftlicher und Pädagogischer Leistungsbegriff
2.4.1. Gesellschaftlicher Leistungsbegriff
2.4.2. Pädagogischer Leistungsbegriff
3. Möglichkeiten der Leistungsfeststellung und -beurteilung im Offenen Unterricht
3.1. DasPortfolio
3.2. Das Lerntagebuch
3.3. Das Lernentwicklungsgespräch
4. Zusammenfassung
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Brisanz des Themas Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung lässt sich an den Entwicklungen innerhalb der schulpädagogischen Diskussion der letzten Jahre messen. Unterrichtsentwicklung hat sich in der Vergangenheit an reformpädagogischen Vorbildern ausgerichtet (Bohl, 2009). C. Freinet, M. Montessori, B. Otto oder H. Gaudig waren unter anderem die Wegbereiter für Offenen Unterricht, wie er heute umgesetzt wird (Götz & Sandfuchs, 2011). Hieraus ergeben sich offene Lernarrangements, wie beispielsweise Freiarbeit, Wochenplanarbeit und Projektunterricht, die für einen zeitgemäßen und veränderten Unterricht stehen. Mit der Aktualisierung des Unterrichts stellte sich anfangs allerdings nicht zwangsläufig die Frage nach einem tragfähigen Leistungsbegriff und alltagstauglichen Modellen der Leistungsdiagnose und - bewertung, was sich damit begründen lässt, dass Leistungsbewertung in traditionellen Lernarrangements verortet wurde. Offene Phasen waren lange ein methodisch-didaktisches Mittel, das, im Hinblick auf geeignete, konkrete und konzeptionelle Varianten der Bewertung, viele Fragen offen ließ (Bohl, 2009).
Wenn offener Unterricht eine echte Alternative beziehungsweise Ergänzung zu traditionellem, lehrerzentriertem Unterricht darstellen soll, braucht es auch die Diskussion um einen veränderten Leistungsbegriff, anhand dessen Modelle zur Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung abgeleitet und damit Alltagstauglichkeit hergestellt werden kann. Dieser Wandel ist auch aktuell bemerkbar. „Der Unterricht an den staatlichen Schulen hat sich verändert: Viele Lehrerinnen und Lehrer praktizieren Varianten offenen Unterrichts, streben selbstständiges Lernen an und verändern ihre traditionelle Rolle der vorrangigen Wissensvermittlung." (Bohl, 2009, Kap.5). Damit ergibt sich auch der Bedarf nach alternativer Leistungsfeststellung und -beurteilung, wie beispielsweise Portfolios oder Lerntagebücher, denn „das traditionelle Instrumentarium der Leistungsbeurteilung passt nicht mehr." (Bohl, 2009, S.9).
In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, wie Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung im offenen Unterricht aussehen kann. Dabei wird Leistung mithilfe des erweiterten Lernbegriffs (Kapitel 2.1), des pädagogischen und gesellschaftlichen Leistungsbegriffs (Kapitel 2.2) und dem Ziel der Handlungskompetenz (Kapitel 2.3) definiert. Entsprechend wird ein Bedarf nach Möglichkeiten für alternative Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung aus dem veränderten Verständnis für Lernen und Leistung heraus ermittelt und schließlich exemplarisch anhand des Portfolios (Kapitel 3.1), des Lerntagebuchs (Kapitel 3.2) und des Lernentwicklungsgesprächs (Kapitel 3.3) konkretisiert.
2. Begriffsklärung
Zu Beginn sollte geklärt werden, was unter einem Offenen Unterricht zu verstehen ist und welche Merkmale er besitzt, um im Weiteren auf Leistungsfeststellung und -bewertung eingehen zu können. Um offenen Unterricht entsprechend planen und konzipieren zu können braucht es die Auseinandersetzung mit dem erweiterten Lernbegriff beziehungsweise dem Ziel der Handlungskompetenz. Dazu dient außerdem die Unterscheidung zwischen gesellschaftlichem und pädagogischem Leistungsbegriff.
2.1. Offener Unterricht
Der Terminus des Offenen Unterrichts kann nicht einheitlich definiert werden. Es bestehen vielmehr verschiedene Interpretationen, auf die Bezug genommen werden kann. Wallrabenstein definiert Offenen Unterricht als "Sammelbegriff für unterschiedliche Reformansätze in vielfältigen Formen inhaltlicher, methodischer und organisatorischer Öffnung mit dem Ziel eines veränderten Umgangs mit dem Kind auf der Grundlage eines veränderten Lernbegriffs." (Wallrabenstein, 1995, S. 54). Mit Praxisbezug zeigt Wallrabenstein daraufhin entsprechende Merkmale von Offenem Unterricht auf:
- Lernumwelt: Klassenzimmer als Werkstatt, offene Lernbereiche, Leseecke und Klassenbibliothek, Pinnwand, u.a.
- Lernorganisation: Freiarbeit, Wochenpläne bzw. Tagespläne, Projekte, individuelle Zeiteinteilung, u.a.
- Lernmethoden: vielfältiges, entdeckendes und praktisches Lernen, sinnliche Materialerfahrungen, Kooperation und gegenseitige Hilfe, u.a.
- Lernatmosphäre: Kinder in ihrer Individualität begreifen, Akzeptanz verschiedener Lernvoraussetzungen, offene Atmosphäre des Vertrauens, Anerkennung und Unterstützung zwischen Lehrperson und Kind sowie den Kindern untereinander, u.a.
- Lerntätigkeit: praktisches Arbeiten, selbstständige Informationsbeschaffung, Schreiben freier Texte, Entdecken und Untersuchen, u.a.
- Lernergebnisse: Übersichten, Plakate, Pläne, Tabellen und Übersichten, Berichte, Theaterstücke, u.a. (Wallrabenstein, 1995, S. 61).
In seiner Umsetzung zeigt sich Offener Unterricht beispielsweise in Form von Freiarbeit, Wochenplanarbeit oder Projektunterricht, die zu den gängigsten Varianten zählen (Bohl, 2009). Diese wurden zu Beginn historisch begründet und in der Reformpädagogik verortet. Konkret
Seite | 5 zeigt sich das Spektrum der Öffnung etwa anhand von fachspezifischen Arbeitsblättern, einer vorbereiteten, anregungsreichen und ästhetischen Lernumgebung und herausfordernden Lernmaterialien (Knauf, 2001).
Des Weiteren weisen der Strukturplan des Deutschen Bildungsrates und die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz bereits 1970 auf Differenzierung und Freiarbeit durch die Schü- ler*Innen hin, wodurch die bildungspolitische Bedeutsamkeit unterstrichen wird (Bohl, 2009).
Dimensionen von Offenem Unterricht werden demnach strukturell eingefordert und im Schulalltag umgesetzt. Vielfach wird zur weiteren Erklärung die Rahmenkonzeption von Jürgens (1994) herangezogen, die Umsetzungsmöglichkeiten aufzeigt. Betrachtet man demnach nämlich die Handlungen der Akteure im Kontext Unterricht stehen selbstständiges Lernen und Selbst- bzw. Mitbestimmung der Schüler*Innen im Fokus. In diesem Sinne lassen Lehrkräfte Handlungsspielräume zu und begreifen spontane Schüleraktivitäten als Bereicherung. Lehrpersonen stehen nicht mehr im Zentrum des Geschehens, sondern handeln, begleiten und unterstützen die Lernenden in jeder Phase uneingeschränkt. Unterrichtsmethoden sind zielorientiert und konzeptionell begründet, wobei verschiedene Unterrichts- und Lernformen kombiniert werden. Ebenso sind Aufgaben so konzipiert, dass sie sowohl von leistungsschwächeren Schüler*Innen gelöst werden können als auch durch anspruchsvolle Zusatzaufgaben ebenfalls für leistungsstärkere Kinder interessant sind. Die Aufgabenstrukturen schaffen hierbei Raum für sachbezogene und dialogische Interaktion, kreative Lösungsmethoden und die Reflexion des eigenen Lernprozesses (Jürgens, 1994).
Die nun, hinsichtlich der Öffnung von Unterricht, veränderte Lernkultur basiert auf dem Lernverständnis des erweiterten Lernbegriffs und dem übergeordneten Ziel der Handlungskompetenz.
2.2. Der erweiterte Lernbegriff
Nationale und internationale Vergleichsstudien, wie TIMSS und PISA, die Schulleistungen von Schüler*Innen standardisiert messen, auswerten und darstellen, orientieren sich bereits eher an einem erweiterten Lernbegriff. Das bedeutet, dass ein Kompetenzerwerb zwar das fachlichinhaltliche Verständnis abbildet, dieses allerdings noch um fächerübergreifende Kompetenzen, wie beispielsweise selbstreguliertes Lernen, Kommunikation und Kooperation und Problemlösen ergänzt (Kirsch, 2002).
Klippert (1994) definiert mit dem erweiterten Lernbegriff ebenjenen anhand von vier Bereichen. Der fachlich-inhaltliche Lernbereich umfasst das wissensbasierte Verständnis, wie etwa Urteilen, Vernetzen und Fachwissen, wie er innerhalb eines traditionellen Unterrichtskontextes häufig als alleinige Bewertungsgrundlage gilt. Methodisches Lernen gelingt dann, wenn neben fachlichem auch überfachliches Lernen konzeptionell in den Unterricht mit eingeflochten wird.
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