Dieser Arbeit liegt ein Seminar mit dem Titel „Erinnerungsliteratur im Deutschunterricht der Sekundarstufe I und II – Didaktik und Methodik im Kontext einer Kultur der Digitalität“ zugrunde. Das Seminar zeichnete sich besonders durch die Beschäftigung mit den für den Deutschunterricht relevanten Bausteinen Erinnerung und Digitalität aus. Ziel der Arbeit soll es sein, diese zu erläutern, im Kontext des Deutschunterrichts miteinander zu verbinden und sie anhand einer konkreten Unterrichtseinheit anwendbar zu machen. Der erste Untersuchungsgegenstand dieser Ausarbeitung wird die Beschäftigung mit Erinnerung und Identität darstellen. Hier soll ein Schwerpunkt auf die Frage gelegt werden, wie die Erinnerung an den Holocaust bewahrt und nachfolgenden Generationen besonders im schulischen Unterricht bewusst gemacht werden kann.
Außerdem soll untersucht werden, welche Rolle Literatur in diesem Kontext spielen kann. Die Erkenntnisse werden dann im weiteren Verlauf auf den Roman Austerlitz von Winfried Georg Sebald bezogen. Im weiteren Verlauf möchte ich noch einmal genauer auf die wichtigsten Motive des Werkes eingehen, es begründet der Erinnerungsliteratur zuordnen und die Eignung des Werkes für die Schule analysieren. Im darauffolgenden Kapitel soll wiederum eine Grundlage für die Nutzung der bisherigen Ausarbeitungen in einem zeitgemäßen Unterricht gelegt werden. Hier möchte ich kurz auf die Theorie Felix Stalders zur Kultur der Digitalität eingehen und deren Auswirkungen auf die Bildungswelt erläutern. Die zentrale Frage lautet in diesem Abschnitt: Was soll zeitgemäßen Deutschunterricht, wie im Titel der Hausarbeit geschrieben, auszeichnen?
Der Schwerpunkt soll darauf liegen, die wichtigsten Begriffe und Erkenntnisse der progressiven Bildungsforschung zu erläutern und so die Herausforderungen, welchen sich die Schule in der heutigen Zeit stellen muss, zu verdeutlichen. In einem letzten Schritt werde ich die Untersuchungsgegenstände aus den bisherigen Kapiteln miteinander in Beziehung setzen und in konkrete Unterrichtssituationen integrieren. Wie könnte also eine Unterrichtseinheit zu dem Werk Austerlitz im Kontext der Kultur der Digitalität aussehen? Welche digitalen Tools könnten sinnvoll in den Unterricht eingepflegt werden, um die SchülerInnen mit den Geschehnissen des Holocausts zu konfrontieren und deren Interesse an diesen Taten zu wecken? Die gewonnenen Erkenntnisse möchte ich abschließend in einem Fazit reflektieren und problematisieren.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Erinnerungsliteratur im Kontext des literarischen Lernens in der Schule
2.1 Erinnerung und Identität
2.2 Möglichkeiten von Erinnerungsliteratur zum Bewahren der Erinnerung an den Holocaust
3. Der Roman Austerlitz als Werk der Erinnerungsliteratur und geeignete Schullektüre
3.1 Fachwissenschaftliche Analyse von Austerlitz als Erinnerungsroman
3.2 Eignung von Austerlitz im Unterricht der Sekundarstufe II
4. Unterricht im Kontext einer Kultur der Digitalität
5. Thematische Schwerpunkte und ihre digitale Umsetzung im Unterricht der Sekundarstufe II
6. Fazit
I. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Dieser Arbeit liegt ein Seminar mit dem Titel „Erinnerungsliteratur im Deutschunterricht der Sekundarstufe I und II – Didaktik und Methodik im Kontext einer Kultur der Digitalität“ zugrunde. Das Seminar zeichnete sich besonders durch die Beschäftigung mit den für den Deutschunterricht relevanten Bausteinen Erinnerung und Digitalität aus. Ziel der Arbeit soll es sein, diese zu erläutern, im Kontext des Deutschunterrichts miteinander zu verbinden und sie anhand einer konkreten Unterrichtseinheit anwendbar zu machen.
Der erste Untersuchungsgegenstand dieser Ausarbeitung wird die Beschäftigung mit Erinnerung und Identität darstellen. Hier soll ein Schwerpunkt auf die Frage gelegt werden, wie die Erinnerung an den Holocaust bewahrt und nachfolgenden Generationen besonders im schulischen Unterricht bewusst gemacht werden kann. Außerdem soll untersucht werden, welche Rolle Literatur in diesem Kontext spielen kann. Die Erkenntnisse werden dann im weiteren Verlauf auf den Roman Austerlitz (2001) von W.G. Sebald bezogen.
Dieses Werk spielt in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und handelt von dem jüdischen Forscher Jacques Austerlitz, der für eine lange Zeit seines Lebens alle Erinnerungen an seine Herkunft verdrängt und erst nach vielen Jahren aktiv beginnt, diese Erinnerungen zu rekonstruieren und seine eigene Identität zu suchen. Die neuesten Erkenntnisse erzählt er dem namenlosen Ich-Erzähler des Romans, welcher diese wiederum aus seiner Perspektive an den Leser weitergibt. So bekommt der Leser nach und nach mehr Informationen über die Herkunft der Hauptfigur: Austerlitz wurde 1934 in Prag geboren und floh während des zweiten Weltkriegs mithilfe eines Kindertransports von Prag nach England, während die Mutter im Konzentrationslager Theresienstadt verstarb und die Spuren des Vater in einem französischen Internierungslager verlorengingen. Austerlitz verbrachte den Rest seiner Kindheit bei Pflegeeltern in Wales, wo die Verdrängung seiner Erinnerungen und so seine Traumatisierung begann. Da er auch im weiteren Verlauf seines Lebens nie heimisch wurde, fasst er irgendwann den Entschluss, seine Lebensgeschichte rekonstruieren zu wollen, um so Identität zu konstruieren. Ob ihm dies gelingt, kann in Frage gestellt werden, da Austerlitz dem Erzähler am Ende des Romans seinen Haustürschlüssel übergibt, um sich selbst auf die Suche nach Informationen zu seinem Vater zu machen. Im dritten Kapitel möchte ich noch einmal genauer auf die wichtigsten Motive des Werkes eingehen, es begründet der Erinnerungsliteratur zuordnen und die Eignung des Werkes für die Schule analysieren.
Im darauffolgenden Kapitel soll wiederum eine Grundlage für die Nutzung der bisherigen Ausarbeitungen in einem zeitgemäßen Unterricht gelegt werden. Hier möchte ich kurz auf die Theorie Felix Stalders zur Kultur der Digitalität (2016) eingehen und deren Auswirkungen auf die Bildungswelt erläutern. Die zentrale Frage lautet in diesem Abschnitt: Was soll zeitgemäßen Deutschunterricht, wie im Titel der Hausarbeit geschrieben, auszeichnen? Der Schwerpunkt soll darauf liegen, die wichtigsten Begriffe und Erkenntnisse der progressiven Bildungsforschung zu erläutern und so die Herausforderungen, welchen sich die Schule in der heutigen Zeit stellen muss, zu verdeutlichen.
In einem letzten Schritt sollen die Untersuchungsgegenstände aus den bisherigen Kapiteln miteinander in Beziehung gesetzt und in konkreten Unterrichtssituationen vorgestellt werden. Wie könnte also eine Unterrichtseinheit zu dem Werk Austerlitz im Kontext der Kultur der Digitalität aussehen? Welche digitalen Tools könnten sinnvoll in den Unterricht eingepflegt werden, um die SchülerInnen mit den Geschehnissen des Holocausts zu konfrontieren und deren Interesse an diesen Taten zu wecken? In einem Fazit werden die gewonnenen Erkenntnisse abschließend resümiert.
2. Erinnerungsliteratur im Kontext des literarischen Lernens in der Schule
2.1 Erinnerung und Identität
Erinnerungen von Individuen sind Grundlage für all unsere Kenntnisse der Vergangenheit1. Bevor man also darüber nachdenken kann, wie die Erinnerung an den Holocaust bewahrt werden kann, muss man erst einmal verstehen, wie Erinnerung überhaupt entsteht und was erinnert wird. Voraussetzung dafür ist das Gedächtnis, welches kein Abbild der Realität ist, es interpretiert und filtert diese auf unterschiedliche Wege und Funktionen2. Das Gedächtnis ist ein Netzwerk, innerhalb dessen Informationen abgelegt werden, welche bei einem gleichartigen Wahrnehmungsreiz erneut aktiviert werden3. Dies kann nun als Erinnerung bezeichnet werden. Dadurch wird allerdings auch klar, dass Ereignisse bei jedem neuen Reiz/bei jedem Erinnerungsvorgang neu bewertet und interpretiert werden4. Folglich können Erinnerungen verschiedenster Ereignisse in diesem Prozess auch (meist unterbewusst) verändert oder verfälscht werden5. Werden Informationen hingegen nicht wieder erneut aktiviert, verschwinden sie langsam, dies bezeichnen wir als Vergessen, nur biographisch relevante Ereignisse werden also erhalten6. Da ein Individuum allerdings nie isoliert, sondern immer in der Kommunikation mit anderen ist, konstituiert sich auch das individuelle Gedächtnis immer nur im Zusammenspiel mit einer Gruppe, wie z.B. der Familie und Parteien7. Dieses Gedächtnis, welches auf Alltagskommunikationen beruht, wird als kommunikatives Gedächtnis bezeichnet und stirbt in der Regel samt der Zeugen seiner Erinnerungen nach 80-100 Jahren aus8. Erinnerungen, die länger bestehen bleiben sollen, müssen also in eine andere Form des Gedächtnisses übergehen. Dieses ist das sogenannte kulturelle Gedächtnis, das vorher alltägliche, regelmäßig veränderte Gedächtnis wird nun durch den Einsatz von Medien starr9. Das kulturelle Gedächtnis bewahrt das Wissen, Texte, Symbole etc. einer Gruppe, trennt das Eigene vom Fremden, bezieht dieses Wissen auf aktuelle Situationen und konstituiert so das Selbstbild und die Wir-Identität einer Gruppe durch gemeinsame Bezugspunkte in der Vergangenheit10. Auch die Identität einer einzelnen Person entwickelt sich folglich immer in der Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt und ist nie abgeschlossen11. In der Konstruktion der eigenen Identität spielt auch die Erinnerung an eigene Erfahrungen eine wichtige Rolle, Gymnich erläutert zusammenfassend:
Das Gedächtnis (…) bildet aus Sicht der Kognitionspsychologie „die Grundlage von tiefverwurzelten Überzeugungen, was die eigene Person anbelangt“ – und ist damit unmittelbar identitätskonstituierend. Erinnerungen stellen die Voraussetzung für den Akt retrospektiver, subjektiver Kontinuitätsstiftung dar. Zugleich sind sie aber auch maßgeblich für das Gefühl von Einzigartigkeit verantwortlich, das die Identität des Individuums konturiert12.
An diesem Zitat lässt sich erkennen, dass all die oben erklärten Begriffe in Verbindung zueinander stehen, Erinnerungen sind Voraussetzung für eine biographische Kontinuität und daher auch für die Identität des Individuums. Diese Erkenntnis wird in dieser Arbeit noch eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Werk Austerlitz spielen. Zunächst einmal möchte ich allerdings darauf eingehen, welche Rolle Literatur im Prozess des Erinnerns spielen und wie man dies in der Schule nutzen kann.
2.2 Möglichkeiten von Erinnerungsliteratur zum Bewahren der Erinnerung an den Holocaust
Wie in 2.1 bereits angerissen wurde, kann Erinnerung nur mediengestützt funktionieren, wenn das kommunikative Gedächtnis ausstirbt. Texte als Medienvertreter sind also wichtige Bestandteile des kulturellen Gedächtnisses und damit auch der gemeinsamen Identitätskonstruktion einer Gesellschaft. Im Folgenden möchte ich darauf eingehen, welche Rolle fiktionale Literatur im Erinnerungsprozess spielen kann und anschließend untersuchen, was dies für den Deutschunterricht bedeuten kann.
Zunächst einmal kann Literatur eine Bühne für Erinnerung und deren Reflexion bieten, blinde Flecken vorherrschender Vergangenheitsversionen offenlegen und so den gesellschaftlichen Streit um Geschehnisse, welche es wert sein könnten, erinnert zu werden, aktiv mitgestalten13. Neumann schreibt: „Durch bewusste Selektionsentscheidungen bringen literarische Texte konstitutive Erfahrungen und Identitätskonzepte bestimmter Erinnerungsgemeinschaften zur Anschauung“14. Zusätzlich ist es der Literatur möglich, metafiktional auf den unzuverlässigen Charakter von Erinnerung einzugehen, denn auch Geschichtsschreibung ist eine Konstruktion der Vergangenheit, welche auf Erinnern und Vergessen beruht15. Sie, ergänzt Braun, „(…)dient den LeserInnen somit als Anregung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und zur Identitätsarbeit“16. LeserInnen lernen, zu erkennen, dass kollektive Erinnerung auf individueller Wahrnehmung und Erinnerung beruht und häufig instrumentalisiert wird. Metafiktionalität spielt auch in Austerlitz eine entscheidende Rolle und wird im weiteren Verlauf der Hausarbeit noch einmal aufgegriffen.
Doch fiktionale Literatur kann noch einen weiteren wichtigen Beitrag im Erinnerungsprozess leisten, wie Braun in ihren Ausführungen darstellt: Da Daten und Fakten nicht ausreichen, um z.B. das die Vorstellungskraft übersteigende Leiden im Holocaust zu beschreiben, eignet sich fiktionale Literatur dazu, über objektive Informationen hinauszugehen17. Durch ein exemplarisches Figurenschicksal können Zusammenhänge in der Literatur so dargestellt werden, dass dem/der LeserIn ein Orientierungsrahmen der Erinnerung gegeben werden und es diesen leichter fällt, sich wichtige Ereignisse der Vergangenheit anzueignen18. So ermöglicht Literatur exemplarisch einen intensiven, bewegenden Zugang zur Vergangenheit und gestaltet die individuellen und kollektiven Erinnerungen der Menschen reflexiv mit19.
Die Auswahl von Literatur für den Deutschunterricht ist also ein Indiz dafür, welche Geschichtsversionen als wichtig genug angesehen werden, um sie zukünftigen Generationen zu vermitteln. Die an diesem Entscheidungsprozess beteiligten Fachkräfte, wie z.B. LehrerInnen müssen sich bewusst machen, dass sie das Bild der Vergangenheit der SchülerInnen mit ihrer Wahl der Lektüre entscheidend beeinflussen. Aus den oben genannten Beiträgen von fiktionaler Literatur zum Erinnerungsprozess lassen sich allerdings auch große Chancen für den Deutschunterricht ableiten. Durch die teils fiktionale, teils faktenbasierte Geschichte eines Autors, werden komplizierte, oft abstrakte oder entfernt erscheinende Ereignisse geordnet und reduziert, so dass es SchülerInnen leichter fällt, sich in den Text hineinzuversetzen. Außerdem lernen sie, bewusst mit Fiktionalität umzugehen.
[...]
1 Vgl. Braun, 2015, S. 7.
2 Vgl. Welzer, 2002, S. 20.
3 Vgl. ebd., S. 52 f.
4 Vgl. ebd., S. 209.
5 Vgl. Braun, 2015, S. 31.
6 Vgl. Welzer, 2002, S. 21 f.
7 Vgl. Assmann, 1988, S.10.
8 Vgl. ebd., S.10 f.
9 Vgl. ebd., S.10 ff.
10 Vgl. ebd., S.13 ff.
11 Vgl. Gymnich, 2003, S.30 f.
12 Ebd., S.35.
13 Vgl. Neumann, 2003, S.70 ff.
14 Ebd., 2003, S. 67.
15 Vgl. Braun, 2015, S. 136.
16 Ebd., S. 87 f.
17 Vgl. ebd., S.32 f u. S. 148 ff.
18 Vgl. ebd.
19 Vgl. ebd., S.163 f.