Das Kunstmärchen "Der goldene Topf" von E. T. A. Hoffmann ist im Jahr 1814 zurzeit der Romantik im dritten Band des Fantasiestücks in Callot’s Manier erschienen und ist in zwölf Vigilien unterteilt.
E. T. A. Hoffmann hat vom Wert seines Märchens aus der neuen Zeit genaue Vorstellungen, weshalb das Kunstmärchen "Der goldene Topf" als repräsentatives Beispiel für die Duplizität zweier Welten fungiert. Anders als vermutlich erwartet, beginnt das Märchen nicht mit dem typischen "Es war einmal [...]", sondern vielmehr mit einer Ort- und Zeitbeschreibung des Handlungsraums. Dadurch wird der prototypische Einstieg in die Märchenwelt nicht gewährleistet und die Erwartungshaltung der Leserinnen und Leser nicht erfüllt. Dennoch wird ihnen bereits ein erster Blick auf den Handlungsraum ermöglicht, wodurch Neugierde auf mehr geweckt wird.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit der Frage beschäftigen, inwiefern die Phantastik, die Struktur des Raumes und die Grenzziehung sowie die Grenzüberschreitungen eine entscheidende Rolle zum Verständnis der Duplizität beider Räume spielen. Hierfür sollen zuerst die Teilkomponenten des Raumes nach Elisabeth Störker begrifflich erläutert werden. Im Anschluss werde ich mich mit den Begriffen der Grenze sowie der Grenzüberschreitung
beschäftigen und zum Abschluss des theoretischen Teils mit der Phantastik. Danach erfolgt anhand des Kunstmärchens "Der goldene Topf" von E. T. A. Hoffmann eine Analyse auf Grundlage der vorher genannten Komponenten. Mit einem abschließenden Fazit soll diese Hausarbeit abgeschlossen werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Die Struktur des Raumes - die Raummodelle
1.1. Der gestimmte Raum
1.2. Der Aktionsraum
1.3. Der Anschauungsraum
2. Grenzen und Grenzüberschreitungen
2.1. Grenzen im Handlungsraum
2.2. Grenzüberschreitungen im Handlungsraum
3. Phantastik in der Literatur
4. Analyse
4.1. Der Handlungsraum in Der goldene Topf
4.2. Grenzen und Grenzüberschreitungen in Der goldene Topf
4.3. Phantastik in Der goldene Topf
III. Fazit
IV. Literaturverzeichnis
a. Primärliteratur
b. Sekundärliteratur
c. Tertiärliteratur
I. Einleitung
Das Kunstmärchen Der goldene Topf von E. T. A. Hoffmann ist im Jahr 1814 zurzeit der Romantik im dritten Band des Fantasiestücks in Callot’s Manier erschienen (vgl. Stockinger 2012, S. 10) und ist in zwölf Vigilien 1 unterteilt.
E. T. A. Hoffmann hat vom Wert seines Märchens aus der neuen Zeit genaue Vorstellungen, weshalb das Kunstmärchen Der goldene Topf als repräsentatives Beispiel für die Duplizität zweier Welten fungiert (vgl. Wührl 1982, S. 104). Anders als vermutlich erwartet, beginnt das Märchen nicht mit dem typischen „Es war einmal sondern vielmehr mit einer Ort- und
Zeitbeschreibung des Handlungsraums. Dadurch wird der prototypische Einstieg in die Märchenwelt nicht gewährleistet und die Erwartungshaltung der Leserinnen und Leser nicht erfüllt (vgl. Geisler/Winkler 1987, S. 8). Dennoch wird ihnen bereits ein erster Blick auf den Handlungsraum ermöglicht, wodurch Neugierde auf mehr geweckt wird.
Mithilfe des Kunstmärchens sollen die Leserinnen und Leser aus ihrer Alltagswelt gerissen werden, obwohl sie sich zu Beginn in der deutschen Stadt Dresden und somit in der Gegenwart wiederfinden, statt in einer fiktiven Welt, wie es in Märchen üblich ist. Trotz der Phantastik sollen die Wurzeln in der Realität verankert bleiben. So auch bei dem Protagonisten Anselmus, der zu Beginn der Geschichte im Dresdner Bürgertum verwurzelt ist, bis er am Himmelfahrtstag drei Schlangen an einem Holunderbaum sieht und sich in eine der drei verliebt. Ab diesem Zeitpunkt verschmilzt langsam die Realität mit der phantastischen Welt, was zeigt, dass der Handlungsraum eine wichtige Position innerhalb des Kunstmärchens einnimmt und somit keinesfalls im Hintergrund der Handlung bleibt (vgl. Haupt 2004, S. 76).
In Der goldene Topf fungiert die Phantastik als Spiegelbild der Realität, die auf der Grundlage der Wirklichkeit die übernatürliche Welt der Phantasie bildet (vgl. Nünning 2001, S. 504). Dadurch liegt eine Duplizität des Raumes vor, die die Leserinnen und die Leser ergründen möchten.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit der Frage beschäftigen, inwiefern die Phantastik, die Struktur des Raumes und die Grenzziehung sowie die Grenzüberschreitungen eine entscheidende Rolle zum Verständnis der Duplizität beider Räume spielen. Hierfür sollen zuerst die Teilkomponenten des Raumes nach Elisabeth Störker begrifflich erläutert werden. Im Anschluss werde ich mich mit den Begriffen der Grenze sowie der Grenzüberschreitung beschäftigen und zum Abschluss des theoretischen Teils mit der Phantastik. Danach erfolgt anhand des Kunstmärchens Der goldene Topf von E. T. A. Hoffmann eine Analyse auf Grundlage der vorher genannten Komponenten. Mit einem abschließenden Fazit soll diese Hausarbeit abgeschlossen werden.
II. Hauptteil
1. Die Struktur des Raumes - die Raummodelle
Durch die Auffassungsweise und die Perspektivsetzung des erlebenden Ich wird dem Ort der Geschichte in unserem Fall dem Raum, eine wichtige Rolle zugeschrieben. Nach Elisabeth Störker lassen sich drei Raummodelle unterscheiden, die jeweils von einem gelebten Raum ausgehen, welcher „die streng korrelative Beziehung von Welt und Weltverhalten“ (Hoffmann 1978, S. 47) des Menschen darstellt. Dabei wird der Raum durch Anschauen, Handeln oder Erleben bestimmt, weshalb sich der gelebte Raum in Anschauungsraum, Aktionsraum und gestimmten Raum untergliedern lässt. Die Differenzierung gelingt nach Störker durch die Struktur der jeweiligen Räume, weshalb von Raummodellen gesprochen werden kann (vgl. ebd., S. 47). Die Trennung des gelebten Raums in drei unterschiedliche Raummodelle aufgrund ihrer Struktur ist jedoch nicht bindend, da sie prinzipiell gemeinsam eine Einheit bilden. Als Beispiel lässt sich hierfür anführen, dass der gestimmte Raum immer etwas mit Anschauung zu tun hat. Der Anschauungsraum wiederum ist subjektbezogen, aufgrund bestimmter Stimmungswerte, was sich noch mal auf den gestimmten Raum zurückführen lässt (vgl. ebd., S. 47). Dennoch ist immer eine Raumstruktur innerhalb des Handlungsraums die Führende, weshalb die drei unterschiedlichen Raummodelle im Folgenden vorgestellt werden.
1.1. Der gestimmte Raum
An den gestimmten Raum sind subjektive Erfahrungen und Gefühle gekoppelt, die das wahrnehmende Individuum durch den Raum vermittelt bekommt. Der Raum kann dementsprechend zu jedem Zeitpunkt der Handlung gleich aussehen, zumindest durch die objektive Betrachtung des Subjekts. Emotional wird der Raum jedoch durch die jeweilige Situation und Atmosphäre bestimmt, wodurch sich dieser durch die wahrnehmende Figur verändert. (vgl. Haupt 2004, S. 70). Das zeigt letztlich, dass der Handlungsraum immer an eine Figur gekoppelt ist. Dies kann nicht nur zur Charakterisierung der handlungsgebenden Figur beitragen, sondern gibt auch das Innenleben dieser wieder. Für die Leserinnen und Leser ist vor allem interessant zu beobachten, ob sich während der Erzählung die Stimmung des Raums ändert, da dies auf eine emotionale Entwicklung des Subjekts hindeuten könnte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Raumbetrachtung nur durch die Beobachtung des handelnden Subjekts zielführend ist (vgl. ebd., S. 70ff.).
1.2. Der Aktionsraum
Eine weitere Raumstruktur stellt der Aktionsraum dar. Dieser wird bereits durch den Namen beschrieben, da es ein Raum ist, in dem eine Aktion, genauer gesagt eine Handlung ausgeführt wird. Es geht also um die aktuelle räumliche Bewegung einer Figur innerhalb des Handlungsraums, dem sogenannten Aktionsradius (vgl. ebd., S. 71). Der Raum bleibt nicht unbewegt und gleich, sondern verändert sich mit jeder Bewegung des handelnden Subjekts, da immer neue Abschnitte des Raums von Bedeutung sind. Mithilfe der Handlung lassen sich die Figuren ebenfalls näher charakterisieren und den Leserinnen und Lesern werden neue Sichtweisen auf die Figuren ermöglicht (vgl. ebd., S. 71).
1.3. Der Anschauungsraum
Das letzte Raummodell stellt den Anschauungsraum dar. Dieser bezieht sich auf die Gesamtheit aller sichtbaren und visuellen Eindrücke, welches das Subjekt innerhalb des Handlungsraums wahrnimmt. Im Vergleich zu den beiden weiteren Raummodellen stellt der Anschauungsraum die objektivste Raumstruktur dar, auch wenn die Wahrnehmungen durch die jeweiligen Figuren bestimmt werden. Denn auch wenn alle Subjekte ein und denselben Raum gleich wahrnehmen, können dennoch unterschiedliche Bedeutungen und Assoziationen hervorgerufen werden (vgl. ebd., S. 71). Damit es zu keiner Überschneidung zwischen dem Anschauungsraum und dem gestimmten Raum kommt, verfolgt der Anschauungsraum im Gegensatz zum gestimmten Raum eine detailgetreue Darstellung, welche letztlich zu einer Illusion von Realität führt (vgl. ebd. S. 76). Das Hauptaugenmerk bezüglich der Struktur des Anschauungsraums nach Haupt liegt auf den Begriffen Demonstration und Detektion (vgl. ebd., S. 77). Mit Demonstration ist die detailreiche Beschreibung des Raums gemeint, damit den Leserinnen und Lesern ein besseres Bild von dem ihnen unbekannten Raum vermittelt werden kann. Bei der Detektion wiederum erfolgt eine „Selektion und Raffung bei der Darstellung von Details“ (ebd., S. 76), wodurch den Leserinnen und Lesern eine genaue Vorstellung von dem Raum verwehrt bleibt und somit auch kein Bezug zur Realität hergestellt wird. Dadurch wird bei ihnen jedoch Neugierde geweckt, mit dem Ziel, mehr über die jeweiligen Gegebenheiten zu erfahren (vgl. ebd., S. 76).
2. Grenzen und Grenzüberschreitungen
2.1. Grenzen im Handlungsraum
Da ein Raum nicht nur in seiner Vollkommenheit betrachtet werden kann, sondern auch in verschiedene Bereiche untergliedert wird, spielt der Begriff der Grenze eine entscheidende Rolle. Die Grenze stellt innerhalb des Raums eine Barriere dar und untergliedert diesen, was sich auch in den unterschiedlichen Raummodellen nach Störker widerspiegelt. In der Darstellung variiert die Grenze, wodurch sich im Aktionsraum die Grenze durch die Unterbindung der Bewegung der Figuren mithilfe von manifestierten Barrieren zeigt. Im Anschauungsraum wiederum werden die Grenzen durch die Perspektivsetzung festgelegt und im gestimmten Raum durch die jeweilige Atmosphäre. Die Grenzen können also mit verschiedenen Sinnen auf ganz unterschiedliche Art und Weise wahrgenommen werden, aber sind in jedem Fall da (vgl. Haupt 2004, S. 78). Die einzelnen Teilbereiche der Räume sind jedoch nicht unabhängig voneinander, sondern miteinander verknüpft. Zur Verknüpfung der Räume gibt es unterschiedliche Ansätze. Die Teilbereiche der Räume können beispielsweise ohne jegliche Relation zueinander aneinandergereiht werden. Dies wird nach Hoffmann als Addition bezeichnet (vgl. ebd., S. 79). Genauso gut können die Teilbereiche aber auch durch Relationen miteinander verknüpft werden. Hierbei wird zwischen kausalen, konsekutiv-finalen und korrelativen Verknüpfungen unterschieden. Mithilfe der kausalen oder der konsekutivfinalen Verknüpfung soll der „Entwicklungsweg einer Figur“ (ebd., S. 79) durch das Fortschreiten im Raum markiert werden. Durch die korrelative Verknüpfung zweier gleichrangiger Räume sollen anhand von Parallelisierung und Kontrastierung die Gegensätze der jeweiligen Räume hervorgebracht werden (vgl. ebd., S. 79).
2.2. Grenzüberschreitungen im Handlungsraum
Die Grenzen innerhalb der Räume sind jedoch nicht starr, sondern können durch die Figuren überwunden werden. Hierbei unterscheidet Haupt zwischen Mobilität und Immobilität. Bei der Mobilität werden innerhalb der Erzählung viele verschiedene Räume vorgestellt, da die jeweiligen Figuren dauerhaft in Bewegung sind. Bei der Immobilität ist dies jedoch nicht der Fall (vgl. Haupt 2004, S. 81). Die Übertretung gewisser Grenzen hängt oftmals mit Bedeutungen zusammen, die in Zusammenhang mit dem jeweiligen Raum entstehen. Dabei ist zu beachten, dass die Bedeutungen nicht nur durch den Text oder die Handlung entstehen, sondern durch Konnotationen sowie den ,,historische[n], soziale[n] oder auch kulturelle[n]
[...]
1 Der Begriff Vigilie entspringt aus dem Lateinischen und heißt übersetzt Nachtwache. Hierfür hat Hoffmann Inspiration durch den Roman „Nachtwache“ erhalten, der 1814 unter dem Pseudonym Bonaventura veröffentlicht wurde (vgl. Fellenberg/Küster 2018, S. 34).