"Wir brauchen dringend eine gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie es sein kann, dass im Jahr 2022 eine Institution mit ihrem eigenen Arbeitsrecht fundamentale Menschenrechte verletzt." Das sind Jens Ehebrecht-Zumsandes Worte. Er ist Referatsleiter des Erzbistums Hamburg und gleichzeitig Initiator der Kampagne #OutInChurch. Diese erhielt im Januar 2022 große Aufmerksamkeit in der Presse. 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche erklären, sich nicht mit der nicht binären cis heterosexuellen Vorstellung der Kirche als einzig mögliche Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung identifizieren zu können.
Der Grund, weshalb diese Kampagne für Schlagzeilen sorgt, ist das diskriminierende kirchliche Arbeitsrecht, nach welchem sie beschäftigt sind. Nach § 9 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist eine Ungleichbehandlung durch kirchliche Arbeitgeber*innen aufgrund bestimmter Merkmale sogar gerechtfertigt. Die Mitarbeiter*innen katholischer Einrichtungen müssen daher bei einem offenen Umgang mit ihrer Sexualität fürchten, ihre Beschäftigung nicht weiter ausführen zu dürfen. Zwar hat das AGG gemäß § 1 sogar insbesondere das Ziel, eine Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen, aber den Kirchen und den dazugehörenden Einrichtungen werden gewisse Ausnahmen gestattet, die im Folgenden noch genauer analysiert werden.
Anhand dieser Arbeit wird untersucht, ob das kirchliche Arbeitsrecht entkräftet werden sollte. Dabei soll auch das AGG genauer betrachtet und dessen Widersprüchlichkeit zum kirchlichen Arbeitsrecht aufgezeigt werden. Zusätzlich soll ein Bezug zur Sozialen Arbeit hergestellt werden.
Inhalt
1 Angst der Mitarbeiter*innen kirchlicher Einrichtungen
2 Darstellung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
2.1 Geschichte und Entwicklung des AGG
2.2 Anwendungsbereich
2.3 Verbotene Diskriminierungsmerkmale
2.4 Folgen bei Zuwiderhandlung
3 Kurze Darstellung des kirchlichen Arbeitsrechts
4 Diskriminierung von Sozialarbeiter*innen durch das kirchliche Arbeitsrecht
4.1 Diskriminierung aufgrund von Kirchenaustritt
4.2 Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung
5 Gründe für die Entkräftung des kirchlichen Arbeitsrechts
5.1 Individueller Grundrechtsschutz
5.2 Engere Orientierung an EU-Richtlinie
5.3 Erbringung öffentlicher Dienstleistungen
6 Fazit
7 Literatur
1 Angst der Mitarbeiter*innen kirchlicher Einrichtungen
„Wir brauchen dringend eine gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie es sein kann, dass im Jahr 2022 eine Institution mit ihrem eigenen Arbeitsrecht fundamentale Menschenrechte verletzt.“ (Langer 2022, S.1) Das sind Jens Ehebrecht-Zumsandes Worte. Er ist Referatsleiter des Erzbistums Hamburg und gleichzeitig Initiator der Kampagne #OutInChurch. Diese erhielt im Januar 2022 große Aufmerksamkeit in der Presse. 125 Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche erklären, sich nicht mit der nicht binären cis heterosexuellen Vorstellung der Kirche als einzig mögliche Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung identifizieren zu können. (vgl. ebd.)
Der Grund, weshalb diese Kampagne für Schlagzeilen sorgt, ist das diskriminierende kirchliche Arbeitsrecht, nach welchem sie beschäftigt sind. Nach § 9 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist eine Ungleichbehandlung durch kirchliche Arbeitgeber*innen aufgrund bestimmter Merkmale sogar gerechtfertigt. Die Mitarbeiter*innen katholischer Einrichtungen müssen daher bei einem offenen Umgang mit ihrer Sexualität fürchten, ihre Beschäftigung nicht weiter ausführen zu dürfen. Zwar hat das AGG gemäß § 1 sogar insbesondere das Ziel, eine Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen, aber den Kirchen und den dazugehörenden Einrichtungen werden gewisse Ausnahmen gestattet, die im Folgenden noch genauer analysiert werden.
Anhand dieser Arbeit wird untersucht, ob das kirchliche Arbeitsrecht entkräftet werden sollte. Dabei soll auch das AGG genauer betrachtet und dessen Widersprüchlichkeit zum kirchlichen Arbeitsrecht aufgezeigt werden. Zusätzlich soll ein Bezug zur Sozialen Arbeit hergestellt werden.
2 Darstellung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
Durch die folgenden Unterpunkte wird das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bezüglich seiner Entstehungsgeschichte und seines Anwendungsbereichs näher untersucht, um die verbotenen Diskriminierungsmerkmale und die Folgen bei Zuwiderhandlung besser verstehen zu können.
2.1 Geschichte und Entwicklung des AGG
Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz trat am 18.08.2006 in Deutschland in Kraft. Es beruht auf den vier europäischen Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und stellt somit die Umsetzung von europäischem in deutsches Recht dar. (vgl. Weichselgärtner 2011, S. 23 f.) Die beiden ersten Richtlinien hätten jedoch bereits bis zum 19. Juli bzw. 2. Dezember 2003 umgesetzt worden sein müssen, weshalb im Juli 2004 von der Europäischen Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet wurde. (vgl. Raasch 2004, S. 394)
Denn jede Richtlinie ist eine Handlungsform der EU, welche sich an die Mitgliedsstaaten richtet und diese verpflichtet, ihr nationales Recht in Bezug auf die Bestimmungen anzupassen bzw. neu zu setzen. Damit dies einheitlich geschehen kann, besteht eine individuelle Umsetzungsfrist, welche strengstens eingehalten werden muss, um die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission zu vermeiden. Das AGG wurde zwar verspätet verabschiedet, stellt seitdem jedoch zwingendes und verbindliches innerstaatliches Recht dar. (vgl. Deutscher Bundestag 2019, S. 3 f.)
Drei der vier EU-Richtlinien wurden vom Europäischen Rat, auf Grundlage von Art. 13 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrags), beschlossen. Durch diesen ist er nämlich dazu ermächtigt, Vorkehrungen zu treffen, „um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“ (Weichselgärtner 2011, S.25)
Die ansteigende fremdenfeindliche Gewalt sowie die Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien in den 1990er Jahren machten eine Beschließung von neuen Anti-Diskriminierungsrichtlinien der EU notwendig. Die erste Richtlinie 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft wurde am 29.06.2000 beschlossen. Darauf folgte am 27.11.2000 die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sowie etwas später am 13.12.2004 die Richtlinie 2004/113/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Die vierte Richtlinie 2002/73/EG vom 23.09.2002 beruht auf dem Art. 141 des EG-Vertrags und stellt eine Revision der Richtlinie von 1976 zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf Arbeitsbedingungen dar. (vgl. Guenther 2013, S. 57 f.)
Zwar wurde bereits 2005 der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien (ADG-E) vom Bundestag verabschiedet, jedoch war der Bundesrat der Ansicht, dass dieser Entwurf weitreichender und nicht nur auf das von der EU geforderte beschränkt war. Daher wurde der Vermittlungsausschuss angerufen. Aufgrund der neuen Bundestagswahl konnte jedoch das Vermittlungsverfahren nicht abgeschlossen werden und wegen des Grundsatzes der Diskontinuität der Entwurf nicht in Kraft treten. Denn dieser besagt, dass eingebrachte Gesetzesvorlagen, die vor Ende einer Legislaturperiode nicht behandelt werden konnten, von der neuen erneut eingebracht werden müssen. (vgl. Weichselgärtner 2011, S.27)
Somit wurde erst 2006 das AGG in etwas abgeänderter Form verabschiedet, wobei für den folgenden Teil der Arbeit insbesondere die Abwandlung der Kirchenklausel (§ 9 AGG) von Wichtigkeit ist. Im Vergleich zum ADG-E wird im AGG das Selbstbestimmungsrecht der religiösen Arbeitgeber*innen viel stärker berücksichtigt und dieses nicht mehr nur auf die Gemeinschaften, sondern auch deren zugehörige Einrichtungen erweitert. Somit wurden die Vorgaben des Art. 4 Abs. 2 der EU-Richtlinie 2000/78/EG im AGG viel mehr zugunsten der Kirchen umgesetzt. Dies verursacht dementsprechend Diskriminierungen von Arbeitnehmer*innen kirchlicher Träger, worauf im Folgenden weiter eingegangen wird. (vgl. Schoenauer 2011, S. 144 ff.)
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