Wie können die Begriffe der Intelligenz bzw. des intelligenten Verhaltens und der physischen Verkörperung festgelegt werden? Brauchen Intelligenz und intelligentes Verhalten eine physische Verkörperung?
Künstliche Intelligenzen (KIs) sind aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken, da sie uns in vielen Bereichen begleiten. Unabhängig von einem konkreten Beispiel werden beim Einsatz eines KI-Systems jedoch in der Regel menschliche Entscheidungs- und Denkstrukturen nachgebildet und umgesetzt. Dies geschieht entweder genauso gut oder noch besser als beim Menschen. Das hat zur Folge, dass KIs nicht nur "Intelligenz", sondern auch ein intelligentes Verhalten zugeschrieben wird. Auffällig ist dabei jedoch, dass sie nicht immer körperliche Eigenschaften (vergleichbar zu Haut, Muskeln, Knochen) oder Sensorik (im Sinne der Sinneswahrnehmung und -verarbeitung) aufweisen. Trotzdem schaffen es künstliche Intelligenzen, das gleiche (echte) intelligente Verhalten nachzuahmen. Damit wird erkennbar, dass körperliche Eigenschaften für intelligentes Verhalten nicht unbedingt notwendig sind. Verschiedene Philosophen sehen diesen Punkt jedoch genau gegenteilig. So behauptet zum Beispiel Brooks (1991), dass KIs nur dann (echtes) intelligentes Verhalten aufzeigen können, wenn sie die genannten körperlichen Eigenschaften aufweisen. Dieses Argument steht bei ihm im Zusammenhang mit dem Begriff "embodiment" (zu Deutsch: Verkörperung).
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1. Intelligenz
1.1 Intelligenz als aufgabenbezogene Fertigkeit
1.2 Intelligenz als allgemeine Lernfähigkeit
2. Physische Verkörperung
3. Braucht Intelligenz eine physische Verkörperung?
3.1 Einwände gegen Brooks Argumente
3.2 Softwarebasierte virtuelle (Sprach-)Assistenten und Zero-User-Interfaces
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Abstract
Künstliche Intelligenzen (nachfolgend als KIs abgekürzt) sind aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken, da sie uns in vielen Bereichen begleiten. Sei es beim Lösen von Matheaufgaben, dem Übersetzen von Sprachen, beim Schachspielen, beim Bau oder gar dem Einparken eines Autos. Diese wenigen Beispiele zeigen zusammengenommen, dass für verschiedene Aufgaben jeweils andere Arten von Intelligenz notwendig sind. Das Zusammenbauen eines Autos benötigt andere (Denk-)Prozesse als das Übersetzen eines Satzes von Deutsch nach Russisch. Unabhängig von einem konkreten Beispiel werden beim Einsatz eines KI-Systems jedoch in der Regel menschliche Entscheidungs- und Denkstrukturen nachgebildet und umgesetzt. Dies geschieht entweder genauso gut oder noch besser als beim Menschen. Das hat zur Folge, dass KIs nicht nur (die schon im Namen enthaltene) „Intelligenz“, sondern auch ein intelligentes Verhalten zugeschrieben wird. Auffällig ist dabei jedoch, dass sie nicht immer körperliche Eigenschaften (vergleichbar zu Haut, Muskeln, Knochen) oder Sensorik (im Sinne der Sinneswahrnehmung und -verarbeitung) aufweisen. Trotzdem schaffen es künstliche Intelligenzen, dasselbe (echte) intelligente Verhalten nachzuahmen. Damit wird erkennbar, dass körperliche Eigenschaften für intelligentes Verhalten nicht unbedingt notwendig sind.
Verschiedene Philosophen sehen diesen Punkt jedoch genau gegenteilig. So behauptet zum Beispiel Brooks (1991), dass KIs nur dann (echtes) intelligentes Verhalten aufzeigen können, wenn sie die genannten körperlichen Eigenschaften aufweisen. Dieses Argument steht bei ihm im Zusammenhang mit dem Begriff „embodiment“ (zu Deutsch: Verkörperung). Aus den genannten Punkten ergibt sich demnach folgende Aufbaufrage: Wie können die Begriffe der Intelligenz bzw. des intelligenten Verhaltens und der physischen Verkörperung festgelegt werden? Mit ihrer Hilfe soll die Hauptfrage beantwortet werden: Braucht Intelligenz und intelligentes Verhalten eine physische Verkörperung? Aus dieser doppelten Fragestellung ergibt sich folgende Struktur der Hausarbeit.
Im ersten Schritt sollen dazu zwei Arten von Intelligenz untersucht werden (Kapitel eins). Mit Hilfe des Aufsatzes „On the Measure of Intelligence“ (Chollet, 2019) wird dabei einerseits Intelligenz als eine aufgabenbezogene Fertigkeit und andererseits Intelligenz als allgemeine Lernfähigkeit dargestellt. Der Aufsatz von Chollet dient dabei jedoch nur als grobe Orientierung. Damit soll vor allem gezeigt werden, warum diese beiden Arten von Intelligenz zusammengenommen notwendig sind, um intelligentes Verhalten zu bestimmen. Im zweiten Teil (Kapitel zwei) wird der Begriff der physischen Verkörperung zunächst im allgemeinen Kontext der Kognition bzw. Psychologie erläutert. Danach geht es über in den KI-Kontext, wo die Erklärungen von Brooks (1991) und Beer (2014) herangezogen werden. Im nächsten Schritt (Kapitel drei) sollen die vorherigen Aspekte verbunden werden, um die Frage zu beantworten, ob intelligentes Verhalten eine physische Verkörperung braucht. Dabei werden zunächst zwei Argumente von Brooks (vgl. Beer, 2014) untersucht und bewertet, wodurch eine Teilantwort zur Frage geliefert werden soll. Außerdem werden softwarebasierte virtuelle (Sprach-)Assistenten näher untersucht, um ebenfalls Antworten auf die Frage zu liefern. Im vierten Kapitel erfolgt eine abschließende Betrachtung durch eine kurze Wiederholung und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse von Kapitel zwei bis vier. Damit sollen gleichzeitig die beiden Forschungsfragen beantwortet werden. Außerdem sollen die Ergebnisse kurz in den aktuellen Forschungsstand eigeordnet und ein Ausblick auf die Forschung gegeben werden.
1. Intelligenz
Bevor näher auf die beiden unterschiedlichen Arten der Intelligenz eingegangen wird, soll dargestellt werden, warum diese Unterscheidung bzw. Festlegung auf lediglich zwei Kategorien überhaupt benötigt wird. Wenn versucht wird, Intelligenz zu definieren, zeichnen sich schnell verschiedene Probleme ab. Allgemein könnte Intelligenz zum Beispiel als ein Mechanismus zum Überleben bezeichnet werden. Dazu würde dann unter anderem die Suche nach Essen und Unterschlupf, die Fortpflanzung und die Flucht vor Feinden gehören. Doch diese Grundmechanismen können mit weiteren Fähigkeiten verknüpft werden. Der Wissenserwerb, die Lernfähigkeit und Kreativität erleichtern nämlich das Überleben - also müssen sie in einer engen Verbindung zu den o.g. Grundmechanismen gesehen werden. Darunter fallen außerdem weitere Prozesse wie die Entwicklung von Strategien und das kritische bzw. reflektierte Denken - also stehen auch sie in enger Verbindung zu den vorherigen Begriffen. All das zeigt sich wiederum in verschiedenen Reaktionen, Verhaltensweisen und Formen des Lernens. Ferner bilden die Begriffe „Intelligenz“ und „Bewusstsein“ im Kontext der künstlichen Intelligenz ein beliebtes Paar, welches eine enge Verbindung zu den vorherigen Aspekten bildet. Es soll in dieser Hausarbeit jedoch ausgeklammert werden.
Wird der eher primitive Begriff des Überlebens zurückgelassen, ist Intelligenz also die Fähigkeit, Probleme mit Hilfe von vernetztem Wissen zu lösen (Rost, 2013,
S. 14-15). Dazu werden unterschiedlich stark ausgeprägte kognitive Fähigkeiten eingesetzt. Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausprägung besteht jedoch keine Einigkeit über deren Bestimmung und Unterscheidung. Zum besseren Verständnis können sich zwei Personen (A und B) vorgestellt werden, die Problemlösexperten für ausschließlich ihre Gebiete (a und b) sind und damit gleichzeitig als intelligent gelten. Wird jedoch das Paar Aa (bzw. Bb) zu Ab (bzw. Ba) vertauscht, ist die Person kein Experte der Problemlösung mehr. Intuitiv scheint sie dadurch also auch nicht mehr intelligent zu sein. Das ist jedoch offensichtlich nicht der Fall, da sie lediglich eine kognitive Fähigkeit anwenden muss, die bei ihr nicht so stark ausgeprägt ist wie eine andere. Es wird also deutlich, dass es sich lohnt, denn Begriff der Intelligenz auf eine differenziertere Art und Weise zu operationalisieren. Diese wird in den folgenden beiden Unterkapiteln genauer erläutert.
1.1 Intelligenz als aufgabenbezogene Fertigkeit
Obwohl diese Charakterisierung von Intelligenz in der Forschung teilweise als überholt bezeichnet wird (vgl. Chollet, 2019), kann sie dennoch ein wichtiger Bestandteil von Intelligenz sein. Das ist der Grund, warum sie in dieser Hausarbeit aufgegriffen wurde. Intelligenz als aufgabenbezogene Fertigkeit steht in einem engen Bezug zu den zuvor genannten Aspekten des Überlebens und Wissenserwerbs. Im Alltag treten nämlich oftmals regelmäßige Probleme auf, die einer Lösung bedürfen. Um diese anzugehen, müssen wiederum Fähigkeiten erworben und Fertigkeiten entwickelt werden, auf die bei Bedarf zuverlässig zurückgegriffen werden kann. Wenn ein Mensch zum Beispiel eine sehr simple Gleichung wie 1+1=2 lösen oder eine Flasche Wasser öffnen soll, hat er eine gewisse Routine in der Lösung des jeweiligen Problems.
Um eine Routine zu erlernen, braucht ein Mensch jedoch Werkzeuge. Damit sind weniger seine Hände und Füße, sondern mehr die Fähigkeiten der Wissensaneignung, die Abspeicherung dieses Wissens und manchmal auch die Möglichkeit, daraus etwas Neues zu lernen. Dabei sind Informationen über die Welt die Basis, auf der jede Aktion bzw. Handlung beruht, da man nur so entsprechend auf die Umwelt reagieren kann - mit Hilfe dieser Informationen wird sich letztendlich Wissen angeeignet. Damit nicht jede Handlung neu angegangen werden muss, ist es wichtig, die gesammelten Informationen zu speichern und sich daran zu erinnern. Dadurch fällt es leichter, auf relevante Ereignisse zu reagieren und entsprechende Verhaltensweisen zu erlenen. Manche Verhaltensweisen müssen jedoch mehrere Male wiederholt werden, damit sie sicher und zuverlässig genutzt werden können.
Dieses Verständnis von Intelligenz kann im Begriff des (psychologischen) Nativismus wiedergefunden werden. Dieser besagt, dass bestimmte menschliche Verhaltensweisen, Ideen und Vorstellungen angeboren sind (Gadenne, 2017b, vgl.). Damit wird in beiden Fällen darauf angespielt wird, dass Menschen bzw. Systeme Routinen eingebettet haben, auf die sie jeder Zeit zurückgreifen können. Dies kann von Anfang bzw. Geburt an sein, aber auch durch eine entsprechende Programmierung oder eine mehrfache Ausführung später eingepflegt werden. Das Lernen als das „von-Grund-auf-befassen-mit-et- was“ spielt dabei eine geringe, wenn nicht sogar unbedeutende Rolle (für das Gegenteil siehe später Unterkapitel 1.2).
In der KI-Forschung vertrat Marvin Minsky (1988) eine sehr ähnliche Position, da er die Intelligenz als eine Zusammensetzung aus vielen kleinen Bausteinen ansah, die zusammengenommen intelligent handeln können. Auch wenn er diese Bausteine als unintelligent bezeichnete (Minsky, 1988, S. 17), so sind sie doch dafür verantwortlich, dass die zuvor genannten Prozesse der Wissensaneignung, -speicherung sowie des Lernens überhaupt möglich sind. Minskys Position, dass Intelligenz nur den Lösungsprozess von schwierigen Problemen bezeichnet (Minsky, 1988, S. 71), wird hier jedoch nicht vertreten. Es gibt ganz im Gegenteil vermeintlich einfache Probleme, die genauso Intelligenz oder ein intelligentes Verhalten erfordern. Zum Beispiel scheint das routinemäßige Öffnen einer Flasche Wasser ein einfaches Problem zu sein, weil dazu nur eine Handbewegung notwendig ist (vgl. dazu auch Lanz, 2000, S. 23). In der darauffolgenden KI-For- schung spiegelt sich dies darin wider, dass die Intelligenz als eine Sammlung programmähnlicher Routinen angesehen wurde, die mit Hilfe von logischen Operatoren verarbeitet und in einer großen Wissensdatenbank gespeichert wurden (Chollet, 2019, S. 5). Ferner entspricht dieses Konzept der Intelligenz in weiten Teilen der praktischen Intelligenz (Rost, 2013, S. 164). Speziell dazu gehören die Fähigkeiten des praktisch-intelligenten Handelns und Denkens (Rost, 2013, S. 165). Durch diese Intelligenz kann nämlich die Fähigkeit beschrieben werden, wie verschiedene Vorgänge und Abläufe erlernt werden können (Rost, 2013, S. 164).
Es fällt zudem auf, dass die Intelligenz als aufgabenbezogene Fertigkeit eine gewisse Ähnlichkeit zur symbolischen KI aufweist. Diese Art der KI-Systeme zeichnet sich nämlich durch den Aufbau und die Verarbeitung symbolischer Datenstrukturen aus, welche aus bedeutungslosen Bestandteilen (Items) zusammengesetzt sind. Damit sie eine
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