Wohl kaum ein Thema hat die Öffentlichkeit im letzten Jahrzehnt mehr erregt und beschäftigt als das der Sterbehilfe. Die medizinische Forschung hat durch zahlreiche Entdeckungen alte Lebensbedrohungen ungefährlich gemacht und dadurch erreicht, das Leben allgemein um Jahre oder Monate zu verlängern. Sie kann auch das Sterben verkürzen oder verlängern. Trotz dieser Fortschritte und der gestiegenen Lebenserwartung fühlen sich heute viele schwerkranke und sterbende Patienten durch die moderne Medizin nicht gut versorgt. Entgegen der häufig behaupteten Tabuisierung des Todes in unserer Gesellschaft haben in den letzten Jahren diese als Defizit empfundene Versorgungsprobleme in Deutschland, im Hinblick auf die legalisierte Sterbehilfe im Nachbarland der Niederlande, zu einer sowohl wissenschaftlichen als auch öffentlichen Diskussion geführt. Die Qualität von Leben, der Status von Mensch- bzw. Personsein und die Möglichkeiten legaler Einführung von aktiver Sterbehilfe werden international diskutiert.
Darf ein Mensch sich anmaßen über das Lebensende eines Dritten zu bestimmen? Welche Konsequenzen hat dieses vermeintliche Recht für unsere Gesellschaft? Könnte aus dem "Recht zum Sterben" nicht die Pflicht zum Sterben werden?
Im nachfolgenden Teil meiner Arbeit beschäftige ich mich vorerst mit der aktuellen Rechtslage in Deutschland und mit der Definition der Sterbehilfe nach unserem Gesetz. Diese Bestimmung des Begriffes ist eine wesentliche Vorraussetzung um die Sterbehilfediskussion sachgerecht darstellen zu können. Darauf folgend werde ich das Niederländische Modell in ihrer Entwicklung bis zur legalisierten aktiven Sterbehilfe und den damit verbundenen Problemen darstellen. Diese beiden Kapitel zeigen die großen Unterschiede zweier benachbarten Ländern in ihrer Einstellung zur Selbstbestimmung der Lebensbeendigung.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sterbehilfe in Deutschland
2.1 Die Rechtslage in Deutschland zur Sterbehilfe
2.1.1 Die aktive Sterbehilfe und Mitwirkung am Suizid
2.1.2 Die Indirekte Sterbehilfe
2.1.3 Die passive Sterbehilfe
2.1.4 Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die so genannte Patientenverfügung
2.2 Euthanasie im Nationalsozialismus
3. Euthanasie - Das Niederländische Modell
3.1 Die Entwicklungen in den Niederlanden
3.2 Die gesetzliche Regelung im niederländischen Strafgesetzbuch
3.3 Das Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung
3.3.1 Sorgfaltskriterien
3.3.2 Willenserklärung
3.3.3 Kontrollkommission
3.3.4 Die Leichenschau und das Meldeverfahren
3.4 Probleme der Sterbehilfe in den Niederlanden
4. Sterbebegleitung
4.1 Hospiz
4.1.1 Geschichte der Hospizbewegung
4.2 Palliativmedizin
4.3 Palliativmedizinische Dienste
4.4 Sterbebegleitung in den Niederlanden
4.5 Interview
5. Schlusswort
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wohl kaum ein Thema hat die Öffentlichkeit im letzten Jahrzehnt mehr erregt und beschäftigt als das der Sterbehilfe. Die medizinische Forschung hat durch zahlreiche Entdeckungen alte Lebensbedrohungen ungefährlich gemacht und dadurch erreicht, das Leben allgemein um Jahre oder Monate zu verlängern. Sie kann auch das Sterben verkürzen oder verlängern. Trotz dieser Fortschritte und der gestiegenen Lebenserwartung fühlen sich heute viele schwerkranke und sterbende Patienten durch die moderne Medizin nicht gut versorgt. Entgegen der häufig behaupteten Tabuisierung des Todes in unserer Gesellschaft haben in den letzten Jahren diese als Defizit empfundene Versorgungsprobleme in Deutschland, im Hinblick auf die legalisierte Strebehilfe im Nachbarland der Niederlande, zu einer sowohl wissenschaftlichen als auch öffentlichen Diskussion geführt. Die Qualität von Leben, der Status von Mensch- bzw. Personsein und die Möglichkeiten legaler Einführung von aktiver Sterbehilfe werden international diskutiert.
Darf ein Mensch sich anmaßen über das Lebensende eines Dritten zu bestimmen? Welche Konsequenzen hat dieses vermeintliche Recht für unsere Gesellschaft? Könnte aus dem "Recht zum Sterben" nicht die Pflicht zum Sterben werden?
Im nachfolgenden Teil meiner Arbeit beschäftige ich mich vorerst mit der aktuellen Rechtslage in Deutschland und mit der Definition der Sterbehilfe nach unserem Gesetz. Diese Bestimmung des Begriffes ist eine wesentliche Vorraussetzung um die Sterbehilfediskussion sachgerecht darstellen zu können. Darauf folgend werde ich das Niederländische Modell in ihrer Entwicklung bis zur legalisierten aktiven Sterbehilfe und den damit verbundenen Problemen darstellen. Diese beiden Kapitel zeigen die großen Unterschiede zweier benachbarten Ländern in ihrer Einstellung zur Selbstbestimmung der Lebensbeendigung.
Der darauf folgende Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit dem Hospiz. Als Gegenprogramm zur technischen Hochleistungsmedizin und einer Ausgrenzung von Sterbenden sieht sich die Hospizbewegung der Autonomie und der Würde menschlichen Lebens verpflichtet und lehnt jede Form aktiver Sterbehilfe ab. Ziel dieser Arbeit ist es einerseits einen Überblick über die aktuelle Rechtslage der beiden benachbarten Länder und den damit verbundenen Problemen darzustellen, andererseits die Möglichkeiten der Sterbebegleitung aufzuzeigen, die Grenzen ihrer Arbeit aber nicht unausgesprochen zu lassen. Ich beende meine Arbeit daher mit einem Interview
2. Sterbehilfe in Deutschland
2.1 Die Rechtslage in Deutschland zur Sterbehilfe
Die Sterbehilfe ist zu unterscheiden von der Beihilfe zum Suizid, dem straflosen Ausschalten von Geräten (wie z. B. Beatmungsgeräte) oder dem Unterlassen von Reanimationsversuchen, nachdem der Hirntod bereits eingetreten ist sowie der Hilfe im Sterben: Verabreichen von Medikamenten, die schmerzstillend sind und das Leben nicht verkürzen während des Sterbeprozesses.
Man unterscheidet bei der Sterbehilfe rechtlich in aktive Sterbehilfe, dass heißt der Mitwirkung am Suizid, sowie der passiven und der indirekten Sterbehilfe die im nächsten Abschnitt erläutert werden.
2.1.1 Die aktive Sterbehilfe und Mitwirkung am Suizid
§ 216 Tötung auf Verlangen
(1) „Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen“.
(2) „Der Versuch ist strafbar.“[1]
Grundsätzlich unzulässig nach geltendem Recht ist die gezielte aktive Lebensverkürzung durch Eingriffe in die restlichen Lebensvorgänge, um das Eintreten des Todes zu beschleunigen.
Eine aktive Tötung als Mittel zur Schmerzbeseitigung oder zur Erlösung von einem scheinbar sinnlos gewordenen Leben ist verboten. Das gilt selbst dann, wenn sie auf ausdrücklichen und ernsthaften Wunsch des Sterbenden hin geschieht. Die Selbsttötung ist nach deutschem Recht straflos. Deshalb wird auch derjenige nicht bestraft, der zu einem freiverantwortlichen Suizid anstiftet oder Beihilfe leistet. Strafbar macht sich hingegen, wer täterschaftlich, also in der Eigenschaft als Täter, an der Tötung eines Sterbewilligen mitwirkt. Folgende Konstellationen kommen in Betracht:
Bittet der Kranke ausdrücklich und ernstlich um seine Tötung, so wird derjenige, der sich dazu verleiten lässt, einen anderen zu töten, wegen Tötung auf Verlangen bestraft nach § 216 StGB mit einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren. Liegt ein solches Verlangen nicht vor, ist die Tat mit Totschlag nach § 212 StGB oder bei Hinzutreten weiterer besonderer bzw. qualifizierender Merkmale als Mord nach §213 StGB strafbar.[2] Diese Fälle der so genannten aktiven Sterbehilfe sind also stets strafbar. Sterbehilfe darf auch bei aussichtsloser Prognose nicht durch gezieltes Töten geleistet werden.
Ein weiteres Beispiel: Hat sich ein Kranker, der z. B. wegen hirnorganischer Schäden oder psychiatrischer Befunde den Entschluss zum Freitod nicht freiverantwortlich fassen konnte, selbst getötet, kann schon das bloße Geschehenlassen des Suizids strafbar sein: Derjenige, der Garantenpflichten für das Leben des Suizidenten hat (wie der behandelnde Arzt oder nahe Angehörige) kann sich der Tötung durch Unterlassen strafbar machen (§§ 212, 213 StGB), wer nicht Garant ist, kann wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) belangt werden.
2.1.2 Die indirekte Sterbehilfe
Von indirekter Sterbehilfe spricht man, wenn ein todkranker Mensch Hilfe braucht gegen Schmerzen oder sonstige körperliche Beschwerden
und – weil andere Hilfe nicht möglich ist – gegen die Schmerzen oder Beschwerden Medikamente erhält, die seinen Tod früher eintreten lassen.
Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe ist das frühere Eintreten des Todes nicht das angestrebte Ziel. Es wird nur als unvermeidliche Nebenwirkung in Kauf genommen, wenn das angestrebte Ziel, eine Linderung der Schmerzen oder Beschwerden, anders nicht zu erreichen ist.
Obwohl bei dieser Form der Sterbehilfe wesentliche Elemente der Fremdtötung, Lebensverkürzung und aktives Tun eines Dritten, aufeinander treffen, ist man sich in Rechtslehre und Rechtssprechung im Ergebnis darüber einig, dass der Handelnde straflos bleibt, sofern sein Handeln nicht ausnahmsweise dem erklärten und mutmaßlichen Willen des Patienten widerspricht.[3] Neben vielen Begründungsansätzen greift wohl die herrschende Meinung zur Begründung der Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe auf die Grundsätze des rechtfertigen Notstands nach §34 StGB zurück. Danach ist im Falle einer bestehenden Interessenkollision eine Abwägung zwischen den betroffenen gegensätzlichen Positionen notwendig. Dabei wird die Verletzung des von der Rechtsordnung geringer bewerteten Interesses erlaubt, wenn nur dadurch das höher bewertete Interesse geschützt werden kann. Handelt der Täter nach diesen Grundsätzen, bleibt er straffrei.[4]
Der Bundesgerichtshof hat erstmals im November 1996 in diesem Sinne entschieden. Es heißt im Leitsatz des Urteils (BGHST 42, 301): „Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, dass sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann.“ „Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen... ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen".
2.1.3 Die passive Sterbehilfe
Von der strafbaren aktiven Sterbehilfe zu unterscheiden ist die straflose so genannte passive Sterbehilfe. Darunter versteht man die Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen bei Schwerkranken. Hierzu gehören das Nichteinleiten oder der Abbruch von Beatmung, Bluttransfusionen oder künstlicher Ernährung. Ausreichend ist schon, dass durch die Maßnahme das Leben kurz verlängert worden wäre. Der Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe wird oft zwischen der aktiven Beendigung durch Eingriff in den natürlichen Krankheitsverlauf (Tötung) und dem Sterbenlassen oder der Entscheidung, das Leben nicht zu verlängern gesehen. Der Arzt darf bei einem Sterbenden von therapeutischen Maßnahmen mit dem Ziel der Lebensverlängerung absehen, wenn das Grundleiden mit infauster[5] Prognose einen irreversiblen Verlauf genommen hat. Dabei muss der Behandlungsverzicht auf einer freien und verantwortlichen Entscheidung des Patienten bzw. dessen mutmaßlicher Einwilligung beruhen.[6] Die Willensentscheidung muss selbst dann berücksichtigt werden, wenn sie aus Sicht des Arztes oder Dritter unvernünftig oder sogar falsch erscheint.[7] Die Ausschöpfung intensivmedizinischer Technologie ist sogar rechtswidrig, wenn sie dem wirklichen oder anzunehmenden Patientenwillen widerspricht. In der Situation der passiven Sterbehilfe greift das Verbot der Berücksichtigung des Patientenwillens, welches nach §216 StGB ausspricht, nicht, da sich dieses Verbot nur auf die aktive Tötung durch einen anderen beschränkt. Wird demgegenüber eine lebensverlängernde Behandlung gar nicht erst begonnen, liegt zweifellos ein nur passives Verhalten des Arztes vor. Er ordnet sich zudem lediglich dem Willen des Patienten unter.[8] Der Abbruch einer ärztlichen Behandlung kann auch dann zulässig sein, wenn bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, aber von der mutmaßlichen Einwilligung des Kranken auszugehen ist (z. B. Abbruch einer Chemotherapie). Denn auch in dieser Situation ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten.
2.1.4 Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die so genannte Patientenverfügung
(1) „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Artikel 1 Abs.1 GG)
(2) „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden."(Artikel 2 Abs.2 GG)
Auf das Grundgesetz, der dadurch geschützten Würde des Menschen und den allgemeinen Persönlichkeitsrechten, sowie dem Schutz der Freiheit der Person und ihrer körperlichen Unversehrtheit beruft sich das Selbstbestimmungsrecht jedes, auch des sterbenden Patienten. Ärztliche Eingriffe sind deshalb nur zulässig, wenn der Betroffene einwilligt.
Dieses Selbstbestimmungsrecht ist auch dann zu beachten, wenn der Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist und deshalb die Einwilligung nicht mehr wirksam mitteilen kann. Entscheidend ist dann der mutmaßliche Wille, zu dessen Erforschung es unter anderem auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, religiöse Überzeugungen, sonstige persönliche Werte-vorstellungen, altersbedingte Lebenserwartungen oder das Erleiden von Schmerzen ankommt.[9] Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens sind insbesondere schriftliche Patientenverfügungen zu berücksichtigen, die der Patient in einer Zeit getroffen hat, als er noch entscheidungsfähig war. Mit der Patientenverfügung weist der Patient im Falle seiner Einwilligungsunfähigkeit dem Arzt an, bestimmte medizinische Behandlungen nach seinen persönlichen Vorstellungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Mittels Patientenverfügung kann sich der Patient im hier verstandenen Sinne gegen lebensverlängernde Maßnahmen aussprechen. So kann er die Einwilligung zur ärztlichen Operation für den Fall irreversibler Bewusstlosigkeit, wahrscheinlicher schwerer Dauerschädigungen des Gehirns, des dauernden Ausfalls lebenswichtiger Funktionen seines Körpers oder bei hoffnungsloser, infauster Prognose verweigern. Gleichzeitig hat der Patient die Möglichkeit die palliative Medikation zu veranlassen. Daher betrifft die Behandlungsablehnung auch die Intensivtherapie oder Reanimation, aber nicht die Leidens- und Notminderung durch den Arzt[10]. Der Patient verlangt, dass der Arzt sich auf passive Sterbehilfe beschränkt, und verweigert für darüber hinausgehende Therapieversuche seine Einwilligung (indirekte Sterbehilfe). Weiter kann der Patient Verfügungen niederlegen, so z. B. den Antrag zur Verlegung in ein anderes Krankenhaus oder auch nach Hause, den Antrag zur Orientierung bestimmter Personen über den Gesundheitszustand (gesetzlicher Vertreter, Hausarzt, Advokat, bestimmte Angehörige usw.), den Antrag einer seelsorgerischen Betreuung durch Vertreter einer bestimmten Religionsgemeinschaft usw.
Die Patientenverfügung ist jedoch nur ein - allerdings wesentlicher - Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Willen des Patienten. Es muss in Zweifelsfällen überprüft werden, ob der Patient hinreichend ärztlich aufgeklärt war, eine Verfügung für die konkrete spätere Situation treffen wollte und diese Verfügung auch weiterhin gelten sollte.
Die Patientenverfügung ist von der Vorsorgevollmacht zu unterscheiden, die nicht den eigenen Willen zum Ausdruck bringt, sondern einen Dritten ermächtigt, an der Stelle des einwilligungsfähigen Patienten zu entscheiden. Für den Fall, dass eine Patientenverfügung das Unterlassen von Maßnahmen bei einer Erkrankung vorsieht, die noch nicht in ein Stadium des unumkehrbaren tödlichen Verlaufs getreten ist, das Befolgen der Patientenverfügung aber zum Tod führen würde, obwohl noch realistische Aussichten auf Heilung bestehen, ist nach derzeitiger Rechtslage die Patientenverfügung für einen Betreuer/Bevollmächtigten nicht zwingend verbindlich, wenn der Wille des Patienten für die konkrete Behandlungssituation nicht eindeutig und sicher festgestellt werden kann.[11]
Nach der derzeit in Deutschland geltenden Rechtslage endet die Pflicht zur Beachtung des Patientenwillens erst dort, wo die Schwelle zur strafbaren aktiven Sterbehilfe überschritten wird. Probleme treten jedoch auch hier auf. Der Patient trifft schon im Vorfeld seiner Erkrankung die Entscheidung darüber, unter welchen Vorraussetzungen eine ärztliche Behandlung abgebrochen oder fortgesetzt werden soll, wenn er nicht mehr urteilsfähig ist. Die Problematik der Patientenverfügung wird in ihrer Rechtsverbindlichkeit gesehen, dass heißt darin, ob der Arzt rechtlich verpflichtet ist, dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen des Patienten zu entsprechen. Dabei ist zu klären, ob ein Arzt widerrechtlich handelt, wenn er, obgleich die in der Patientenverfügung beschriebene Situation gegeben ist, anderweitige Maßnahmen der Intensivmedizin als die vom Patienten vorgeschriebenen vornimmt, sich also nicht auf die indirekte und passive Sterbehilfe beschränkt. Das Bundesjustizministerium zu der Frage, wann Patientenverfügungen verbindlich sind:
„Wenn in einer Patientenverfügung Festlegungen für ärztliche Maßnahmen in bestimmten Situationen enthalten sind, sind diese verbindlich, wenn durch diese Festlegungen ihr Wille für eine konkrete Behandlungssituation eindeutig und sicher festgestellt werden kann. Die Ärztin oder der Arzt muss eine derart verbindliche Patientenverfügung beachten. Die Missachtung des Patientenwillens kann als Körperverletzung strafbar sein. Der XII Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seiner Entscheidung vom 17. März 2003 betont, dass es die Würde des Menschen gebietet, ein im einwilligungsfähigen Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht - etwa in Form einer Patientenverfügung - auch dann noch zu respektieren, wenn die Verfasserin oder der Verfasser der Patientenverfügung zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung nicht mehr in der Lage ist. Das betont auch die Bundesärztekammer in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung, in denen es heißt: "Patientenverfügungen sind verbindlich, sofern sie sich auf die konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände erkennbar sind, dass der Patient sie nicht mehr gelten lassen würde."[12]
[...]
[1] § 216 Strafgesetzbuch
[2] Vgl. dazu Kutzer 1994, S.111
[3] Vgl. dazu Roxin 1999, S. 96
[4] Vgl. Roxin 1997, Rn 3ff
[5] Infauste Prognose bedeutet, dass eine Heilung nicht ermöglicht und mit einem Ableben zu rechnen ist.
[6] Schöllhammer 1993, S. 19ff
[7] Roxin 1999, S.100
[8] Jähnke 2005, Rn. 9
[9] BGHSt 40, 257 (263)
[10] vgl. Schöllhammer, 1993, S.23
[11] BVerfG 1 BvR 618/93, Beschluss vom 2.8.2001
[12] Bundesjustizministerium, 2006, S.9
- Arbeit zitieren
- Martina Langen (Autor:in), 2007, Sterbebegleitung contra Sterbehilfe , München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/117944