Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Chancen und Risiken von Operationsrobotern zu identifizieren und zu analysieren und auf Grundlage dieser, die folgende Forschungsfrage zu beantworten: Handelt es sich bei den eingesetzten Robotersystemen um einen medizinischen Fortschritt oder um gefährliche Spielzeuge? Hierfür soll die Frage nach der Schuldfähigkeit von Robotern geklärt werden, die eine essentielle Rolle bei steigender Autonomität spielt. Zudem sollen mit einem Blick in die Zukunft (mögliche,) neu entstehende Probleme beleuchtet werden.
Ein Operationsroboter soll den Chirurgen in seiner Tätigkeit unterstützen oder bestimmte Maßnahmen innerhalb einer Operation selbstständig durchführen. Sie werden daVinci, Socrates oder Zeus genannt und sollen ebenso wie ihre Namensgeber Großes leisten. Am Beispiel von Robotern in der Chirurgie lässt sich jedoch erkennen, dass technische Kriterien allein nicht ausreichen, um Roboter für den Einsatz am Menschen zu legimitieren. Ihr Einsatz gilt als Gefahr, weil sie auf zwischenmenschlicher Ebene Beziehungen erschweren, dem Therapieerfolg abträglich sein und am Ende sogar die Entscheidung über Leben und Tod dem Menschen aus der Hand nehmen könnten. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob es für den maschinellen Eingriff am oder in dem menschlichen Körper eine medizinische Motivation gibt, da es sich bei dem überwiegenden Teil der roboterassistierten Operationen um Standardverfahren handelt, die zumeist komplikationsfrei verlaufen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition und Begriffserklärung
3. Entwicklung und Verbreitung der Operationsroboter
4. Operationsroboter in der Anwendung
4.1 Funktionsweise allgemein
4.2 Funktionsweise am Beispiel des daVinci-Systems
4.3 Anwendungsbereiche
4.4 Vor- und Nachteile der roboterassistierten Chirurgie
4.5 Vergleich: Laparoskopische vs. roboterassistierte Chirurgie am Beispiel der Hysterektomie
5. Chancen und Risiken der Operationsroboter
5.1 Handlungs- und Schuldfähigkeit von Robotern
5.2 Roboter auf zwischenmenschlicher Ebene
5.3 Ausblick
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Was Arzneien nicht heilen, heilt das Eisen […]“,1 lehrte der Arzt Hippokrates von Kos in der Antike in Bezug auf invasive2 Operationen.3 Im Corpus Hippocraticum beschrieb er die Zweckdienlichkeit technischer Hilfsmittel, falls sich chirurgische Eingriffe am Knochen nicht von Hand bewältigen ließen. In jener Schrift sprach Hippokrates Lob und Anerkennung für Erfinder von Apparaturen aus, die die ärztliche Arbeit unterstützen.4 Sie enthielt allerdings auch die warnende Anmerkung, der willkürliche Gebrauch der Geräte werde „mehr schaden als nützen.“5 Den Regeln der ärztlichen Heilkunst entsprechend sei es nicht gestattet, Mechanismen einzusetzen, die keine Wirkung zeigen.6 Für einen Scharlatan7 ohne ausreichend medizinische Kenntnisse sei es typisch, spektakuläre Verfahren anzuwenden, die die Menschen zwar in Erstaunen versetzten, deren Erfolg jedoch zweifelhaft sei.8 Dieser Passus macht deutlich, dass Medizin und Technik bereits in der Antike – wenn nicht sogar noch früher9 – in einem gewissen Spannungsverhältnis korrelierten. Allerdings gewann dieses an Aktualität, als Ingenieure Ende des letzten Jahrhunderts damit begannen, Industrieroboter für den Einsatz in der Chirurgie umzufunktionieren. Heutzutage verspricht ihr Einsatz Ergebnisse, die von Menschenhand nicht zu erzielen wäre.10 Ein Operationsroboter soll den Chirurgen in seiner Tätigkeit unterstützen oder bestimmte Maßnahmen innerhalb einer Operation selbstständig durchführen.11 Sie werden daVinci, Socrates oder Zeus 12 genannt und sollen ebenso wie ihre Namensgeber Großes leisten.13 Am Beispiel von Robotern in der Chirurgie lässt sich jedoch erkennen, dass technische Kriterien allein nicht ausreichen, um Roboter für den Einsatz am Menschen zu legimitieren.14 Ihr Einsatz gilt als Gefahr, weil sie auf zwischenmenschlicher Ebene Beziehungen erschweren, dem Therapieerfolg abträglich sein und am Ende sogar die Entscheidung über Leben und Tod dem Menschen aus der Hand nehmen könnten.15 Des Weiteren stellt sich die Frage, ob es für den maschinellen Eingriff am oder in dem menschlichen Körper eine medizinische Motivation gibt, da es sich bei dem überwiegenden Teil der roboterassistierten Operationen um Standardverfahren handelt, die zumeist komplikationsfrei verlaufen.16
Ausgehend von diesen medizinischen sowie ethischen Aspekten ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Chancen und Risiken von Operationsrobotern zu identifizieren und zu analysieren und auf Grundlage dieser, die folgende Forschungsfrage zu beantworten: Handelt es sich bei den eingesetzten Robotersystemen um einen medizinischen Fortschritt oder um gefährliche Spielzeuge? Hierfür soll die Frage nach der Schuldfähigkeit von Robotern geklärt werden, die eine essentielle Rolle bei steigender Autonomität spielt. Zudem sollen mit einem Blick in die Zukunft (mögliche,) neu entstehende Probleme beleuchtet werden.
2. Definition und Begriffserklärung
Die Klassifikation verschiedener Roboterarten folgt keinem einheitlichen Schema.17 So werden die Geräte beispielsweise bezugnehmend auf ihre Arbeitsweise in (semi-) autonome und gesteuerte Systemen unterteilt, teilweise erfolgt die Kategorisierung aber auch im Zusammenhang mit der technischen Ausgestaltung des Gerätes. Die in der vorliegenden Arbeit vorgenommene Klassifizierung ist daher stets kontextuell und nicht abschließend zu verstehen. Darüber hinaus werden die Begriffe „automatisch“ und „autonom“ teilweise synonym verwendet. Nach konzentrierter Kontemplation lässt sich jedoch erkennen, dass Autonomie einen deutlich gesteigerten Grad an Selbstständigkeit verlangt.18 Während ein automatischer Roboter ausschließlich dem zuvor programmierten Handlungsablauf folgen kann, setzt Autonomie eine eigene Entscheidungsfähigkeit des Gerätes voraus.19 Die dennoch häufige Verwendung des Begriffes Autonomie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass tatsächlich autonom handelnde Chirurgieroboter bislang weder existieren, noch in abschätzbarer Ferne existieren werden.20
Grundsätzlich unterscheidet man die Roboter, die aktuell in der Chirurgie zur Anwendung kommen, in Telemanipulationssysteme (Teleoperatoren)21, und automatische Systeme. Bei einer automatischen Funktionsweise führt der Roboter den Eingriff zumindest teilweise selbstständig durch, wobei er den vorgegebenen Bewegungsmustern folgt. Beispiele für solche Systeme sind Robodoc und Caspar. Die Telemanipulationssysteme, wie beispielsweise daVinci und Aesop, arbeiten nicht selbstständig, sondern werden von einem Chirurgen über Joysticks gesteuert.22 Bei der Entfernung zwischen Chirurg und Patient kann es sich sowohl um wenige Meter, als auch um mehrere Tausend Kilometer handeln.23
3. Entwicklung und Verbreitung der Operationsroboter
Operationsroboter waren bis Mitte der 1980er Jahre nichts weiter als eine Fiktion.24 Die Erwartungen waren dementsprechend hoch, als Howard A. Paul und William L. Bargaer 1981 auf die Idee kamen, Industrieroboter für den Einsatz in der Medizin umzufunktionieren.25 Robodoc, ein ab Mitte der 1980er Jahre entwickelter Hüftoperationsroboter, sollte diesen Erwartungen gerecht werden. Das automatische System sollte auf Grundlage von Computertomographiebildern Hohlräume in Oberschenkelknochen bohren. Der Hersteller versprach durch die Operation mit Robodoc eine höhere Langzeitstabilität von implantierten Hüftprothesen.26 Deutsche Ingenieure nahmen sich dieses System zum Vorbild, als sie Mitte der 1990er Jahre mit der Entwicklung von Caspar begannen. Ab 1995 fanden die beiden Robotertypen Verbreitung, sie wurden hauptsächlich an deutsche Krankenhäuser verkauft und dort auch eingesetzt. Als die Einführung der Geräte jedoch eine erhöhte Komplikationsrate zur Folge hatte, wurde ab 2003 das Operieren mit diesen Medizingeräten in Deutschland sukzessive wiedereingestellt.27
Die Idee eines Telemanipulationssystems hingegen entstand erstmals Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in den USA. Basierend auf einer nicht zu überwindenden Entfernung zwischen Arzt und Patient entstand die Idee dieser Systeme. Teleoperatoren sollten die medizinische Versorgung von Soldaten sicherstellen, ohne dass sich ein Chirurg selbst Gefahren aussetzen mussten.28
Bis 2003 kamen zwei dieser Systeme in Frage: Zeus von ComputerMotion und daVinci von Intuitive Surgical.29 Zeus ermöglichte im Jahr 2001 die erste transatlantische Operation: in New York steuerten französische Chirurgen Joysticks, dessen zugehöriges System die Befehle an einer Patientin in Straßburg ausführte.30 Dieses bahnbrechende Ereignis verhalf Zeus dennoch nicht, sich gegen seinen Konkurrenten daVinci widersetzen zu können. Um die Beweglichkeit eines menschlichen Handgelenks zu übertreffen, werden sieben Freiheitsgrade31 benötigt, Zeus verfügte lediglich über sechs.32 Das daVinci -System, welches von Beginn an als das technisch ausgereiftere System anzusehen war, galt somit als einzig dienliches Telemanipulationssystem. Die Entwicklung des Zeus wurde daraufhin eingestellt.33 Das seitdem am häufigsten eingesetzte System ist demgemäß das daVinci -System.34 Die Zahl der durchgeführten Operationen mit diesem Gerät steigen seit dem Jahr 2000 exponentiell35 an.36 Den aktuellsten Statistiken zufolge ließen sich im Jahr 2017 weltweit etwa 877.000 Menschen mithilfe von daVinci operieren.37 Zu diesem Zeitpunkt waren rund 4271 der Teleoperatoren installiert, davon 2770 in den USA, 719 in Europa, 561 in Asien und 221 in der restlichen Welt.38
Automatische Roboter, wie es Robodoc und Caspar einst waren, werden aktuell kaum genutzt. Die Systeme, die bisher genutzt wurden, sind aufgrund hoher Komplikationsraten in Kritik geraten und wurden verdrängt. Die Idee eines automatischen Roboters scheint daher verworfen zu sein. Gleichzeitig treten die Telemanipulationssysteme, insbesondere das daVinci -System, welches das einzige heute im Markt verfügbare System ist39, immer mehr in das Bewusstsein der Menschen.40 Der Fokus wird daher im Folgenden auf dieser Art von Operationsrobotern liegen.
4. Operationsroboter in der Anwendung
4.1 Funktionsweise allgemein
Telemanipulationssysteme agieren nach dem Master-Slave-Prinzip. Der Chirurg (Master) macht Eingaben, die das Gerät (Slave) umsetzt.41 Der Chirurg sitzt während der gesamten Operation an einer Steuerkonsole und steuert das Gerät unter Einsatz mehrerer Fußpedale und Joysticks.42 Die abgegeben Signale werden von einem Computer empfangen und an die Instrumentenarme weitergeleitet,43 welche die Eingaben des Operateurs schließlich in Aktionen umsetzen. Da die Maschine niemals eigene Aktionen ausführt, sondern immer nur den Eingaben des Operateurs folgt, ist die Situation vergleichbar mit einer herkömmlichen Operation, bei der ein Chirurg das Skalpell führt. Die Operation wird in beiden Fällen vom Arzt gesteuert, einmal mit, einmal ohne eine zwischengeschaltete Maschine.44
4.2 Funktionsweise am Beispiel des daVinci-Systems
Das daVinci -System besteht aus zwei Hauptkomponenten: der Operationskonsole mit 3D-Monitor und Steuerungsmöglichkeit der Instrumente, und dem mehrarmigen Operationsturm, der die erteilten Steuerungsbefehle ausführt und an dessen Armen mehrere Spezialinstrumente befestigt werden können.45
Der Chirurg befindet sich bei einer Operation mithilfe des daVinci -Systems in einiger Entfernung zum Patienten. Von der Operationskonsole aus steuert er die Operationsinstrumente mittels kleinen Joy-Sticks.46 Während der Operation wird der Chirurg durch die hochauflösende 3D-Sicht der Operationskonsole unterstützt, die eine präzise Positionierung der Instrumente fördert.47 Der Kopf des Chirurgen ruht dabei ergonomisch komfortabel zwischen speziellen Kopfsensoren. Auf der 3D-Anzeige sind für den Operateur die Instrumentenspitzen sichtbar, mithilfe dessen er seine Bewegungen verfolgen kann.48 Da die Eingaben des Operateurs auf die Instrumentenarme in Echtzeit übertragen werden, bleiben die Hand-Augen-Koordination und das Gefühl einer offenen Operation für den Operateur erhalten.49
[...]
1 Kapferer, 1934, S. 78.
2 Invasiv (lateinisch invadere (dt.: eindringen)) beschreibt Maßnahmen, die in den Körper eindringen.
3 Vgl. Caetano da Rosa, 2013, S. 11.
4 Vgl. Hippokrates, 2006, S. 269, zitiert nach Caetano da Rosa, 2013, S. 11.
5 Vgl. Hippokrates, 2006, S. 261, zitiert nach Caetano da Rosa, 2013, S. 11.
6 Vgl. Ebd., S. 11.
7 Mensch, der bestimmte Fähigkeiten vortäuscht.
8 Vgl. Gadebusch Bondio, 2009, S. 18, Catarina Caetano da Rosa, 2013, S. 11.
9 Vgl. Reinhardt, 1990, S. 33 ff., Catarina Caetano da Rosa, 2013, S. 11.
10 Vgl. Blechschmitt, 2017, S. 17.
11 Vgl. Ebd., S. 17.
12 Die Nennung ist an dieser Stelle nicht abschließend.
13 Vgl. Blechschmitt, 2017, S, 17.
14 Vgl. Caetano da Rosa, 2007, S. 292.
15 Vgl. Klesen, 2017, S. 154.
16 Vgl. Caetano da Rosa, 2007, S. 292.
17 Vgl. Blechschmitt, 2017, S.32.
18 Vgl. Kant, 2012, S. 60.
19 Vgl. Blechschmitt, 2017, S. 32.
20 Vgl. Ebd., S. 32.
21 Telemanipulationssystem (griechisch tele (dt.: fern) und lateinisch manus (dt.: Hand) und plere (dt.: füllen)) bedeutet im übertragenen Sinn die Handhabung/der Handgriff aus einer gewissen Distanz.
22 Vgl. Blechschmitt, 2017, S. 17.
23 Vgl. Ebd., S. 27.
24 Vgl. Latour, 1996, S. 23.
25 Vgl. Caetano da Rosa, 2013, S. 36
26 Vgl. Caetano da Rosa, 2013, S. 12.
27 Vgl. Ebd., S. 13.
28 Vgl. Gocke, 2011, S. 358.
29 Vgl. Blechschmitt, 2017, S. 29.
30 Vgl. Reutebuch; Schur; Genoni, 2007, S. 316.
31 Die Anzahl an Freiheitsgraden gibt an, wie viele unabhängige Bewegungen ein Körper gegenüber einem festen Weltkoordinatensystem ausführen kann. Der menschliche Körper hat einen Freiheitsgrad von 6. Er kann seine Position in drei Richtungen und seine Orientierung um drei Winkel verändern, vgl. Knoll; Christaller, 2003, S. 122.
32 Vgl. Reuthebuch; Schur; Genoni, 2007, S. 316.
33 Vgl. Ebd. S. 316.
34 Vgl. Blechschmitt, 2017, S. 29.
35 Siehe Anhang Abbildung 1.
36 Vgl. o. V., Are robots the future of the healthcare sector?, o. S.
37 Vgl. Hänßler, 2018, o. S.
38 Vgl. Mees, 2017, o. S.
39 Vgl. Oppermann, 2018, o. S.
40 Vgl. Raczkowsky, 2011, S. 34.
41 Vgl. Paetz, 2013, S. 7.
42 Vgl. Blechschmitt, 2017, S. 28.
43 Vgl. Reuthebuch; Schnurr; Genomi, 2007, S. 318.
44 Vgl. Blechschmitt, 2017, S. 28.
45 Vgl. o. V., Da Vinci-OP-Roboter, o. S.
46 Vgl. o. V.: Roboter im OP, o. S.
47 Vgl. Blechschmitt, 2017, S. 30.
48 Vgl. o.V., Da Vinci-OP-Roboter, o. S.
49 Vgl. Ebd.