Eine zentrale Figur in diversen linksextremen Gruppierungen der 60er und 70er Jahre stellte Michael "Bommi" Baumann dar. In dieser Arbeit möchte ich untersuchen, welche Rolle er in den verschiedenen Organisationen spielte und auf welche Art und Weise er Veränderungen in der Gesellschaft herbeiführen wollte. Dafür werde ich zunächst darstellen, wie Baumann über die sogenannte "Gammlerbewegung" den Weg in das linksextreme, subkulturelle Milieu des "Berliner Blues" fand. Anschließend werde ich erörtern, wie sich aus der ehemals friedlichen Protestbewegung verschiedene terroristische Gruppen entwickelt haben. Besonders fokussieren möchte ich mich dabei auf den (unter anderem) von Baumann angeführten "Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen" und die daraus hervorgegangene "Bewegung 2. Juni". Dafür stütze ich mich hauptsächlich auf Baumanns autobiografisches Werk "Wie alles anfing".
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Aus der „Gammlerbewegung “ entsteht der „Berliner Blues “
3. „Berliner Blues “ und der „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen “
4. Der „Blues “ löst sich in Rauch auf: Die „Bewegung 2. Juni “ entspringt
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In den 1960er Jahren kam es in zahlreichen westlichen Industriegesellschaften zu einer Radikalisierung der Studentenschaften. 1 Im Falle der Bundesrepublik Deutschland sei es laut Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar kein Zufall, dass sich „diese Radikalisierung zuerst und am schärfsten in West-Berlin abspielt[e]“ 2, wo Kapitalismus und Kommunismus in geopolitischer Abkapselung unmittelbar aufeinanderprallten. Daraus sei eine linksradikale Szene entstanden, „wie sie nirgendwo sonst zu finden ist.“ 3 Lutz Korndörfer schreibt, deutscher Terrorismus im Allgemeinen könne nur im Zusammenhang mit der Entwicklung der Neuen Linken verstanden werden. Personell habe sich der deutsche Linksterrorismus aus der studentischen Revolte herausgebildet. 4 Eine zentrale Figur in diversen linksextremen Gruppierungen der 60er und 70er Jahre stellte Michael Bommi Baumann dar. In dieser Arbeit möchte ich untersuchen, welche Rolle er in den verschiedenen Organisationen spielte und auf welche Art und Weise er Veränderungen in der Gesellschaft herbeiführen wollte. Dafür werde ich zunächst darstellen, wie Baumann über die sogenannte Gammlerbewegung den Weg in das linksextreme, subkulturelle Milieu des Berliner Blues fand. Anschließend werde ich erörtern, wie sich aus der ehemals friedlichen Protestbewegung verschiedene terroristische Gruppen entwickelt haben. Besonders fokussieren möchte ich mich dabei auf den (unter anderem) von Baumann angeführten Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen und die daraus hervorgegangene Bewegung 2. Juni. Dafür stütze ich mich hauptsächlich auf Baumanns autobiografisches Werk Wie alles anfing. Ergänzend dazu bieten Texte von Wolfgang Kraushaar, Lutz Korndörfer und Armin Pfahl-Traughber einen umfassenden Überblick zur zeitlichen Einordnung und zu politischen Hintergründen.
Bezüglich vorhandener Forschungsliteratur behauptet Lutz Korndörfer: „Trotz der strategisch durchdachten Lorenz-Entführung beschäftigte sich die Terrorismusforschung nicht allzu intensiv mit der Bewegung 2. Juni “. 5 Er zitiert Marius Schiffer, der den Mangel an Sekundärliteratur zu ebendieser Bewegung beklagt. Schiffer bedauert außerdem, dass das kollektive Gedächtnis zum Thema Terrorismus in der Bundesrepublik gänzlich von der Roten-Armee-Fraktion (RAF) okkupiert sei. 6
Um den deutschen Linksterrorismus also in seiner Vollständigkeit zu erfassen, sollte auch jenen Gruppierungen Beachtung geschenkt werden, die im Laufe der Geschichte nicht so sehr im Vordergrund standen wie die RAF. Dazu möchte ich mit dieser Arbeit einen Beitrag leisten.
2. Aus der „Gammlerbewegung“ entsteht der „Berliner Blues“
Parallel zur Entstehung der Studentenbewegung bildete sich in Frankfurt am Main und in West-Berlin die sogenannte Gammlerbewegung, der hauptsächlich Jugendliche aus der Unterschicht, der Arbeiterklasse, angehörten. 7 „Von den publikumswirksamen Aktionen der Studenten lassen sich insbesondere randständige Jugendliche aus problembehafteten Stadtteilen wie dem Märkischen Viertel (Bezirk Tegel) anstecken“ 8, schreibt Wolfgang Kraushaar. Haupttreffpunkt der Szene war die Berliner Gedächtniskirche am Kurfürstendamm. 9 Merkmale der Gruppierung waren vor allem „die Vorliebe für Beat- und Rockmusik, der Verzicht auf Konsum und Arbeit, ein äußerlich ungepflegtes Erscheinungsbild (lange Haare) sowie die Verweigerung des gesamten bürgerlichen Lebensstils.“ 10 Auch erste Joints kreisten hier in aller Öffentlichkeit. 11
Michael Bommi Baumann, der als Kind einer Arbeiterfamilie mit zwölf Jahren aus dem Osten ins West-Berliner Märkische Viertel gezogen war, sah die Sache zunächst simpel: „Für mich war es einfach klar am Anfang, ich habe die langen Haare schön gefunden.“ 12 Die sogenannten Gammler traten gegen ein geregeltes Arbeitsleben und gegen Monotonie im Arbeitsbereich auf. 13 So wurde auch Baumann an seinem ersten Arbeitstag auf der Baustelle klar: „Das machst du jetzt 50 Jahre. Es gibt kein Entkommen. Der Schreck hat mir ziemlich in den Gliedern gesessen, also ich habe immer eine Möglichkeit gesucht, rauszukommen.“ 14 Als weiteren Grund für sein Einsteigen in die Gammlerszene nennt er die Ablehnung der Gesellschaft für Andersartigkeit, welche sich unter anderem darin äußerte, dass die Jugendlichen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung Arbeitsstellen verloren oder verprügelt wurden. 15
„Die ham uns aus Kneipen rausgeschmissen, auf den Straßen angespuckt, beschimpft und sind hinterhergerannt, also du hast wirklich nur Trouble gehabt. Auf der Arbeit bist du rausgeflogen oder hast gar keine mehr gekricht“. 16
Die meisten Gammler lehnten politische Aktionen bis dahin weitestgehend ab. Dennoch entstand laut Korndörfer innerhalb der Bewegung eine Fraktion, die klare politische Ziele formulierte: „Anstatt sich auf einen langwierigen Kampf für den Sozialismus einzurichten, [erklärten sie] die Expropriation der Expropriateure zum Sofortprogramm.“ 17 Als es im September '65 nach einem Rolling-Stones Konzert in der Berliner Waldbühne zu schweren Ausschreitungen kam, soll die aktivste Gruppe der gewaltbereiten Jugendlichen jene aus dem Märkischen Viertel gewesen sein, 18 darunter auch Bommi Baumann: „Gewalt ist für mich ein ganz adäquates Mittel gewesen, ich habe da nie Hemmungen gehabt.“ 19 Die Beteiligung an Demonstrationen gegen den Krieg, den die US-Amerikaner in Vietnam führten, resultierte in einer weiteren Politisierung der Gammlerbewegung. 20
Die entscheidende Zäsur in der Entstehungsgeschichte der Bewegung habe laut Korndörfer der 2. Juni 1967 dargestellt. Während einer Demonstration gegen den persischen Schah ereignete sich „jener Vorfall, der die studentische Revolte intensivieren und die extreme Linke radikalisieren sollte“ 21 : die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg durch Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras. Wolfgang Kraushaar stellt ergänzend fest: „Diese jungen Leute, die in der Beat- und Rockmusik nach neuen Ausdrucksformen für ihr von Frustrationen geprägtes Lebensgefühl suchen, fühlen sich nach dem 2. Juni 1967 von der Revolte der Studenten wie magisch angezogen.“ 22 Auch für Bommi Baumann stellte der Tod Ohnesorgs ein einschneidendes Erlebnis dar: „Sein Sarg, wo der an mir vorbeigefahren ist, hat´s richtig kling gemacht.
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1 Vgl. Wolfgang Kraushaar: Berliner Subkultur: Blues, Haschrebellen, Tupamaros und Bewegung 2. Juni., In: Klimke, Martin / Scharloth, Joachim: 1968 Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Stuttgart 2007, S. 261-275, hier S. 261.
2 Ebd. S. 261.
3 Ebd. S. 261.
4 Vgl. Lutz Korndörfer: Terroristische Alternative in der BRD: Die Bewegung 2. Juni., In: Straßner, Alexander: Sozialrevolutionärer Terrorismus, 1. Aufl., Wiesbaden: 2008, S. 237-256, hier S. 238.
5 Ebd. S. 238.
6 Vgl. Ebd. S. 238.
7 Vgl. Ebd. S. 238.
8 Kraushaar: Berliner Subkultur, S. 261.
9 Vgl. Ebd. S. 261.
10 Korndörfer: Terroristische Alternative, S. 238.
11 Vgl. Kraushaar: Berliner Subkultur, S. 262.
12 Michael Baumann: Wie alles anfing., 4. Aufl., Duisburg: 1988, S. 11.
13 Vgl. Korndörfer: Terroristische Alternative, S. 239.
14 Baumann: Wie alles anfing, S. 13.
15 Vgl. Korndörfer: Terroristische Alternative, S. 239.
16 Baumann: Wie alles anfing, S. 10.
17 Korndörfer: Terroristische Alternative, S. 239.
18 Vgl. Kraushaar: Berliner Subkultur, S. 262.
19 Ebd. S. 262.
20 Vgl. Korndörfer: Terroristische Alternative, S. 239.
21 Ebd. S. 240.
22 Kraushaar: Berliner Subkultur, S. 262.