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Hausarbeit, 2021
20 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
2 Der Höhepunkt einer Exklusionspolitik - Behinderung im Nationalsozialismus
2.1 Das Menschenbild und der Wert Behinderter zur Zeit des Nationalsozialismus
2.2 Die Euthanasie von Menschen mit Behinderung
2.2.1 Kindereuthanasie
2.2.2 Erwachseneneuthanasie Aktion T4
2.2.3 Sonderbehandlung 14f13 und Aktion Brandt
2.2.4 Rechtliche Grundlagen der Rassenhygiene
3 Erste Rufe nach Teilhabe
4 Eine Zusammenfassung über die Entwicklung der Integrationspädagogik nach 1945
5 Teilhabe heute
5.1 UN-Behindertenrechtskonvention und weitere Zielsetzungen
5.2 Integration als rechtliche Grundlage und moralische Bereitschaft
5.3 Eigener Standpunkt aus heutiger Sicht
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
In der Entwicklungsgeschichte Deutschlands ist wohl nur mit innerer Wehmut auf das dunkle Kapitel des Nationalsozialismus und seinem kaltblütigen Höhepunkt der Exklusionspolitik zurückzublicken. Den heutigen Kontrast dazu, bildet die Integration beziehungsweise die Inklusion. Die vorliegende Arbeit soll nicht die Aufgabe übernehmen, eine vollständige Übersicht einer über einhundert Jahre hinausgehende Entwicklung gleichberechtigter Teilhabe darzulegen. Vielmehr soll anhand der Evolution die Fragen beantwortet werden, wie die ersten Forderungen nach Gleichberechtigung entstanden sind und welche Maßnahmen nötig waren, um die Teilhabe behinderter Menschen und das gemeinsame Lernen zu ermöglichen.1 Ausgehend von der NS-Politik ist die Veränderung und Weiterentwicklung der zu dieser Zeit bestehenden Denk- oder Verhaltensmuster, ein weiterer Gegenstand dieser Hausarbeit. Für ein besseres Verständnis der Ausgangslage, wird in Kapitel zwei das Menschenbild Behinderter und die Höhepunkte der Aussonderung anhand der Euthanasieverbrechen mit anschließendem Übergang zu ersten Einforderungen gesellschaftlicher Teilhabe aufgezeigt. Das dritte Kapitel dient zur Einleitung des sich langsam anbahnenden Blickwechsels bezüglich der ersten Forderungen nach gesellschaftlichen Einschluss beeinträchtigter Menschen. Den zentralen Passus übernimmt in Kapitel vier der Entwicklungsverlauf der schulischen Integration. Die Teilhabe der heutigen Zeit wird in Punkt fünf erläutern und Selbstwahrnehmungen beschrieben. Die Beispielerfahrungen bieten gleichzeitig einen Anreiz, um über den Wechsel der Denk- und Verhaltensmuster zu diskutieren und einen Mentalitätswechsel anhand weiterer Erfahrungen des Lesers zu reflektieren. Die Auseinandersetzung mit der UN-Behindertenrechtskonventionen nimmt dabei einen separaten Unterpunkt ein, da sie die gesetzliche Verankerung des gemeinsamen Lernens darstellt. In einem anschließenden Fazit werden theoretische Überlegungen und Ergebnisse zusammengeführt und liefern Antworten auf die oben aufgeführten Fragestellungen.
Zu Zeiten des Nationalsozialismus konnte die Abwertung von Menschen mit Behinderung nicht größer sein. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich eugenische2 und sozialdarwinistische Theorien3 mit den perspektivischen Zielen, die Fortpflanzung „kranken Erbguts“ zu verhindern oder „unwertes Leben“ durch absichtliche Herbeiführung des Todes zu minimieren. Auf dieser Grundlage wurde die Vernichtung kranker oder schwerbehinderter Menschen gerechtfertigt und repräsentierte gleichzeitig das vorherrschende Leitbild, ein reinrassiges Volk schaffen zu wollen (vgl. Lelgemann 2010: 23). Das Interesse an der Gesunderhaltung des menschlichen Erbguts war so groß, dass diese sogar die Zustimmung seitens der Kirche erfuhr. 1933 übernahm Deutschland die weltweite Führung der Eugenik-Bewegung. Menschen mit Behinderung galten zu jener Zeit als minderwertige, unproduktive Last der Bevölkerung. Die Nationalsozialisten war davon überzeugt, dass ein solches Leben so unwürdig und qualvoll sei, dass der Tötungsakt als selbstlose und humane Tat anzusehen sei. „Verwahrloste“, „Verbrecher“, „Ballastexistenzen“ oder „Schwachsinnige“ sind nur wenige Bespiele der damals grausamen Betitelungen behinderter Menschen (vgl. Wüllenweber et al. 2006: 24).
Eine geraume Zeit vor dem zweiten Weltkrieg verstand man die Euthanasie als Sterbehilfe, die zur Erleichterung des Todeskampfes dienen sollte und als Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung. Erst kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges wandelte sich das Verständnis in die Richtung der straffreien Tötung sterbender und unheilbar kranker Menschen. Bis dahin galt als Voraussetzung der Straffreiheit solcher Taten, der inständige Wunsch des Kranken oder Sterbenden sowie das Mitleid des Vollziehenden. Mit der Veröffentlichung „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens - ihr Mass und ihre Form“ von Binding und Hoche aus dem Jahr 1920 verschärfte sich die Deutung der Euthanasie. In diesem wurde die Tötung der Menschen beschrieben, die sich nicht im Sterbeprozess befanden und deren Leben sich, nach Einschätzung anderer, als lebensunwert darstellte (vgl. Henseler 1996: 103).
1939 wurden unter dem Begriff der Euthanasie sogenannte „unerwünschte Elemente“ aus dem deutschen Volk beseitigt. Hitler nahm die Erbitte einer Familie aus Leipzig, ihren fünf monatigen schwerbehinderten Sohn durch einen gezielten Tod zu erlösen, als Berechtigungsgrundlage, ähnliche Vorfälle gleichwertig vollziehen zu lassen. So wurde es zur Pflicht, dem Gesundheitsamt neugeborene Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung zu melden (vgl. Ellger-Rüttgardt 2007: 252). Darunter zählten unter anderem Idiotie, Mongolismus, Mikrocephaly, Hydrocephalus, Missbildungen jeglicher Art (besonders extreme Fehlbildungen des Körpers oder der Körperteile), Lähmungen samt Littlescher Erkrankung. Unter der Leitung Bouhlers und weiteren Experten, welche eine positive Einstellung zur Euthanasie pflegten, wurde ein sogenannter „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten Leiden“, mit getarntem Sitz im Kanzleramt, gegründet. Diesem war es möglich über das Leben eines Kindes entscheiden zu können, ohne je einen Blick auf dieses geworfen zu haben. Entschied sich die Mehrheit der Gutachter gegen das Leben des Kindes, so wurde es, nach Bestätigung eines Arztes mittels roten Kreuzes, in eine „Kinderfachabteilung“ mit entsprechend angegliederten Anstalten eingewiesen. Die zielgerichtete Irreführung der Eltern befand sich ebenfalls unter einem verhüllten Deckmantel, wie die eigentliche Tötungsabsicht. Ihnen wurde suggeriert, ihren Kindern gerade in solch spezialisierten Einrichtungen eine bestmögliche medizinische Versorgung bieten zu können. Diese Täuschungen machte es ihnen möglich die Einweisungs- und Tötungsprozesse zu beschleunigen. Die noch bis nach dem Krieg andauernde Aktion gab einem Kind mit einer Behinderung keine Chance auf Leben (vgl. Kinder- „Euthanasie“ o. D.).
Hinter dem Pseudonym „Aktion T4“ verbirgt sich eine von der Kanzlei geführte bürokratische Zentrale mit dem Standort in der Tiergartenstraße 4 in Berlin, worauf die Namengebung dieser Mordaktion zurück zu führen ist. Von Adolf Hitler ausgehend, verliefen sinnbildlich vier Fäden zu unterschiedlichen Institutionen. Trotz des gemeinsamen Auftrages zielgerichteter Tötungsurteile, sollten sie in der Öffentlichkeit nicht miteinander in Verbindung gebracht werden. Diese vier Organisationen setzten sich aus der Reichsarbeitsgemeinschaft, sowie der Heil- und Pflegeanstalten zusammen, deren Aufgabe darin bestand die Betroffenen zu bestimmen und zu begutachten. Die „wohltätige“ Krankentransportgesellschaft kümmerte sich um die Beförderung der Opfer. Die gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege nahm sich der Finanzaufgaben an und die Zentralverrechnungsstelle der Heil- und Pflegeanstalten betreute die Abrechnung gegenüber einzelner Kostenträger (vgl. George 2008: 24). Dieses Mordprogramm richtete sich im Gegensatz zur Kindereuthanasie vordergründig gegen geisteskranke Menschen in Anstalten und zielte auf eine höhere Personenanzahl ab. Ausschlaggebendes Kriterium, welches über Bildungsfähigkeit und der dementsprechenden Beschulung entschied, war die wirtschaftliche Brauchbarkeit. Auch hier entschieden abermals drei Gutachter, welche nicht selten Mitglieder der Schutzstaffel waren, über das Schicksal der Betroffenen. Jedoch konnte dieses Urteil nochmals durch einen Obergutachter geändert werden. Im Anschluss des negativen Urteils wurden die zum Tode verurteilten Menschen in Durchgangslager4 und anschließend weiter in unterschiedliche Tötungsanstalten überführt. Der betroffene Personenkreis wurde stetig erweitert, sodass neben den Geisteskranken auch bei wirtschaftlich „Unbrauchbaren“ die Tötung veranlasst wurde. Hinter diesem Oberbegriff standen körperlich und geistig Behinderte, Schwachsinnige jeglicher Art, Bewohner*innen von Altenheimen, Ausländer*innen (sogenannte „Fremdrassige“) und Homosexuelle. Die Regelgrenzen dieser Vernichtungsaktion gerieten zunehmend außer Kontrolle, indem nun auch Hilfsschüler und andere Kinder von der Aktion T4 betroffen waren. Es zeigte sich immer mehr der Charakter des wahllosen Vernichtens. Die Angehörigen der ermordeten Personen erhielten standardisierte Briefe mit den vermeintlich erfundenen Todesursachen. Im selbigen Schreiben wurde die sofortige Verbrennung der Leiche unter Beachtung der Seuchenvermeidung begründet. Aufgrund sich anhäufender Fehler der erfundenen Trostbriefämter5, kirchlicher Proteste und der nicht mehr garantierten Geheimhaltung, wurde die Aktion T4 im Jahr 1941 abgebrochen. Inoffiziell stoppte dieses Tötungsprogramm jedoch erst mit Ende des Zweiten Weltkrieges (vgl. Ellger-Rüttgardt 2007: 254).
Fortlaufend wurden nun in entsprechenden Heil- und Pflegeanstalten regional gezielte Morde verübt. Insbesondere die psychiatrische Anstalt "Am Steinhof" entwickelte sich zum zentralen Punkt dieser Prozesse. Durch die Aktion Brandt rückten 1942 kriegswirtschaftliche Motive in den Vordergrund. Dabei wurden teils therapierbare Behinderte, noch bildungsfähige Kinder oder Kriegsgeschädigte vorrangig versorgt und die Schwächeren zugleich hintenangestellt oder ausgelagert (vgl. 14 Mord durch Hunger - Das Massensterben am Steinhof 1940 bis 1945 o. D.). Per Erlass beschloss das bayrische Innenministerium gemeinsam mit den Direktoren der Anstalten, die schwächsten Insassen dem Hungertod6 auszuliefern oder sie mit begleitenden Sonderbehandlung 14f13 direkt in Konzentrationslager zu verlegen. Der Begriff Sonderbehandlung steht dabei für die Vernichtung eines Menschen ohne Justizverfahren mit den beistehenden Zahlen- und Buchstabencodes 14f für Todesfall im Konzentrationslager und 13 für Todesfall durch Vergasung (vgl. Wunder o. D.).
[...]
1 Eigene Erkenntnis in der Auseinandersetzung mit der Thematik
2 Eugenetik beschreibt die Lehre der Erbgesundheit des menschlichen Volkes (vgl. Eugenik o. D.).
3 Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt den Sozialdarwinismus als gesellschaftliche Evolution mit dem alleinigen Überleben der Stärksten und der verachtenden Sichtweise auf Randgruppen (vgl. Lenzen 2015).
4 Lager zur vorübergehenden Unterbringung von Vertriebenen
5 Doppelbenachrichtigungen mit unterschiedlichen Todesanzeigen
6 mit hinzukommenden Einsatz konventioneller Mordwaffen, wie Giftspritzen