Problemorientierte Kinderliteratur beschäftigt sich mit problematischen Aspekten und Situationen, die sich in der unmittelbaren Umwelt der Kinder befinden. Dazu zählt beispielsweise der Tod oder die Trennung der Eltern. Kinder können mit solchen Problemen häufig allein nicht umgehen und in dieser Arbeit wird aufgezeigt, inwieweit der Einsatz von problemorientierter Kinderliteratur im Deutschunterricht der Grundschule den Kindern beim Verarbeiten ihrer Problematik helfen sowie sie Kinder dafür sensibilisieren können.
Trennung und Scheidung der Eltern - ein äußerst belastendes Erlebnis für die Eltern selbst und vor allem für das Kind oder die Kinder, jedoch eine alltägliche Situation, die jeden treffen könnten. Immer mehr Kinder- und Jugendbücher behandeln genau diese Problematik, berichten über alleinerziehende Elternteile oder über das Leben in Patchworkfamilien - meist aus der Sicht des kindlichen Ich-Erzählers. Somit stellt sich die Frage: Eignen sich problemorientierte Kinder- und Jugendbücher mit genau dieser Thematik dazu, Kinder an dieses alltägliche Thema im Literaturunterricht heranzuführen?
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. MODERNE K INDER - UND J UGENDLITERATUR
2.1 Eigenschaften und Funktion moderner KJL
2.2 Moderne Kinder- und Jugendliteratur mit dem Motiv der elterlichen Trennung und Scheidung
2.3 Die Innenweltdarstellung in der KJL
3. SCHEIDUNGSKINDER
3.1 Reaktionen und Verhalten von Kindern auf die Scheidung ihrer Eltern
3.2 Darstellung des Motivs Scheidung in der KJL
4. ANALYSE: F INN-O LE H EINRICHS „D IE ERSTAUNLICHEN A BENTEUER DER M AULINA S CHMITT. M EIN KAPUTTES KÖNIGREICH.“ 10
4.1 Maulinas Reaktionen und Verhalten in Bezug auf die Scheidung ihrer Eltern
4.2 Maulinas Haltung gegenüber ihrem abwesenden Vater
5. LITERATURDIDAKTISCHE A RBEIT MIT PROBLEMORIENTIERTER KJL IM LITERATURUNTERRICHT
5.1 Einsatz moderner KJL mit dem Motiv der Trennung und Scheidung
5.2 Maulina Schmitts Geschichte im Literaturunterricht
6. FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Trennung und Scheidung der Eltern - ein äußerst belastendes Erlebnis für die Eltern selbst und vor allem für das Kind oder die Kinder, jedoch eine alltägliche Situation, die jeden treffen könnten. Immer mehr Kinder- und Jugendbücher behandeln genau diese Problematik, berichten über alleinerziehende Elternteile oder über das Leben in Patchworkfamilien - meist aus der Sicht des kindlichen Ich-Erzählers. Somit stellt sich die Frage: Eignen sich problemorientierte Kinder- und Jugendbücher mit genau dieser Thematik dazu, Kinder an dieses alltägliche Thema im Literaturunterricht heranzuführen? Wie wichtig das Nutzen von Kinder- und Jugendliteratur im Literaturunterricht allgemein ist, wurde schon in einigen Forschungen aufgezeigt und die Vorteile dessen herausgestellt: Dahrendorf erläutert, dass die Kinder- und Jugendliteratur das „Produkt einer Zuwendung zum jungen/jugendlichen Leser“ (Dahrendorf 1998, S.15) ist, Lange betont die besondere Einflussnahme der Kinderliteratur auf die Innenwelt, Vergangenheit und gegenwärtigen Situationen der jungen Leser und Leserinnen1.
Immer mehr Kinderromane orientierten sich in den 1980er Jahren bei der Themenwahl an dem damaligen Wandel der Lebensumstände von Kindern, welcher vor allem die Familienverhältnisse betraf. Demnach fanden sich ab dieser Zeit zunehmend Motive wie Trennung/Scheidung, alleinerziehende Elternteile oder neue Familienstrukturen in der zeitgenössischen Kinder- und Jugendliteratur wieder. Im Zentrum stehen nicht mehr die Probleme eines Kindes innerhalb des Familienlebens, sondern die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn ein solches Familienbild zerfällt.2 Erich Kästner verfasste als erster Autor in Deutschland im Jahre 1950 ein solches Kinderbuch mit dem Titel „Das doppelte Lottchen“, bei dem die zwei Zwillingstöchter von sich scheidenden Eltern versuchen, ihre Eltern wieder zusammenzubringen.3 Der Zusammenhang zwischen Scheidung in der Literatur und Kinderbüchern wird zwar im in aktuellen, wissenschaftlichen Arbeiten verstärkt thematisiert und analysiert, jedoch nimmt diese Thematik einen vergleichsweise kleinen Bereich der Wissenschaft ein.4 Deshalb ist es umso wichtiger, diesen Zusammenhang zu erforschen, um Kindern eine schonendere, zum Teil auch heiter wirkende Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit dem Thema Trennung und Scheidung im Literaturunterricht bieten zu können. Dies soll mit Hilfe der Analyse des zeitgenössischen Kinderbuches „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt. Mein kaputtes Königreich“ von Finn-Ole Heinrich in dieser Arbeit beleuchtet werden. Dabei liegt das Augenmerk zunächst auf der allgemeinen Relevanz und Funktion von Kinder- und Jugendliteratur sowie von Kinder- und Jugendliteratur mit dem Thema Trennung und Scheidung im Unterricht, die eine wichtige Basis für die weitere Analyse bilden. Darauffolgend soll ausgeführt werden, wie Scheidungskinder im realen Kontext auf die Scheidung ihrer Eltern reagieren: Welche Phasen sie durchleben und sich die Beziehung zum nicht anwesenden Elternteil verändert. Dies dient dem besseren Verständnis bezüglich der Haltung der Protagonistin Maulina gegenüber der Scheidung ihrer Eltern. Im nächsten Schritt folgt dann die Analyse des Kinderbuches, bei dem sowohl die Gefühlswelt, das Verhalten Maulinas als auch die Beziehung zwischen ihr und ihrem im ehemaligen Familienhaus verweilenden Vater in den Vordergrund tritt. Vorab ist zu erwähnen, dass die vollständige Analyse des Verhältnisses zwischen Maulina und ihrem Vater nur mit der gesamten Trilogie möglich ist. Zum Ende hin liegt der Fokus auf die bedeutsame Funktion im Literaturunterricht, bei dem zuerst die allgemeine Arbeit mit problemorientierter KJL betrachtet wird, um diese dann auf die spezielle Didaktik mit Büchern zum Thema elterlicher Trennung und Scheidung zu übertragen. Die gesamte Analyse bündelt sich dann im abschließenden Fazit, wobei die relevantesten Erkenntnisse mit der Betrachtung vorheriger Arbeiten zu diesem Thema verbunden, sowie die Eignung der Thematik und des analysierten Kinderbuches bewertet werden.
2. Moderne Kinder- und Jugendliteratur
2.1 Eigenschaften und Funktion moderner KJL
Kinder- und Jugendliteratur ist eine Gattung in der Literatur, die sich als äußerst facettenreich erweist, da man bei der Gattung „Kinder- und Jugendliteratur“ nicht von identischen Merkmalen in allen Kinderbüchern ausgehen kann. Dabei wird einem bewusst, dass KJL an keine bestimmte Form in ihrer Verfassung gebunden ist, sondern einen individuellen Schreibstil aufweist.5 Bei den modernen bzw. realistischen Kinderromanen ist eine neue Art von Kinder- und Jugendliteratur entstanden, die sich primär an LeserInnen zwischen acht und zwölf Jahren richtet. In diesen Kinderromanen greifen Autoren auf aktuelle Ereignisse, Themen, Konflikte, Realitätswahrnehmungen und Kindheitsbilder der Gesellschaft auf und verarbeiten sie realitätsgetreu, meist ohne phantastische Züge, in ihren Werken. Aus dem neuen Stil lassen sich drei verschiedene Kategorien von Kinderromanen unterscheiden: der sozialkritischproblemoriente, der psychologische und der tragikomische (Familien-)Roman.6
Positiv für die Rezeption dieser Literatur sind die in den Werken behandelten, lebensnahen Themen, die das Interesse der Kinder wecken, um das Buch selbstständig im vollen Umfang zu lesen. Ebenso werden Kinder auf literarische Art und Weise beschäftigt und erhalten gleichzeitig ein Bild der Geschehnisse des Lebens sowie der Welt. Mit dem erzieherischen Blick auf die KJL werden den Kindern, durch solche realistischen Themen, auch gesellschaftliche Werte und Normen vermittelt. Sie haben somit eine Möglichkeit, mit der eigenen ethischen Positionierung zu beginnen und weiterführend ihren persönlichen Charakter zu formen.7 Andere Werke spiegeln in ihren Themen aktuelle Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen wider, wobei sich die Autoren bei den Motiven an Lieblingsbeschäftigungen von Kindern orientieren, wie zum Beispiel Spielen, mit Tieren umgehen etc.8 Einige Texte der KJL weisen sowohl den erzieherischen als auch kindorientierten Blickwinkel auf und verbinden sich so zur „kindgemäße[n] Sozialisationsliteratur“ (Gansel 2010, S.17).
In „entwicklungs- und sozialpsychologischer Hinsicht befriedigen jungendliche Leser ihre Identifikationsbedürfnisse.“ (Lange 2018, S.104). Es fällt den Kindern leicht, die Abläufe der Innenwelt von Figuren - welche geistliche Prozesse sowie die Ausführung bestimmter Handlungen beinhalten - zu verstehen und Parallelen zu sich selbst zu ziehen, wodurch eine Identifikation mit den Figuren stattfindet. Durch das Lesen und Verarbeiten verschiedener, realitätsgetreuer Situationen der fiktionalen Charaktere, sammeln Kinder und Jugendliche eigene Eindrücke zu bestimmten Themen, Konflikten etc. des alltäglichen Lebens. Die Orientierung an Kindern und Jugendlichen bewirkt ebenso äußerliche und sprachliche Attraktivität für junge Leser, bei der die Sprache und Denkmuster einiger Figuren, besonders der kindlichen Charaktere, an die der jungen Leser angepasst sind. Die modernsten Kinder- und Jugendbücher erfüllen diese Kriterien auf ihre ganze eigene Art und Weise, da sie den Fokus auf die aktuellsten Themen im Leben der Heranwachsenden legen und diese in den Werken widerspiegeln. So knüpfen sie exakt an der Gedanken- und Gefühlswelt der Kinder an, regen eine Auseinandersetzung mit dieser an, womit eine Horizonterweiterung im mentalen Bereich der Jugendlichen bewirkt wird.9
Besonderes Augenmerk sollte auf die psychologischen Kinderromane geworfen werden, bei dem nicht nur die Handlung im Zentrum steht, sondern auch die Konsequenzen einer belastenden Situation für die Gefühlslage des kindlichen Charakters im Werk. Sie bieten durch den tiefen Einblick in die Psyche der Figuren eine Möglichkeit, an die reale Psyche der Menschen heranzutreten und so einen Überblick über innere Vorgänge im Menschen zu erhalten. Neben den Konflikten mit dem Umfeld des fiktiven Charakters, werden Kinder vor allem von der Analyse der inneren Vorgänge, Gedanken und Gefühle der Figuren geprägt. Es verhilft ihnen zu verstehen, aus welchen der Psyche oder Seele entspringenden Gründen ein Mensch auf diese Art und Weise handelt. Kinderromane, die auf die sich auf psychologische Vorgänge konzentrieren, unterstützen die Entwicklung der Multiperspektivität, des Mitgefühls und des Denkens über Mitmenschen sowie sich selbst.10
Es ist von hoher Relevanz, dass die jungen Leser zwischen sich selbst und den Charakteren in den Büchern Parallelen ziehen können. Dies hängt unmittelbar damit zusammen, dass problemorientierte Kinderbücher auf bestimmte Situationen abzielen, die die Kinder schon in ähnlicher Weise erlebt haben oder zu diesem Zeitpunkt erleben. So haben Kinder die Möglichkeit, Vorstellungen zu entwickeln, wie gewisse Konflikte im Leben ablaufen können. Dementsprechend dient solch ein Roman als Hilfestellung, der zusätzlich indirekt vermittelt, wie Kinder in ihrer eigenen, problematischen Situation handeln können.11
2.2 Moderne Kinder- und Jugendliteratur mit dem Motiv der elterlichen Trennung und Scheidung
Der Entwicklungsstand eines Kindes unterscheidet sich erheblich von dem eines Erwachsenen, sowohl im Bereich der Lebenserfahrung, als auch in der Entwicklung des geistigen und körperlichen Standes. Deshalb ist die problemorientierte Kinder- und Jugendliteratur eine hervorragende Option zur kindlichen Vermittlung alltäglicher, belastender Themen wie Trennung und Scheidung, Krankheit und Tod und weiteren, schwierigeren Thematiken.12 Die problemorientierte KJL ermöglicht eine Auseinandersetzung der Jugendlichen mit ihrem eigenen Leben samt den Konflikten, Geschehnissen und inneren, psychischen Vorgängen.13 Besonders der psychologische Familienroman versucht die Innenwelt eines Kindes, welches sich in einer familiären oder allgemeinen Notlage befindet, darzustellen und gleichzeitig eine Option zur Bewältigen zu bieten. Thematisiert werden hierbei die Auflösung der Familienstrukturen, welche natürlich eine vollkommen neue Alltagssituation mit anderen Umständen hervorruft sowie die „krisenhafte Erfahrung der Instabilität und des Geborgenheitsverlustes“ (Daubert 2018, S.95). Die einstweilen starken Eltern verlieren ihre Funktion als Rückhalt ihrer Kinder und gelangen selbst an ihre psychischen Grenzen in dieser Krisenzeit.14
Im Zentrum der Erzählungen befinden sich nicht immer die Scheidung oder Trennung von Eltern. Der Fokus kann ebenso auf die neuen Umstände nach einer Trennung gelegt werden, welche sich beispielsweise bei einem neuen Lebenspartner eines Elternteils oder beider Elternteile ergeben. Eine etwas lustig wirkende Atmosphäre finden sich in den Tragikomödien wieder, in denen sich Kinder geschiedener Eltern selbst den Versuch starten, einen neuen Partner für ihren Vater oder ihrer Mutter zu finden. Selbst in einer ähnlichen Lage befindliche Leser können Parallelen zwischen der Geschichte und ihrer eigenen Situation ziehen. Ferner wird ihr Blick gleichfalls auf die Perspektiven und Gedanken anderer Beteiligten, wie die fiktiven Eltern, geworfen, wodurch sie lernen können, die Position ihrer eigenen Eltern zu verstehen.15
2.3 Die Innenweltdarstellung in der KJL
In den späten 60er Jahren erlebte die KJL einen Wandel in ihrer Art der Erzählung. Man begann, den Erzählstil der Kinderbücher an den der Erwachsenenliteratur anzupassen, wodurch man in der KJL neuerdings einen kindlichen Ich-Erzähler vorfand, dessen Innenwelt in allen Details beschrieben wird. Dieser neue Erzählstil wird seit diesem Zeitraum bis heute weiterhin fortgesetzt und zunehmend fundiert. Im Mittelpunkt des Gesamten stehen die psychischen Vorgänge der Erzählfigur in Bezug auf ihre akute Lebenslage, die die aktuellen Problematiken der Kinder und Jugendlichen in der Gesellschaft widerspiegeln.16 Die Analyse der Innenweltdarstellung der handelnden Figuren, allem voraus des kindlichen Ich-Erzählers, ist in der Arbeit mit KJL im Unterricht von höchster Relevanz. Besonders da die beschriebenen Konflikte die Problemlagen der zeitgenössischen Jugend widerspiegeln, wobei die psychischen Vorgänge im Inneren der Figuren in den Fokus rücken. Um eine optimale Gegenüberstellung des Konfliktes in der Geschichte mit der realen Situation der jungen Leser hervorzubringen, sollte das Alter der Protagonisten dem der rezipierenden Kinder entsprechen. Infolgedessen entwicklen die jungen Leser eine stärkere Empathie gegenüber der Handlung und Problematik im Werk, wodurch ein tieferes Eindringen in die Textebene ermöglicht wird.
[...]
1 vgl. Lange 2018, S.103.
2 vgl. Daubert 2011, S.94.
3 vgl. Lehner 1991, S.62.
4 Beispiele: Sattler, Cornelia: Problematik der elterlichen Trennung: Eine kritische Analyse aktueller Kinder- und Jugendliteratur im Hinblick auf die pädagogische Begleitung von Kindern, 2006.
Blau, Christina: Papa hat uns nicht mehr lieb?: Das Thema 'Trennung und Scheidung' in der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur, 2007.
5 vgl. Gansel 2010, S.12-13.
6 vgl. Daubert 2018, S.87-89.
7 vgl. Dahrendorf 2004, S.16.
8 vgl. Gansel 2010, S.17.
9 vgl. Lange 2018, S.104-105.
10 vgl. Daubert 2011, S.102.
11 vgl. Lehner 1991, S.55-56.
12 vgl. Dahrendorf 2004, S.16.
13 vgl. Lange 2018, S.103
14 vgl. Daubert 2018, S.96.
15 vgl. Lehner 1991, S.63.
16 vgl. Gansel 1994, S.352.