Krankheiten können einen Einfluss auf die Gesetze einer Gesellschaft haben. Doch wie sieht es bei der aktuellen COVID-19-Pandemie aus? Hat die Pandemie einen Einfluss auf die Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung in Deutschland? Wenn dem so ist, welchen?
Um Erkenntnisse zu dieser Fragestellung zu erlangen, wird zunächst der Stand der Literatur dargestellt. Im Einzelnen geht es um die Fragestellung, ob es besondere Befugnisse in der Krise für den Gesetzgeber gibt, um Recht zu schaffen. Anschließend werden Merkmale einer Krise herausgearbeitet und auf die COVID-19-Pandemie angewendet. Hierbei werden wesentliche Charakteristika der Pandemie herausgestellt. Anhand beispielhafter Rechtsnormen wird abschließend diskutiert, welchen Einfluss die wesentlichen Merkmale der Krise auf die Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung haben.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Krisen: Eine historische Einführung
2 Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung in Deutschland
2.1 Rechtssetzung und Rechtsnormen
2.1.1 Das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland
2.1.2 Notstandsbefugnisse in Deutschland
2.2 Rechtsanwendung
2.3 Rechtsdurchsetzung
3 Die COVID-19-Pandemie als Krise?
3.1 Der Krisenbegriff
3.2 Merkmale einer Krise
3.3 COVID-19 im Kontext der Krise
3.4 Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse
4 Rechtssetzung, -anwendung und -durchsetzung in der COVID-19-Pandemie
4.1 Das Infektionsschutzgesetz (IfSG)
4.2 COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz - COVInsAG
4.3 Das GesRuaCOVBekG
4.4 Änderung des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung (EGStPO)
4.5 Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Krisenmerkmale nach Schwerdtfeger (Schwerdtfeger, 2018, S. 17)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Krisen: Eine historische Einführung
„Entschlossenheit im Unglück ist immer der halbe Weg zur Rettung“
[Johann Heinrich Pestalozzi] Dieses Zitat von Johann Heinrich Pestalozzi ist weit über 100 Jahre alt und könnte doch von gestern sein. Es charakterisiert die Bedeutung von entschlossenen Handeln im Rahmen einer Krise. Krisen sind kein Thema der Neuzeit. Krisen begleiten die Menschen seit jeher. Ob Kriege, Naturkatastrophen oder Krankheiten. Sie erfordern eine Abkehr von der Normalität und eine Anpassung an neue Gegebenheiten.
Bereits im Jahr 1400 wurde im damals zu Deutschland gehörenden Basel das erste Seuchengesetz beschlossen, wonach Händler die mit dem Pesterreger infiziert waren keine Nahrungsmittel verkaufen durften (Grossmann, 2021). Aber auch Abschottungen sind keine Erfindung der Neuzeit. Bereits 1374 haben die Italiener zur Seuchenbekämpfung die Stadt Reggio nell'Emilia abgeschottet, sodass Menschen weder hinein noch hinaus konnten (Grossmann, 2021).
Es wird deutlich, dass Krankheiten einen Einfluss auf die Gesetze einer Gesellschaft haben können. Doch wie sieht es bei der aktuellen COVID-19-Pandemie aus? Hat die Pandemie einen Einfluss auf die Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung in Deutschland? Wenn dem so ist, welchen?
Um Erkenntnisse zu dieser Fragestellung zu erlangen wird zunächst der Stand der Literatur dargestellt. Im Einzelnen geht es um die Fragestellung, ob es besondere Befugnisse in der Krise für den Gesetzgeber gibt um Recht zu schaffen.
Anschließend werden Merkmale einer Krise herausgearbeitet und auf die COVID-19- Pandemie angewendet. Hierbei werden wesentliche Charakteristika der Pandemie herausgestellt.
Anhand beispielhafter Rechtsnormen wird abschließend diskutiert, welchen Einfluss die wesentlichen Merkmale der Krise auf die Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung haben.
2 Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung in Deutschland
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Verfassungsstaat. Zentrales Element ist hierbei die Verfassung. In Deutschland handelt es sich dabei um das Grundgesetz (GG). Dieses regelt und legitimiert die Staatsgewalt und gliedert es in drei Teilgewalten: Legislative, Exekutive und Judikative (Horn, 2016, S. 7). Dabei geht die Staatsgewalt vom Volke aus. „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ (Art. 20 Abs. 2 GG).
2.1 Rechtssetzung und Rechtsnormen
Als Rechtssetzung wird die Schaffung von Rechtsnormen bezeichnet die gegenüber jeden Rechtssubjekt Geltung beanspruchen können (Weber, 2011, S. 971). Rechtsnormen sind generelle Regelungen zur Steuerung menschlichen Verhaltens (Heckmann, 1997, S. 19). Die höchste Normenstufe ist dabei die Verfassung, das Grundgesetz. Es regelt die Schaffung von formellen und materiellen Gesetzen.
Formelle Gesetze sind alle Gesetze, die durch das Gesetzgebungsverfahren vom Parlament oder einem Landesparlament verabschiedet werden. Dagegen sind Gesetze im materiellen Sinn alle Rechtsnormen (Deutscher Bundestag, 2021a), das heißt auch Rechtsverordnungen oder Satzungen die auf Grundlage eines Gesetzes erlassen wurden. Als Beispiel für ein formelles Gesetz ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu nennen. Die darin enthaltenen Rechtsnormen spiegeln das Recht im materiellen Sinn wider. Neben Gesetzen werden in der Praxis häufig auch Rechtsverordnungen genutzt.
Rechtsverordnungen sind Rechtsnormen, die nicht im förmlichen Gesetzgebungsverfahren vom Bundestag verabschiedet, sondern von der Bundesregierung, einem Bundesminister oder einer Landesregierung erlassen werden (Deutscher Bundestag, 2021b). Wichtig ist dabei, dass die Ermächtigung, der Zweck und das Ausmaß zum Erlass von Rechtsverordnungen in einem Gesetz begründet sein müssen (Art. 80 GG). Im Beispiel des Infektionsschutzgesetzes ist solch eine Begründung in §5 Abs. 2 IfSG zu finden. Dort wird das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt Rechtsverordnungen zu erlassen, sofern der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage nationaler Tragweite festgestellt hat.
Bekannte Beispiele für Rechtsverordnungen im Sinne des Art. 80 GG sind die Strafprozessordnung oder die Straßenverkehrsordnung.
2.1.1 Das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland
Das Gesetzgebungsverfahren ergibt sich aus Art. 76 ff. GG. Dabei wird in fünf Schritte (Weber, 2011, S. 518) unterschieden:
- Gesetzesinitiative (Art. 76 GG)
- Gesetzesbeschluss (Art. 77 GG)
- Zustandekommen (Art. 78 GG)
- Wirksamwerden (Art. 82 Abs. 1 GG)
- In-Kraft-Treten (Art. 82 Abs. 2 GG)
Die durchschnittliche Dauer des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene beträgt 200 Tage (Prof. Dr. Angela Schwerdtfeger, 2020). Hierbei sei noch einmal explizit betont, dass es sich um das Gesetzgebungsverfahren in Nicht-Krisenzeiten handelt.
2.1.2 Notstandsbefugnisse in Deutschland
Der Rechtsstaatsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 GG besagt, dass die Exekutive an die Gesetze und das Recht gebunden sind, sodass nur der Bundestag befugt ist Vorschriften in Bundesgesetzen oder Bundesgesetze insgesamt aufzuheben oder außer Kraft zu setzen (Deutscher Bundestag, 2015, S. 3). Für einen Krisen-, Spannungs- oder Notstandsfall wurde im Jahre 1968 das Grundgesetz erweitert. Jedoch geben die eingefügten Regelungen der Bundesregierung nicht die Kompetenz, im Notstandsfall Gesetze oder einzelne Vorschriften außer Kraft zu setzen (Deutscher Bundestag, 2015, S. 3).
Im Rahmen der Einführung der Notstandsverfassung wurden besondere Regelungen eingeführt die im Fall des äußeren oder inneren Notstands zum tragen kommen. Der äußere Notstand (Spannungs- und Verteidigungsfall) muss gemäß Art. 115a GG durch den Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden. Ist sofortiges Handeln notwendig so kann der Gemeinsame Ausschuss mit einer Mehrheit von zwei Drittel, mindestens der Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 115a Abs. 2 GG), den äußeren Notstand beschließen. Der Gemeinsame Ausschuss besteht nach Art. 115a GG Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 53a GG zu zwei Drittel aus Mitgliedern des Bundestages, die nicht der Regierung angehören dürfen, und zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates (Deutscher Bundestag, 2015, S. 4). Die Gesetzgebung kann nach Art. 115d GG im äußeren Notstand beschleunigt, allerdings nicht ausgesetzt werden.
Der innere Notstand kommt zum tragen, wenn die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist. Für diesen Fall regeln Art. 87a Abs. 4 und
Art. 91 GG besondere Befugnisse der Bundeswehr und der Polizei beim Einsatz im Innern. Exemplarisch kann dies der Schutz kritischer Infrastruktur durch die Bundeswehr sein. Besondere Regelungen des Gesetzgebungsverfahren sieht das Grundgesetz allerdings nicht vor (Deutscher Bundestag, 2015, S. 4).
2.2 Rechtsanwendung
Rechtsanwendung ist die Anwendung des Rechts auf einen gegebenen Sachverhalt. Diese unterliegt gesetzlichen Regeln und den Methoden der Rechtsfindung, die sich in der Praxis herausgebildet haben (Weber, 2011, S. 968). Hierbei wird von einem festgestellten oder gedachten Sachverhalt ausgegangen, der unter die einschlägigen Rechtsvorschriften eingeordnet wird. Daraus werden sich ergebene Schlussfolgerungen gezogen.
2.3 Rechtsdurchsetzung
Neben der Anwendung des Rechts, ist die Rechtsdurchsetzung eng miteinander verknüpft. Womöglich ist das ein Grund weshalb die Begriffe in der Literatur nicht selten gleich verwendet werden.
Im Gegensatz zur Rechtsanwendung, die sich in Ihrem Schwerpunkt mit der Rechtsfindung befasst, konzentriert sich die Rechtsdurchsetzung auf die Geltendmachung eines (vermeintlichen) Anspruchs. Sie wird durch Rechtsnormen konkretisiert, die der Durchsetzung des materiellen Rechts dienen. Diese Normen werden als formelles Recht bezeichnet. Dazu gehört beispielsweise das Zivilprozessrecht und das Strafprozessrecht (Weber, 2011, S. 964). Die Durchsetzung des Rechts ist Aufgabe der Rechtsprechung (Pötzsch, 2009). Dabei ist eine logische Reihenfolge einzuhalten (Weber, 2011, S. 968):
- Zulässigkeit des Rechtswegs, der Klage, des Rechtsmittels
- Sachliche und örtliche Zuständigkeit
- Begründetheit
Ein wesentlicher und zentraler Grundsatz ist dabei die Unabhängigkeit der Richter. Sie ist in Art. 97 Abs. 1 GG verortet und soll die Gleichheit vor Gericht sicherstellen.
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