Die Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens beschäftigt die Philosophie seit nun mehr als zweitausend Jahren. Sie kann zweifellos, neben der Frage nach dem menschlichen Bewusstsein, d.h. dem sogenannten Leib-Seele-Problem, als eine der beiden fundamentalsten Fragen der menschlichen Existenz überhaupt betrachtet werden. So überrascht es auch nicht, dass die Auseinandersetzung mit dieser Frage bis zum heutigen Tage für vielerlei Kontroversen gesorgt und einige sich gegenseitig ausschliessende Positionen innerhalb der Philosophie hervorgebracht hat.
Jedoch nicht nur innerhalb der Philosophie hat dieses Thema hohe Wellen geschlagen. Je nachdem, welche Position hinsichtlich der Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens eingenommen wird, ergeben sich daraus weitreichende philosophische, rechtliche, politische und nicht zuletzt auch gesellschaftliche Konsequenzen. Diese Arbeit dient dem Zweck, zuerst grob in die philosophische Willensfreiheitsdebatte einzuführen, und vergleicht dann anschliessend die Freiheitskonzepte der beiden berühmten Philosophen, Arthur Schopenhauer und David Hume.
Inhaltsverzeichnis
1. Über die Freiheit des menschlichen Willens - Eine thematische Einführung
1.1. Zentrale Begriffsbestimmungen
2. Hume versus Schopenhauer: Ein Vergleich zweier Freiheitskonzeptionen
2.1. Freiheit und Notwendigkeit bei David Hume
2.2. Erscheinung und Wille bei Arthur Schopenhauer
2.3. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Positionen
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
1. Über die Freiheit des menschlichen Willens - Eine thematische Einführung
Die Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens beschäftigt die Philosophie seit nun mehr als zweitausend Jahren. Sie kann zweifellos, neben der Frage nach dem menschlichen Bewusstsein, d.h. dem sogenannten Leib-Seele-Problem, als eine der beiden fundamentalsten Fragen der menschlichen Existenz überhaupt betrachtet werden. So überrascht es auch nicht, dass die Auseinandersetzung mit dieser Frage bis zum heutigen Tage für vielerlei Kontroversen gesorgt und einige sich gegenseitig ausschliessende Positionen innerhalb der Philosophie hervorgebracht hat. Jedoch nicht nur innerhalb der Philosophie hat dieses Thema hohe Wellen geschlagen. Angesichts der grossen Sprengkraft, die die Frage, ob der Mensch in seinem Denken und Handeln frei ist, in sich trägt, überschneiden sich die entsprechenden Forschungsfelder zunehmend. Es lässt sich dennoch festhalten, dass es bis dato keinem Denker gelungen zu sein scheint, eine abschliessende und allumfassende Antwort diesbezüglich zu liefern. Insofern, das sei einmal vorweggenommen, begegne ich der Auseinandersetzung mit jenem Themenkomplex mit der nötigen Portion Demut.
Anfangs ist es meines Erachtens von ausserordentlicher Wichtigkeit, zu klären, was konkret als Willensfreiheit bezeichnet wird. Für Peter Schulte bedeutet Willensfreiheit im primären Sinn Entscheidungsfreiheit, sie liegt folglich also genau dann vor, wenn die Entscheidung einer Person frei ist.1 Ein fundamentaler Streitpunkt, der die Philosophie seit der Antike beschäftigt, ist die damit verknüpfte Frage, ob wir als Menschen tatsächlich in der Lage sind, freie Entscheidungen zu treffen, und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Entscheidung überhaupt als frei gelten kann. Ferner wird für diese Untersuchung die Unterscheidung zwischen Willensfreiheit auf einer ersten Stufe, und Handlungsfreiheit auf einer zweiten, aufbauenden Stufe, von Bedeutung sein. Zentrale begriffliche Definitionen und Abgrenzungen werden sodann im nächsten Abschnitt der Klarheit wegen vorgestellt. Je nachdem, welche Position hinsichtlich der Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens eingenommen wird, ergeben sich daraus weitreichende philosophische, rechtliche, politische und nicht zuletzt auch gesellschaftliche Konsequenzen. Obwohl es dem menschlichen Selbstverständnis entsprechen mag, unseren Handlungen und Taten weitgehende Freiheit zuzugestehen, wird im Kontext der Willensfreiheitsdebatte gerade in der modernen, von den Neurowissenschaften geprägten Diskussion, dem Menschen ebenjene Freiheit von unzähligen Autoren abgesprochen und stattdessen für eine deterministische Auslegung plädiert.2 Die These des Determinismus bzw. die Annahme einer deterministischen Welt, gründet sich, grob gesagt, auf der Annahme kausaler Notwendigkeit und Geschlossenheit der empirischen Welt, und damit letztlich ebenso des Menschen als Teil dieser Welt. Oder etwas einfacher ausgedrückt: Der deterministischen Position zufolge ist der Mensch als Produkt von kausalen biologischen Prozessen denselben vollkommen unterworfen und besitzt dementsprechend keine Willens- und Entscheidungsfreiheit. Von dieser gegenwärtig bemerkenswert populären Strömung wird in den weiteren Ausführungen noch eingehender zu sprechen sein.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen allerdings keine neurowissenschaftlichen Überlegungen bezüglich Willens- oder Handlungsfreiheit, sondern es soll sich vielmehr mittels einer metaphysischen und ontologischen - also klassisch philosophischen - Herangehensweise dem Thema angenähert werden. Konkret besteht das Ziel der vorliegenden Untersuchung darin, die jeweiligen Freiheitskonzeptionen von David Hume, dem schottischen Empiristen, und Arthur Schopenhauer, dem deutschen Philosophen und geistigen Erben Immanuel Kants, zu rekonstruieren und anschliessend einem Vergleich zu unterziehen. Die Arbeit gliedert sich dabei in drei Teile. Als erstes werden, im Bemühen um begriffliche Klarheit und des Vermeidens von möglichen Ambivalenzen wegen, einige zentrale Begriffsbestimmungen eingeführt. Wichtig ist hierbei in erster Linie die Unterscheidung zwischen Willens- und Handlungsfreiheit auf der einen, und diejenige zwischen Inkompatibilismus und Kompatibilismus auf der anderen Seite. Darauf aufbauend wird im Hauptteil der zentralen Forschungsfrage, inwiefern sich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den beiden Freiheitskonzeptionen von David Hume und Arthur Schopenhauer erkennen lassen, nachgegangen. Es wird an erster Stelle die Position David Humes gründlich herausgearbeitet, da dieser zeitlich vor Schopenhauer gelebt und darüber hinaus auch auf bedeutende deutsche Denker wie Kant oder Schopenhauer selbst Einfluss ausgeübt hat. Im Anschluss daran wendet sich der Blick auf das Werk Schopenhauers, bevor schliesslich der Versuch unternommen wird, beide Positionen zusammenzuführen und mögliche Differenzen auszumachen. Zum Schluss wird dann noch ein kritisches Fazit gezogen. Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass der Hauptuntersuchungsgegenstand dieser Arbeit lediglich die Positionen Humes und Schopenhauer hinsichtlich der Frage nach Willensfreiheit ist, nicht jedoch ihr umfassenderes Werk, da dies weit über den Rahmen dieser kurzen Seminararbeit hinaus gehen würde. Nichtsdestotrotz werden hier und da einige kurze kontextrelevante Bemerkungen zu finden sein, weil speziell bei Schopenhauer die Freiheitsfrage untrennbar verbunden mit seiner grundlegenden Theorie über den Willen und die Vorstellung ist.
1.1. Zentrale Begriffsbestimmungen
Im folgenden Abschnitt werden die Begriffe „Freiheit“, „Determinismus“, „Inkompatibilismus“ und „Kompatibilismus“ im Kontext der Willensfreiheitsdebatte in stark heruntergebrochener Form erläutert.
a) Freiheit: Freiheit, in unseren heutigen Sprachgebrauch, wird vor allem als die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Alternativen, ohne dass ein äusserer oder innerer Zwang vorliegt, verstanden. Äussere Zwänge können beispielsweise die Nötigung eines anderen Menschen, der Gesellschaft, eines totalitären Herrschers etc. zu etwas sein. Beispiele für innere Zwänge sind Triebe, hormonelle Steuerung, Charakter, erzieherische Prägung oder Bildung.3 Eine solche Freiheitsdefinition ist vor allem als negative, d.h. als Freiheit „von etwas“, zu deuten. Mit Blick auf die philosophische Freiheitsdebatte besteht eine nicht unbedeutende Differenz zwischen der klassischen „Willensfreiheit“ und der sogenannten Handlungsfreiheit. Während Handlungsfreiheit bedeutet, dass jeder, der sie besitzt, handeln kann, wie er handeln will, knüpft Willensfreiheit bereits an früherer Stelle an. Willensfreiheit bedeutet, dass man auch wollen kann, was man will, d.h. dass man nicht nur im Handeln, sondern im Wollen frei ist. David Hume hat als einer der ersten Philosophen auf diesen wesentlichen Unterschied hingewiesen.4
b) Determinismus: Es ist an obiger Stelle bereits eine kurze Beschreibung des deterministischen Grundgedankens angeführt worden. Eine universelle Definition des Determinismus ist hingegen nicht existent, wenngleich den meisten Menschen sofort intuitiv klar wird, was gemeint ist, wenn von Notwendigkeit, oder eben Determinismus die Rede ist. Schulte fasst die These des Determinismus mit folgendem Satz nochmals, wie ich finde, sehr treffend zusammen: „Alles, was passiert, ist durch zeitlich frühere Sachverhalte determiniert, d.h. für jedes Ereignis „t“ gibt es zeitlich frühere Sachverhalte, deren Bestehen metaphysisch hinreichend dafür ist, dass „t“ auftritt.“5 Ein sehr ähnliches Prinzip wird vielerorts als das Prinzip der kausalen Geschlossenheit bezeichnet, da es sich gezielt auf die Naturgesetze stützt. Spannend ist hierbei die Frage, ob die Naturgesetze vorschreiben, was geschieht bzw. was geschehen muss, oder ob sie lediglich eine beschreibende Funktion ausführen. Der erste Fall kennzeichnet ein „präskriptives“ Verständnis von Naturgesetzen, im zweiten wird demgegenüber von einem „deskriptiven“ Verständnis gesprochen.6 Obwohl Kausalität und Determinismus nicht identisch sind, werden sie oft miteinander verknüpft, woraus dann ein „kausaler Determinismus“ folgt. Klein meint, dass zahlreiche Vertreter von Willensfreiheit sehr gut mit Kausalität, weniger jedoch mit dem Determinismus leben können.7 Wie im weiteren Verlauf noch zu sehen ist, fallen sowohl Schopenhauer als auch Hume in jene Kategorie.
c) Inkompatibilismus: Es stellt sich sodann die Grundfrage, ob Willensfreiheit und Determinismus in irgendeiner Form überhaupt vereinbar sind. Die inkompatibilistische Strömung verneint diese Frage, d.h. sie hält Willensfreiheit und Determinismus für absolut unvereinbar. Innerhalb des Inkompatibilismus lassen sich wiederum zwei unterschiedliche Varianten ausmachen: Die Libertarier halten an der Willensfreiheit fest und weisen dementsprechend den Determinismus zurück, wohingegen die Impossibilisten Willensfreiheit per se ausschliessen, da diese ihrer Argumentation gemäss eine reine Illusion darstellt. Impossibilisten werden auch als „harte Deterministen“ bezeichnet.8
d) Kompatibilismus: Kompabilisten vertreten die Auffassung, dass der Determinismus mit freien Entscheidungen vereinbar ist. Sie zweifeln folglich nicht an der Existenz von Willensfreiheit. Die meisten Kompabilisten anerkennen einerseits die Tatsache, dass der Mensch als physischsinnliches Wesen den kausalen Gesetzen des Universums unterworfen ist. Daraus schliessen sie andererseits jedoch nicht, dass der Mensch in seinen Willensakten und Handlungen durchwegs determiniert und ohne die Möglichkeit zur Freiheit agiert. Einige der berühmten Kompatibilisten, so beispielsweise Kant und Schopenhauer, haben dieses Problem versucht zu lösen, indem sie für die Existenz zweier Welten plädiert haben. Bei Kant, Schopenhauer hat diese Position daraufhin weitgehend übernommen, gibt es auf grundlegender Ebene zu einen den „empirischen Charakter der Welt“, womit vor allem die Erscheinungswelt, an die das menschliche Wesen notwendig gebunden ist, gemeint ist. Darüber hinaus entwickelt Kant jedoch die Vorstellung eines „intelligiblen Charakters der Welt“, also einer transzendentalen Sphäre in welcher es dem Menschen möglich ist, als freies Subjekt d.h. jenseits von deterministischen Zuständen zu handeln.9 Selbstredend gibt es unzählige andere kompabilistische Positionen, die an dieser Stelle unerwähnt bleiben.
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1 Schulte Peter, Willensfreiheit als philosophisches Problem, in: Willensfreiheit, 2019, S.17.
2 Vgl. Roth Gerhard, 1994.
3 Gloy Karen, Freiheit und Determinismus, in: Freiheit, Begründung und Entfaltung in Philosophie, Religion und Kultur, Hg. Martin Thurner, 2017, S. 33.
4 Klein Andreas, „Ich bin so frei“, Willensfreiheit in der philosophischen, neurobiologischen und theologischen Diskussion, 2012, S. 7/8.
5 Schulte Peter, Willensfreiheit als philosophisches Problem, in: Willensfreiheit, Hg: Dagmar Kiesel und
Cleophea Ferrari, 2019, S.18.
6 Klein Andreas, „Ich bin so frei“, Willensfreiheit in der philosophischen, neurobiologischen und theologischen Diskussion, 2012, S.21.
7 Klein Andreas, „Ich bin so frei“, Willensfreiheit in der philosophischen, neurobiologischen und theologischen Diskussion, 2012, S.14.
8 Klein Andreas, „Ich bin so frei“, Willensfreiheit in der philosophischen, neurobiologischen und theologischen Diskussion, 2012, S.24.
9 Vgl. Hauser Dominik, Das Noumenon und das Nichts, 2015.