Eine gemeinsame nationale Identität ist ein wichtiges Merkmal von stabilen Staatsgefügen. Kein europäisches Land hat so viele Versuche gebraucht, die nationale Identität festzuschreiben, umzuschreiben oder abzuschreiben, wie die Republik Moldau. In keinem Nachfolgestaat der Sowjetunion ist die nationale Identität so umstritten wie dort, was v. a. an den verschiedenen Einflüssen liegt, die die Besatzungszeit durch Rumänien und die Sowjetunion auf das Land hatten.
Die Arbeit geht der Frage nach, inwiefern die Konstruktion einer moldauischen Identität im Hinblick auf die dort koexistierenden verschiedenen Ethnien und Sprachen, möglich ist. Dafür wird zunächst der Begriff der Nation und der nationalen Identität definiert. Darauf folgt eine Erläuterung der Geschichte der Republik Moldau seit Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Zerfall der Sowjetunion, da besonders diese Zeit prägend für die Nation und ihre Identität ist. Im Anschluss werden die Beziehungen zur Europäischen Union, zu Rumänien und zu Russland sowie der Transnistrienkonflikt analysiert, welches alles Faktoren sind, die konstitutiv für die Konstruktion einer moldauischen Identität sind.
Danach erfolgt eine Untersuchung der verschiedenen Identitäten im Land und wie die davor analysierten Faktoren der Geschichte und der Außenpolitik diese beeinflussen bzw. beeinflusst haben. Zuletzt wird ein Fazit gegeben und eine Prognose aufgestellt, welche zukünftigen Ereignisse Einfluss auf die nationale Identität haben könnten.
Inhaltsverzeichnis
I. EINLEITUNG
II. NATION UND NATIONALE IDENTITÄT
III. FALLBEISPIEL: DIE REPUBLIK MOLDAU
3.1 Geschichtlicher Abrissder Republik Moldau
3.2 Einflüsse auf die moldauische Identität
3.2.1 Der Rumänismus: Die Beziehung der Republik Moldau zur EU und zu Rumänien
3.2.2 Die Beziehung der Republik Moldau zu Russland
3.2.3 DerTransnistrienkonflikt
IV. KONSTRUKTION EINER MOLDAUISCHEN IDENTITÄT
V. FAZIT
VI. LITERATURVERZEICHNIS
I. Einleitung
Eine gemeinsame nationale Identität ist ein wichtiges Merkmal von stabilen Staatsgefügen. Kein europäisches Land hat so viele Versuche gebraucht, die nationale Identität festzuschreiben, umzuschreiben oder abzuschreiben, wie die Republik Moldau. In keinem Nachfolgestaat der Sowjetunion ist die nationale Identität so umstritten wie dort, was v. a. an den verschiedenen Einflüssen liegt, die die Besatzungszeit durch Rumänien und die Sowjetunion auf das Land hatten.
Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, inwiefern die Konstruktion einer moldauischen Identität im Hinblick auf die dort koexistierenden verschiedenen Ethnien und Sprachen, möglich ist.
Dafür wird zunächst der Begriff der Nation und der der Nationalen Identität definiert. Darauf folgt eine Erläuterung der Geschichte der Republik Moldau seit Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Zerfall der Sowjetunion, da besonders diese Zeit prägend für die Nation und ihre Identität ist. Im Anschluss werden die Beziehungen zur Europäischen Union, zu Rumänien und zu Russland sowie der Transnistrienkonflikt analysiert, welches alles Faktoren sind, die konstitutiv für die Konstruktion einer moldauischen Identität sind.
Danach erfolgt eine Untersuchung der verschiedenen Identitäten im Land und wie die davor analysierten Faktoren der Geschichte und der Außenpolitik diese beeinflussen bzw. beeinflusst haben. Zuletzt wird ein Fazit gegeben und eine Prognose aufgestellt, welche zukünftigen Ereignisse Einfluss auf die nationale Identität haben könnten.
II. Nation und Nationale Identität
Um auf die Frage nach der Konstruktion der nationalen Identität in Republik Moldau genauer eingehen zu können, muss man zunächst verstehen, was unter den Termini Nation und nationalen Identitäten verstanden wird.
Eine exakte und universelle Definition vom Terminus Nation zu erarbeiten, stellt sich als schwierig heraus (vgl. Weber 1972, 528). Alle Definitionen haben die Gemeinsamkeit, dass sie zwischen einem objektiven bzw. einem osteuropäischen und einem subjektiven bzw. westeuropäischen Nationsbegriff unterscheiden. Der westliche und subjektive Begriff basiert auf dem Nationalstaat entgegengebrachtem Wir-Gefühl, während der östliche bzw. objektive Begriff die kulturellen und sprachlichen Gemeinsamkeiten fokussiert. Die Frage, ob eine Nation durch solch objektive oder subjektive Merkmale gekennzeichnet ist, lässt sich damit beantworten, dass nur die Gemeinsamkeiten in Ethnographie, Sprache, Religion, Interessen und Geografie (also in diesem Sinne objektive Faktoren) nicht genügen, um das Phänomen Nation definieren zu können. Eine Nation wird eher durch die gemeinsamen Erinnerungen und dem Wunsch nach dem Zusammenleben charakterisiert. Somit lässt sich eine Nation als eine Soli- dargemeinschaft herausstellen, in der dieses spezifische Solidaritätsempfinden gegenüber anderen Mitgliedern derselben die definitorische Grundlage dieses Konzeptes darstellt (vgl. Renan 1993,109). Das Nationalbewusstsein bzw. die nationale Identität, die an späterer Stelle noch definiert wird, sind hierbei unabdingbar für die Bildung einer Nation. Nur aufgrund dieser Faktoren kann sich der Wille herausbilden, die Nation als Einheit zu wahren (vgl. Alter 1984, 23).
Eine zweite Variante, die Frage nach der Nation beleuchten, besteht in der Abtrennung bestimmter Wesensmerkmale, welche den objektiven Nationsbegriff ausmachen. Dabei spielen primordiale Faktoren wie Sprache, Kultur, Geschichte und Abstammung eine zentrale Rolle. Demnach wird die Nation durch eine „bestimmte menschliche Bevölkerung mit einem gemeinsamen historischen Gebiet, gemeinsamen Mythen und historischen Erinnerungen, einer öffentlichen Massenkultur, einer gemeinsamen Wirtschaft und gemeinsamen Rechten und Pflichten für ihre Mitglieder" ausgemacht (Neukirch 1996, 17). Sie ist demnach ein komplexes Konstrukt, welches aus sich aus verschiedenen, interdependenten Komponenten ethnischer, kultureller, ökonomischer und politisch-rechtlicherArt zusammensetzt (vgl. Smith 1991,14f.).
Man kann den Nationsbegriff zusammenfassend letzten Endes weder objektiv noch subjektiv definieren, sondern muss eine gemeinsame Betrachtung beider Merkmale vornehmen, da die Herausbildung eines spezifischen Gemeinschaftsgefühls nur aufgrund gewisser objektiver Gemeinsamkeiten ermöglicht wird. „Nationen [...] können nur entstehen, wenn sich ein nationales Bewußtsein als subjektives, stabilisierendes Element aus der Grundlage objektiver Faktoren entwickelt hat." (Neukirch 1996,19) Dabei hat die Schicksalsgemeinschaft eine größere Bedeutung als objektive Gemeinsamkeiten (wie in Sprache, Kultur oder Ethnizität). Sie stellt das kollektive politische Schicksal für die Konstruktion des Nationalbewusstseins dar (vgl. ebd.).
Für den Begriff Nationale Identität gibt es ebenso wie für den Nationsbegriff keine feste Anleitung mit immer wiederkehrenden Elementen, aus denen sie entstehen kann. Sie ist Teil der kollektiven Identitäten, die nicht naturgegeben sind, sondern immer neu konstruiert werden müssen (vgl. Delitz 2018,11). „Sie ist imaginär und muss daher permanent diskursiv und symbolisch aktualisiert werden, in kulturellen Artefakten, in politischen Praxen, in Erzählungen und Legendenbildungen." (ebd.). Sie ist wandelbar und entwickelt sich in einen kontinuierlichen Prozess stetig weiter (vgl. Neukirch 1996, 36).
Charakterisierend für Kollektividentitäten sind ihre Funktionen. Sie dienen ihren Mitgliedern dazu, sich eine Identität in der Zeit zu schaffen (vgl. Delitz 2018, 24).
„Jedes Kollektiv erzeugt und erzählt eine Geschichte, eine Herkunft und eine Zukunft, imaginiert etwas Unveränderliches. Notwendig ist die Fabulation von etwas Identischem in der Zeit - die Gewissheit, in dieser Gesellschaft zu leben, eine Dauer, die oft über Generationen hinweg fabuliert wird oder aber ab einem Ursprungsereignis [...]". (ebd.).
Eine kollektive Identität erzählt demnach eine identitätsstiftende Geschichte des jeweiligen Kollektivs aus seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In diesen Kollektiven, die ständiger Veränderung unterliegen, haben kulturelle Artefakte, Mythen, Ursprungsereignisse und Territorialität eine stabilisierende Wirkung und sind damit ausschlaggebend für die Identität (vgl. ebd.). Ein gemeinsames Zukunftsprojekt stärkt dabei das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Kollektiv und wirkt identitätsstiftend.
Eine weitere Funktion der Kollektividentitäten ist die Vorstellung einer Gemeinsamkeit und Einheit.: „Sie [die Mitglieder] solidarisieren sich und vereinheitlichen sich selbst. Notwendig ist für eine jede kollektive Existenz die Vorstellung eines Zusammenhalts. Das ist nichts anderes als das große Thema der .sozialen Ordnung', des .sozialen Bandes'." (ebd., 25). Identifizierung geht somit auch mit der Differenzierung einher. Die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft identifizieren sich dadurch, dass sie sich von anderen Gemeinschaften abgrenzen. „Die Wir-Identität bezeichnet [...] die subjektiv empfundene Zugehörigkeit des Individuums zu einer sozialen Gruppe, welche wiederum von anderen sozialen Gruppen unterscheidbar ist." (Neukirch 1996, 37) Das Wir"-Gefühl lässt dabei das „Ihr", also die „Anderen" außen vor (vgl. ebd.). Darüber hinaus gibt es einen gesellschaftlichen Grund, „das fundierende Außen" (vgl. Delitz 2018, 25). „In diesem gründenden Wert (wie in der Überzeugung von der Heiligkeit der Menschenrechte, von der heiligen Nation oder des souveränen und ewigen Volkes) geht es darum, die historische Kontingenz und die Selbstgesetztheit einer jeden Norm, einer jeden Institution, einer jeden Gesellschaftsformation zu verleugnen." (ebd., 25f.) Demnach gibt es etwas, was die Basis für eine kollektive Identität bildet, was aber überzeitlich ist und eine Begründung dessen daher unmöglich ist.
Aus diesen Funktionen lassen sich die Bedingungen, die für die Konstruktion kollektiver Identität notwendig sind, schließen. Erstens kann sich eine kollektive Identität nur in einem System von Differenzen herausbilden „in Unterscheidung von dem, was das Kollektiv gerade nicht sein will." Zweitens erfolgt die Konstruktion eines Kollektivs immer durch die Abhängigkeit vom „fundierenden Außen" also durch die „Erzeugung von Alterität" (ebd., 28). Zusätzlich zur Dependenz vom „Außen" manifestieren sich kollektive Identitäten in einer weiteren Differenz. „Sie bestimmen ihre Identität aus einem letzten oder .leeren' Signifikant - eine Bedeutung, die alle anderen begründet, ohne selbst begründbar zu sein oder begründet werden zu müssen." (ebd.) Als Beispiel hierfür können Gott oder die Menschenrechte angeführt werden, also Instanzen, die über dem Menschen stehen und immer eine Daseinsberechtigung und Gültigkeit besitzen.
Wenn nun von nationaler Identität die Rede ist, wird von einer bestimmten Form von Kollektividentität gesprochen, die durch eine Nation gebildet wird. Man könnte also schlussfolgern, dass den leeren Signifikanten bei einer nationalen Identität, die Zugehörigkeit zu einer Nation, also zu einer historischen Schicksalsgemeinschaft, darstellt. „Die auf die Nation - bzw. den Nationalstaat - als Integrationseinheit bezogene kollektive Identität kann [...] nationale Identität genannt werden." (Neukirch 1996, 39) Dabei spielen die folgenden Aspekte eine wichtige Rolle bei der Konstruktion nationaler Identität: Sie ist ein Teil des Prozesses der Modernisierung und ist außerdem immer konstruiert. Weiterhin entsteht sie zwar aufgrund äußeren Einflusses, ist jedoch von der Selbstzuschreibung des Individuums abhängig (vgl. ebd.).
Darüber hinaus hat die nationale Identität Auswirkung auf die Bildung und Stabilität von Nationen. Ein Staat, der mehrheitlich aus den Angehörigen eines Volkes besteht, die sich auch zum größten Teil mit demselben identifizieren, kann als homogener Nationalstaat als relativ stabil angesehen werden. In einem heterogenen Staat, d. h. ein solcher, auf dessen Gebiert zusätzlich neben den vorherrschenden noch anderen Nationalitäten leben, kann von einer stabilen Nation gesprochen werden, wenn die große Mehrheit der entsprechenden Minderheiten neben ihrem kollektiven Bewusstsein auch ein auf diesen Staat als Überlebenseinheit kollektives Bewusstsein entwickelt hat. Ein Staat, in dem verschiedene Nationen leben gilt als multinationaler Staat, welcher in seinem Bestand potenziell gefährdet ist. Diesem droht eventuell der Staatszerfall oder die Abtrennung eines Teils vom Staatsgebiet. Als ein instabiler Staat wird ein solcher bezeichnet, in dem die Bevölkerung keine oder eine auf einen anderen Staat bezogene nationale Identität entwickelt hat (vgl. ebd., 45). „Die innere Stabilität eines Staates ist also davon abhängig, ob die Mehrheit der Bevölkerung diesen Staat als wichtigste Überlebenseinheit anerkennt. Nur in homogenen Nationalstaaten ist hierfür eine nationale Identität im eigentlichen Sinn ausreichend." (ebd., 46)
Darüber hinaus manifestiert sich nationale Identität in der Konstruktion der kollektiven Symbole des Nationalismus. Diese nationalistische Symbolik wird aus der Verbindung von kulturellen und politischen Elementen geschaffen. Dadurch wird eine neue Gemeinschaft kreiert, mit der sich ihre Mitglieder identifizieren können (vgl. Eisenstadt 1991, 22).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Terminus der nationalen Identität genauso wenig fassbar bzw. fest definierbar ist wie der der Nation. Sie sind keine Einheit, sondern haben fluide und dynamische Grenzen. „Als Minimalkonsens darf aber wohl gelten, daß die Konstruktion nationaler Identität als Versuch zu begreifen ist, kollektive Identität auf der Basis einer Kombination von primordialen (historischen, territorialen, sprachlichen, ethnischen) Faktoren bzw. Symbolen und politischen Grenzen herzustellen." (ebd., 21)
[...]