Welche Strategien der Alliierten steckten hinter den atrocity-Filmen? Und wie gingen diese Strategien auf? Um aufzuklären, was sich die Alliierten bei den zusammengeschnittenen Filmen über die Verbrechen des NS-Regimes gedacht haben, werden in der vorliegenden Arbeit vorab die äußeren Merkmale des multimedialen Prozesses behandelt, indem der Medienverbund rund um das Verfahren erläutert und der Gerichtssaal 600 im Justizpalast Nürnberg betrachtet wird. Anschließend, nach einer Einführung zu den atrocity-Filmen und deren Strategien, wird die Wirkung der Filme im IMT mit dem Filmbeispiel Nazi Concentration Camps untersucht. Darauffolgend werden die Strategien des Vorführens der Filme für die breite Masse der Öffentlichkeit der deutschen Bevölkerung anhand des Filmbeispiels Die Todesmühlen analysiert. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile der atrocity-Filme wird abschließend der Erfolg der Strategien hinter den Filmen rekapituliert und somit die Leitfragen nach Sinn und Zweck und der Wirkung der atrocity-Filme beantwortet.
Die Nürnberger Prozesse waren mehrere Gerichtsverfahren gegen die führenden Vertreter des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie waren unterteilt in den Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof (IMT) und den zwölf Nachfolgeprozessen vor einem US-amerikanischen Militärtribunal (NMT). Die Verfahren fanden von November 1945 bis April 1949 im Justizpalast Nürnberg statt. Der Hauptkriegsverbrecherprozess erlangt seine Bedeutung durch die umfangreiche Anzahl an Beweisdokumenten, sowie durch Verhöre einiger hundert Zeugen, womit das Tribunal der Alliierten in der Geschichte als bedeutendster Prozess gesehen werden kann. Zentraler Bestandteil dieser Arbeit sind die sogenannten atrocity-Filme im IMT, die nicht nur im Gerichtsverfahren selbst, sondern ebenfalls der Bevölkerung vorgeführt wurden. Das Zeigen eines Films war bis dahin ein Novum in der Rechtsgeschichte und trägt somit zum Ansehen des IMTs bei.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
1.2 Vorgehensweise
1.3 Forschungsstand
2. Atrocity-Filme im Internationalen Militärgerichtshof (IMT) und in der Öffentlichkeit
2.1 Medienverbund
2.2 Gerichtssaal
2.3 Die atrocity-Filme
2.3.1 Die Angeklagten
2.3.2 Die Öffentlichkeit
2.3.3 Vor- und Nachteile
3. Schlussbetrachtung
3.1 Wirkung der atrocity-Filme / Beantwortung der Leitfragen
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
Die Nürnberger Prozesse waren mehrere Gerichtsverfahren gegen die führenden Vertreter des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie waren unterteilt in den Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof (IMT) und den zwölf Nachfolgeprozessen vor einem US-amerikanischen Militärtribunal (NMT). Die Verfahren fanden von November 1945 bis April 1949 im Justizpalast Nürnberg statt.
Der Hauptkriegsverbrecherprozess (im Folgenden häufig „IMT“ genannt) erlangt seine Bedeutung durch die umfangreiche Anzahl an Beweisdokumenten, sowie durch Verhöre einiger hundert Zeugen, womit das Tribunal der Alliierten in der Geschichte als bedeutendster Prozess gesehen werden kann1. Zentraler Bestandteil dieser Arbeit sind die sogenannten atrocity-Filme im IMT, die nicht nur im Gerichtsverfahren selbst, sondern ebenfalls der Bevölkerung vorgeführt wurden. Das Zeigen eines Films war bis dahin ein Novum in der Rechtsgeschichte2 und trägt somit zum Ansehen des IMTs bei.
1.2 Vorgehensweise
Welche Strategien der Alliierten steckten hinter den atrocity-Filmen? Und wie gingen diese Strategien auf?
Um aufzuklären, was sich die Alliierten bei den zusammengeschnittenen Filmen über die Verbrechen des NS-Regimes gedacht haben, werden in der vorliegenden Arbeit vorab die äußeren Merkmale des multimedialen Prozesses behandelt, indem der Medienverbund rund um das Verfahren erläutert und der Gerichtssaal 600 im Justizpalast Nürnberg betrachtet wird.
Anschließend, nach einer Einführung zu den atrocity-Filmen und deren Strategien, wird die Wirkung der Filme im IMT mit dem Filmbeispiel Nazi Concentration Camps untersucht.
Darauffolgend werden die Strategien des Vorführens der Filme für die breite Masse der Öffentlichkeit der deutschen Bevölkerung anhand des Filmbeispiels Die Todesmühlen analysiert.
Nach Abwägung der Vor- und Nachteile der atrocity-Filme wird abschließend der Erfolg der Strategien hinter den Filmen rekapituliert und somit die Leitfragen nach Sinn und Zweck und der Wirkung der atrocity-Filme beantwortet.
1.3 Forschungsstand
Während der Literaturrecherche ergab sich, dass, wenn überhaupt die frühen KZ-Filme im IMT in der Forschungsliteratur erwähnt wurden, das oft nur pauschal passierte und dies ohne richtige Unterscheidung der einzelnen Filme3. Lediglich Beschämende Bilder von Ulrike Weckel setzte sich intensiv mit den verschiedenen gezeigten Filmen im IMT auseinander. Sie beschrieb dabei sowohl die Situation im Gerichtssaal als auch detailliert die Reaktionen der Bevölkerung auf die atrocity-Filme. Des Weiteren beschreibt Erika Mann in der Quelle KZ-Filme die Reaktionen einzelner Beteiligter des Gerichts auf den Film Nazi Concentration Camps.
Die Quellen- und Literaturlage zu den Vorführungen der atrocity-Filme vor der Bevölkerung und deren Reaktion darauf ist jedoch gut, „denn wohl nie zuvor (…) wurden Filmzuschauer und -zuschauerinnen so ausgiebig beobachtet, beschrieben, belauscht, befragt und interviewt wie (…) zivile Kinogänger und -gängerinnen während und nach dem Anschauen eines KZ-Films.“4
In der bisherigen Forschung wurde wesentlich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der atrocity-Filme untersucht. Seither wurde eher weniger detailliert auf die vermuteten Strategien und deren Wirkung eingegangen, abgesehen von Beschämender Bilder, welches sich aber vor allem auf die Öffentlichkeit bezieht.
2. Atrocity-Filme im Internationalen Militärgerichtshof (IMT) und in der Öffentlichkeit
2.1 Medienverbund
Der Prozess in Nürnberg war ein „multimedial konstituierter Gerichtsprozess“5. Er weist generell „eine große Offenheit für alle medientechnischen Neuheiten auf, die die Zeit nach 1945 zu bieten hatte“6 und verlieh so dem Prozess seine große Bedeutung, da er der Öffentlichkeit Zeitgeschichte sichtbar machte7.
Der Medienverbund ist eine Kombination verschiedener Kommunikationsmittel und bestand bei den Nürnberger Prozessen „aus Mikrophonen und Kopfhörern, Simultandolmetschern, Zuhörern und Verhörten, Leinwand, Richtern, Kameras, Prozessbeobachtern und Beobachteten“8. Das Gerichtsverfahren war auch das erste, bei dem das Geschehen im Gerichtssaal aufgenommen wurde, indem drei Kameras aufgestellt waren, die das Bildmaterial zum Prozess lieferten9.
Diesbezüglich ist der Wille der Alliierten zu vermuten, dass nicht nur die Personen im Gericht, sondern die ganze Welt bzw. die Öffentlichkeit der deutschen Bevölkerung das Geschehen im Gerichtssaal mitbekommen sollten, eventuell um dem im Raum stehenden Vorwurf der Siegerjustiz entgegenzuwirken, aber auch damit alle mitbekommen, für was die Repräsentanten des NS-Regimes verantwortlich waren.
2.2 Gerichtssaal
Der Gerichtssaal 600 im Nürnberger Justizpalast wurde für das wichtige Verfahren umgebaut. In der Forschungsliteratur wird dafür auch der Begriff „courtroom drama“10 verwendet, da die Konstellation aus Kamera und Filmvorführung die Szene vor Gericht in einen Gerichtsfilm verwandelte11.
Die Alliierten stellten für die Verwendung der atrocity-Filme eine Projektionsfläche im Gerichtssaal auf, um die herum der Verhandlungsort geschaffen wurde – dies erinnerte aber eher an ein Kino anstatt an einen Gerichtssaal, da außerdem die Klappstühle für die Zuschauer diesen Eindruck unterstrichen12. Zusätzlich gab es unterhalb der Decke angebrachte Sendekabinen für die Reporter13 sowie erhöhte Dolmetscherkabinen, von denen aus man durch Glasscheiben das Geschehen im Gerichtssaal gut überblicken konnte14.
Cornelia Vismann schreibt diesen technischen Besonderheiten den Begriff eines Bildgebungsverfahrens zu, denn den Alliierten ging es vor allem darum, die Undarstellbarkeit der Gräueltaten zu veranschaulichen15 – dies geschah durch die Leinwand im Gerichtssaal und für die Öffentlichkeit über die Journalisten, aber auch durch die atrocity-Filme für die Bevölkerung wie z.B. Die Todesmühlen. Aber genau diese und andere Besonderheiten, wie beispielsweise die Anbringung von Neonröhren unter den Bänken der Angeklagten, um sie beim Abspielen der Filme möglichst genau beobachten zu können16, führten, vor allem durch die Vorführung eines Films, zur Enttäuschung hinsichtlich einer ordentlichen Justiz17.
[...]
1 Vgl. Müller, Ingo. Der Nürnberger Prozeß: Die Anklagereden des Hauptanklagevertreters der Vereinigten Staaten von Amerika Robert H. Jackson, Weinheim 1995, S. 17.
2 Vgl. Vismann, Cornelia. Medien der Rechtsprechung, Berlin 2011, S.223.
3 Vgl. Weckel, Ulrike. Beschämende Bilder: Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager, Stuttgart 2012, S. 178.
4 Ebd., S. 559.
5 Priemel, Kim Christian: Stimmen im Kopf, Mithören und Mitmachen in den Nürnberger Prozessen (1945-1949). In: Zeithistorische Forschungen, Göttingen 2019, S. 382.
6 Vismann, Cornelia. Medien der Rechtsprechung, Berlin 2011, S. 223.
7 Vgl. Steinbach, Peter. Nationalsozialistische Gewaltverbrechen: Die Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit nach 1945, Berlin 1981, S. 25.
8 Vismann, Cornelia. Medien der Rechtsprechung, Berlin 2011, S. 223.
9 Vgl. ebd., S. 223.
10 Ebd., S. 241.
11 Vgl. ebd., S. 252.
12 Vgl. ebd., S. 243.
13 Vgl. Wagner, Hans-Ulrich. Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als Medienereignis, Die Berichterstattung durch die Rundfunksender in den westalliierten Besatzungszonen 1945/46. In: Zeitgeschichte-online, Oktober 2015.
14 Vgl. Priemel, Kim Christian: Stimmen im Kopf, Mithören und Mitmachen in den Nürnberger Prozessen (1945-1949). In: Zeithistorische Forschungen, Göttingen 2019, S. 376ff.
15 Vgl. Vismann, Cornelia. Medien der Rechtsprechung, Berlin 2011, S. 241f.
16 Vgl. Weckel, Ulrike: The Power of Images. In: Priemel, Kim C.; Stiller, Alexa (Hrsg.). Reassessing the Nuremberg Military Tribunals: Transitional Justice, Trial Narratives, and Historiography, New York 2012, S. 226.
17 Vgl. Vismann, Cornelia. Medien der Rechtsprechung, Berlin 2011, S. 246.