Doping und Leistungssport sind unmittelbar miteinander verbunden und wurden im Kalten Krieg zum Sinnbild für den Sieg um jeden Preis. Der Sport wurde instrumentalisiert, um die Überlegenheit eines politischen Systems zu beweisen. Wie weit die
Funktionäre eines Staats dabei gehen würden, zeigte sich in den letzten Jahrzehnten, als das konspirative Zwangsdoping der DDR durch Stasidokumente und Zeugenaussagen aufgedeckt wurde. Tausende Sportlerinnen und Sportler wurden jahrelang systematisch gedopt und müssen nun, Jahre nach dem Ende der DDR, mit den Konsequenzen leben. So auch der Ausnahmeathlet Christian Schenk, der in den Achtzigern und Neunzigern zahlreiche Erfolge im Zehnkampf erringen konnte, während er staatlich verordnete Steroide einnahm und heute vor den Scherben seiner Existenz steht.
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Analyse seiner Autobiographie und verfolgt das Ziel, seine Denk- und Verhaltensmuster aufzuschlüsseln sowie seine Wahrnehmung des Zwangsdopings darzulegen. Sie geht der Frage nach, wie mit dem Thema Doping zu seiner aktiven Zeit in der DDR umgegangen wurde und wie er sich heute rechtfertigt. Dazu wird zunächst ein geschichtlicher Abriss über die Entwicklung des konspirativen Zwangsdopings angeführt und dann die Organisationsstruktur des DDR-Sportsystems vorgestellt, um ein fundiertes Grundwissen über das Staatsdoping zu erlangen. Darauf aufbauend wird die Autobiographie „Riss – mein Leben zwischen Hymne und Hölle“ von Schenk untersucht. Auf die äußere und innere Quellenkritik folgt die Quelleninterpretation, die den Buchinhalt kurz wiedergeben soll und abschließend ausgewählte Aussagen Schenks kritisch analysiert. Die Quellenanalyse fokussiert dabei Schenks Darstellungen des Dopings und geht nicht auf die Ausführungen zu seinen Trainings- und Wettkampferfahrungen ein. Ebenso werden seine Spätfolgen nicht behandelt, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Dopingsystem der DDR
2.1 Geschichtliche Entwicklung des konspirativen Zwangsdopings
2.2 Organisationsstrukturen im DDR-Sport
3 Riss - Mein Leben zwischen Hymne und Hölle
3.1 Äußere Quellenkritik
3.2 Innere Quellenkritik
3.3 Quelleninterpretation
3.3.1 Aufbau und Inhalt
3.3.2 Textanalyse
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
Einleitung
Doping und Leistungssport sind unmittelbar miteinander verbunden und wurden im kalten Krieg zum Sinnbild für den Sieg um jeden Preis. Der Sport wurde instrumentalisiert, um die Überlegenheit eines politischen Systems zu beweisen. Wie weit die Funktionäre eines Staats dabei gehen würden, zeigte sich in den letzten Jahrzehnten, als das konspirative Zwangsdoping der DDR durch Stasidokumente und Zeugenaussagen aufgedeckt wurde. Tausende Sportlerinnen und Sportler wurden jahrelang systematisch gedopt und müssen nun, Jahre nach dem Ende der DDR, mit den Konsequenzen leben. So auch der Ausnahmeathlet Christian Schenk, der in den Achtzigern und Neunzigern zahlreiche Erfolge im Zehnkampf erringen konnte, während er staatlich verordnete Steroide einnahm und heute vor den Scherben seiner Existenz steht. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Analyse seiner Autobiographie und verfolgt das Ziel, seine Denk- und Verhaltensmuster aufzuschlüsseln sowie seine Wahrnehmung des Zwangsdopings darzulegen. Sie geht der Frage nach, wie mit dem Thema Doping zu seiner aktiven Zeit in der DDR umgegangen wurde und wie er sich heute rechtfertigt. Dazu wird zunächst ein geschichtlicher Abriss über die Entwicklung des konspirativen Zwangsdopings angeführt und dann die Organisationsstruktur des DDR-Sportsystems vorgestellt, um ein fundiertes Grundwissen über das Staatsdoping zu erlangen. Die zugrundliegende Literatur umfasst neben diversen Internetbeiträgen vor allem die Bücher von Giselher Spitzer (1998, 2007, 2012) sowie Andreas Singler und Gerhard Treutlein (2006). Darauf aufbauend wird die Autobiographie „Riss - mein Leben zwischen Hymne und Hölle“ von Schenk untersucht. Methodisch orientiert sich dieses Kapitel an den Vorgaben zur Quellenanalyse nach (Borowsky, Vogel & Wunder, 1989). Auf die äußere und innere Quellenkritik folgt die Quelleninterpretation, die den Buchinhalt kurz wiedergeben soll und abschließend ausgewählte Aussagen Schenks kritisch analysiert. Die Quellenanalyse fokussiert dabei Schenks Darstellungen des Dopings und geht nicht auf die Ausführungen zu seinen Trainings- und Wettkampferfahrungen ein. Ebenso werden seine Spätfolgen nicht behandelt, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
2 Das Dopingsystem der DDR
2.1 Geschichtliche Entwicklung des konspirativen Zwangsdopings
Die Dopingpraxis der DDR, die systematisch organisiert und ohne Wissen oder sogar gegen den Willen der Aktiven betrieben wurde, verhalf dem verhältnismäßig kleinen Land1in den Jahrzehnten ihres Bestehens zu enormem Erfolg im Bereich des Sports. Bei den Olympischen Spielen wurde die DDR im Medaillenspiegel auf dem dritten Platz, hinter der USA und der Sowjetunion, gelistet. Das inhumane System der Leistungssteigerung bestand nicht nur aus Zwangsdoping nahezu aller Leistungssportler, sondern auch aus einem perfekten, staatlichen Verschleierungsprogramm, das den Dopingkontrollen der Zeit standhielt. Die Wiedervereinigung Deutschlands 1989 eröffnete die Möglichkeit, durch Zeitzeugen und Dokumenteneinsicht die Ausmaße des Staatsdopings zu erfassen2. Schätzungsweise 15.000 Sportlerinnen und Sportler der DDR wurden systematisch gedopt (Doping in der DDR - "Leistungseugenik einer Diktatur",2018), davon viele bereits ab dem siebten bis zehnten Lebensjahr (NDR). Über das Jahr verteilt erhielten sie verbotene Medikamente zur Leistungssteigerung primär als Nahrungsergänzung. Die Funktionäre der SED und des Sports erhofften sich dadurch, die Weltgeltung der DDR und die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit dem Staat zu verbessern (Spitzer, 2007). Am Ende der 1950er Jahre begann man vor allem im Radsport mit der Verwendung von Stimulanzien wie Amphetaminen3und gründete 1964 den Sportmedizinischen Dienst, der die Vergabe organisierte. Die Sportler der Fußballnationalmannschaft wurden nicht nur während des Wettkampfes, sondern auch in der Trainingsphase gedopt, um sie an das erhöhte Leistungsniveau zu gewöhnen. Da diese Wirkung für Schnellkraftsportarten wie Leichtathletik und Gewichtheben nicht ausreichte, begann man 1966/67 erstmals mit der Erprobung von Anabolika in der Sportvereinigung „Dynamo“ in Berlin. Nach ersten Erfolgen wurde daraufhin eine systematischere Forschung zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1968 initiiert mit 42 Werferinnen und Werfern. Dieses Beispiel zeigt die beginnende, planmäßige Integration von Doping in die Trainingsmethodik der DDR (Singler & Treutlein, 2006). Da das politische System den Sport zur Machtdemonstration instrumentalisierte, folgte eine staatliche Leistungs- und Medaillenplanung mit Fokus auf Sportarten, die besonders aussichtsreich waren (Spitzer, 1998). Einzelne Dokumente belegen, dass bereits seit 1970 der gesamte Olympia-Kader der DDR mit Anabolika gedopt wurde, was aus der Leistungsentwicklung in den Sportarten Schwimmen, Leichtathletik und Gewichtheben ersichtlich wird (Spitzer, 1998). Bis 1974 praktizierten die Funktionäre des Sports das Doping eherdezentralund ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen, bis sie schließlich umdisponieren mussten. Eine neue Nachweismethode für Anabolika im Jahr 1974 verlangte nach einer umfassenden, systematischen Steuerung zur Vermeidung von Überdosierungen und sichtbaren Nebenwirkungen, um der Gefahr der Entlarvung zu entgehen, sodass die Arbeitsgruppe UM („Unterstützende Mittel“ unter der Leitung von Bauersfeld) ins Leben gerufen wurde. Sie beschäftigte sich mit der Entwicklung von Verschleierungspraktiken und Dopingverfahren (Singler & Treutlein, 2006). Die Zeit nach 1974 wird alszentrale anabole Phasebezeichnet, die das staatlich kontrollierte und finanzierte Zwangsdoping landesweit organisierte und reglementierte. Unter dem Namen „Staatsplanthema 14.25“ des jährlichen Volkswirtschaftsplans wurde die Erforschung und Anwendung von Doping zentralisiert. Jährlich wurden zwei Millionen Steroid-Tabletten (Oral-Turinabol) verabreicht und seit 1983 auch Hirn- und Peptidhormone (EPO), Wachstumshormone (HGH), Elektrolytlösungen mit Vitaminzusätzen, Pharmaka zur Ökonomisierung des Hirnstoffwechsels und Eigenblut (Blutdoping) (Spitzer, 1998). Begründet wurde die intensive Dopingpraxis mit den Entwicklungen im Westen und der Einschätzung, dass ohne die Zugabe von Anabolika das Leistungsniveau von vor 1974 nicht gehalten werden könne (Spitzer, 1998).
Zum konspirativen Dopingsystem der DDR gehörte auch eine verschleiernde Sprachregelung, die von allen Verantwortlichen verwendet wurde, um die Sportlerinnen und Sportler nicht zu beunruhigen. Den Athletinnen und Athleten wurde suggeriert, die „unterstützenden Mittel“ würden den Trainingsprozess unterstützen und seien lediglich Vitamine und Mineralien. Nur in wenigen Fällen wurden sie von den Ärzten und Trainern in das Doping eingeweiht. Die Arbeitsgruppe UM implementierte unter Missachtung der Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler gezielt Dopingpläne in die Vorbereitungsphasen und führte „Ausreisekontrollen“ durch, die alsÜberprüfung der Reisetauglichkeitdeklariert wurden. Sie wurden durchgeführt, um den Urin der Athletinnen und Athleten vor internationalen Wettkämpfen auf positive Dopinger- gebnisse zu prüfen. Wenn die Grenzwerte überschritten wurden, verweigerte man ihnen die Ausreise. „Mauer und Stacheldraht schützten also das biomedizinische Betrugsverfahren nachhaltig vor der Entdeckung“ (Spitzer, 2007). Wissenswert ist an dieser Stelle, dass das DDR-Regime eine Doppelstrategie in der Dopingpraxis verfolgte: Bei internationalen Wettkämpfen war Doping zur Nutzung des Leistungsvorteils „Pflicht“, während bei nationalen Begegnungen auf Doping verzichtet wurde, um eine Chancengleichheit zu gewährleisten (Spitzer, 2007).
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118 Millionen Einwohner. Judt (2013).
2Erstmals Berendonk (1991); thematisch ebenfalls lesenswert ist Spitzer (2005).
3Vor allem Pervitin, das bereits im Zweiten Weltkrieg zur Leistungssteigerung missbraucht wurde. Vgl. Spitzer (2007).