Diese Arbeit befasst sich mit dem Leben und Wirken des Tiberius Gracchus und seinem Einfluss auf die Krise der römischen Republik. Einmal ist zu untersuchen, inwiefern das Ackergesetz wirklich Probleme der Republik hätte lösen können und ob sich darin die von den Gegnern befürchteten revolutionären Tendenzen wiederfanden. Natürlich ist auch infrage zu stellen, ob der adlige Tiberius bei seinen Reformansätzen ernsthafte altruistische Ziele hatte oder ob vielmehr auch persönliche und machtpolitische Beweggründe von ihm und seinen Anhängern eine Rolle spielten. Zuletzt muss analysiert werden, wie der politische Konflikt um die Abstimmung zum Gesetzesvorschlag so eskalieren konnte, dass es zum brutalen Mord an Tiberius kam, der einen Wendepunkt in der innenpolitischen Geschichte der Republik markiert.
162 v. Chr. wurde Tiberius Sempronius Gracchus als Sohn des gleichnamigen Tiberius Sempronius Gracchus und seiner Frau Cornelia in Rom geboren. Er ging als jener römische Politiker, der am vehementesten für die Belange der Armen eintrat, in die Geschichte ein, doch wie schon Karl Christ schrieb, „ist freilich immer zu berücksichtigen, dass auch die führenden popularen Politiker (jene, die sich auf den Volkswillen beriefen und in ihrer Politik über die Volksversammlung agierten) in der Regel von Haus aus Angehörige des Adels waren, die sich lediglich zu Stimmführern der Plebs aufwarfen.“ Und eine vornehmere Herkunft hätte der junge Tiberius kaum haben können. Der ältere Tiberius war Konsul der Jahre 177 und 163 gewesen; Cornelia gilt als die Frau der römischen Geschichte, über die sich am meisten Quellenberichte finden lassen und war die Tochter des berühmten Hannibal-Bezwingers Scipio Africanus. Der österreichische Althistoriker Herbert Heftner meint dazu: „Vor dem Hintergrund dieses familiären Umfelds musste der Wunsch nach einer möglichst glänzenden Bewährung in Politik und Krieg ganz von selbst den beherrschenden Platz im Denken des jungen Tiberius Gracchus einnehmen.“
Inhalt
A. Das kurze Leben des Tiberius Gracchus und die dazu vorhandene Quellenlage
B. Die Bedeutung des Tiberius Gracchus für die Krise der römischen Republik
B.1. Die sozialen Probleme der expandierenden Republik und die Ideen der Ackergesetzgebung
B.2 Das kontroverse politische Vorgehen des Tiberius Gracchus als Bruch mit der alten Ordnung
B.3 Der Mord an Tiberius Gracchus als Erschütterung für die politische Kultur
C. Der Wandel der inneren Struktur der Republik nach dem Ende des Tiberius Gracchus
Anhang
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
A. Das kurze Leben des Tiberius Gracchus und die dazu vorhandene Quellenlage
162 v. Chr. wurde Tiberius Sempronius Gracchus als Sohn des gleichnamigen Tiberius Sempronius Gracchus und seiner Frau Cornelia in Rom geboren. Er ging als jener römische Politiker, der am vehementesten für die Belange der Armen eintrat, in die Geschichte ein, doch wie schon Karl Christ schrieb, „ist freilich immer zu berücksichtigen, dass auch die führenden popularen Politiker (jene, die sich auf den Volkswillen beriefen und in ihrer Politik über die Volksversammlung agierten) in der Regel von Haus aus Angehörige des Adels waren, die sich lediglich zu Stimmführern der Plebs aufwarfen.“1 Und eine vornehmere Herkunft hätte der junge Tiberius kaum haben können. Der ältere Tiberius war Konsul der Jahre 177 und 163 gewesen; Cornelia gilt als die Frau der römischen Geschichte, über die sich am meisten Quellenberichte finden lassen2 und war die Tochter des berühmten Hannibal- Bezwingers Scipio Africanus. Der österreichische Althistoriker Herbert Heftner meint dazu: „Vor dem Hintergrund dieses familiären Umfelds musste der Wunsch nach einer möglichst glänzenden Bewährung in Politik und Krieg ganz von selbst den beherrschenden Platz im Denken des jungen Tiberius Gracchus einnehmen.“3
Als Sohn aus gutem Hause nahm er bereits als 15-jähriger unter dem Kommando seines Onkels Scipio Aemilianus an der finalen Zerstörung Karthagos 147 v. Chr. teil und bestritt schneller als andere die Ämterlaufbahn (cursus honorum). Zum wichtigen Wendepunkt in Tiberius‘ Leben wurde die schmachvolle Niederlage der Römer bei Numantia 137 v. Chr., bei der er als Quästor von Hispanien die Kapitulation unterzeichnen musste. Plutarch vermutet, dass dadurch bis zu 20.000 römische Soldaten gerettet werden konnten4, der Senat fasste den nach dem unterlegenen Feldherrn benannten Mancinus-Vertrag trotzdem als schweren Verrat auf. Möglicherweise wurde Tiberius durch diese frühe Schmach „bei seinem politischen Handeln deutlich risikobereiter“5 als andere Politiker und verspürte den Druck, seinen beschädigten Ruf durch volksfreundliche Reformen zu bereinigen. Durch seinen Bruder Gaius ist überliefert, dass er während den Feldzügen in Hispanien erstmals die Probleme auf dem Land zu Gesicht bekommen haben soll6 und den Entschluss fasste, mit seiner Politik die Lage der Landbevölkerung verbessern zu wollen. Tiberius Gracchus wurde schließlich zu einem der Volkstribune für das Amtsjahr 133 gewählt und erwies sich sogleich als umtriebig, indem er das das Ackergesetz Lex Sempronia Agraria einbrachte. Bernhard Linke sieht darin, dass Tiberius nun seine politische Karriere statt auf militärischen Erfolgen, wie es die meisten ehrgeizigen Römer versuchten, auf der Lösung kontroverser innenpolitischer Probleme aufbauen wollte, eine „für römische Verhältnisse fast revolutionäre politische Strategie“7. Das Gesetz führte schließlich durch seinen Inhalt, vor allem aber durch die Umstände seines Erlasses zu einer großen politischen Krise, an deren Ende Tiberius und zahlreiche seiner Anhänger ermordet wurden.
Zahlreiche spannende Fragen werden durch diese skandalvolle Episode der römischen Geschichte aufgeworfen. Einmal ist zu untersuchen, inwiefern das Ackergesetz wirklich Probleme der Republik hätte lösen können und ob sich darin die von den Gegnern befürchteten revolutionären Tendenzen wiederfanden. Natürlich ist die infrage zu stellen, ob der adlige Tiberius bei seinen Reformansätzen ernsthafte altruistische Ziele hatte oder ob vielmehr auch persönliche und machtpolitische Beweggründe von ihm und seinen Anhängern eine Rolle spielten. Zuletzt muss analysiert werden, wie der politische Konflikt um die Abstimmung zum Gesetzesvorschlag so eskalieren konnte, dass es zum brutalen Mord an Tiberius kam, der einen Wendepunkt in der innenpolitischen Geschichte der Republik markiert.
Die Forschung zu Tiberius Gracchus muss sich vornehmlich auf zwei griechische Autoren stützen. Plutarch (45-120 n.Chr.) stellte in seinem Hauptwerk Bioi parälleloi (Parallelbiographien) große Römer und Griechen einander gegenüber. Tiberius und sein Bruder Gaius werden hier mit den spartanischen Reformkönigen Agis IV. und Kleomenes III. verglichen, die ihre Ambitionen, eine Bodenreform durchzuführen, ebenfalls mit dem Leben bezahlen mussten. Appian (circa 90-160 n.Chr.) geht im ersten Buch des zweiten Teils von seinem umfassenden Werk Rhomaika (Römische Geschichte) umfassend auf die Gracchen ein. Beide Autoren hatten einen großen zeitlichen Abstand zu den Geschehnissen und gelten auch nach antiken Maßstäben nicht als die seriösesten Historiker. Plutarch war in erster Linie Biograph und wollte in seinen Parallelbiographien gute und schlechte Moralvorstellungen vermitteln. Appian wird z.B. von George Kelly Tipps als ein „second-rate historian [...] [and] dilettante“8 kritisiert. Dieser amerikanische Historiker hat in seiner Dissertation 1971 eine umfassende Studie dazu vorgelegt, für wie vertrauenswürdig die beiden Hauptquellen zu halten sind und auf welche verloren gegangenen Schriftstücke ihre Autoren zurückgegriffen haben könnten.9
Die römischen Autoren, die die Gracchen in erhaltenen Fragmenten erwähnen, verdammen sie alle als revolutionäre Zerstörer, die sich in ihrem Machtstreben über die Gesetze der Republik hinweggesetzt haben. Für Velleius Paterculus beispielsweise „led [Tiberius] his country into terrible dangers.“10 Der als Optimat, also als Unterstützer eines starken Senats, geltende Cicero bewertete jegliche politische Hilfe für die Armen als verwerflich11 und sah in Publius Cornelius Scipio Nasica Serapio, der die Ermordung des Tiberius anstachelte, den Retter des Vaterlands und ein Vorbild für sein eigenes Vorgehen gegen politische Kontrahenten.12
[...]
1 Christ, Karl, Krise und Untergang der römischen Republik, Darmstadt 1979, S.147
2 vgl. Ungern-Sternberg, Jürgen von, Römische Studien: Geschichtsbewusstsein, Zeitalter der Gracchen, Krise der Republik, München 2006, S.227
3 Heftner, Herbert, Von den Gracchen bis Sulla: die römische Republik am Scheideweg 133-78 v. Chr., Regensburg 2006, S.43
4 vgl. Plutarch, Tiberius Gracchus, 5 In: Plutarch, Große Griechen und Römer, Band 6, übersetzt und kommentiert von Konrat Ziegler, Zürich 1965 [im Folgenden abgekürzt als „ZI“], S.244-245, In: ZI S.241
5 Linke, Bernhard, Die römische Republik von den Gracchen bis Sulla, Darmstadt 2012, S.41
6 vgl. Plutarch, Tiberius Gracchus, 8 In: ZI, S.244-245
7 Linke, Ebd. S.40
8 Tipps, George Kelly, The practical politics of Tiberius Gracchus, Ann Arbor 1972, S.24
9 vgl. Tipps, George Kelly, Ebd. S.11-32
10 Velleius Paterculus, 2.2.2 In: Stockton, David L., From the Gracchi to Sulla: sources of Roman history 133-80 BC, London 1991 [im Folgenden abgekürzt als „ST“], S.24
11 vgl. Ungern-Sternberg, Ebd. S.258
12 vgl. Cicero, de domo, 91, In: ST S.25