In dieser Arbeit geht es um das Goethebild des Jungen Deutschland, ausgehend von hymnischen Goethe-Typologien das Goethebild des Jungen Deutschland im Hinblick auf Form und Inhalt im Spannungsfeld von Polemik und ästhetischer Eigenständigkeit zu beschreiben. Es wird zu zeigen sein, inwieweit die Goethe-Rezeption der Jungdeutschen das Fundament einer neuen Poetik bildete oder als bloße Polemik ins Leere lief.
Inhalt
1. Einleitung
2. Goetheverehrung im 19. Jahrhundert
2.1. Goethes Selbststilisierung
2.2. Das Verhältnis zu jungen Schriftstellern
3. Goethe-Kritik im Jungen Deutschland
3.1. Die Jahre des Jungen Deutschland
3.2. Wolfgang Menzel
3.3. Ludwig Börne
3.4. Karl Gutzkow
3.5. Ludolf Wienbarg
3.6. Goethe und die Positionen jungdeutscher Schriftsteller
4. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bereits zu Lebzeiten Goethes war die Goethe-Rezeption großen Schwankungen unterworfen. Während seines Lebens und vor allem nach seinem Tod wird Goethe aber auch immer wieder hymnisch und kultisch verehrt. In der Zeit zwischen 1815 und 1849 ist allerdings eine Gegenbewegung zu beobachten. Zusammen mit entscheidenden politischen Veränderungen wurde auch der Versuch unternommen, neue ästhetische Anschauungen und Grundlagen für eine andere Literatur zu formulieren.
Politisch ist Deutschland in dieser Zeit gekennzeichnet durch die Beseitigung feudaler Verhältnisse und einen Kampf um die Verwirklichung der Einheit Deutschlands.1 In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts ging eine rasch fortschreitende Kapitalisierung, Industrialisierung und Kommerzialisierung Deutschlands einher mit einer politischen Entmündigung des Bürgertums nach dem Wiener Kongress.2 Inmitten dieser entscheidenden politischen Veränderungen waren die ästhetischen Vorstellungen der Klassik und Romantik nicht länger akzeptabel, für das reale Leben waren die ewigen, überzeitlichen Werke dieser Literatur nicht fortsetzbar. Die politischen und ästhetischen Vorstellungen des Jungen Deutschland sind der Versuch, politische Veränderung und ästhetischen Neubeginn zu literarisieren. Im Mittelpunkt ihrer literarischen Vergangenheitsbewältigung steht der als übermächtig empfundene Goethe. In dieser Arbeit soll versucht werden, ausgehend von hymnischen Goethe-Typologien das Goethebild des Jungen Deutschland im Hinblick auf Form und Inhalt im Spannungsfeld von Polemik und ästhetischer Eigenständigkeit zu beschreiben. Es wird zu zeigen sein, inwieweit die Goethe-Rezeption der Jungdeutschen das Fundament einer neuen Poetik bildete oder als bloße Polemik ins Leere lief.
2. Goetheverehrung im 19. Jahrhundert
Ausdruck der Goetheverehrung im 19. Jahrhundert sind die von einigen Goethe-Biographen hymnisch betriebenen Heroisierungen Goethes. So schreibt Bielschowsky in seiner Goethe-Biographie, die zuerst Ende des 19. Jahrhunderts erschien:
„Goethe hat von allem Menschlichen eine Dosis empfangen und war darum der `menschlichste aller Menschen´. Seine Gestalt hat ein großartig typisches Gepräge. Sie war ein potenziertes Abbild der Menschheit an sich. Demgemäß hatten auch alle, die ihm näher traten, den Eindruck, als ob sie noch nie einen so ganzen Menschen gesehen hätten“.3
Grundlage dieser Beurteilung waren Vorstellungen, mit denen der Person Goethes ein Universalitätsideal zugeschrieben wurde; er stand für viele für die Vorstellung von der Ganzheitlichkeit des Menschenideals, die kultisch betriebene Überhöhung machte ihn zur „größten Einheit, worin deutscher Geist sich verkörpert hat“.4
Eine ebenso starke Goethe-Verehrung betrieben die Goetheaner, die sich an das Kunstkonzept Goethes anlehnten und „die Kunst als eine unabhängige zweite Welt [betrachteten], die sie so hoch stellen, dass alles Treiben der Menschen, ihre Religion und ihre Moral, wechselnd und wandelbar unter ihr hin sich bewegt“.5
Sicherlich kann vielen Biographen ein traditioneller Hang zur Überhöhung einer so bedeutenden Persönlichkeit nicht abgesprochen werden kann. Schließlich ist auch heute noch von einem übergeordneten Einfluss auf die deutsche Geistesgeschichte zu sprechen. Die bis in unmittelbar religiöse Stilisierung reichende Verherrlichung Goethes kann jedoch auch auf Goethes Selbststilisierung zu Lebzeiten und das Ansehen, das er bei seinen Zeitgenossen, vor allem bei jungen Schriftstellern, genoss, zurückgeführt werden
2.1. Goethes Selbststilisierung
Ein Element der Selbststilisierung war für Goethe bereits zu Lebzeiten die Veröffentlichung der autobiographischen Hauptschrift `Dichtung und Wahrheit´. In dieser Autobiographie stilisiert er sich selbst zum Repräsentanten seiner Zeit.6 Indem Goethe sich romanhaft seine eigene Geschichte erschreibt, konstituiert er für sich selbst auch einen dichterischen Rang, dessen Bedeutung darin besteht, eine unverhüllte Sendung als Wiedergewinner des griechischen Geistes zu proklamieren.7 Diese Selbststilisierung veranlasste Zeitgenossen und Goethe-Rezipienten dazu, in Goethe einen Wiederhersteller des antiken Kunstgeistes zu sehen, wobei er als „Statthalter des poetischen Geistes auf Erden“ bezeichnet wurde.8
Offenkundiges Gestaltungsmittel seiner Selbststilisierung ist jedoch die innenarchitektonische Gestaltung seines Hauses am Frauenplan in Weimar, ein geschicktes mythologisches Arrangement, um sich selbst ein Denkmal zu setzen. Wer dabei die Stufen zur Wohnung Goethes emporsteigt, wird durch ein poetisches Programm von der Erde auf den Gipfel (Dichter)-Olymp geführt9, wo natürlich Goethe sich selbst sah:
„Endlich der Eingang zur Wohnung erscheint als Pforte zum Olymp (...) Durch die geöffnete Tür blickt dem Eintrenden aus diesem deutsch-griechischen Himmel das mächtige Haupt des Zeus von Optricoli entgegen, vor dem, ein Pförtner des Olymp, Goethe selbst erscheint“.10
Diese architektonische Selbstverherrlichung Goethes nimmt ein zentrales Thema der überirdischen Goethe-Verherrlichung vorweg, in der Goethe als einer der irdischen Wirklichkeit entrückter Dichter gesehen wurde.
2.2. Das Verhältnis zu jungen Schriftstellern
Bereits zu Lebzeiten war Goethe für viele junge Schriftsteller das poetische Oberhaupt Deutschlands. Begegnungen mit Goethe „verraten etwas über die geradezu mythisch besetzte Stilisierung der Person Goethes als übergeordnetem Stellvertreter und Autorität im Reich der Poesie“.11 Die Begegnungen junger Schriftsteller mit Goethe waren poetische Pilgerreisen, die Ausdruck der Ehrfurcht dieser ambitionierten Nachwuchsdichter waren, gleichzeitig wollten sie sich des wohlwollenden Interesses einer literarischen Autorität versichern.
„Göthen hab`ich gesprochen, Bruder!“ entzückt sich Hölderlin in einem Brief an Hegel im Januar 1795: „es ist der schönste Genuß unseres Lebens, so viel Menschlichkeit zu finden bei so viel Größe.“12
Grillparzer erhält eine Einladung zum Mittagsmahl und schildert seine Begegnung mit Goethe folgendermaßen:
„Das Innerste meines Wesens begann sich zu bewegen. Als es aber zu Tische ging, und der Mann, der mir die Verkörperung der deutschen Poesie, der mir in der Entfernung und dem unermeßlichen Abstande beinahe zu einer mythischen Person geworden war, meine Hand ergriff, um mich ins Speisezimmer zu führen, da kam auf einmal wieder der Knabe in mir zum Vorschein und ich brach in Thränen aus. Göthe gab sich alle Mühe um meine Albernheit zu maskieren“.13
Kraus fasst die aus den ehrfürchtigen Schilderungen der Zeitgenossen Goethes hervorgehenden Verhaltensweisen des alten Goethe mit folgenden Eigenschaften zusammen:
„Affektiertes Dekor der Exzellenz, Hochmut des reüssierten Bürgers, ängstlich gewahrte Souveränität des leicht irritierbaren Selbstgefühls, überspiele Verlegenheit, Altersstarrheit“14
3. Goethe-Kritik im Jungen Deutschland
3.1. Die Jahre des Jungen Deutschland
Der Zusammenschluss progressiver literarischer Kräfte, die unter dem Namen „Junges Deutschland“ in die Literaturgeschichte einging, umfasst ungefähr die Jahre 1830 bis 1840. Als Ursprung des Namens „jungdeutsch“ gilt Dobert einerseits die deutsche Emigrantengruppe „Junges Deutschland“, andererseits Wienbargs Buch „Ästhetische Feldzüge“, das er ausdrücklich „dem jungen Deutschland und nicht dem alten“ widmete.15 Auch wenn es sich um eine sehr heterogene und widersprüchliche Gruppe von Schriftstellern handelt,16 von der für einige Interpreten nicht einmal klar ist, wieviel Mitglieder ihr nun zugerechnet werden können und ob Heine und Börne nun als Vorbild der Jungdeutschen zu betrachten sind oder begrifflich der Zeit „Junges Deutschland“ sogar zugeordnet werden können,17 so lassen sich doch politischer Aktionismus und ein Wille zur Veränderung in den programmatischen Aussagen vieler Jungdeutscher feststellen.
Börne spricht in einem Brief davon, dass alle, in denen noch ein Tropfen Jugendblut ist, sich den Jugenddeutschen anschließen müssten, auf dass der Bund eines Jungen Deutschland immer weiter und weiter greife.18 Aus weiteren Briefen jungdeutscher Schriftsteller geht hervor, dass die Bewegung „Junges Deutschland“ geplant war als politische Vereinigung zur Veränderung der politischen Situation und zum politischen Engagement.19
Postuliert wurde eine „Periode der eigenen Wirksamkeit gegen die politische Restauration und gegen die quietistische Kultur des Biedermeier, nicht eigentlich für seine Gegenwart“.20 Den Rahmen für eine Opposition zu den herrschenden Kräften bildeten dabei vor allem viele Veröffentlichungen jungdeutscher Schriftsteller, die dazu führten, dass die Gruppe öffentliches Aufsehen erregte. Als Gruppe „Junges Deutschland“ traten sie dabei zum ersten Male öffentlich in Erscheinung, indem ein preußischer Gesandter im Bundestag zu Frankfurt den Antrag stellte, gegen bestimmte Schriftsteller einzuschreiten, die er als „antichristlich, gotteslästerlich und alle Sitte, Scham und Ehrbarkeit mit Füßen tretend“ bezeichnete.21
[...]
1 Vgl. Vormärz 1830-1848. Erläuterungen zur deutschen Literatur, hrsg. vom Kollektiv für Literaturgeschichte im volkseigenen Verlag Volk und Wissen, Berlin 1977, S. 12
2 Vgl. Mandelkow, Karl Robert: Goethe in Deutschland. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, 1773-1918, München 1980, S. 78.
3 Bielschowsky, Albert: Goethe, 1922.
4 Gundolf, Friedrich: Goethe, Berlin 1930.
5 Goethe im Urtheile seiner Zeitgenoessen. Zeitungskritiken, Berichte, Notizen, Geothe und seine Werke betreffend aus den Jahren 1773-1812, Gesammelt und hrsg. von Julius W. Braun. 3 Bde. Berlin 1883-1885, Bd. 2, S. 71.
6 Vgl. Becker, Karl Wolfgang: Denn man lebt mit Lebendigen. Über Goethes „Dichtung und Wahrheit“. In: Holtzhauser, Helmut/Zeller, Bernhard (Hrsg.): Studien zur Goethezeit. Festschrift für Lieselotte Blumental, Weimar 1968, S. 9-29.
7 Vgl. Schadewalt, Wolfgang: Goethes Knabenmärchen „Der neue Paris“. Eine Deutung. In: ders.: Goethestudien. Natur und Altertum. Zürich 1963, S. 263-282, S. 273.
8 Vgl. Mandelkow, Karl Robert: Goethe in Deutschland.
Rezeptionsgeschichte eines Klassikers, Band I, 1773-1918, München 1980., S. 37.
9 Vgl. Schlaffer, Hannelore: „Wilhelm Meister“. Das Ende der Kunst und die Wiederkehr des Mythos, Stuttgart 1980, S.1.
10 Vgl. ebd., a.a.O., S. 2.
11 Johannes Weber: Goethe und die Jungen. Über die Grenzen der Poesie und vom Vorang des wirklichen Lebens, Tübingen 1989, S. 5.
12 Zitiert nach: Weber, a.a.O., S. 2.
13 Zitiert nach: Weber, a.a.O., S. 5.
14 Kraus, Rainer J.: Der Fall Goethe - ein deutscher Fall. Eine psychoanalytische Studie, Heidelberg 1994, S. 5.
15 Eitel Wolf Dobert: Karl Gutzkow und seine Zeit, Bern und München 1968, S. 34.
16 Dietze verweist auf ihre fehlende Eigenständigkeit der Konsolidierung als Gruppe, Vgl. Dietze, a.a.O., S. 73.
17 Vgl. Walter Dietze: Junges Deutschland und Deutsche Klassik, 3. Auflage 1962, S. 73.
18 Vgl. ebendaselbst.
19 Vgl. ebd., a.a.O., S. 74.
20 Udo Köster: Literarischer Radikalismus. Zeitbewußtsein und Geschichtsphilosophie in der Entwicklung vom jungen Deutschland zur Hegelschen Linken, Frankfurt/Main 1972, S.3.
21 Vgl. Dobert, a.a.O., S. 34.