Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Konstellation der Intervention auf Einladung einer Regierung, die für die Begehung von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit an ihrer Bevölkerung verantwortlich ist. Unumstritten ist, dass für eine völkerrechtmäßige Intervention auf Einladung eine gültige Einwilligung vorliegen muss und sich die Interventionshandlungen innerhalb der Grenzen dieser Einwilligung bewegen müssen. Die Einzelheiten der Intervention auf Einladung sind jedoch nahezu alle umstritten. Die Arbeit gibt daher zunächst einen Überblick über die rechtliche Einordnung sowie über die Voraussetzungen einer gültigen Einwilligung und untersucht im Anschluss die völkerrechtlichen Grenzen der Interventionshandlungen.
Die Konstellation ist sowohl theoretisch hoch kontrovers als auch praktisch sehr relevant. Sie wird in der Arbeit an zwei Punkten behandelt: Erstens bei der Einwilligungsbefugnis. Hier stellt sich die Frage, ob eine Regierung, die für die oben genannten Verbrechen verantwortlich ist, ihre Befugnis verliert, militärische Hilfe eines anderen Staates einzuladen, sodass es bereits an einer gültigen Einwilligung fehlt.
Zur Beantwortung der Frage wird zunächst die dogmatische Konstruktion eines Verlusts der Einwilligungsbefugnis der Regierung im Lichte der Responsibility-to-Protect-Doktrin untersucht. Anschließend wird anhand der Intervention Russlands in Syrien die aktuelle Staatenpraxis betrachtet und die opinio iuris der Staaten untersucht, um zu bewerten, ob der Verlust der Einwilligungsbefugnis einer Regierung, die für die Verbrechen verantwortlich ist, auch völkergewohnheitsrechtlich gilt. Zweitens wird die Konstellation i.R.d. Grenzen der aufgrund der Einwilligung stattfindenden Interventionshandlungen relevant. Hier wird v.a. diskutiert, ob eine Einwilligung, welche die Begehung von bzw. Beteiligung an den Verbrechen der einladenden Regierung ausdrücklich umfasst, den intervenierenden Staat diesbezüglich von seinen völkerrechtlichen Pflichten befreien kann.
Gliederung
A. Einleitung
I. Definition der Intervention auf Einladung
II. Eingrenzung der Fragestellung
B. Rechtliche Einordnung
I. Gewaltverbot
1. Tatbestandsausschluss
2. Abgrenzung zur kollektiven Selbstverteidigung
II. Andere völkerrechtliche Pflichten des intervenierenden Staates
C. Voraussetzungen einer gültigen Einwilligung
I. Erteilung der Einwilligung
II. Zeitpunkt der Einwilligung
III. Freiwilligkeit
IV. Einwilligungsbefugnis
1. Keine Einwilligungsbefugnis der Opposition
2. Einwilligungsbefugnis der Regierung
a) Effektive Kontrolle
b) Internationale Anerkennung
3. Ergebnis
V. Einwilligung durch die zuständige Instanz
D. Einwilligungsbefugnis einer Regierung, die für R2P-Verbrechen verantwortlich ist
I. Entwicklung des Souveränitätsverständnisses im Völkerrecht
II. Dogmatische Konstruktion: Verlust der Einwilligungsbefugnis der Regierung
III. Russlands Intervention in Syrien auf Einladung des Assad-Regimes
1. Assad-Regime als Regierung Syriens
2. Verlust der Einwilligungsbefugnis durch die Begehung von R2P-Verbrechen?
a) Internationale Reaktionen auf die Intervention Russlands
b) Auswertung der Staatenpraxis
IV. Ergebnis
E. Grenzen der Interventionshandlungen und Missbrauchsgefahr
I. Einwilligung als Grenze
II. Einwilligung als einzige Grenze?
F. Fazit
Literaturverzeichnis
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Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
Die Intervention auf Einladung ist in der aktuellen Völkerrechtspraxis von großer Bedeutung.1 Im Ausgangspunkt steht dahinter der Grundsatz, dass die Intervention eines Staates in einem anderen Staat keinen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt, wenn letzterer ihm hierzu eine Einwilligung erteilt hat.2 So stütze z.B. Frankreich die Intervention in Mali im Jahr 2012 auf eine Einladung des damaligen Übergangspräsidenten Dioncounda Traoré,3 oder Russland die Intervention in Syrien seit 2015 auf eine Einladung des Assad-Regimes.4 Trotz der praktischen Relevanz stellen sich jedoch viele völkerrechtliche Fragen,5 die bereits bei der Bedeutung des Begriffs der Intervention auf Einladung beginnen. Daher soll hier zunächst eine Definition festgelegt werden, die in der Arbeit zugrunde gelegt wird, sowie eine Eingrenzung der Fragestellung vorgenommen werden.
I. Definition der Intervention auf Einladung
Neben der Bezeichnung der Intervention auf Einladung findet man häufig auch den Begriff „militärische Unterstützung auf Anfrage“.6 Dieser wurde vom IDI im Jahr 2011 definiert als direkte militärische Unterstützung durch die Entsendung bewaffneter Streitkräfte eines Staates in einen anderen Staat auf das Ersuchen von letzterem.7 Ziel dieser Unterstützung muss es sein, dem ersuchenden Staat im Kampf gegen nicht-staatliche Akteure oder individuelle Personen in seinem Staatsgebiet zu helfen.8 In der Völkerrechtslehre wurde jedoch die Frage aufgeworfen, ob der Begriff der Intervention auf Einladung nicht auch den Fall umfasst, dass Gewalt gegen einen dritten Staat angewandt wird, solange die Gewaltanwendung auf das Territorium des einladenden Staates begrenzt ist.9 Dahinter steht die Idee, dass zwischen dem einladenden und intervenierenden Staat auch in diesem Fall kein Verstoß gegen Völkerrecht vorläge und es diesbezüglich keinen Unterschied mache, ob der einladende Staat im Kampf gegen staatliche oder nicht-staatliche Akteure unterstützt wird. Da aber kein Fall ersichtlich ist, in dem sich ein Staat zur Bekämpfung staatlicher Akteure auf die Intervention auf Einladung berufen hat, kommt dieser Konstellation zumindest mit Blick auf die Praxis keine Bedeutung zu.10 Die Definition der Intervention ist daher auf die Unterstützung im Kampf gegen nicht-staatliche Akteure zu begrenzen.
Die Intervention bzw. militärische Unterstützung findet nur dann auf Einladung bzw. Anfrage statt,11 wenn für den Einsatz keine Ermächtigung vom UN-Sicherheitsrat nach Kap. VII der UNC erteilt wurde.12 Da Einigkeit besteht, dass vom Begriff der „Bedrohung des Friedens“ gem. Art. 39 Var. 1 UNC auch innere Angelegenheiten eines Staates erfasst sind, hat der UN-Sicherheitsrat die Befugnis, Zwangsmaßnahmen zur Beendigung gewaltsamer innerstaatlicher Auseinandersetzungen nach Kap. VII der UNC zu ergreifen.13 Daher würde sich die Rechtmäßigkeit des Einsatzes in diesem Fall bereits aus der Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats ergeben und würde nicht von der Wirksamkeit der Einladung abhängen.
Die Intervention auf Einladung bezeichnet somit die direkte militärische Unterstützung durch das Entsenden von bewaffneten Streitkräften eines Staates in einen anderen Staat auf dessen Einladung, ohne Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat, mit dem Ziel, dem einladenden Staat in seinem Kampf gegen nicht-staatliche Akteure in seinem Territorium zu helfen.
II. Eingrenzung der Fragestellung
Die Arbeit befasst sich mit den Voraussetzungen, Grenzen und der Missbrauchsgefahr der Intervention auf Einladung und somit im Grunde mit der Frage, wann eine Intervention auf Einladung völkerrechtmäßig ist. Unumstritten ist, dass dafür eine gültige Einwilligung vorliegen muss und sich die Interventionshandlungen innerhalb der Grenzen dieser Einwilligung bewegen müssen.14 Die Einzelheiten sind jedoch nahezu alle umstritten.15 Daher soll die Arbeit zunächst einen Überblick über die rechtliche Einordnung sowie über die Voraussetzungen einer gültigen Einwilligung geben. Im Anschluss werden dann die völkerrechtlichen Grenzen der Interventionshandlungen untersucht, die auf Grundlage der Einladung stattfinden. Hier ist insb. die Frage relevant, ob die Einladung die einzige Grenze der Interventionshandlungen darstellt.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Konstellation der Intervention auf Einladung einer Regierung, die für die Begehung von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit an ihrer Bevölkerung verantwortlich ist. Im Folgenden werden diese vier Verbrechen als R2P-Verbrechen, da sie die den Kern der R2P-Doktrin darstellen.16
Diese Konstellation ist sowohl theoretisch hoch kontrovers als auch praktisch sehr relevant. Sie wird in der Arbeit an zwei Punkten behandelt: Erstens bei der Einwilligungsbefugnis. Hier stellt sich die Frage, ob eine Regierung, die für R2P-Verbrechen verantwortlich ist, ihre Befugnis verliert, militärische Hilfe eines anderen Staates einzuladen, sodass es bereits an einer gültigen Einwilligung fehlt. Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst die dogmatische Konstruktion eines Verlusts der Einwilligungsbefugnis der Regierung im Lichte der R2P-Doktrin untersucht werden. Anschließend soll anhand der Intervention Russlands in Syrien die aktuelle Staatenpraxis betrachtet und die opinio iuris der Staaten untersucht werden, um zu bewerten, ob der Verlust der Einwilligungsbefugnis einer Regierung, die für R2P-Verbrechen verantwortlich ist, auch völkerrechtlich bzw. genauer gesagt völkergewohnheitsrechtlich gilt.
Zweitens wird die Konstellation i.R.d. Grenzen der aufgrund der Einwilligung stattfindenden Interventionshandlungen relevant. Hier soll v.a. diskutiert werden, ob eine Einwilligung, welche die Begehung von bzw. Beteiligung an den R2P-Verbrechen der einladenden Regierung ausdrücklich umfasst, den intervenierenden Staat diesbezüglich von seinen völkerrechtlichen Pflichten befreien kann.
Aufgrund der begrenzten Kapazität müssen jedoch auch zwei interessante Problemkomplexe ausgeklammert werden. Zum einen werden die Fragen bzgl. der Rechtmäßigkeit einer Intervention in der Situation eines Bürgerkrieges ausgeklammert, speziell ob in einen Bürgerkrieg überhaupt eingegriffen werden darf und wenn ja auf welcher Seite.17 Auch wenn die Intervention auf Einladung zumindest in der Praxis stets im Rahmen innerer Auseinandersetzungen eines Staates relevant ist, handelt es sich nicht bei jeder inneren Auseinandersetzung auch um einen Bürgerkrieg.18 Daher sind die grundsätzlichen Fragen, wann eine gültige Einwilligung vorliegt und in welchen Grenzen sich die Interventionshandlungen bewegen müssen, von den besonderen Fragen der Intervention im Rahmen eines Bürgerkrieges zu trennen.
Zum anderen wird die Frage ausgeklammert, ob die Einwilligungsbefugnis einer Regierung von ihrer demokratischen Legitimität abhängt, bzw. ob das Kriterium der demokratischen Legitimität einen Mangel an Effektivität kompensieren kann.19 Zwar sind die demokratische Legitimität einer Regierung und ihre Verantwortlichkeit für R2P-Verbrechen in der Praxis durchaus verbunden, da in demokratischen Staaten der Schutz der Bevölkerung zumindest grds. durch interne Mechanismen sichergestellt wird.20 Jedenfalls handelt es sich aber um zwei rechtlich zu trennende Fragen, inwieweit die Einwilligungsbefugnis einer Regierung davon abhängt, wie sie ihre Macht erlangt hat und wie sie ihre Macht ausübt.21
B. Rechtliche Einordnung
Zu Beginn soll nun untersucht werden, welche völkerrechtlichen Normen i.R.d. Intervention auf Einladung relevant sind, bevor auf die Voraussetzungen einer gültigen Einwilligung eingegangen wird.
I. Gewaltverbot
1. Tatbestandsausschluss
Als Erstes ist das völkerrechtliche Verhältnis zwischen dem einladenden und dem intervenierenden Staat zu betrachten. Zumal die Intervention auf Einladung die aktive militärischen Unterstützung des einladenden Staates bezeichnet, stellt die Intervention für sich genommen die Anwendung militärischer Gewalt dar. Zudem wird die Gewalt vom intervenierenden Staat im Territorium eines anderen Staates und somit in internationalen Beziehungen angewandt. Die Intervention erfüllt somit grds. die Voraussetzungen des Gewaltverbots,22 das in Art. 2(4) UNC niedergeschrieben ist und zudem gewohnheitsrechtlich gilt.23 Zu beachten ist aber, dass bei einer Intervention auf Einladung der Staat, auf dessen Territorium die Gewalt angewandt wird, eine Einwilligung bzgl. der vorgenommenen Handlungen erteilt hat. Dadurch wird die Gewalt gerade nicht in internationalen Beziehungen angewandt, zumal der einladende Staat mit der Einwilligung über sein Territorium verfügt hat.24 Die Möglichkeit, über das eigene Territorium zu verfügen, folgt aus dem Grundsatz der Souveränität der Staaten (vgl. Art. 2 Nr. 1 UNC).25 Bei Vorliegen aller Voraussetzungen ist bei der Intervention auf Einladung somit bereits der Tatbestand des Gewaltverbots nicht erfüllt.26
Zwar ist dieser Grundsatz nicht in der UNC geregelt, er gilt aber völkergewohnheitsrechtlich.27 Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des IGH, der die Intervention auf Einladung erstmals im Nicaragua-Urteil anerkannte.28 Unterstützt wird dies z.B. durch Art. 3(e) der Aggressionsdefinition29 und durch die Praxis des UN-Sicherheitsrats.30
2. Abgrenzung zur kollektiven Selbstverteidigung
Häufig kommt auch die Frage auf, wie die Intervention auf Einladung von der kollektiven Selbstverteidigung i.S.d. Art. 51 UNC abzugrenzen ist. Zunächst ist anzuführen, dass die Intervention auf Einladung die Unterstützung im Kampf gegen nicht-staatliche Akteure behandelt, wohingegen es bei der kollektiven Selbstverteidigung umstritten ist, ob gegen nicht-staatliche Akteure Gewalt angewandt werden darf.31 Bzgl. der Voraussetzungen ist bei der kollektiven Selbstverteidigung im Gegensatz zur Intervention auf Einladung ein bewaffneter Angriff erforderlich (vgl. Art. 51 UNC). Zudem ist bzgl. des Ortes der Gewaltanwendung zu unterschieden. Während die Gewalt i.R.d. Intervention auf Einladung nur im Territorium des einladenden Staates angewandt werden darf, ist die Gewaltanwendung i.R.d. kollektiven Selbstverteidigung nicht auf das Territorium des angegriffenen Staates begrenzt.32 Zudem handelt es sich beim Selbstverteidigungsrecht um einen Rechtfertigungsgrund und bei der Intervention auf Einladung um einen Tatbestandsausschluss.33 Wenn ein Staat also im Territorium eines anderen Staates, der eine gültige Einladung erteilt hat, Gewalt gegen nicht-staatliche Akteure anwendet, muss er sich nicht mehr auf das kollektives Selbstverteidigungsrecht berufen, da bereits der Tatbestand des Gewaltverbots nicht erfüllt ist.
II. Andere völkerrechtliche Pflichten des intervenierenden Staates
Während sich viele Fragen zur Intervention auf Einladung im Bereich des ius ad bellum stellen, endet die Diskussion hier jedoch nicht. Denn wenn ein Staat einem anderen im Kampf gegen nicht-staatliche Akteure militärische Hilfe leistet, können die einzelnen Handlungen zur Verletzung weiterer völkerrechtlicher Normen, insb. des humanitären Völkerrechts, führen. Das Ziel dieser Arbeit ist natürlich nicht, die Fragen zum humanitären Völkerrecht zu vertiefen. Vielmehr soll die i.R.d. Diskussion zur Intervention auf Einladung aufgekommene Frage behandelt werden, ob eine Einladung neben dem Gewaltverbot auch einen Verstoß gegen andere völkerrechtliche Pflichten des intervenierenden Staates ausschließen kann, solange die Handlungen im Territorium des einladenden Staates begangen werden. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Frage, ob eine Beteiligung des intervenierenden Staates an den R2P-Verbrechen der Regierung des einladenden Staates auch dann gegen Völkerrecht verstößt, wenn sie von der Einwilligung gedeckt sein sollte. Dies wird unter dem Punkt „Grenzen der Interventionshandlungen und Missbrauchsgefahr“ behandelt.34
C. Voraussetzungen einer gültigen Einwilligung
I. Erteilung der Einwilligung
Anerkannt ist, dass die Einwilligung tatsächlich erteilt werden muss.35 Der Wille des einladenden Staates muss also eindeutig geäußert werden und es genügt nicht, sich auf eine Art hypothetischen Willen des Staates zu berufen. Fraglich ist hingegen, ob die Einwilligung ausdrücklich erteilt werden muss, oder ob sie auch konkludent erteilt werden kann. Für die Möglichkeit einer konkludenten Erteilung könnte sprechen, dass der IGH im Armed-Activities-Urteil den konkludenten Widerruf der Einwilligung der Demokratischen Republik Kongo bzgl. der Präsenz des Militärs Ugandas anerkannte.36 Im Umkehrschluss könnte man daher annehmen, dass auch eine konkludente Erteilung zulässig ist. Hinzu kommt, dass die entscheidende Frage im Ergebnis ist, ob die Einwilligung bewiesen werden kann.37 Zu beachten ist aber, dass die Voraussetzungen hieran bei einer konkludenten Erteilung höher sind als bei einer ausdrücklichen. Wenn die konkludente Erteilung jedoch bewiesen wird, kann die Einwilligung ebenfalls gültig sein. Das Gleiche gilt bzgl. der Frage, ob die Einwilligung öffentlich kommuniziert werden muss, oder ob sie auch privat erteilt werden kann.38
II. Zeitpunkt der Einwilligung
Die Einwilligung muss vor bzw. jedenfalls während der Intervention erteilt werden.39 Eine nachträgliche Zustimmung genügt hingegen nicht. Wie sich aus Art. 45 ARSIWA ergibt, führt letztere nämlich nur dazu, dass die aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit folgenden Ansprüche entfallen. Ein solcher Verzicht kann jedoch das Vorliegen eines Verstoßes gegen Völkerrecht nicht ändern.40
[...]
1 Vgl. Visser, NILR 2019, 21, 21.
2 Vgl. Nolte, S. 1.
3 Vgl. C.IV.2.b).
4 Vgl. D.III.
5 Vgl. Kenny / Butler, N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 2018, 135, 138.
6 „Military assistance on request“; z.T. wird der Begriff der Intervention auf Einladung als widersprüchlich eingestuft und daher abgelehnt (vgl. ILA, Proposal, https://www.ila-hq.org/index.php/committees (zuletzt abgerufen am 25.3.2021), S. 2), z.T. werden beide Begriffe aber auch synonym verwendet (vgl. Visser, NILR 2019, 21, 23); im Folgenden sind die Begriffe als Synonyme zu verstehen.
7 Vgl. IDI, Resolution, https://www.idi-iil.org/app/uploads/2017/06/2011_rhodes_10_C_en.pdf (zuletzt abgerufen am 10.4.2021), Art. 1(a); zwar ist die Resolution des IDI rechtlich unverbindlich, sie wird hier aber als Rechtserkenntnisquelle i.S.d. Art. 38 I lit. d Alt. 2 IGH-Statut herangezogen.
8 Vgl. IDI, Resolution, https://www.idi-iil.org/app/uploads/2017/06/2011_rhodes_10_C_en.pdf (zuletzt abgerufen am 10.4.2021), Art. 2(2).
9 Visser, NILR 2019, 21, 28-29, 42.
10 In diesen Fällen ist gerade das kollektive Selbstverteidigungsrecht i.S.d. Art. 51 UNC anwendbar, ohne dass sich die umstrittenen Fragen nach der Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Akteure stellen, vgl. B.I.2.
11 Einladung, Anfrage und Einwilligung werden im Folgenden synonym verwendet.
12 Vgl. Nolte, S. 22.
13 Vgl. z.B. UN Doc S/RES/688, 5 April 1991.
14 Vgl. Art. 20 ARSIWA (die ARSIWA werden als Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht auf Primärebene herangezogen, vgl. zur weitestgehenden gewohnheitsrechtlichen Geltung z.B. Gabcikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), Judgment, ICJ Rep. 1997, 7, Abs. 50); Visser, NILR 2019, 21, 28-29, 36.
15 Vgl. Zamani / Nikouei, ChJIL 2017, 663, 663.
16 Vgl. D.I.
17 Vgl. zur Diskussion Fox in Weller, The Oxford Handbook, 816, 821-829.
18 Wann ein Bürgerkrieg vorliegt, ist umstritten, vgl. ebd., S. 827.
19 Vgl. d’Aspremont, U. Pa. J. Int’l L. 2010, 1089, 1132; Zamani / Nikouei, ChJIL 2017, 663, 667.
20 Vgl. Lieblich, S. 209.
21 Vgl. Kenny / Butler, N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 2018, 135, 143.
22 Zwar bezieht sich der IGH bei der Behandlung der Intervention auf Einladung im Nicaragua-Fall zunächst auf das Interventionsverbot (vgl. Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, Judgment, ICJ Rep. 1986, 14, Abs. 246), kommt aber dann ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Handlungen zudem gegen das speziellere Gewaltverbot verstoßen, wenn sie direkt oder indirekt die Anwendung von Gewalt umfassen (vgl. ebd., Abs. 209).
23 Vgl. ebd., Abs. 73.
24 Vgl. Corten / Simma, S. 309; Visser, NILR 2019, 21, 41-42.
25 Vgl. Corten / Simma, S. 309; Visser, NILR 2019, 21, 41-42.
26 Vgl. ILA, Aggression and the Use of Force, https://www.ila-hq.org/index.php/committees (zuletzt abgerufen am 30.3.2021), S. 18; Visser, NILR 2019, 21, 31-42.
27 Vgl. Kenny / Butler, N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 2018, 135, 139-141.
28 Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, Judgment, ICJ Rep. 1986, 14, Abs. 246; die Rspr. des IGH wird als Rechtserkenntnisquelle i.S.d. Art. 38 I lit. d Alt. 1 IGH-Statut herangezogen.
29 Argumentum e contrario, UN Doc A/RES/29/3314, 14 December 1974; die Aggressionsdefinition gilt gewohnheitsrechtlich, vgl. insb. die häufige Bezugnahme durch Staaten, z.B. UN Doc S/2020/1207, 16 December 2020.
30 Vgl. z.B. UN Doc S/RES/387, 31 March 1976; die Praxis des UN-Sicherheitsrats stellt selbst keine Staatenpraxis dar, ist aber zum Rückschluss auf die Praxis der Staaten und ihre opinio iuris und somit für die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht relevant.
31 Vgl. Visser, JUFIL 2020, 292, 299-301.
32 Vgl. Visser, JUFIL 2020, 292, 299-301, 306.
33 Vgl. Visser, NILR 2019, 21, 27-29.
34 Vgl. E.II.
35 Vgl. Kommentar der ILC zu Art. 20 ARSIWA, in ILC, Yearbook, 31, 73; ILA, Aggression and the Use of Force, https://www.ila-hq.org/index.php/committees (zuletzt abgerufen am 30.3.2021), S. 19.
36 Vgl. Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Merits, Judgment, ICJ Rep. 2005, 168, Abs. 48-54.
37 Vgl. ILA, Aggression and the Use of Force, https://www.ila-hq.org/index.php/committees (zuletzt abgerufen am 30.3.2021), S. 19; Visser, NILR 2019, 21, 36.
38 Vgl. Visser, NILR 2019, 21, 36.
39 Vgl. Corten / Simma, S. 267; ILA, Aggression and the Use of Force, https://www.ila-hq.org/index.php/committees (zuletzt abgerufen am 30.3.2021), S. 19.
40 Vgl. Kommentar der ILC zu Art. 45 ARSIWA, in ILC, Yearbook, 31, 121-122.