Die vorliegende Exegese umfasst unter anderem eine Übersetzung der Bibelstelle, eine Situations-, Kontext- und Formanalyse sowie auch eine Interpretation. Als Verfasser des Evangeliums gilt Matthäus, denn dieser wurde von Papias von Hierapolis ca. 125 als Autor genannt. Allerdings ist es wenig wahrscheinlich, dass Matthäus als Augenzeuge auf ein bereits verfasstes Evangelium (Markus) als Quelle zurückgegriffen hätte. Daher besteht in der historisch-kritischen Exegese ein weitgehender Konsens, demzufolge der Verfasser namentlich nicht bekannt ist.
Die Entstehungszeit des Evangeliums ergibt sich aus der Abhängigkeit von Markus, dessen Werk um das Jahr 70 entstanden sein muss, und wird auf die Zeit Mitte der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre datiert. Markus Werk wurde ungefähr zu neunzig Prozent als Vorlage genutzt. Weitere Anhaltspunkte für die Entstehung im genannten Zeitraum können die Bibelstellen 21,41; 22,7 und 23,38 gesehen werden, wo Matthäus die Zerstörung Jerusalems im Jüdischen Krieg voraussetzt. Für ihn ist weiterhin die Verfolgung durch die Juden ein vergangenes Problem und er fokussiert sich daher auf innergemeindliche Probleme (vgl. 24,9-14).
Inhaltsverzeichnis
Übersetzung
Situationsanalyse
Kontextanalyse
Formanalyse
Gattungsanalyse
Begriffs- und Sacherklärungen; religiöse Motive und Traditionen
Motivanalyse
Traditions- und Redaktionsanalyse
Traditionsanalyse = Synoptischer Vergleich
Redaktionsanalyse
Interpretation
Literaturverzeichnis
Anhang
Übersetzungsvergleich
Synoptischer Vergleich
Übersetzung
Matthäus 22, 34-40
Zur Frage nach dem höchsten Gebot
[34]Als aber die Pharisäer hörten, dass er die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, versammelten sie sich am selben Ort. [35]Und in der Absicht, ihn auf die Probe zu stellen, fragte ihn einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer: [36]Meister, welches Gebot ist das höchste im Gesetz? [37]Er sagte zu ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. [38]Dies ist das höchste und erste Gebot. [39]Das zweite aber ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. [40]An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Situationsanalyse
Als Verfasser des Evangeliums gilt Matthäus, denn dieser wurde von Papias von Hierapolis ca. 125 als Autor genannt. Allerdings ist es wenig wahrscheinlich, dass Matthäus als Augenzeuge auf ein bereits verfasstes Evangelium (Markus) als Quelle zurückgegriffen hätte.1 Daher besteht in der historisch-kritischen Exegese ein weitgehender Konsens, demzufolge der Verfasser namentlich nicht bekannt ist.2 Die Entstehungszeit des Evangeliums ergibt sich aus der Abhängigkeit von Markus, dessen Werk um das Jahr 70 entstanden sein muss, und wird auf die Zeit Mitte der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre datiert. Markus Werk wurde ungefähr zu neunzig Prozent als Vorlage genutzt.3 Weitere Anhaltspunkte für die Entstehung im genannten Zeitraum können die Bibelstellen 21,41; 22,7 und 23,38 gesehen werden, wo Matthäus die Zerstörung Jerusalems im Jüdischen Krieg voraussetzt. Für ihn ist weiterhin die Verfolgung durch die Juden ein vergangenes Problem und fokussiert sich daher auf innergemeindliche Probleme (vgl. 24,9-14).4
Der kunstvolle Aufbau des Evangeliums und der Umgang mit dem Alten Testament lassen darauf schließen, dass der Autor ein christlicher Schriftgelehrter gewesen sein könnte.5 Als Entstehungsort wird Syrien angenommen, da sowohl der Autor als auch die Gemeinde dort lebt, wie er in 4,24 schreibt. Heute wird die Hauptstadt Antiochien oft als genauerer Ort vermutet.6 Ob das Matthäusevangelium in einem juden- oder heidenchristlichen Milieu entstand ist in der Forschung umstritten, da sich gute Argumente für beide Annahmen finden. Die judenchristliche Tradition prägt das Werk, indem es sich beispielsweise auf das Alte Testament bezieht, die Tora als verbindlich anerkennt (vgl. 5,17-19) und in Jesus die Erfüllung der dort überlieferten Verheißungen (vgl. 1,22f oder 3,3) sieht. Jesu Mission zielt dabei auf die „verlorenen Schafe Israels“ (vgl. 10,5f und 15,24) ab. Der jüdischen Sitte Assoziationen des Gottesnamens zu vermeiden entsprechend ändert Matthäus die „Königsherrschaft Gottes“, wie sie bei Markus zu finden ist, zu „Königsherrschaft der Himmel“ ab. Dementsprechend schreibt der Verfasser wahrscheinlich für eine judenchristliche Gemeinde. Auffällig und charakteristisch für Matthäus ist die kritische Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Judentum, insbesondere pharisäischer Prägung. Dies wird anhand der distanzierten Sprache deutlich, indem er beispielsweise von „ihren Schriftgelehrten“ (7,29) oder „euren Synagogen“ (23,34) spricht. Die inhaltliche Nähe zum pharisäischen Judentum scheint Anlass dafür gewesen zu sein Distanz schaffen und begründen zu wollen.7
Kontextanalyse
Die Bibelstelle befindet sich im Matthäusevangelium, aber auch, in vergleichbaren Fassungen, in den Evangelien von Markus und Lukas. Im Wesentlichen entspricht der Aufbau des Evangeliums dem des Markus und des Lukas. Der Stoff ist von Matthäus jedoch überlegt zusammengestellt, kunstvoll angeordnet und durch das Hinzufügen von Sonderüberlieferungen und eigenen theologischen Reflexionen ergänzt worden.8 Im Vergleich mit seinen Vorlagen Mk und der Logienquelle sind die gestalterischen Überarbeitungen und Auffüllungen offensichtlich.9 Demzufolge ist das Material stärker thematisch geordnet als dies bei seiner Vorlage Markus der Fall ist. Das Spruchgut ist zu fünf großen Reden zusammengestellt worden, die das Evangelium prägen, nämlich die Bergpredigt (5-7), die Aussendungsrede (10), die Gleichnisrede (13), die Gemeinderegel (18) und die Doppelrede gegen die Pharisäer und von den letzten Dingen (23-25). Jesus wird durch die ausgedehnten Reden als Lehrer dargestellt.10 Die theologische Zielsetzung des Matthäus-Evangeliums wird durch die literarische und kompositorische Eigenart angedeutet. Im Fokus steht die Belehrung über Jesus von Nazareth. Dieser wird von Matthäus als der in den alttestamentlichen Schriften prophezeite Messias Israels beschrieben. Seine theologische Reflexion geht daher von dem Zentralgedanken aus, dass Jesus vom Judentum nicht als Heil anerkannt worden ist. In Verbindung dazu stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Jesu zur Tora. Diese bleibt als Streitfrage in der Gemeinde. Somit wird seine literarische Gestaltungsabsicht weitgehend durch den lehrhaften Charakter seines Buches bestimmt, in dem er apologetische und polemische Erfordernisse und theologische Probleme seiner Gemeinde berücksichtigt.11 Eine grobe Einteilung der Struktur könnte folgendermaßen erfolgen:12
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die untersuchte Perikope entspricht demnach dem vierten Teil, in welchem die Tage Jesu in Jerusalem beschrieben werden. Nachdem Jesus in Jerusalem eingezogen ist und die Tempelreinigung veranlasst hat, wird er als Lehrer im Tempel Jerusalems dargestellt (21,23-24,1). Dort werden seine Zuhörer zunächst durch Gleichnisse unterwiesen (21,28-22,14), bevor abwechselnd feindliche Fragesteller an ihn herantreten, um ihn herauszufordern (22,15-22,40). Der Wechsel der Gesprächspartner und die dadurch bedingten thematischen Wechsel gliedern die Perikopen. Dabei ist die Frage nach dem höchsten Gebot die letzte von drei Fragen, die ihm gestellt werden. Nach dieser Frage konfrontiert Jesus seinerseits die Pharisäer mit der Frage nach dem Messias (22,41-46), bevor er all jene anklagt, die vergeblich versuchten Gründe zur Anklage gegen ihn zu finden (23,1-39).
Die Perikope beginnt in Vers 34 mit einem Rückbezug auf das vorangegangene Ereignis. Er habe die Sadduzäer zum Schweigen gebracht. Im selben Vers werden die Pharisäer als erneute Kontrahenten eingeführt, die sich am selben Ort, nämlich am Tempel, versammeln. Im nächsten Vers wird die Absicht eines Pharisäers als versucherisch beschrieben, bevor im darauffolgenden Vers Jesus eine knappe Frage gestellt, die nur durch die vorhergehende Charakterisierung als böswillig erscheint. Jesus antwortet mit dem Gebot der Gottesliebe und fügt danach hinzu, dass jenes das höchste Gebot sei. Diesem sei aber ein weiteres gleich, nämlich das der Nächstenliebe. Abschließend betont er, dass an den eben genannten Geboten das Gesetz und die Propheten hängen.
Inhaltlich nahestehend ist die in der Bergpredigt formulierte „goldene Regel“ (7,12) und das Gebot der Feindesliebe (5,43-48). Die matthäische Variante des Gebots der Feindesliebe wird in ausdrücklicher Abgrenzung zur jüdischen Tradition formuliert: „Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5,43-44).13 Es finden sich außerdem weitere Formeln, die die Ethik summieren, bei Mt, wie beispielsweise in Mt 9, 13 und 12,7 wo es heißt: „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer“.14 Ferner ist der Rückbezug zum Dekalog unübersehbar.15 Die Zitatenkombination von Dtn 6,5 und Lev 19,18 ist der Substanz nach jüdisch vorgebildet, wenn auch nicht schriftlich fixiert.16
Formanalyse
Der Aufbau ist unkompliziert gestaltet und klar gegliedert. Es wird überwiegend in wörtlicher Rede und somit zeitdeckend erzählt. Die Erzählung bewegt sich also im in etwa gleichen Tempo wie das erzählte Geschehen. Dies bewirkt eine erhöhte Glaubwürdigkeit beim Leser, da er das Gefühl hat den genauen Wortlaut der Interaktion zu kennen. Im Kontext betrachtet muss der Ort 21,23 entsprechend der Tempel sein, in welchem Jesus seine Lehren vorträgt.17
Lediglich als Überleitungsbemerkung erwähnt wird das Scheitern der Sadduzäer. Dies wird von den Pharisäern zum Anlass genommen sich erneut gegen Jesus zu versammeln.18 Dass der Fragesteller ein Gesetzeslehrer ist scheint sinnvoll, da es um das Grundverständnis der Tora und die darin enthaltenen Gebote und Gesetze geht.19 Angesichts des geographischen Kontexts erscheint die angegebene Motivation des Gesetzeslehrers Jesus auf die Probe stellen zu wollen ebenfalls angemessen.20
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1 Vgl. Bull 2018
2 Vgl. Sand 1986, S. 17
3 Vgl. Fiedler 2006, S.19
4 Vgl. Bull 2018
5 Vgl. Fiedler 2006, S. 19
6 Vgl. Fiedler 2006, S. 19
7 Vgl. Bull 2018
8 Vgl. Sand 1986, S. 19
9 Vgl. Frankemöller 1999, S. 92
10 Vgl. Bull 2018
11 Vgl. Sand 1986, S. 19f
12 Vgl. Sand 1986, S. 36
13 Vgl. Guttenberger 2007, S. 82
14 Vgl. Gnilka 2000, S. 262
15 Vgl. Frankemöller 1997, S. 354
16 Vgl. Sand 1986, S. 447
17 Vgl. Frankemöller 1997, S.353
18 Vgl. Gnilka 2000, S.259
19 Vgl. Frankemöller 1997, S.353
20 Vgl. Frankemöller 1997, S.353