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Seminararbeit, 2021
29 Seiten, Note: 11 Punkte
I. Einleitung
II. Vorgehensweise der Untersuchung meiner Leitfrage
III. Das Spannungsverhältnis des § 17 II JGG
1. Die Jugendstrafe als echte Kriminalstrafe
2. Das Erziehungsprinzip des Jugendstrafrechts
3. Veranschaulichung der Problematik am Beispiel der Rechtsprechung
IV. Spannungsverhältnis zwischen Erziehung und Strafe
1. Argumente für eine reine Schuldstrafe
a) Historischer Kontext
b) Gesetzesdogmatik
V. Zweckdivergenz zwischen Erziehung und Schuldausgleich
1. Der Strafzweckkonflikt des § 17 II JGG
a) eine Ansicht: Restriktive Auslegung
b) andere Ansicht: Harmonisierung der Alternativen
2. Stellungnahme
VI. Zwischenergebnis zum Strafzweckkonflikt des § 17 II JGG
VII. Neue Tendenz des BGH
VIII. Erziehungsbedürfnis bei Jugenddelinquenz
IX. Die Wirkung der Jugendstrafe
1. Labelling Approach und Stigmatisierung
2. Weitere mögliche Auswirkungen
3. Rückfälligkeit
a) Grafik: Art der Folgeentscheidung nach Sanktionsart
b) Interpretation der Grafik
4. Zwischenergebnis: Rückfälligkeit
X. Zwischenergebnis: Wirkung der Jugendstrafe
XI. Kritik am BGH Urteil
a) Zusammenfassung
b) Bewertung im Hinblick auf die Bedeutung des Erziehungsgedanken
c) Lösungsansätze
XII. Beantwortung der Leitfrage
XIII. Fazit
Becker, Howard S.: Außenseiter – Zur Soziologie abweichenden Verhaltens, 2. Auflage, 2014.
Beulke, Werner; Swoboda, Sabine: Jugendstrafrecht, 16. Auflage, 2020.
Beulke, Werner: Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld – Notanker oder Achillesferse? Vortrag anlässlich des 80. Geburtstags von Pro. Dr. Ulrich Eisenberg, unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0934-9200-2019-3-269.pdf (abgerufen am 15.08.2021).
Böhm, Alexander; Feuerhelm, Wolfgang: Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Auflage, 2004.
Brunner, Rolf; Dölling, Dieter: Jugendgerichtsgesetz Kommentar, 12. Auflage, 2011.
Butz, Katharina: Die Verhängung der Jugendstrafe vor dem Hintergrund der Verfassungswidrigkeit des Jugendstrafvollzuges – Untersuchung zur Verfassungsmäßigkeit von § 17 Abs. 2 JGG, Dissertation an der Universität Hamburg, 2014.
Diemer, Herbert; Schatz, Holger; Sonnen, Bernd-Rüdeger: Jugendgerichtsgesetz Kommentar, 8. Auflage, 2020.
Dollinger, Bernd; Schmidt-Semisch, Henning: Handbuch Jugendkriminalität, 3. Auflage, 2018.
Eisenberg, Ulrich: Jugendgerichtsgesetz Kommentar, 20. Auflage, 2018.
Fischer, Thomas: Über das Strafen – Recht und Sicherheit in der demokratischen Gesellschaft, 2018.
Gottfredson, M.R. and Hirschi, T.: A General Theory of Crime. Stanford, CA: Stanford University Press, 1990.
Hohmann-Fricke, Sabine; Jehle, Jörg-Martin; Palmowski, Nina: Rückfallkriminalität nach jugendstrafrechtlichen Entscheidungen, RdJB 3, 2014, unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0034-1312-2014-3-313.pdf?download_full_pdf=1 (abgerufen am 10.09.2021).
Jehle, Jörg-Martin; Heinz, Wolfgang; Sutterer, Peter: Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen - Eine kommentierte Rückfallstatistik, Herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, 2003, unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Archiv/Downloads/Legalbewaehrung_strafrechtliche_Sanktionen_kommentierte_Rueckfallstatistik.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 28.08.2021).
Kaiser, Günther; Schöch, Heinz; Kinzig, Jörg: Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 8. Auflage, 2015.
Kunz, Karl-Ludwig; Singelstein, Tobias: Kriminologie – eine Grundlegung, 7. Auflage, 2016.
Laub, J.H. and Sampson, R.J.: The Sutherland-Glueck debate: on the sociology of criminological knowledge. American Journal of Sociology, 1991, 96, 1402–1440.
Laubenthal, Klaus; Baier Helmut; Nestler, Nina: Jugendstrafrecht 3. Auflage, 2014.
Meier, Bernd-Dieter; Rössner, Dieter; Trüg, Gerson; Wulf, Rüdiger: Jugendgerichtsgesetz Handkommentar, 2. Auflage, 2014.
Lindrath, Anja: Kriminalwissenschaftliche Schriften – Jugendstrafvollzug in freien Formen, Band 26, 2010.
Meier, Bernd-Dieter: Die präventive Wirkung der jugendstrafrechtlichen Sanktionen, 2005.
Meyer-Odewald, Uwe Die Verhängung und Zumessung der Jugendstrafe gemäß § 17 II Alt. 2 JGG im Hinblick auf das ihm zugrundeliegende Antinomieproblem, Dissertation an der Universität Göttingen, 1993.
Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage, 2017.
Nix, Anna-Lena: Kritik der ,,Erziehungsstrafe‘‘ im Jugendstrafrecht – Überlegungen zur Entwicklung einer Alternative zu § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG; Theorie und Forschung Rechtswissenschaften, Dissertation Juristische Fakultät Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 2017.
Ostendorf, Heribert: Jugendgerichtsgesetz, 11. Auflage, 2021.
Ostendorf, Heribert; Drenkhahn, Kirstin: Nomoslehrbuch Jugendstrafrecht, 10. Auflage, 2020.
Peterson, D.:‘‘The relationship between unethical behaviour and the dimensions of the Ethical Climate Questionnaire’’, Journal of Business Ethics, 2002, Vol. 41 No. 4, pp. 313-26.
Sampson, R.J.: How does community context matter? Social mechanisms and the explanation of crime rates. In P.H. Wikström & R.J. Sampson (Eds.), The Explanation of Crime: Context, Mechanisms and Development (pp. 31–60). New York: Cambridge University Press, 2006.
Schulz, Holger Die Höchststrafe im Jugendstrafrecht – eine Analyse der Urteile von 1987 – 1996, Dissertation an der Universität Kiel, 2000.
Schwind, H. D. (1996): Kriminologie - Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen; Band 28, 7. Auflage, S. 360-363.
Streng, Franz: Schwerpunktbereich Jugendstrafrecht, 5. Auflage, 2020.
Trenczek, Thomas: Strafe, Erziehung oder Hilfe? Neue Ambulante Maßnahmen und Hilfen zur Erziehung – Sozialpädagogische Hilfeangebote für straffällige junge Menschen im Spannungsfeld von Jugendhilferecht und Strafrecht, 1996.
Vaughan, D.: Rational choice, situated action, and the social control of organizations. Law and Society Review, 1998, 22–61.
Walter, Michael: Jugendkriminalität, 3. Auflage, 2005.
Weber, Martin Die Anwendung der Jugendstrafe, Dissertation an der Universität Freiburg, 1989.
Das Thema dieser Arbeit beruht auf dem Jugendstrafrecht und seinem Erziehungsgedanken als Leitprinzip. Dieses Sonderstrafrecht für jugendliche Täter spiegelt die gesellschaftliche Verantwortung wider, rücksichtsvoll mit der vielfältig sensiblen Phase eines Jugendlichen im Umgang mit Delinquenz umzugehen.1 An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich im Folgenden bewusst das Wort Jugendkriminalität mit dem Begriff Jugenddelinquenz ersetze, da ich eine Stigmatisierung junger Menschen ablehne.
In dieser Arbeit soll es speziell um die Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld gem. § 17 II 2. Alt. JGG und die Bedeutung des Erziehungsgedankens bei dieser Sanktion gehen. Zum Zwecke dieser Untersuchung werde ich Bezug auf die historische Entwicklung, die Ansichten der Rechtsprechung und Literatur sowie der erzieherischen Wirkung der Jugendstrafe nehmen. Zur Veranschaulichung der Problematik möchte ich eine Entscheidung des BGH heranziehen, die ich zum Schluss, in Anbetracht meiner herausgearbeiteten Ergebnisse, einer kritischen Prüfung unterziehe.
Dazu ist zunächst einmal das Wesen der Jugendstrafe zu skizzieren.
Die Jugendstrafe besitzt den Charakter einer echten Kriminalstrafe2 und ist die härteste freiheitsentziehende Sanktion3 des Jugendgerichtsgesetzes. Ihr Strafcharakter wird zudem durch die Eintragung in das Bundeszentralregister deutlich.4 Darüber hinaus ist die Jugendstrafe Ultima Ratio jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgen und darf nur verhängt werden, wenn Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zum Zwecke des Schuldausgleichs oder der Erziehung nicht ausreichen.5
Hier wird bereits deutlich, dass die Jugendstrafe zumindest keine rein erzieherisch geprägte Maßnahme darstellt. Wie passt Sie also in das Konzept des Erziehungsgedankens? Der Erziehungsgedanke bestimmt das gesamte Jugendstrafrecht als ein übergeordnetes Prinzip, welches der BGH selbst bei der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 JGG berücksichtigt sehen möchte,6 obwohl dies von Wortlaut wie System des Gesetzes sowie aus historischem Kontext nicht naheliegt.7 Es ist somit fraglich, ob die Jugendstrafe auch verhängt werden sollte, wenn sie nach erzieherischen Gesichtspunkten als nicht erforderlich oder geeignet erscheint. Dieses Spannungsverhältnis möchte ich zunächst anhand verschiedener Aspekte näher beleuchten, um die Frage nach der Bedeutung des Erziehungsgedanken bei der Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld zu untersuchen.
Diese, von großer praktischer Bedeutung geprägte Problematik, möchte ich anhand eines Urteils des BGH veranschaulichen. In einer Entscheidung des Landgericht Aachen wurde ein zum Tatzeitpunkt fast 20 Jahre alter Jugendlicher, der zusammen mit seinem Onkel sowie einem weiteren Täter einen schweren Raub beging, unter Anwendung von Jugendstrafrecht gem. § 105 I JGG zu einer Jugendstrafe auf Bewährung gem. § 27 JGG verurteilt, da das Gericht weder schädliche Neigungen noch die Schwere der Schuld feststellte.8 Der BGH hob dieses Urteil auf. Ein Vorhandensein schädlicher Neigungen i.S.d. § 17 II Var. 1 JGG konnte der BGH ebenfalls nicht erkennen. Allerdings erkannte er in der Tat des Jugendlichen die Schwere der Schuld gem. § 17 II Alt. 2 JGG.9 Dieses Urteil spiegelt die Entscheidung des BGH wider, dem Schuldausgleich gegenüber dem Erziehungsgedanken in diesem konkreten Fall vorrangige Bedeutung zukommen zu lassen.
Welche Rolle spielt also der Leitgedanke der Erziehung im Sinne einer spezialpräventiven Behandlung jugendlicher Delinquenten, wenn es um die Verhängung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld geht?
Trotz der Charakterisierung des Jugendstrafrechts als Erziehungsstrafrecht, ist eine Aufrechterhaltung des Vorrangs des Erziehungsprinzips bei Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld aufgrund des Wortlauts, des System des Gesetzes sowie aus historischem Kontext grundsätzlich nicht besonders naheliegend.10
Die heutige Voraussetzung der Schwere der Schuld stand früher im Gesetz an erster Stelle als Voraussetzung für die Verhängung einer Jugendstrafe. Dies lässt den damals im Vordergrund stehenden Schuldausgleich bei der Verhängung der Jugendstrafe erkennen. So hieß es ,,Der Richter verhängt Jugendgefängnis, wenn das Bedürfnis der Volksgemeinschaft nach Schutz und Sühne wegen der Größe der Schuld oder wegen schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, eine Strafe erfordert.‘‘11 Diese Formulierung zeigt den vorrangig generalpräventiven Charakter der damaligen Jugendstrafe.
Betrachtet man die Systematik des Gesetzes, wonach der vorrangig auf erzieherische Notwendigkeit abstellenden Alternative der schädlichen Neigungen eine auf die Tatschuld abzielende Schwere der Schuld beiseitegestellt wurde, ist eine ebenso erzieherische Erforderlichkeit der Jugendstrafe aufgrund der Schwere der Schuld auch im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers fraglich.12 Dogmatische Ungereimtheiten bezüglich des Verhältnis von Erziehung und Strafe bei der Verhängung der Jugendstrafe resultieren also bereits aus dem Gesetzeswortlaut.13
Häufig wird das Vorliegen sowohl von ,,Schwere der Schuld‘‘ als auch von ,,schädlichen Neigungen angenommen. Demzufolge gibt es die Auffassung, dass im Regelfall derjenige, der schwere Delikte begeht, auch erzieherische Defizite aufweist. Dann können beide Alternativen des § 17 II JGG nebeneinander bejaht werden.14 Diese Aussage ist jedoch bereits im Hinblick auf den Strafzweckkonflikt, also der Bedeutung von Strafe und Erziehung bei der Verhängung der Jugendstrafe zu hinterfragen.
Die Unklarheit über die Bedeutung des Erziehungsprinzips bei der Verhängung der Jugendstrafe dürfte vor allem aus dem Strafzweck-konflikt des § 17 II JGG resultieren, da den beiden alternativen Voraussetzungen scheinbar grundlegend verschiedene Strafzwecke zugrunde liegen. Die Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen wird verhängt, wenn in der strafbaren Handlung des Angeklagten ein besonderes Erziehungsbedürfnis zu erkennen ist. Als Alternative dazu, soll die Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld, dem erhöhten Bedürfnis nach Schuldausgleich gerecht werden. Der Aspekt der Schuld und Sühne steht hier dem Wortlaut nach im Vordergrund, obwohl § 18 II JGG gleichzeitig für beide Voraussetzungen der Jugendstrafe eine erzieherische Bemessung fordert. Die Gegen-überstellung dieser beiden besonderen Voraussetzungen des § 17 II JGG verdeutlicht den offensichtlichen Widerspruch zwischen Erziehung und Strafe.15 Diese Zweckdivergenz wird besonders deutlich, wenn neben der Schwere der Schuld nicht zugleich Schädliche Neigungen angenommen werden können.16 Die Unsicher-heit im Umgang mit der Schwere der Schuld als Alternative zur Verhängung der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen stammt folglich aus der Unklarheit bezüglich der erzieherischen Wirkung der Jugendstrafe und der dogmatischen Ungereimtheiten bezüglich dem Verhältnis der Jugendstrafe Alternativen.17
Laut Eisenberg kommt es grundsätzlich darauf an, ob eine Verhängung allein wegen ,,Schwere der Schuld‘‘ erzieherisch erforderlich ist oder aber zugunsten des Jugendlichen unterbleiben muss.18 Er stützt dieses Argument auf den Wortlaut des § 2 Abs. 1 JGG, wonach das Jugendstrafrecht dem Erziehungsauftrag unterstellt ist. Eine echte Kriminalstrafe, welche allein die Funktion hat, dem Verurteilten als Ausgleich schuldhaft herbeigeführten Unrechts eine Strafe aufzuerlegen, dürfe es somit nicht geben.19 Der stets vorrangig zu berücksichtigende Erziehungsgedanke dürfe demnach also gegenüber dem Sühnegedanken nicht so weit außer Acht gelassen werden, dass die Jugendstrafe zu einer reinen Schuldstrafe wird.20 Es sind dabei auch die Folgen einer etwaigen Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten zu berücksichtigen.21 Nur höchst ausnahmsweise soll im Einzelfall der Schwere der Schuld eigenständige Bedeutung zukommen.22 Grundsätzlich kommt es auch hier auf die fallbezogene individuelle Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten an.23 In dieser Feststellung ist auch ein klarer Zweifel an der erzieherischen Wirkung der Jugendstrafe zu erkennen. Für die Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld möchte man demzufolge dem erhöhten Sühnebedürfnis der Gesellschaft in Ausnahmefällen, die eine echte Kriminalstrafe erfordern, gerecht werden.24 Sie wird somit als Ausgleich für die Erschütterung des Rechtsvertrauens angewandt.
Einzuräumen ist somit zunächst einmal, dass dem Jugendstrafrecht ganz wesentlich die Funktion zukommt, die Werte und Normen der Gesellschaft zu bestätigen und den Rechtsfrieden zu verteidigen.25
Auch Ostendorf26 spricht sich für eine restriktive Anwendung dieser Alternative aus. Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld dürfe nur angewandt werden, wenn im Einzelfall der Verzicht auf Jugendstrafe für das Rechtsempfinden schlechthin unverständlich wäre. Nur wenn mit dem Rechtsbruch das existenzielle Rechtsgut des Lebens betroffen ist oder seine personale Existenz wie z.B. bei einer Massenvergewaltigung ,,mit den Füßen getreten‘‘ wird, dürfe diese Sanktion gewählt werden.27 Die Grundlage für die Anwendung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld können somit nicht nur um Kapitaldelikte, sondern auch um schwere Sexualdelikte bilden.28
Der BGH dagegen wollte die Jugendstrafe lange nur zulassen, wenn sie aus erzieherischen Gründen zum Wohle des Jugendlichen auch erforderlich war. Auf dieser Grundlage argumentierte der BGH auch eine Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld nur zu verhängen, wenn dies aus erzieherischen Gründen erforderlich sei.29 Dieser Versuch, die Alternativen des § 17 JGG zu harmonisieren, stieß auf die Kritik in der Literatur, er würde im Widerspruch zu dem Wortlaut, dem Sinn und der Entstehungsgeschichte dieser Norm stehen.
Die allgemeinen Grundsätze des Jugendstrafrechts, welches häufig auch als Erziehungsstrafrecht bezeichnet wird, sprechen für diese Auffassung. Zudem weist insbesondere die Regelung des § 18 II JGG auf eine erzieherische Auslegung hin. Dagegen ist einzuwenden, dass das JGG mit den §§ 18 I Abs. 2, 105 III auch sonst den Sühnegedanken bei schwerster Kriminalität über das erzieherisch notwendige Maß hinaus berücksichtigt hat, da eine Strafe über 5 Jahre aus rein erzieherischen Gründen nicht zu rechtfertigen ist und darüber hinaus sogar die Persönlichkeitsentwicklung gefährdet.30 Dies spricht ebenfalls für eine ausnahmsweise untergeordnete Rolle des Erziehungsprinzips bei der Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld. Außerdem ließe sich danach die Verhängung einer Jugendstrafe niemals rechtfertigen, wenn eine Tat erst dann bestraft werden kann, wenn der Rechtsbrecher bereits erwachsen ist.31
Mit § 17 II 2. Alt. JGG stellt das Gesetz folglich vorrangig auf den Schuldausgleich ab. Auf die Schuldstrafe kann jedoch bereits deshalb nicht verzichtet werden, da sonst die Möglichkeit einer Bestrafung Jugendlicher, die zwar schuldhaft gehandelt haben, aber nicht erziehungsbedürftig oder erziehungsfähig sind, ausgeschlossen sein würde.32 Dem Merkmal der Schwere der Schuld kommt also nach der überwiegenden Meinung der Literatur eine selbstständige Bedeutung gegenüber der Verhängung der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen zu.
Diese Erwägungen veranlassten auch den BGH in neuerer Zeit zu erklären, dass ,,der Senat dazu neigt, auch ohne eine faktische Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit“ Jugendstrafe schon ab einer „gewissen Schwere“33 zuzulassen. Dies entspricht der erörterten, überwiegenden Ansicht der Literatur, wonach die Schuldstrafe dem Sühnebedürfnis der Allgemeinheit dient. Allerdings ist in diesem Obiter Dictum des BGH nicht die gebotene Sorgfalt und restriktive Auslegung zu erkennen, für die auch die Literatur plädiert. So sprach der BGH in einer Entscheidung bereits von einem ,,gewissen Schuldausmaß‘‘, welches irgendwo jenseits der Kapitaldelikte liege.34 Die durch diese wenig differenzierte Aussage signalisierte Ungenauigkeit der Rechtsprechung ist äußerst kritisch zu betrachten und wird dem gebotenen Ausnahmecharakter der Jugendstrafe sowie den Grundprinzipien des Jugendstrafrechts nicht gerecht. Im Falle eines zum Verurteilungszeitpunkt 21-Jährigen, bei dem eine Erziehungsfähigkeit nur bedingt anzunehmen ist, würde eine Verhängung der Jugendstrafe aufgrund der Schwere der Schuld bei dieser weniger restriktiven Auslegung, eine einfache Ausweichmöglichkeit bei schwereren Delikten darstellen. Die geringere Berücksichtigung erzieherischer Faktoren würde solche Fälle zwangsläufig in die Alternative der Schwere der Schuld drängen, auch wenn eine sichtliche Verbesserung der Lebensführung zu sehen ist und von einer erneuten Straffälligkeit nicht auszugehen ist. Die Grundpfeiler des Jugendstrafrechts würden durch diesen vagen Umgang mit der Schuldalternative untergraben werden.
[...]
1 Streng: Jugendstrafrecht, § 1, Rn. 14, 23.
2 Brunner/Dölling: JGG, § 17, Rn. 1.
3 Sonnen in Diemer/Schatz/Sonnen: JGG, § 17, Rn. 4.
4 Vgl. § 4 Nr. 1 BZRG
5 Streng: Jugendstrafrecht, § 12, Rn. 424.
6 Vgl. BGHSt 15, 224, 225.
7 Streng: Jugendstrafrecht, § 1, Rn. 15.
8 Entscheidung des LG Aachen vom 15.12.2017 - 83 Ss 12/18.
9 Urteil des BGH vom 18.07.2018 - 2 StR 150/18.
10 Streng: Jugendstrafrecht, § 1, Rn. 15 ff.
11 Ostendorf: JGG, §§ 17 ff. Rn. 2.
12 Brunner/Dölling: JGG, § 17, Rn. 25.
13 Sonnen in Diemer/Schatz/Sonnen, § 17, Rn. 10 ff.
14 Beulke: Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld – Notanker oder Achillesferse? S. 275 Abs. 2.
15 Sonnen in Diemer/Schatz/Sonnen, § 17, Rn. 10.
16 Eisenberg: JGG, § 17, Rn. 9 ff.
17 Sonnen Diemer/Schatz/Sonnen, § 17, Rn. 10.
18 Eisenberg in Eisenberg: JGG, § 17, Rn. 10.
19 Eisenberg: JGG, § 17, Rn. 10.
20 Eisenberg: JGG, § 17, Rn. 34.
21 BGH v. 19.06.2013 – 2 StR 498/12
22 Eisenberg in Eisenberg: JGG, § 17, Rn. 34a.
23 Eisenberg in Eisenberg: JGG, § 17, Rn. 32.
24 Schaffstein/Beulke: JGG, § 22.
25 Meyer-Odenwald: Jugendstrafe, S. 176 ff; Streng: Jugendstrafrecht, § 1, Rn. 16.
26 Ostendorf in Ostendorf: JGG, § 17, Rn. 7.
27 Ostendorf in Ostendorf: JGG, § 17, Rn. 7.
28 Sonnen in: Diemer/ Schatz/Sonnen: JGG, § 17, Rn. 24 ff.
29 BGH StV 1982, 173 f.
30 Brunner/Dölling: JGG, § 17, Rn. 27 ff.
31 Laubenthal/Baier/Nestler: Jugendstrafrecht, S. 338, Rn. 743 ff.
32 Brunner/Dölling: JGG, § 17, Rn. 27 ff.
33 BGH NStZ 2013, 658 f.
34 BGH NStZ 2013, 658; siehe auch: Beulke: Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld.