„Vorurteil“ ist ein großes Wort, das gerne direkt abgewiesen wird. Jedoch hat ausnahmslos jeder von uns Vorurteile und jeder denkt in verzerrten Mustern. Diese Hausarbeit befasst sich intensiv mit dem Kern von Vorurteilen und beleuchtet die Lehrkraft als mögliche Schlüsselfigur zur Bekämpfung eines solchen Gedankenguts.
Zwar bewegt sich diese Arbeit im Rahmen der Grundschuldidaktik, jedoch wird auf die Lehrkraft unabhängig von ihrer Schulformausbildung eingegangen. Ebenso bewegen sich die Unterrichtsgestaltungen zwischen Grundschul- und Mittelstufenklassen. Der Grundschulbezug besteht hierbei in den zitierten Studien zur Vorurteilsforschung in Schulen, die größtenteils in Grundschulklassen durchgeführt wurden.
Die Reise dieser Hausarbeit ist in drei Kapitel/Stufen geordnet. Bevor über Vorurteile im Konkreten geredet wird, geht es in der ersten Stufe um eine Definitionsklärung. Vorurteile werden im gleichen Atemzug mit den Wörtern „Stereotyp“ und „Diskriminierung“ benutzt. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um Synonyme, sondern um klar abzugrenzende Begrifflichkeiten. Daraufhin sprechen wir in der zweiten Stufe über unser Gehirn, damit wir ein besseres Verständnis davon bekommen, wie und warum sich Vorurteile bilden. In der dritten und letzten Stufe geht es um konkrete Präventionsmaßnahmen. Wir stellen uns die Frage, was Lehrkräfte explizit tun können, damit ein vorurteilsfreier Raum in der Schule entsteht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Stereotyp//Vorurteil//Diskriminierung – ein und dasselbe?
3. „Zum Glück bin ich objektiv“ – warum ist jeder von uns vorurteilsbeladen?
4. Die bewusste Lehrkraft – wie lässt sich Unterricht ohne Vorurteile durchführen?
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Hart aber Fair“ ist eine politische Talkshow im Ersten mit Frank Plasberg. Am 01.09.2014 war das Thema der Folge die Qualität von Tiefkühlkost. Eingeladen war unter anderem der deutsche Professor Thomas Roeb. Er sprach explizit über die Tiefkühlpizza und betonte deren Alternativlosigkeit. Eine frisch zubereitete Pizza erfordere einfach zu viel Aufwand. Wenn man sich Hartz-IV-Empfänger vergegenwärtigt, so Prof. Dr. Roeb, haben diese zwar die nötige Zeit, jedoch nicht die nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse dazu. Auf diese Äußerung des Professors schritt der Moderator direkt ein: „Sehen Sie einen Unterschied in der Zubereitungstechnik zwischen Hartz-IV-Empfängern und Menschen mit Abitur?“(vgl. Nussrahm 2014, 0:12−0:56 [YouTube-Video])1. Es braucht vielleicht eine kurze Sekunde, um zu begreifen, dass sich die Äußerungen des Professors auf dem gleichen Niveau bewegen wie die des Moderators. Ein Vorurteil sticht hier das andere aus. Aber woher kommen überhaupt solche Vorurteile? Von woher rühren solche Menschenbilder? Zwar können wir gegenüber Roeb und Plasberg und ihren Äußerungen ein empörtes Lächeln aufsetzen, aber sind wir überhaupt moralisch besser aufgestellt? Hegen wir auch Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppierungen, ohne wirklich darüber im Klaren zu sein?
„Vorurteil“ ist ein großes Wort, das gerne direkt abgewiesen wird. Jedoch hat ausnahmslos jeder von uns Vorurteile und jeder denkt in verzerrten Mustern. Diese Hausarbeit befasst sich intensiv mit dem Kern von Vorurteilen und beleuchtet die Lehrkraft als mögliche Schlüsselfigur zur Bekämpfung eines solchen Gedankenguts. Zwar bewegt sich diese Arbeit im Rahmen der Grundschuldidaktik, jedoch wird auf die Lehrkraft unabhängig von ihrer Schulformausbildung eingegangen. Ebenso bewegen sich die Unterrichtsgestaltungen zwischen Grundschul- und Mittelstufenklassen. Der Grundschulbezug besteht hierbei in den zitierten Studien zur Vorurteilsforschung in Schulen, die größtenteils in Grundschulklassen durchgeführt wurden.
Die Reise dieser Hausarbeit ist in drei Kapitel/Stufen geordnet. Bevor über Vorurteile im Konkreten geredet wird, geht es in der ersten Stufe um eine Definitionsklärung. Vorurteile werden im gleichen Atemzug mit den Wörtern „Stereotyp“ und „Diskriminierung“ benutzt. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um Synonyme, sondern um klar abzugrenzende Begrifflichkeiten. Daraufhin sprechen wir in der zweiten Stufe über unser Gehirn, damit wir ein besseres Verständnis davon bekommen, wie und warum sich Vorurteile bilden. In der dritten und letzten Stufe geht es um konkrete Präventionsmaßnahmen. Wir stellen uns die Frage, was Lehrkräfte explizit tun können, damit ein vorurteilsfreier Raum in der Schule entsteht.
2. Stereotyp//Vorurteil//Diskriminierung – ein und dasselbe?
Wer im wissenschaftlichen Kontext mit dem Begriff „Vorurteile“ hantiert, muss diesen mit einem Definitionsrahmen eingrenzen. Weitere Begriffe wie „Stereotyp“ oder „Diskriminierung“ erzeugen den Anschein, es handle sich um Synonyme. Richtig ist, dass der Überschneidungsradius aller drei Begriffe („ Stereotyp “ , „ Vorurteil“ und „ Diskriminierung “) groß ist, jedoch tragen sie unterschiedliche Bedeutungen. In der folgenden Definitionssetzung wurden explizit diese drei Begriffe gewählt, weil in ihnen nicht nur eine Verwechslungsgefahr schlummert, sondern auch eine Abhängigkeit vorherrscht. Vorurteile können als Vorläufer der Diskriminierung gesehen werden und die Stereotypisierung gilt als der Startpunkt eines Vorurteils.
Bei der Stereotypisierung werden den Menschen einer Gruppe bestimmte Eigenschaften attestiert. Eine stereotypische Vorstellung wäre unter anderem, dass „Frauen nicht einparken können“ und „Männer unorganisierter sind“. Auch werden gerne Nationen stereotypisiert mit Denkweisen wie „Deutsche sind penibel“ und „Franzosen sind leidenschaftlich“. Das Denken in solchen Mustern ist kein Anzeichen eines närrischen Verhaltens. Die Sozialpsychologin Juliane Degner ist Professorin an der Universität Hamburg. Schwerpunktmäßig beschäftigt sie sich mit der Vorurteilsforschung. Sie bezeichnet die Stereotypisierung als einen gängigen Vorgang unseres Gehirns. Unser Gehirn versucht, effizient zu arbeiten, weshalb es sich sträubt, jede neue Wahrnehmung auf das Tiefste zu beleuchten (vgl. Breuer 2016, 1 f.). Schlicht gesagt ist unser Gehirn faul. Es vereinfacht Informationen, indem es sie in Kategorein einordnet. Die Unterscheidung von Merkmalen der sozialen Umwelt passiert bereits in den jüngsten Jahren − nach Degner im Alter von drei Jahren. Haarfarbe, Hautfarbe und vor allem das Geschlecht sind erste Kategorien der Einordnung der Spielgefährten (vgl. ebd., 2). „Mädchen können nicht so schnell rennen wie Jungs“ wäre ein Beispiel einer frühkindlichen Stereotypisierung. Wenn das Stereotyp die Vorstufe des Vorurteils ist, wo beginnt dann das Vorurteil? Es beginnt in dem Moment, in dem die attestierten Eigenschaften einer Gruppe auf ein einzelnes Individuum treffen. Wenn wir Beifahrer/-in einer Fahrerin sind und wir davon ausgehen, dass sie sich beim Einparken schwertun wird, dann ist diese Person mit einem Vorurteil behaftet. Wie bereits das Wort „Vor-Urteil“ oder im Englischen „Pre-Judgement“ verrät, fällen wir ein Urteil, bevor wir es uns bewusst machen können (vgl. Urner 2021, 122). Eine Eigenschaft, die zu den Zeiten des Neandertalers ihre Legitimation hatte und heutzutage oftmals einen falschen Stempel aufsetzt (vgl. ebd., 139). Wenn unsere steinzeitlichen Vorfahren auf jemanden eines anderen Stammes trafen oder wir vor einem Menschen mit einem Irokesenschnitt und Lederweste stehen, wird automatisch in den Schubladen unseres Kopfs gewühlt, wobei unsere Vorfahren das Gegenüber weniger mit assoziativen Merkmalen verbunden haben als mit der Tatsache, eine mögliche Gefahrenquelle zu identifizieren. Gleiches passiert uns heute noch, wenn ein Rascheln im Gebüsch für ein lauerndes Tier gehalten wird (vgl. a. a. O.). Vorurteile müssen nicht stets einen negativen Charakter aufweisen. Aussagen wie „Deutsche sind pünktlich“ sind eine positive Verallgemeinerung. Auch wenn positive Verallgemeinerungen falsch sein können, sind es die negativen Generalisierungen, die soziale Unerwünschtheit aufbringen (vgl. Bergmann 2006, 1). In der Sozialpsychologie und der Soziologie wird von einem dreifachen Normbruch gesprochen, mit dem ein Vorurteil definiert wird. Zum einen fehlt es an Rationalität. Ein vorschnelles Urteil fundiert nicht auf geprüftem Wissen und verzerrt die Wirklichkeit. Zudem führen negative Vorurteile zu einer unrechtmäßigen Behandlung von Menschen. Die Maßstäbe, nach denen ein Mensch bzw. Menschengruppen behandelt werden, sind ungleich. Hier findet ein Normbruch der Gerechtigkeit statt. Der dritte Normbruch ist die fehlende Mitmenschlichkeit, durch Ablehnung und Empathielosigkeit gegenüber den Betroffenen (vgl. a. a. O.). Diese Normbrüche schreien zwar nach Diskriminierung, jedoch bleiben sie Vorurteile, solange jegliche Handlung fehlt. In dem Moment, in dem Vorurteile verbal oder auch physisch geäußert werden, haben wir es mit Diskriminierung zu tun. Zwischen Vorurteilen und Diskriminierung besteht zwar Kausalität, jedoch keine Pflicht. Diskriminierung kann ohne Vorurteile auskommen. Die weltbekannte Studie von Stanley Milgram2 Anfang der 60er an der Universität New York oder das Stanford-Experiment3 im Jahre 1971 verdeutlichen diesen Sachverhalt. Dennoch ist der Normalfall, dass Diskriminierung auf Vorurteilen fundiert, denn sie sind oftmals die Legitimation für das Gewissen (vgl. ebd., 5). Zusammenfassend beginnt die Kausalkette mit Stereotypen, die als Verallgemeinerungen ganzer Gruppen zu verstehen sind. Sie gliedern sich weiter auf in Vorurteile, die die Stereotypisierung auf ein Individuum übertragen, und münden in der Diskriminierung, die das Vorurteil mit der Handlung verbindet.
3. „Zum Glück bin ich objektiv“ – warum ist jeder von uns vorurteilsbeladen?
Im Jahre 2016 untersuchte die Politikwissenschaftlerin Elena Häuser an der Universität Berlin, aus welcher sozialen Schicht die Demonstranten/-innen der Pegida-Demo, die im Jahre 2015 gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und die sogenannte Islamisierung des Abendlandes kämpften, kommen. Zusätzlich wurde der Bildungsgrad dieser Personen ermittelt. Es kristallisierte sich heraus, dass der Durchschnitt der Demonstranten/-innen ein geringes Einkommen hat und einen mittleren Schulabschluss besitzt.
Der gerade geschilderte Sachverhalt ist mit keinem Beleg versehen, weil es sich um eine fiktive Untersuchung handelt. Diese erfundene Untersuchung soll unterbewusste, kognitive Verzerrungen demonstrieren, denen jeder persönlich unterliegt. Diese kognitiven Verzerrungen sind in der Wissenschaft mehrfach untersucht worden. Sie fallen unter den Begriff „Bias“. Wer eine entgegengesetzte Meinung als der der Pegida vertritt, wird aufgrund des Confirmation Bias Fakten und Meinungen anderer als gegeben wahrnehmen, wenn diese ihre Überzeugungen bestätigen (vgl. Urner 2021, 61). Wer zusätzlich eine akademische Laufbahn beschreitet oder beschritten hat, wird mit mehr Glaubwürdigkeit an (womöglich) wissenschaftliche Aussagen herantreten – dank des Ingroup Bias. Aufgrund des Ingroup Bias bevorzugen wir Aussagen der Mitglieder einer Gruppe vor denen der Außenseiter (vgl. Taylor & Doria 1981, 201). Mehrere Studien belegten diesen Sachverhalt. Eine amerikanische Forschergruppe zeigte, dass Anhänger der Republikaner den Aussagen über den menschengemachten Klimawandel von republikanischer Seite mehr Glauben schenkten als denen von demokratischer oder wissenschaftlicher Seite (vgl. Benagel & Scruggs 2018, 63 f.). Eine weitere amerikanische Forschergruppe belichtete den Sachverhalt von weißen Ärzten, die Schwarzen Patienten seltener Medikamente verschrieben als weißen Patienten. Trotz dieses Verhaltens wiesen die Ärzte jegliches rassistisches Verhalten von sich ab (vgl. Alexander et al. 2018, 707). Mit dieser Erkenntnis liegt die Schlussfolgerung nahe, dass es innerhalb der amerikanischen Polizei lediglich mehr Schwarze Polizisten/Polizistinnen bräuchte, damit die Rate an unschuldigen Festnahmen oder Ermordungen von Schwarzen abnimmt. Die Sozialpsychologen Joshua Correl und Bernd Wittenbrink starteten ein Experiment, bei dem die Probanden innerhalb eines Computerspiels einen Polizisten spielen mussten. Sie wurden in Szenarien hineinversetzt, bei denen sie weniger als eine Sekunde Zeit hatten, um zu entscheiden, ob die im Spiel gegenüberstehende Person eine Waffe oder einen anderen Gegenstand in Form eines Handys oder einer Geldbörse zückten. Die Probanden konnten entweder die Taste zum Schießen oder die Taste zum Nichtschießen drücken. Die im Spiel simulierten Personen waren entweder Schwarz oder weiß. Die Auswertung, dass mehrheitlich unbewaffnete Schwarze erschossen wurden als weiße unbewaffnete Personen, ist wenig überraschend. Allerdings waren es auch die Schwarzen Probanden, auf die dieser Fakt zutrifft. Dieser Befund wird mit dem Shooting Bias definiert − als rassistische Voreingenommenheit der Polizei gegenüber Opfern (vgl. Correl et al. 2002, 1314ff.). Sie merken, Sie unterliegen Ihren Bias. Aber was sind überhaupt diese Bias?
[...]
1 Transkript zum Video: Roeb (0:12). Ich frag mich immer, was ist die Alternative/ ja was ist die Alternative/ Plasberg (0:15). > Kein Wasser im Fisch\ Roeb (0:16). ähm bei der Pizza/ Sollen wir jetzt alle frisch Pizza machen ja Zuhause/ Wär wäre ein Gedanke ja\ nur erstens ähm .. da brauchen Sie irrsinnig viel Zeit für ja oder aber äh wenn man da so die äh Hartz IV-Empfänger sozusagen vor Augen stehen hat möglichweise ja die vielleicht die Zeit hätten die haben nicht unbedingt äh die Fertigkeiten Fähigkeiten ja\ nur Leuten jetzt Plasberg (0:38). > Herr Herr . Herr Professor Roeb (0:40). > den Leuten den Leuten Plasberg (0:41). > Herr Professor … Entschuldigung Roeb (0:41). > ein schlechtes Gewissen zu machen die Fertigpizza essen, weil sie in den Moment keine Zeit haben\ Plasberg (0:47). Sehen Sie einen unterschied in-nn äh der Zubereitungstechnik zwischen Hartz-IV-Empfängern und Menschen mit Abitur/ Dazu gibt es auch eine Untersuchung in diesem Land\ Es gibt keinen Unterschied was die Präferierung von Tiefkühlpizza angeht\
2 Die Testpersonen mussten anderen Testpersonen, die in Wahrheit Schauspieler waren, Fragen stellen. Bei falschen Antworten durften die Testpersonen den Befragten verschieden starke Stromschläge versetzen. Diese Stromschläge wurden jedoch von den Schauspielern simuliert. Hinter der Testperson stand ein weiterer Teil des Experimentteams, der den Zweifel der Testperson bezüglich der Folgen der Stromschläge relativierte. Das Experiment zeigte die Gehorsamkeit der Testpersonen, die zum Teil Stromschläge tödlichen Ausmaßes verteilten (vgl. Milgram 1963, 371 ff.).
3 Es wurde ein Gefängnisumfeld simuliert. 24 männliche Studenten wurden eingeteilt in Wärter und Gefangene. Das Experiment zeigte auf Seiten der Wärter ein gesteigertes Aggressionsverhalten und offenbarte sadistische Züge. Die Gefangenen gerieten in die Rolle der Passivität und Hilfslosigkeit. Nach sechs Tagen musste das Experiment aus moralischen Gründen abgebrochen werden (vgl. Banks et al. 1973, 69 ff.).