Ist die Demokratie ein Hemmnis für die Bewältigung der Klimakrise? Und wenn ja: Wie sieht dieses Hemmnis aus und ist es überwindbar? In dieser Arbeit soll das Spannungsfeld zwischen der Demokratie als Regierungsform und die Bewältigung der ökologischen Krise thematisiert werden. Es werden unterschiedliche Problemdiagnosen und Lösungsansätze strukturiert, verglichen und beurteilt.
Die Bewältigung der ökologischen Krise ist die vermutlich größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts.
Die Nachhaltigkeitspolitik als Instrument ist dafür unerlässlich. In einem Sondergutachten zur Legitimation von Umweltpolitik unter Einhaltung ökologischer Grenzen verdeutlicht der Sachverständigenrat für Umweltfragen: „Ökologische Nachhaltigkeit ist ohne eine gestaltende und durchsetzungsstarke Umweltpolitik nicht erreichbar.“
Durch Regierungen werden Maßnahmen beschlossen, die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und andere Staaten betreffen und so das Mensch-Naturverhältnis im großen Stil beeinflussen. Der sechste Bericht des IPCC verdeutlichte im August 2021, dass CO2 in Rekordhöhe emittiert wird, UN-Generalsekretär António Guterres spricht vom „code red for humanity“ und fordert die Regierungen zu schnellem Handeln in der Nachhaltigkeitspolitik auf. Doch es gibt keine klare Antwort darauf, wie das zu bewerkstelligen ist.
Im eingangs genannten Gutachtens wird vom SRU bemängelt, dass die Umweltpolitik als Fachpolitik ihren Anforderungen unter den bestehenden Rahmenbedingungen nicht gerecht werden kann und auch „die Rahmenbedingungen, in die Umweltpolitik eingebettet ist, in den Blick genommen werden“.
Zu der Frage, was mit verbesserungswürdigen „Rahmenbedingungen“ der Umweltpolitik gemeint ist existieren unterschiedliche Theorien.
In den Jahren seit dem ersten Bericht des Club Of Rome 1972 herrschte in Deutschland und den Ländern der westlichen Welt die liberale, repräsentative Demokratie. Sie gilt weithin als die bewährteste Staatsform. Aber ökologische Krisen unterscheiden nicht zwischen demokratischen und undemokratischen Staaten. Daher werden heutzutage nicht nur politische Inhalte, sondern auch politische Systeme Objekte von Kritik und Analyse.
Die Debatte ist weit gefasst und es gibt unterschiedliche Auffassungen bezüglich Probleme der Demokratie mit Blick auf die nachhaltige Transformation. Lösungsvorschläge reichen von Reformen der Demokratie bis hin zu Konzepten autoritärer Umweltstaaten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Problemstellung und Vorgehen
3 Politische Barrieren beim nachhaltigen Wandel
3.1 Kurzfristiger Entscheidungshorizont und Aufschieben von Reformen
3.2 Einfluss von Lobbyverbänden und Interessengruppen
3.3 Institutionelle Fragmentation
3.4 Repräsentationsdefizit und fehlende Akzeptanz
4 Widersprüche zwischen Demokratie und nachhaltigem Wandel:
4.1 Politiktheoretische Analyse – beschränkter Zeithorizont in Demokratien
4.2 Subjekttheoretische Analyse: Durch Wertewandel bedingte Legitimationsprobleme
4.3 Herrschaftstheoretische Analyse: In Herrschaftsstrukturen bedingte Legitimationsprobleme
4.4 Staatstheoretische Analyse:
4.4.1 Unmöglichkeiten eines “Green State” und staatstheoretische Legitimationsprobleme
4.4.2 Möglichkeiten staatstheoretischer Legitimation von Umweltpolitik
4.4.3 Demokratische Legitimationsfalle des modernen Staates
5 Lösungs- und Reformvorschläge
5.1 Überwindung politischer Barrieren
5.2 Direktdemokratie und die demokratische Legitimation
5.3 Neue Gesellschaftsverträge als Voraussetzungen demokratischer Transformation
5.4 Die autoritäre Alternative
5.5 Konstitutive Umgehung demokratischer Legitimation in Demokratien
5.6 Inkrementelle, unpolitische Transformation
6 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Bewältigung der ökologischen Krise ist die vermutlich größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts und verlangt der Menschheit ein noch nie da gewesenes Maß an gesellschaftlicher Koordination und Anpassung ab. Damit ist nicht nur das subjektive und individuelle Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern gemeint. Auch die dahinter liegenden Verhaltensmuster, Märkte, Institutionen müssen auf die Herausforderung einer nachhaltigen Lebensweise neu ausgerichtet werden.
Für diese Neuausrichtung und Anpassungen ist Nachhaltigkeitspolitik als Instrument unerlässlich. In einem Sondergutachten zur Legitimation von Umweltpolitik unter Einhaltung ökologischer Grenzen verdeutlicht der Sachverständigenrat für Umweltfragen: „Ökologische Nachhaltigkeit ist ohne eine gestaltende und durchsetzungsstarke Umweltpolitik nicht erreichbar.“ (SRU 2019: 140).
Durch Regierungen werden Maßnahmen beschlossen, die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und andere Staaten betreffen und so das Mensch-Naturverhältnis im großen Stil beeinflussen. Der sechste Bericht des IPCC verdeutlichte im August 2021, dass CO2 in Rekordhöhe emittiert wird, UN-Generalsekretär António Guterres spricht vom „code red for humanity“ und fordert die Regierungen zu schnellem Handeln in der Nachhaltigkeitspolitik auf (United Nations; 2021). Doch es gibt keine klare Antwort darauf, wie das zu bewerkstelligen ist.
Im eingangs genannten Gutachtens wird vom SRU bemängelt, dass die Umweltpolitik als Fachpolitik ihren Anforderungen unter den bestehenden Rahmenbedingungen nicht gerecht werden kann und auch „die Rahmenbedingungen, in die Umweltpolitik eingebettet ist, in den Blick genommen werden“ (SRU 2019: 140).
Zu der Frage, was mit verbesserungswürdigen „Rahmenbedingungen“ der Umweltpolitik gemeint ist existieren unterschiedliche Antworten und Theorien.
In den Jahren seit dem ersten Bericht des Club Of Rome 1972 herrschte in Deutschland und den Ländern der westlichen Welt die liberale, repräsentative Demokratie. Sie gilt weithin als die bewährteste Staatsform. Aber ökologische Krisen unterscheiden nicht zwischen demokratischen und undemokratischen Staaten. Daher werden heutzutage im Nachhaltigkeitsdiskurs nicht nur politische Inhalte, sondern auch politische Systeme als solche Objekte von Kritik und Analyse.
Die Debatte ist weit gefasst und es gibt unterschiedliche Auffassungen bezüglich inhärenter Probleme der Demokratie mit Blick auf die nachhaltige Transformation. Lösungsvorschläge von Kritikern reichen von Reformen der Demokratie bis hin zu Konzepten autoritärer Umweltstaaten.
In dieser Arbeit soll daher das Spannungsfeld zwischen der Demokratie als Regierungsform und die Bewältigung der ökologischen Krise thematisiert werden. Es werden unterschiedliche Problemdiagnosen und Lösungsansätze strukturiert, verglichen und beurteilt. Die Leitfrage der Arbeit lautet: Ist die Demokratie ein Hemmnis für die Bewältigung der Klimakrise? Und wenn ja: Wie sieht dieses Hemmnis aus und ist es überwindbar?
2 Problemstellung und Vorgehen
Um die Fragen zu beantworten wird zunächst das Spannungsverhältnis zwischen dem politischen System der Demokratie und der nachhaltigen Transformation und Umweltpolitik in einer (Problem-)Diagnose näher beleuchtet.
Damit ein differenziertes und möglichst umfassendes Verständnis gewonnen wird, werden unterschiedliche Autoren und Denkansätze herbeigezogen. Die Diagnose wird in zwei Teile gegliedert: Nach einer Diskussion von oberflächlichen Problemen der heutigen, westlichen Demokratien (Kapitel 3) folgt eine tiefergehende Analyse möglicher Widersprüchlichkeiten zwischen der Idee der Demokratie und nachhaltiger Entwicklung (Kapitel 4).
Zu Beginn werden offen ersichtliche Probleme der vorherrschenden liberalen Demokratien in Hinblick auf die nachhaltige, ökologische Entwicklung erläutert. In Kapitel 3 findet noch keine tiefgreifende Analyse von Widersprüchen statt – doch die „Symptomatik“ des Spannungsverhältnisses tritt bereits hervor. Betrachtet wird die heutige „demokratische Performance“ (WBGU 2011: 193) mit einem Fokus auf Schwachstellen der nachhaltigen Entwicklung.
Diese symptomatischen Probleme werden von vielen Autor*innen gesehen und geteilt. Doch Erklärungsansätze und Analysen derselbigen variieren mitunter stark. Daher werden im nächsten Teil unterschiedliche Positionen dargestellt.
Begonnen wird in Kapitel 4.1 mit einer Position, die keine direkten Widersprüche zwischen Demokratie und nachhaltiger Transformation sieht – unter anderem geteilt vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Die in Kapitel 3 erläuterten Probleme der demokratischen Performance liegen nicht an der Idee der Demokratie selbst (WBGU; 2011: 193f). Stattdessen liegen Herausforderungen in der aktuellen Umsetzung der Demokratie – unter anderem mit ihrem Parteienwettbewerb und dem von kurzfristigen Interessen dominierten Handlungshorizont.
Dann folgt eine Position, die der demokratischen Legitimation von Nachhaltigkeitspolitik vor allem auf subjektiver Ebene kritisch gegenübersteht: Ingolfur Blühdorn geht von einem Widerspruch zwischen Demokratie und nachhaltiger Entwicklung aus, der im aktuellen Zeitgeist, Werten und Lebensstil der westlichen Welt verwurzelt ist. Die demokratische Legitimation von ökologisch notwendiger Nachhaltigkeitspolitik ist nicht möglich, weil diese Politik als einschränkend wahrgenommen wird und nicht dem demokratischen Willen der Bevölkerung entspricht (Blühdorn; 2014: 303f).
Die nächste Theorie greift auf das gleiche demokratische Legitimationsproblem wie der Ansatz Blühdorns zurück. Allerdings ist hier die Begründung eine andere: Anstelle von individualistischen Werten werden eher darunterliegende Macht- und Eigentumsungleichheiten (bzw. Klassenstrukturen) des Kapitalismus thematisiert, die zu einer Konkurrenzgesellschaft führen. Jene treten insbesondere national stark ausgrenzend auf und externalisieren umweltschädliches Verhalten. Laut Stephan Lessenich entladen sich in der Natur die destruktiven Energien eines allgegenwärtigen Klassenkampfes (Lessenich, 2020: 86).
Schließlich werden aus staatstheoretischer Sicht fundamentale Legitimationsprobleme der demokratisch gestützten Nachhaltigkeitspolitik identifiziert. Daniel Hausknosts Konzept der „gläsernen Decke der Transformation“ und seine Argumentation für die Unmöglichkeit eines staatlichen Nachhaltigkeitsimperativs werden näher beleuchtet. Daraus erwächst die zentrale Frage ob und wie Umweltpolitik staatstheoretisch legitimiert werden kann. Unter anderem werden Verfassung und die liberalen Grund- und Abwehrrechte von Bürger*innen gegenüber Staat und Politik geprüft. In Kapitel 4.4.3 wird zuletzt anhand einer staatstheoretischen Theorie von Hausknost erläutert, wie die Konstitution des modernen demokratischen Staats die demokratische Legitimation von Umweltpolitik blockiert.
Im nächsten Schritt der Arbeit werden Lösungs- und Reformvorschläge für das politische System diskutiert. Zu Beginn des Kapitels werden Reformen für die in Kapitel 3 aufgekommenen politischen Barrieren thematisiert. In Kapitel 5.2 wird untersucht, ob die für weite Gesellschaftsreformen benötigte, erweiterte demokratische Legitimation in der heutigen Gesellschaft vorhanden ist. In diesem Zusammenhang wird auch eine ökologische Direktdemokratie als besonders partizipatives Politiksystem diskutiert. In Kapitel 5.3 folgen Theorien zu neuen Gesellschaftsverträgen und Wertewandeln in der Gesellschaft, die zu einer Erhöhung der demokratischen Legitimation von ökologischer Politik führen. In Kapitel 5.4 wird der autoritäre Umweltstaat als Alternative zur demokratischen Lösung hergeleitet und beurteilt. Kapitel 5.5 zeigt eine Form der Umgehung demokratischer Legitimation durch das Grundgesetz, bzw. Verfassungsgerichte oder durch die politischen Instanzen im Mehrebenensystem. Das letzte Unterkapitel 5.6 widmet sich der Kritik, dass intentionale und politikgeleitete Transformationen zur Bewältigung der Klimakrise nicht geeignet seien. Das würde der Debatte um das „transformationsfreudigste“ politische System deutlich verkürzen. Zum Schluss der Arbeit soll ein Fazit gezogen werden, in dem die Leitfrage der Arbeit aufgegriffen und diskutiert wird.
3 Politische Barrieren beim nachhaltigen Wandel
Im Folgenden werden die politischen Barrieren einer nachhaltigen Entwicklung westlicher Demokratien aufgezeigt. Gedanken und Beobachtungen unterschiedlicher Autoren werden eingeordnet. Anhand dieser Barrieren soll das demokratische Projekt nicht als gescheitert erklärt werden. Tiefergehende Analysen, die unausweichliche Wiedersprüche zwischen Demokratie und echter ökologischer Entwicklung zu belegen oder auszuräumen versuchen, folgen in Kapitel 4.
3.1 Kurzfristiger Entscheidungshorizont und Aufschieben von Reformen
Anthony Giddens betont in seinem Buch „Politics of Cimate Change“, dass ökologische Transformationspolitik langfristig zu gestalten hat (Giddens 2009: 92, 110). Anstelle dieser langfristig orientierten Politik stehen bei demokratisch gewählten Regierungen kurz- und mittelfristigen Themen auf der politischen Agenda. Gründe dafür sind Wiederwahlinteressen und kurze Legislaturperioden (Siehe 3.2.1) (WBGU 2011: 189). Dieser „Short-Termism“ geht einher mit dem Aufschieben von heute schwer zu lösenden Problemen, die erst in der Zukunft eintreten. Insbesondere der Klimawandel und die dazugehörigen Auswirkungen sind hier zu nennen (Giddens 2008: 4; WBGU 2011: 189). So wird Nachhaltigkeitspolitik nur in tagespolitischer Form verfolgt und an der „Stimmung im Land“ ausgerichtet. Besonders unangenehme Entscheidungen werden aufgeschoben.
Doch auch auf Seiten der Wähler ist der „Short-Termism“ ein Problem. Gesang betont, dass Wähler ebenfalls kurzfristige Interessen befriedigen wollen, beispielhaft sind weniger Arbeitslosigkeit, Abgaben oder Auflagen. Politiker und Lobbyverbände (Siehe 3.2) seien keineswegs die einzigen Parteien, die entgegen dem Gemeinwohl und nachhaltiger Politik handeln (Gesang 2014: 25).
Und zuletzt sind auch Unternehmen vom kurzfristigen Denken betroffen. Ökonomische Eliten und Unternehmensführungen richten sich anstelle langfristiger Strategien durch den Druck der globalen Finanzmärkte auf Quartalsabschlüsse und Aktienkurssteigerungen aus (Windolf 2005: 20).
Aufgrund dieser ernüchternden Bilanz stellt sich die Frage, welche und ob eine Akteursgruppe dazu ermächtigt oder gezwungen werden kann, langfristige Gemeinwohlinteressen in ihrem Handlungshorizont zu berücksichtigen und diese „Kurzfristigkeit“ zu überwinden. Diese Frage wird in Kapitel 5 aufgegriffen.
3.2 Einfluss von Lobbyverbänden und Interessengruppen
In „The Green State“ führt Eckersley den Begriff des „Political Bargaining Process“ der libertären Demokratie ein. Durch ihn wird entschieden „wer was in welcher Form erhält“ und „welche Gesetze wie umgesetzt werden“. Dieser sei nicht geeignet, mit ökologischen Problemen umzugehen, da Partikularinteressen gegenüber dem Allgemeinwohl viel zu stark im Fokus liegen (Eckersley; 2004: 98f). Hier sieht Giddens ebenfalls eine Herausforderung. Die „Unfairness“ besteht darin, dass manche Akteure im politischen Prozess mehr Macht und Einfluss innehaben als (oft ökonomisch) marginalisierte Gruppen (Eckersley; 2004: 98). Gesang bringt es wie folgt auf den Punkt: „Es siegt nicht das wichtigste, sondern das am besten organisierte Interesse (Gesang 2014: 23).“
Auch wenn sozio-ökologische Interessengruppen existieren und transformative Politik befürworten, sind diese politisch nicht so durchsetzungsstark wie Gruppierungen aus der Industrie (WBGU 2011: 190). Vor allem „Big Business“ nehme in der heutigen Gesellschaft eine dominante Rolle ein und kann Einfluss auf den Staat (durch Lobbyvertreter) und Konsumenten (durch Marketing) ausüben (Giddens 2009: 92f).
Colin Crouch räumt in seiner These der „Postdemokratie“ als grundlegendes Problem der Gegenwart die politische Macht von Wirtschaftseliten ein (Crouch 2008: 22). Und auch von David Shearman und Joseph Wayne Smith wird die Bedeutung übermächtiger außerparlamentarischer Eliten in ihre Demokratiekritik gerückt: Sie argumentieren, dass Minderheiten aus der Medien- und Finanzindustrie, der Wirtschaft und dem Militärkomplex die eigentlichen Herrscher moderner liberaler Demokratien seien und anstelle des Allgemeinwohls eigenen Agenden verfolgen (Shearman / Smith 2007: 89).
3.3 Institutionelle Fragmentation
Politische Richtungswechsel sind unwahrscheinlicher, desto mehr voneinander unabhängige „Veto Players“ im politischen Prozess Mitsprache-, beziehungsweise Mitbestimmungsrechte besitzen. Die Fragmentation von Bund und Ländern (Deutschland), im weiteren Sinne auch von Nationalstaaten und der EU führt dazu, dass eine Vielzahl von Einzelinteressen gehört und bedient werden. Diese Politik der Maxime „good for everybody and harming nobody” kann im Ergebnis der Effektivität politischer Entscheidungen schaden (WBGU 2011: 191). Eine effektive Transformationsstrategie benötige eine „neue, kohärente, integrative Politik“ (WBGU 2011: 191).
Auch Bernward Gesang bemängelt in seinem Werk die Teilung der demokratischen Entscheidungsgewalt in viele Institutionen. Hier formuliert er das Problem als fehlende Machtkonzentration. Aktuell stehe Regierungen kein ausreichendes Maß an „Machtfülle“ zur Verfügung, um die Gesellschaft nachhaltig (über Wahlperioden hinweg) zu formen – politische Gestaltungsspielräume seien zu klein. Die immer zunehmende Macht moderner Technologien müsse durch ein gleiches Maß politischer Machtkonzentration ausgeglichen werden (Gesang 2014: 24).
3.4 Repräsentationsdefizit und fehlende Akzeptanz
Da eine demokratische Politik zuallererst der Akzeptanz („formelle demokratische Legitimation“, Siehe Kapitel 4.4) der Bürger*innen bedarf, wird im Gutachten des WBGU das demokratische Repräsentationsdefizit als Barriere für gesellschaftliche Akzeptanz von Politik thematisiert. Niedrige Wahlbeteiligung macht die Identifizierung, Konsolidierung und Implementierung von erwarteter und geforderter Umwelt- und Klimapolitik für die Politik schwierig und langwierig (WBGU 2011: 192). Das Umweltbewusstsein und Ausrichtungen zu einer nachhaltigen Lebensweise bleiben oft in einer „vorpolitischen Sphäre“ zurück. Graswurzelbewegungen und außerparlamentarischer Aktivismus sind vorhanden und gewinnen an Einfluss, doch es fehle an parlamentarischer Repräsentation (WBGU 2011: 192).
Förderlich für den Willen zur demokratischen Partizipation sind das Gefühl gehört und ernst genommen zu werden und eine Vertrauensbasis in Politiker*innen und das Parlament (WBGU 2011: 192; Lessenich 2019a: 43,44). Stephan Lessenich argumentiert in „Grenzen der Demokratie“, dass dieses Repräsentationsdefizit vor allem klassenpolitische Hintergründe hat: Wahlbeteiligung stehe in eindeutigem Zusammenhang zum ökonomischen Status – das untere Einkommensdrittel hat unter Nichtwählern den höchsten Anteil. Das politische Desinteresse dieser Menschen sei bewusst gewollt (bzw. bewusst ignoriert) und stellt eine politische Exklusion von Millionen von Menschen dar, um die Vorherrschaft besitzender Klassen und des Bildungsbürgertums zu sichern (Lessenich 2019a: 43-45). Dieses Argument wird in Kapitel 4.3 erneut aufgegriffen.
4 Widersprüche zwischen Demokratie und nachhaltigem Wandel:
In Kapitel 3 wurden politische Barrieren einer wirksamen Nachhaltigkeitspolitik in libertären Demokratien aufgezeigt. Bevor die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit diverser Reformierungen der libertären Demokratie thematisiert wird, sollen fundamentalere Widersprüchlichkeiten zwischen Demokratie und nachhaltigem Wandel diskutiert werden. Es werden unterschiedliche Spannungsfelder aufgetan. Die Diskussion von Lösungen folgt im Kapitel 5.
4.1 Politiktheoretische Analyse – beschränkter Zeithorizont in Demokratien
Zunächst soll der in Kapitel 3.1 angeführte Begriff des „Short Termism“ (Giddens 2009), also des kurzfristig orientierten Handelns demokratischer Entscheidungsorgane aufgegriffen und verstanden werden. Die zentrale Frage lautet dabei: Führt der demokratische Entscheidungsprozess unweigerlich zu kurzfristig orientierten Entscheidungen, die nachhaltige Entwicklung unmöglich machen?
Politiker folgen im Sinne der ökonomischen Demokratietheorie ihren Eigeninteressen und maximieren ihren persönlichen Nutzen (Downs 1957: 33f). Im aktuellen Demokratiesystem sind das primär zwei Anreize: „Machterhalt“ und „Wiederwahl“ (Gesang 2014: 21). Durch die Wettbewerbsdemokratie mit unterschiedlichen Parteien „am Markt“ finden sich immer wieder Anbieter (Parteien), die Gewinne (für Wähler*innen) in die Gegenwart verlagern und Kosten in die Zukunft verschieben. Die Regierung antizipiert diese Konkurrenz auf dem politischen Markt und zieht daher eine Grenze für zukunftsverantwortliche Politik – dort wo die Zustimmung der Wahlbevölkerung endet (Stein 2014: 51f). Diese Ziele „Machterhalt“ und „Wiederwahl“ sind damit inhärent kurzfristiger Natur und mit langfristiger, ökologischer Politik nicht zu erreichen (Gesang 2014: 21).
Im Gutachten des WBGU heißt es: „They [Democratic Processes] usually focus on the short-term achievement of political objectives, making the handling and resolution of long-term problems difficult. Slowness is, however, not an inherent property of democratic systems and institutions.” (WBGU 2011: 193). Es folgen Beispiele, die das schnell-reaktive Krisenmanagement von Demokratien und schnelle Reformpolitik belegen. Langsamkeit zählt jedoch nicht als Synonym für den problematischen „Short Termism“ – auch wenn Gesetze schnell umgesetzt werden, bedeutet das nicht, dass sie auch langfristig ausgerichtet sein müssen. Zusätzlich geben die Autor*innen zu: „As far as transformation policy is concerned, there is no sign of any such blanket coalitions and rapic decision-making processes […]” (WBGU 2011: 193). Die große Transformation sei ein Test der zukünftigen Viabilität demokratischer Systeme (WBGU 2011: 195).
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