Das Zusammenspiel von Geschlechterpolarität und personaler Identität hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung in den vergangenen Jahrhunderten im Vergleich zur heutigen Zeit dahingehend gewandelt, dass Geschlechterrollen mittlerweile als gesellschaftliche Konstruktionen hinterfragt werden, statt schlichtweg als etwas Statisches und natürlich Vorgegebenes gesehen zu werden.
Trotzdem gibt es Menschen wie Ferdinand Fellmann, die durch ihre Veröffentlichungen vehement davon abraten, der „natürlichen“ Geschlechterpolarität den Rücken zuzukehren. Welche Gründe den konservativen Philosophen hierzu bewegen, was der Begriff Geschlechterpolarität und der Begriff der Identität in Abhängigkeit von der Kategorie Geschlecht bedeuten, soll in dieser Arbeit beleuchtet werden. Das Zusammenspiel von Geschlechterpolarität und personaler Identität, deren Belang für den Sozialsektor sowie die abschließend kritische Würdigung der Ergebnisse finalisieren diese Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffsdefinitionen
2.1 Annäherung an den Begriff der Geschlechterpolarität
2.2 Annäherung an den Begriff der Identität in Abhängigkeit zur Kategorie Geschlecht
2.3 Zusammenführung
3 Fellmanns konservative Theorie zur Unaufhebbarkeit von biologischer Geschlechtsidentität und Geschlechterpolarität
4 Geschlechterpolarität und Identität - ein Verharren in traditionellen Strukturen?
5 Tragweite der Ergebnisse für das sozialarbeiterische Handlungsfeld
6 Kritische Würdigung
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Zum Begriff der Geschlechterpolarität ist zu sagen, dass er mindestens seit dem 18. Jahrhundert bis heute präsent als Thema in wissenschaftlichen Veröffentlichungen der modernen, philosophischen, soziologischen Literatur, in Debatten sowie als reale Erscheinung in der objektiven Wirklichkeit ist (Rousseau, 1762/1979, S. 474ff) (De Beauvoir, 1951, S. 12f) (Schmid, 1992, S. 843) (Schmitz, 2012, S. 11ff) (Illouz zitiert nach Wade, 2018, S. 80) (Illouz, 2018, S. 150). In der Biologie bedeutet Polarität, dass sich zwei Organismen voneinander unterscheiden und sich wiederum auch bedingen (Fellmann, 2014, S. 143). Unter Geschlechterpolarität wiederum, wird das weibliche und das männliche Geschlecht verstanden, deren Verhältnis zueinander von „Natur“ aus, durch ihre Unterschiedlichkeit bei gegenseitiger Anziehung strukturiert wird (Kuby, 2016, S. 13). Inwiefern Geschlecht dann mit Identität verwoben ist, zeigt nur ein Beispiel aus der medialen Berichterstattung: Im Jahr 2017 etwa berichtete die Süddeutsche Zeitung über die Folgen für die eigene «Geschlechtsidentität» eines Menschen in Deutschland, wenn sich jemand selbst weder als weiblich noch als männlich bezeichnen kann (Sellheim, 2017). Das Zusammenspiel von Geschlechterpolarität und personaler Identität hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung in den vergangenen Jahrhunderten im Vergleich zur heutigen Zeit dahingehend gewandelt, dass Geschlechterrollen mittlerweile als gesellschaftliche Konstruktionen hinterfragt werden - statt schlichtweg als etwas Statisches und natürlich Vorgegebenes gesehen zu werden (Schmitz, 2012, S. 21f). Trotzdem gibt es Menschen, wie Ferdinand Fellmann, die durch ihre Veröffentlichungen vehement davon abraten, der „natürlichen“ Geschlechterpolarität den Rücken zuzukehren. Welche Gründe den konservativen Philosophen hierzu bewegen, was der Begriff Geschlechterpolarität und der Begriff der Identität in Abhängigkeit von der Kategorie Geschlecht bedeuten, soll in dieser Arbeit beleuchtet werden. Das Zusammenspiel von Geschlechterpolarität und personaler Identität, deren Belang für den Sozialsektor sowie die abschließend kritische Würdigung der Ergebnisse finalisieren diese Arbeit. In dieser schriftlichen Ausarbeitung kann auf Grund der angestrebten Kürze bloß ein kleiner Teil der eingehenden Debatte um Geschlecht und Identität untersucht werden, weshalb die Auswahl der WissenschaftlerInnen und deren Theorien begrenzt sein wird.
2 Begriffsdefinitionen
2.1 Annäherung an den Begriff der Geschlechterpolarität
Die Theorie der Geschlechterpolarität entstand zu Beginn des 18. Jahrhunderts und wurde u.a. stark von Rousseau vertreten, dessen Lehren im Feld der Pädagogik bis heute als Klassiker gelten (Schmid, 1992, S. 839). Spannenderweise konstruierte Rousseau (1762/1979, S. 474) ein phallogozentristisches Erziehungskonzept, nämlich eines für «den natürlichen Mann», das als «nur von sich selbst ab[hängig]» galt und nicht am weiblichen Pendant ausgerichtet war; wohingegen die Frau so erzogen werden sollte, dass sie sich «für diesen Mann eignet[e]». Aus Rousseaus Annahme, dass Mädchen und Knaben von Natur aus unterschiedlich in Temperament und Charakter seien und dies auch sein sollten, ging seine Geschlechterphilosophie hervor, dessen Fundament biologischer Natur ist und auf der Physiologie des Geschlechterunterschieds fußt (Schmid, 1992, S. 840). Indem er der männlichen Erziehung Autonomie in Denken und Handeln und der der Frau vor allem «Folgsamkeit» und «Sanftmut» zusprach, die sie «zu allen Zeiten» dazu verpflichten sollten, dem Mann u.a. zu «gefallen» und ihm «nützlich» zu sein, schlug Rousseau (1762/1979, S. 476f) im 18. Jahrhundert eine entscheidende, bis heute relevante Richtung ein, die dem Prinzip der Gegensätzlichkeit der Geschlechter folgt, in der typisch weibliche sowie typisch männliche Eigenschaften eine Rolle spielen. Seine Theorie der Geschlechter wurde zum damaligen Zeitpunkt als anschlussfähiger paradigmatischer Weiblichkeitsentwurf gesehen, der Frauen zwar emotionale Kompetenz, jedoch gleichzeitig Abhängigkeit vom Mann, zusprach (Schmid, 1992, S. 843). Mit der Entstehung der Sexualwissenschaften zum Ende des 19. Jahrhunderts ging folgende Anschauung und damit die Verfestigung der rousseauschen Idee einher, nämlich, dass die Geschlechter nicht bloß unterschiedlich, sondern geradezu gegensätzlich seien: »Von nun an waren Männer und Frauen völlig unterschiedliche Wesen, mit komplementären Stärken und Schwächen.« (Illouz zitiert nach Wade, 2018, S. 80). Der Übergang in das 20. Jahrhundert brachte, u.a. durch Simone de Beauvoir im Jahr 1951 und allgemein durch die feministische Debatte der 1970er Jahre, das Auftrennen der Kategorie Geschlecht in den sozialen Anteil Gender und den biologischen Anteil Sex mit sich (Schmitz, 2012, S. 14) (De Beauvoir, 1951, S. 334). Die Trennung führte dazu, dass für alles, was sich als Geschlechterunterschied zeigte, nicht mehr bloß die Biologie, sondern auch die gesellschaftlichen Strukturen zur Erklärung herangezogen wurden (Schmitz, 2012, S. 14). Obwohl die einseitige Ursachenzuweisung in Richtung der Natur seit dem 21. Jahrhundert kaum noch vertreten wird, zeigt ein naturwissenschaftlicher Blick, dass eine zweigeschlechtliche Aufteilung in männlich und weiblich tief in der biologischen Forschung verwurzelt ist: abgeleitet vom Verhalten von Sperma und Eizelle, ergeben sich nämlich das von «Aktivität und Aggressivität» geprägte männliche Prinzip und das durch «Passivität, Auswahlverhalten und Ressourcenverwaltung» gekennzeichnete weibliche Pendant (Schmitz, 2012, S. 11ff). Neben Befürwortenden der Geschlechtergleichstellung gibt es auch ablehnende Stimmen: Ein Beispiel ist der Philosoph Robert Spaemann der wiederum jene «Re-Education» der Menschen kritisiert, weil er der Meinung ist, dass die Zweigeschlechtlichkeit, die auf Unterschieden und gegenseitiger Anziehung beruht, die menschliche Natur bestimme und dass mit der Beseitigung derer auch die «schöne[] Gewohnheit, die wir Menschsein [...] nennen» einherginge (Kuby, 2016, S. 13). Demnach ist die Gegensätzlichkeit der beiden Geschlechterkategorien männlich und weiblich, begleitet von der Idee konträrer sowie komplementärer, femininer und maskuliner Eigenschaften, in Kombination mit der Tatsache, dass sich beide von Natur aus begehren, etwas, das unsere sozialen Prozesse mindestens seit dem 18. Jahrhundert wie Schemata strukturieren.
2.2 Annäherung an den Begriff der Identität in Abhängigkeit zur Kategorie Geschlecht
Was u.a. Rousseau im 18. Jahrhundert formulierte, wirkt z.B. bis heute: Was er nämlich als weibliche Natur beschrieb, finden wir heute noch als Bodensatz in der sogenannten weiblichen Identität in Form von «weiblicher Beziehungsorientierung», die sich in der vom Mann unterscheiden soll (Schmid, 1992, S. 851). Illouz (2018, S. 67) gibt u.a. ein Beispiel für die Verflechtung von Geschlecht und Identität aus der Beziehungsanbahnung im 19. Jahrhundert: Die Interaktion zwischen Mann und Frau führte durch unverhandelbare Geschlechtergrenzen, die im Denken der Menschen verankert waren, zu einer relativ strukturierten und berechenbaren Anbahnung und verhalf den Akteuren dazu, ihren eigenen Platz und ihre Rolle in dieser Situation gut zu kennen. Klar strukturierte Geschlechterrollen führen in diesem Beispiel zur sicheren Beantwortung der Fragen, wer bin ich in dieser Situation und wer ist der oder die andere für mich, was deutlich macht, wie Geschlecht und Identität zur damaligen Zeit miteinander verwoben waren. Laut dem Soziologen Erving Goffmann werde das menschliche Zusammenleben i.d.R. durch gewisse Schemata strukturiert, was es den Menschen z.B. erst ermögliche, Interaktion zu verstehen, sie für sich einzusortieren und sich in ihr zu orientieren (Illouz zitiert nach Goffmann, 2018, S. 120). Jene Schemata, die soziales Zusammenleben und Bindungen formen - so beschreibt es die traditionelle Anthropologie - werden verkörpert durch u.a. Rollen, wie Geschlechterrollen, Normen sowie durch wiederholte Identifikation mit den Vorgenannten (Illouz, 2018, S. 150). De Beauvoir (1951, S. 334) zu folge beeinflussen wiederum jene Schemata, die gesellschaftlich und kulturell geprägt werden, unsere Identität - sprich, darüber wer wir sind, wie wir uns wahrnehmen und verhalten: «On ne naît pas femme: on le devient. / Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern man wird es.» Das 20. Jahrhundert hat neben De Beauvoir u.a. die Gender-Theorie der Philosophin Judith Butler hervorgebracht, die Identität in dieser Debatte in noch einem etwas anderen Licht sieht:
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