Wir kennen Freizeit als etwas extrem Individuelles und Freies. Aber sind wir in unseren Entscheidungen wirklich so frei, wie wir es denken, oder wirkt doch die „Macht der Gesellschaft“ auf uns ein? Sind wir doch am Ende nur Teil eines Kollektivs und nicht so individuell in unseren Entscheidungen, wie wir meinen? Émile Durkheim untersuchte dies anhand anderer Beispiele. Er schreibt: „Die Soziologie beschäftigt sich mit sozialen Tatsachen“. Kann man über diese sozialen Tatsachen etwas Äußerliches, einen Zwang oder eine Pflicht sehen, die auf die Individuen einwirkt? Durkheim untersuchte auf dieser Grundlage vermeintlich individuelle Entscheidungen wie den Selbstmord, die Namensgebung der eigenen Kinder oder auch das Fahrstuhlfahren. All diese vermeintlich sehr individuellen Entscheidungen sind laut seiner Forschung stark beeinflusst von der Gesellschaft. Diese sozialen Tatsachen sind das kollektive Wirken der Gesellschaft. Aber ist die Freizeit und die Entscheidung, wie ich meine Freizeit gestalte, auch so abhängig von der „Macht der Gesellschaft“? Gibt es eine „Ordnung der Gesellschaft“? Von wem oder was werden die einzelnen Individuen beeinflusst?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsdefinition „Freizeit“
2.1 Was ist Freizeit?
2.2 Historische Entwicklung
3. Die Freizeitwissenschaft
3.1 Überblick über Freizeitwissenschaften
3.2 Beispiele der Freizeitwissenschaft im 21. Jahrhundert
4. Ordnung der Freizeit
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen" (Lucius Annaeus Seneca). Besonders in der aktuellen Zeit, in welcher die Corona-Pandemie und die damit verbundenen einschränkenden Maßnahmen, wie Kontaktbeschränkungen und zahlreiche Schließungen, unser Leben bestimmen, haben die Menschen viel freie Zeit, vielleicht ja auch zu viel freie Zeit. In diesen Zeiten von Corona kann man sich fragen, ob es eventuell zu viel freie Zeit gibt, wenn diese ungewollt auftritt, wie beispielsweise bei Arbeitslosigkeit oder erwerbsfreier Zeit. Aber ist unsere freie Zeit auch gleichzeitig unsere Freizeit? Es stellt sich oft die Frage, was wir in unserer „freien Zeit“ machen und mit welchen Aktivitäten wir sie füllen. Viele Freizeitangebote fallen momentan weg und dadurch sieht man, womit wir meist unsere freie Zeit gefüllt haben: Essen gehen, ins Kino gehen, Konzerte besuchen, in Clubs gehen, Sportveranstaltungen besuchen und vieles mehr. Aktuell entwickeln sich neue populäre Freizeitaktivitäten wie Spazierengehen und virtuelle Video-Treffen. Wie entstehen Freizeitaktivitäten und warum sind manche von ihnen populärer als andere?
Freizeit wirkt wie etwas so Freies, Selbstständiges und Chaotisches, dass es eigentlich eher ein Gegenteil von Wissenschaft darstellt. In der Freizeit ist der Mensch, vielleicht im Gegensatz zur Arbeit, vermeintlich frei und unabhängig in seinen Entscheidungen. Vielleicht ist in diesem „Freiraum“ der Menschen eine Struktur auch schlechter erkennbar. Warum ist es trotzdem sinnvoll die Freizeit, ihre Ordnung und Struktur zu erforschen?
Wir kennen Freizeit als etwas extrem Individuelles und Freies. Aber sind wir in unseren Entscheidungen wirklich so frei, wie wir es denken, oder wirkt doch die „Macht der Gesellschaft“ auf uns ein? Sind wir doch am Ende nur Teil eines Kollektivs und nicht so individuell in unseren Entscheidungen, wie wir meinen? Émile Durkheim untersuchte dies anhand anderer Beispiele und schreibt: „Die Soziologie beschäftigt sich mit sozialen Tatsachen“. Kann man über diese sozialen Tatsachen etwas Äußerliches, einen Zwang oder eine Pflicht sehen, die auf die Individuen einwirkt? Durkheim untersuchte auf dieser Grundlage vermeintlich individuelle Entscheidungen wie den Selbstmord, die Namensgebung der eigenen Kinder oder auch das Fahrstuhlfahren. All diese vermeintlich sehr individuellen Entscheidungen sind laut seiner Forschung stark beeinflusst von der Gesellschaft. Diese sozialen Tatsachen sind das kollektives Wirken der Gesellschaft. Aber ist die Freizeit und die Entscheidung, wie ich meine Freizeit gestalte, auch so abhängig von der „Macht der Gesellschaft“? Gibt es eine „Ordnung der Gesellschaft“? Von wem oder was werden die einzelnen Individuen beeinflusst?
2. Begriffsdefinition „Freizeit“
2.1 Was ist Freizeit?
Um mit dem Thema zu beginnen, ist es sinnvoll, zu Beginn zu klären, was der Begriff Freizeit bedeutet. Der Begriff ist jedem bekannt und wird von jedem vermutlich täglich gebraucht. Dies macht eine Begriffsdefinition jedoch nicht leichter, da jeder Mensch eine subjektive Vorstellung hat, was dieser bedeutet und deshalb eine Einigung und eine ausschöpfende und klare Definition schwer zu finden ist. Im Duden steht folgende Definition: „Zeit, in der jemand nicht zu arbeiten braucht, keine besonderen Verpflichtungen hat; für Hobbys oder Erholung frei verfügbare Zeit“ (Dudenredaktion, 2009). Es gibt also erstens den Aspekt der Zeit, zweitens die Abgrenzung zur Arbeit und drittens einen Aspekt der Aktivität, was man in dieser Zeit ausübt oder tut. Im Duden werden Beispiele wie Fitness oder Lesen genannt.
Freizeit ist ein komplexes Phänomen und der Begriff, seine Bewertung und Bedeutung haben eine starke Entwicklung erfahren. Auch kann man an der Entwicklung der Bedeutung des Begriffs Freizeit eine Entwicklung in der Bewertung von Arbeit und Erholung erkennen.
2.2 Historische Entwicklung
Um die Bedeutung des Terminus einzugrenzen, werde ich im Folgenden die historische Verwendung und ihre Entwicklung in den Blick nehmen.
Zurückzuführen ist „Freizeit“ auf den Begriff „frey Zeit“, welcher eine Zeitspanne bezeichnet, „in der kämpferische Auseinandersetzungen und Übergriffe auf die Marktgänger ruhten bzw. zu ruhen hatten“ (Lamprecht und Stamm 1994: 30), was wenig mit der heutigen Bedeutung der „Freizeit“ gemeinsam hat. Vermutlich reicht die Bezeichnung jedoch auf die Zeit zurück, in der man sich seine Zeit selbst einteilen konnte und nicht alle Aktivitäten an das Überleben geknüpft waren. In der Antike wurde Freizeit als ein großes Ziel der Menschheit angesehen. „Bekannte Namen sind hier Aristoteles, Plato und Cicero, die alle die Freizeit als einen wesentlichen Zielwert des menschlichen Daseins überhöhten“ (Lamprecht und Stamm 1994: 31). Die Freizeit war das, was die Schichten und vor allem die freien Männer und die Sklaven voneinander unterschied. Je höher die Schicht eines Mannes, desto mehr Freizeit hatte er. Im Gegensatz zu dieser Wertstellung steht die Interpretation des frühen Christentums und Judentums. Auch wenn die Schöpfungsgeschichte besagt „und am siebten Tag ruhte er“, ist damit wohl eher ein Tag der Regeneration der Arbeitsfähigkeit und des Gottesdienstes gemeint und kein wirklich freier Tag im eigentlichen Sinne. Die Lebensregel „ora et labora“ (bete und arbeite) des Benediktinerordens zeigt an, dass es keinen
Platz für eine freigenutzte Zeit gibt (vgl. Lamprecht und Stamm 1994: 32). Die Zeit wird ausschließlich verwendet für die Arbeit und das Beten. Damit steht das Christentum im Kontrast zur Überhöhung der Freizeit in der Antike. In der modernen Industriegesellschaft ist Freizeit, unter anderem durch die positive Bewertung der harten Arbeit, auch oft eher negativ besetzt. Die negativen Freizeitdefinitionen versuchen Freizeit durch die Abgrenzung zur Arbeit und zur Erwerbstätigkeit zu erklären und zu definieren. Freizeit ist nur als Regeneration nach der Arbeit moralisch nicht verwerflich und wird „negativ als Restzeit definiert, die nach der Arbeit noch verbleibt“ (Lamprecht und Stamm 1994: 33). Durch Definitionen wie diese ist das Problem der Unschärfe aber nur übergegangen auf den Begriff der „Arbeit“. Nun ist nicht mehr fraglich, was Freizeit bedeutet, sondern der Klärungsbedarf ist nun bei dem Begriff der Arbeit. Klar ist, dass in Fällen von Hausmännern oder -frauen, Arbeitslosen und Pensionierten diese Abgrenzung schwer zu ziehen ist. Wodurch genau wird Arbeit definiert? Schmitz-Scherzer versucht diese Grenzen klarer zu definieren: „Freizeit ist die Zeit, welche nicht für Schlaf, Hygiene, einen Weg, zum Warten, Beruf oder Hausarbeit verwendet wird“ (1974: 9). Diese Definition wirkt klarer. Jedoch sieht man auch, wie subjektiv die Bewertungen bei dieser Definition ausfallen können, ob eine Zeit verpflichtend genutzt wird oder freiwillig. Bei einem Duschvorgang werden sich die meisten Menschen einig sein, dass diese Zeit für die Hygiene genutzt wird und deshalb nicht zur Freizeit zählt, jedoch wird ein langes Bad schon schwer einzuordnen sein. Zählt dies zur Ausübung der Hygiene oder zählt dies zur persönlich gestaltbaren Zeit und Entspannung? Es geht also um die subjektive Bewertung, ob eine Handlung als notwendig oder als freiwillig angesehen wird. Auch Opaschwski grenzt die Freizeit grob auf diese Weise ab: „Frei verfügbare Zeit ist damit aber durchaus noch nicht entstanden. Arbeiten wie Einkaufen, Haushalt, Reparaturen usw. stehen auf dem Plan“ (2006, erstmals 1988: 27). Freizeit ist also die Zeit ohne Arbeit, die nicht für die genannten Aktivitäten verwendet wird. Ist eine Definition mit Hilfe der Abgrenzung zur Arbeit überhaupt sinnvoll, oder wäre es nicht besser, eine Definition auf der Grundlage zu bilden, was Freizeit wirklich ist, und nicht, was es nicht ist? Das Psychologische Wörterbuch von Dorsch definiert Freizeit wie folgt:
Freizeit, von Abhängigkeit und Zwang befreite Zeit, die freie Wahlmöglichkeiten, eigenständige Entscheidungen und soziale Mitverantwortung ermöglicht. Leider gehen die meisten Forscher von einem Freizeit-Begriff aus, der Arbeit und Freizeit als Gegensätze ansieht. Freizeit bestimmt sich aus der subjektiven Interpretation und Motivation: Die Handlung wird um ihrer selbst willen ausgeführt. (Dorsch 1994: 257)
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