Ziel dieser Hausarbeit ist es, Institutionen und darunter fallend insbesondere Institutionen der Sozialen Arbeit zu beleuchten. Anlass dazu bieten die Ausschlusstendenzen, die jenen innewohnen und unter anderem migrantische Jugendliche in bestimmten Sozialräumen betreffen können. Wie die Soziale Arbeit und ferner Streetwork und Antidiskriminierungspädagogik als Felder der Sozialen Arbeit darauf reagieren können, soll im Verlauf der Arbeit analysiert werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Institutionen im Sozialraum
2.1 Soziale Einrichtungen als Institutionen
2.2 Institutionelle Hierarchieverhältnisse
2.3 Machtwirkungen auf Migrant:innen
2.4 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegenüber migrantischen Jugendlichen
2.5 Soziale Ungleichheit
3 Ein soziologischer Blick auf Gerechtigkeit
4 Wahrnehmung der Diversität der Lebenswelten von Jugendlichen
5 Gegenentwürfe zu Exklusivität auf institutioneller Ebene
5.1 Ansatz Streetwork und aufsuchende Sozialarbeit
5.2 Antidiskriminierungspädagogik
6 Fazit
1 Einleitung
„Niemand sollte der Vorstellung anhängen, eine Gesellschaft ohne Migrant[:]Innen wäre bestens integriert“ (Militiadis Oulios)
Wie repräsentieren sich Sozialräume, darunterfallend insbesondere Institutionen, in Deutschland gegenüber migrantischen Jugendlichen? Welche Rolle spielen Institutionen im Handlungsfeld der Sozialen Arbeit? Angesichts der Annahme, dass soziale Räume exklusiv aufgestellt sind und beispielsweise migrantische Jugendliche im öffentlichen Raum folglich Ausgrenzungstendenzen erfahren, soll jenes Phänomen unter Beachtung von Wirkmechanismen wie Macht sowie mittels der Darlegung von Lebenswelten, in denen sich migrantische Jugendliche in Deutschland wiederfinden, aufgewiesen werden. Unablässig in jenem Sachzusammenhang zeigt sich zudem die Auseinandersetzung mit Diskriminierungsformen gegenüber migrantischen Jugendlichen. Zur Eindämmung soll an dieser Stelle der Fokus auf Diskriminierungstendenzen gegenüber muslimischen beziehungsweise als muslimisch markierten Jugendlichen türkischer und arabischer Herkunft gelegt werden. In Anlehnung daran wirft sich die Frage auf, was unter Gerechtigkeit in jenem Kontext zu verstehen ist. Streetwork als Feld der Sozialen Arbeit versteht sich als Arbeitsbereich unter aufsuchender Sozialer Arbeit und begegnet folglich Menschen in ihren Lebenswelten. Eine Abgrenzung zur Ordnungspolitik zeichnet sich durch die Lebensweltorientierung als Schwerpunkt der aufsuchenden Sozialarbeit aus (Diebäcker & Wild, 2020, S.4). Die Art der Kommunikation mit den Adressat:innen ist hierbei unter anderem durch Anerkennung und Alltagsnähe gekennzeichnet. Zudem finden sich laut Ceylan et al. auf lokaler Ebene, darunterfallend in Hilfesystemen und somit auch im Spektrum der Sozialen Arbeit, Maßnahmen und Bestrebungen zur Entgegnung sozialräumlicher Segregation und Diskriminierung gegenüber Migrant:innen (2018, S.2).
Inwieweit dieser Faktor hinsichtlich der vorab benannten Problematik von Relevanz sein kann, soll als Antwort sowie Gegenentwurf auf jene beleuchtet werden. Die Soziale Arbeit findet sich häufig in eine ethischen Dilemma zwischen Anspruch der Adressat:innen und gesellschaftlichen Machtstrukturen, welche sozialen Ausschluss mit sich bringen, wieder (Yildiz, 2018, S.355). Aufsuchende Soziale Arbeit möchte hingegen ihrem Selbstverständnis zufolge Strukturen sozialer Ungleichheit entgegenwirken sowie Machtbeziehungen ausgleichen (Diebäcker & Wild, 2020, S.15). Hierzu bedarf es laut Diebäcker und Wild kritischer Selbstreflexion. Die Entwicklung einer machtkritischen und gleichheitsorientierten Haltung, die ebenfalls jegliche Form von Diskriminierung ablehnt, kann als Grundlage für praktische Handlungen dienen. Dies, so betonen die Autor:innen, befreit jedoch nicht von der eigenen Rolle in gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Zur Auseinandersetzung damit zählt die Thematisierung institutioneller Diskriminierung in der Rolle der Sozialarbeitenden (ebd., S.16). „Unter dem Begriff der institutionellen Diskriminierung werden Praktiken der Herabsetzung, Benachteiligung und Ausgrenzung von sozialen Gruppen und ihnen angehörigen Personen auf der Ebene von Organisationen und der in ihnen tätigen Professionen untersucht“ (Gomolla, 2017, S. 134). Jene Auseinandersetzung bietet ferner die Möglichkeit zur Herausbildung alternativer Gegenpositionen (Diebäcker & Wild, 2020, S.16). Wie diese Gegenpositionen konkret aussehen können, soll im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit verdeutlicht werden. Folglich ergab sich mit Blick auf die vorab benannten Themen die Forschungsfrage: Kann die aufsuchende Sozialarbeit durch die Aushebelung von institutionellen Hierarchiegefügen und sozialräumlichen Ausgrenzungsformen migrantische Jugendliche in ihren Lebenswelten erreichen und somit dem gesellschaftlichen Blick auf ihre Lebensformen und Lebenswelten kritisch begegnen?
2 Institutionen im Sozialraum
Zu Beginn dieses Kapitels sollen Institutionen einer mehrperspektivischen Definition unterzogen werden. Im weiteren Verlauf folgt die Auseinandersetzung mit den Institutionen sowie spezifisch sozialen Einrichtungen innewohnenden Machtgefällen. Jene Machtgefälle werden folglich in Verbindung mit der Repräsentation von Institutionen gegenüber Migrant:innen untersucht. Als kontextual relevanter Teilaspekt des Untersuchungsgegenstandes jener Arbeit ist zudem die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Umgang mit migrantischen Jugendlichen zu verstehen. Dementsprechend soll dieser ebenfalls im Rahmen dieses Kapitels Erwähnung finden.
Der Institutionenbegriff unterliegt diverser, uneinheitlicher Definitionen und bezeichnet im Sinne eines allgemeinen Sprachgebrauchs eine Einrichtung, die mittels kooperierender Mitarbeitenden zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe dient (Hillmann, 2007, S.381). Nach einem grundlegenderen soziologischen Verständnis sind Institutionen als Muster menschlicher Beziehungen, welche aus gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen resultieren, zu erfassen. Ferner bringt der Institutionenbegriff nach jenem Verständnis zum Ausdruck, dass zwischenmenschliche Interaktionen und Verhaltensformen Produkte menschlicher Kultur und nicht biologisch determiniert sind. Dementsprechend ist aus soziologischer Sicht nach der Funktion von Institutionen für die Gesellschaft zu fragen. Darüber hinaus stellt sich ebenso die Frage, welchen Einfluss Institutionen auf die in einer Gesellschaft lebenden Individuen haben. Aus Sicht der soziologisch orientierten Anthropologie sind Institutionen dahingehend für menschliches Leben unentbehrlich, als dass sie Beziehungen zwischen Mensch und Kultur definieren (Hillmann, 2007, S.381). Die Eingliederung in unterschiedliche Sozialräume zeigt sich nach Mack und Wächter-Scholz, welche Bezug auf Bourdieu nehmen, als Ergebnis gesellschaftlicher Machtkämpfe und birgt folglich die Möglichkeit eines Zugangs zu „exklusiven“ Räume nur unter Aufweisung eines entsprechenden ökonomischen und kulturellen Kapitals (2001, S.21). Unter der damit einhergehenden sozialen Ausschließung kann laut Bareis der fehlende Zugang zu immateriellen Gütern wie Rechten oder Sicherheit fallen (2020, S.62). Institutionen tragen insofern zur Verschärfung jener Exklusivität bei, als dass sie kulturelle Wirklichkeitskonstruktionen der Gesellschaft, welche einen normativen Charakter aufweisen, widerspiegeln (Gomolla, 2017, S.143).
2.1 Soziale Einrichtungen als Institutionen
Institutionen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie elementare gesellschaftliche Bereiche regeln (Böhnisch & Funk, 2013, S.60). Zudem beziehen sie sich in ihrer Strukturierung der Normalität auf Traditionen sowie Weltanschauungen. Sie zeigen sich als Repräsentationsräume gesellschaftlicher Widersprüche, was sich auch im institutionellen Setting der Sozialen Hilfe bemerkbar macht. So werden die Freiheitsgrade von Interaktionen durch Institutionen als vorgegebene Räume, welche wie soeben benannt ebenfalls Traditionen und Weltanschauungen repräsentieren, mitbestimmt und beeinflusst. Folglich ist anzunehmen, dass die den Institutionen rahmengebenden Traditionen auf Grundlage eines gesellschaftlichen Wertesystems bestehen. Hierbei stellt sich die Frage, welche Personengruppen Teil dieses Wertesystems sein und insbesondere im Kontext Sozialer Hilfen Raum finden können. Viele Angebote der Sozialen Arbeit zeigen sich in Form von Einrichtungen (Diebäcker & Reutlinger, 2018, S.21). Darunterfallend repräsentieren Mitarbeitende in jenen sozialen Einrichtungen gesellschaftliche Normen oder sozialstaatliche Vorgaben. Hierbei ist zu vergegenwärtigen, dass nicht lediglich das institutionelle Setting Einfluss auf die Praktiken der darin tätigen Sozialarbeitenden hat, sondern ebenso deren Handlungsweisen auf den institutionellen Kontext einwirken (ebd., S.22). Wolff hält fest, dass die Soziale Arbeit auch im Resultat eines Wechselspiels aus Institutionalisierung und De-Institutionalisierung letztlich zur Vermeidung der Selbstauflösung einen institutionellen Rest zu bewahren hat (2021, S.22). Am Beispiel von Einrichtungen der Behindertenhilfe verdeutlicht er die Position, die institutionelle Rahmungen einnehmen können (ebd., S.23). Institutionalisierte Annahmen über angemessene Hilfeformen für Menschen mit Behinderungen sowie darunterfallend Kategorien und Gesetze bieten den Einrichtungen Orientierung. Zudem gewinnt eine Einrichtung Wolff zufolge durch die Orientierung an institutionalisierten Vorgaben an Legimitation. An dieser Stelle wird folglich deutlich, welche Stellenwert Institutionen in der Sozialen Arbeit haben können. Unabdingbar ist in jenem Kontext die Unterscheidung zwischen Organisation und Institution (ebd., S.24). So kann eine Reform oder Veränderung der Rahmenbedingungen der einen Funktionsstätte nicht automatisch einen Wandel der anderen bedingen. Jedoch weist Wolff auf, dass insbesondere soziale Dienstleistungsorganisationen einen engen Institutionenbezug aufweisen. Da auf Basis dessen die Anerkennung der darunterfallenden Leistungen von institutionalisierten Vorstellungen abhängig ist, wohnt den Organisationen die Aufforderung zur Orientierung an gesellschaftlichen Normvorstellungen inne.
Diebäcker und Reutlinger machen es sich zur Aufgabe, soziale Institutionen in der Debatte rund um Sozialräume einzubetten. Festhalten lässt sich ihnen zufolge, dass einrichtungsbezogene Soziale Arbeit für Adressat:innen ganz unterschiedliche Bedeutungen aufweisen kann. Ferner sind die den Einrichtungen innewohnenden normativen Ziele, für Sicherheit zu sorgen sowie Hilfsangebote zu schaffen, von Machtasymmetrien zwischen professionell Agierenden und Adressat:innen sowie von institutionellen Bedingungen geprägt (ebd., S.24). So werden in Debatten der Sozialen Arbeit Institutionen und Organisationen zunehmend als Verursacher sozialer Ungleichheiten sowie differenzieller Exklusion erfasst (Bütow et al., 2021, S.11).
2.2 Institutionelle Hierarchieverhältnisse
Aufgabe der kommunikativ-interaktiven Sozialintegration ist es gegenüber allen Individuen auf institutioneller Ebene, die Einhaltung ihrer Rechte sowie eine gleichwertige Behandlung zu gewährleisten (Bringt, 2021, S.35). Inwieweit das allerdings in der gesellschaftlichen Realität gegeben ist, bleibt fraglich. Folglich sollen Machtmechanismen von Institutionen im Sozialraum gegenüber Individuen sowie Menschengruppen beleuchtet werden. Wie bereits in der Einleitung definiert, fällt unter das Verständnis institutioneller Diskriminierung die Benachteiligung sozialer Gruppen auf organisationaler Ebene. Sowohl im Sinne der klassischen Soziologie als auch der neuen Institutionenökonomie sind Institutionen als soziale Regeln begreifbar (Dallinger, 2007, S.67). Jene den Institutionen innewohnenden Regelsysteme, welche übergeordnete Interessen im Rahmen einer gesellschaftlichen Ordnung repräsentieren, sorgen im Sinne Durkheims für eine ihren Begierden zugrundeliegende Begrenzung schrankenloser Menschen (ebd., S.71). Am Beispiel von Verträgen weise er die Autorität sozialer Regeln gegenüber individuellen Handlungen auf. Ferner stünden Institutionen auf moralischer Ebene über den Individuen (ebd., S.73). Ein weiteres soziologisches Verständnis fasst Institutionen als Quelle von Fremdbestimmung auf (Hillmann, 2007, S.381). An dieser Stelle wirft sich die Frage auf, was das für in der Gesellschaft repräsentierte und darüber hinaus für dem institutionellen und gesellschaftlichen Normsystem innewohnende Individuen bedeutet.
Unter den Institutionenbegriff fallen ebenfalls in dem Bereich der Sozialen Arbeit angesiedelte, begrifflich von Erving Goffman geprägte totale Institutionen (1973, S.16). Kennzeichnend für totale Institutionen am Beispiel von Psychiatrien ist, dass sie allumfassend sind und somit die darin Ansässigen keine in der modernen Gesellschaft regulär übliche Trennung diverser Lebensbereiche erfahren (ebd., S.17). Daraus resultiert eine lebensweltliche Unterscheidung zum Personal, welches unabhängig von der Arbeitszeit in die gesellschaftliche Außenwelt integriert ist und den „Insassen“ gegenüber Überwachung ausübt (ebd., S.18). Goffman zufolge verfügt eine totale Institution unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ auf eine Gesellschaft einwirkt, über Macht (ebd., S.22). In diesem Kontext soll eine Vertiefung der Betrachtung totaler Institutionen nicht vorgenommen werden, sie dient jedoch der Verdeutlichung des Charakters, den Institutionen im Sinne der Erzeugung eines Machtgefälles annehmen können.
2.3 Machtwirkungen auf Migrant:innen
Im Zuge der Modernisierung durchläuft unsere Gesellschaft einen sozialen sowie kulturellen Wandel, welcher eine Pluralisierung der Lebensformen mit sich bringt (Baros & Reinhardt, 2018, S.107). Insgesamt leben in Deutschland im Jahr 2019 über 21.246.000 Menschen mit Migrationshintergrund (Petschel, 2021, S.30-31). Darunter zählen Menschen, die nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren sind oder von denen mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist. An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass die nationalstaatliche Sicht auf Migration auf soziologischer Ebene in den letzten Dekaden mit zunehmender Globalisierung infrage gestellt wird (Baros & Reinhardt, 2018, S.108).
[...]