Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob Medienerschaffer, die ihre Arbeit auf den Werken Anderer aufbauen, trotz einem geringeren Teil an Eigenleistung Urheber sind, oder keinen Anspruch auf Urheberschutz besitzen. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, wird zur Veranschaulichung ein Beispiel aus der Literatur untersucht, und zwar die Gebrüder Grimm, welche unter anderem für ihre Märchensammlung bekannt sind. Ziel der Arbeit ist es, anhand verschiedener literarischer Theorien zur Autorschaft, die Brüder als eben solche identifizieren zu können.
Im Zuge dessen wird zuerst der Hintergrund und die Methodik zur Entstehung der Märchensammlung betrachtet. Anschließend werden einige Modelle zur Autorschaft analysiert und am Beispiel der Kinder- und Hausmärchen exemplifiziert. Dabei wird auf Konzepte in der Antike, den romantischen Genrebegriff, der Autorschaft nach Mukařovský und Woodmansee eingegangen.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Einleitung
3. Von Autoren und Urhebern
3.1 Die Gebrüder Grimm
3.1.1 Geschichtlicher- und sozialer Hintergrund
3.1.2 Methodiken zur Erstellung der Sammlung
3.1.3 Folgen und Auswirkungen ihres Werkes
3.2 Die Autorschaft in der Literaturwissenschaft
3.2.1 Von Göttern und Genies
3.2.2 Das Autorenbild nach Mukařovský
3.2.3 Martha Woodmansee‘s Verständnis kollektiver Autorschaft
4. Eigenposition in der Autorschafts-Theorie
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Vorwort
Ich bin mir des Diskurses der Genderstudies über die Diskriminierung von Gendern in der Sprache bewusst. Jedoch entscheide ich mich dennoch gegen die Benutzung von Mehrfachbezeichnungen, zugunsten einer besseren Lesbarkeit. Des Weiteren beziehen sich die Benutzungen des generischen Maskulinums zugleich auf anderweitige Geschlechteridentitäten, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
2. Einleitung
Am 17. April 2019 erließen die Vertreter des EU-Parlaments eine Richtlinie zur Reform der Datenschutzgesetze mit besonderem Fokus auf Online Plattformen. Das darin festgehaltene Ziel ist ein „ angemessener Rechte- und Interessenausgleich zwischen den Urhebern und anderen Rechteinhabern“.1 Was im ersten Moment sinnvoll erscheint, stößt dennoch auf viel Kritik. In der Süddeutschen heißt es, dass die „Bürger [ ] zu Hunderttausenden“ vor der Abstimmung gegen diese Richtlinie demonstrierten oder Petitionen unterschrieben2. Ein Artikel der Seite Science Media Center spricht sogar von „fast fünf Millionen“ 3.
Die in der Richtlinie zugrunde liegende Problematik besteht neben der technischen Umsetzung auch aus einem Konflikt zwischen unterschiedlichen Verständnissen der Urheberschaft in digitalen Medien. Zwar sollen Urheber eigenständiger Werke durch den Einsatz von Uploadfiltern geschützt werden, jedoch kann es gleichzeitig dazu kommen, dass Werke von Nutzern, welche sich auf die Produktionen anderer stützen4 auch rausgefiltert werden, obwohl sie nicht gegen das Urheberrecht verstoßen. Dennoch wird dieses Problem von den meisten Politikern als kleineres Übel betrachtet.
Micki Meuser äußert beispielsweise in einem Artikel: „[W]eder jetzt noch in naher Zukunft werden Filter den Unterschied zwischen einem originalen kulturellen Werk und Parodie erkennen. Das müssen sie auch nicht.“5 Und auch Axel Voss gibt in einem Interview zu, dass der Einsatz dieser Filter zu fehlerhaften Upload-Sperren führen kann, doch auch er scheint dies nicht weiter als größeres Problem zu sehen, da man „ja noch die Seite [hätte], wo man Memes anklicken kann“.6
Aus diesen Zitaten geht eindeutig hervor, dass Werke unterschiedlicher Entstehungsprozesse, auch als unterschiedlich wertvoll, kulturell und schutzbedürftig betrachtet werden. Dies lässt unweigerlich die Frage aufkommen, ob Medienerschaffer, die ihre Arbeit auf den Werken Anderer aufbauen, trotz einem geringeren Teil an Eigenleistung Urheber sind, oder keinen Anspruch auf Urheberschutz besitzen.
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, werde ich mich zur Veranschaulichung mit einem Beispiel aus der Literatur befassen, und zwar den Gebrüder Grimm, welche unter anderem für ihre Märchensammlung bekannt sind. Ziel der Arbeit ist es, anhand verschiedener literarischer Theorien zur Autorschaft, die Brüder als eben solche identifizieren zu können.
Im Zuge dessen werde ich mich zuerst mit dem Hintergrund und der Methodik zur Entstehung der Märchensammlung befassen. Anschließend werde ich einige Modelle zur Autorschaft analysieren und am Beispiel der Kinder- und Hausmärchen exemplifizieren. Dabei gehe ich auf Konzepte in der Antike, den romantischen Geniebegriff, der Autorschaft nach Mukařovský und Woodmansee ein. Anschließend werde ich meine Eigenposition darlegen und dieses anschließend dem der EU-Richtlinie zugrunde liegende Urheberverständnis gegenüberstellen.
3. Von Autoren und Urhebern
Bevor wir uns allerdings mit den Gebrüdern Grimm befassen, betrachten wir noch einmal kurz die Zusammenhänge von Urheber- und Autorschaft.
Während die Rolle von Autoren bereits in der Antike diskutiert wurde, etablierte sich die Diskussion um das Urheberrecht erst sehr viel später. Letzteres entstand dabei auf Basis des Konzeptes des geistigen Eigentums, welches „ erst im 18. Jahrhundert […] an Bedeutung [gewann].“ 7 So wurde durch die Festhaltung, dass ein Autor ein „ spezifisches Eigentumsrecht an seinem Text “8 besitzt und dies nun auch einklagen konnte, der Autor erstmals auch als juristisches Konzept verstanden.
Dadurch das sich das Urheberrecht dabei mit dem „spezifische[n] Eigentumsrecht “ auf die Auslegung eines Autorenverständnisses stützt, sind diese beiden Konzepte stark miteinander verknüpft. So liegt der Frage ‚Was ist ein Urheber?‘ stets die Frage ‚Was ist ein Autor?‘ zugrunde.
3.1 Die Gebrüder Grimm
Zur Veranschaulichung der Frage, ob ein Herausgeber von Texten, welche nicht auf seinen Ideen beruhen, dennoch als Autor bezeichnet werden kann, werden wir uns in den folgenden Kapiteln als Beispiel mit den Gebrüdern Grimm befassen.
Diese eignen sich hierfür, da sie unter anderem für ihre Arbeit als Märchensammler bekannt geworden sind. Dabei werden sie im Zusammenhang mit ihrem Buch Kinder- und Hausmärchen meist als ‚Sammler‘ oder ‚Herausgeber‘ genannt. Um nun zu beurteilen, ob man die Gebrüder dennoch als Autoren bezeichnen könnte, befassen wir uns vorerst mit dem Hintergrund der Entstehung ihres Werkes.
3.1.1 Geschichtlicher- und sozialer Hintergrund
Zur Zeit des 18. Jahrhunderts stand Deutschland stark unter dem kulturellen Einfluss des Staates Frankreich, was als „ sehr viel moderner[ ] und kulturell überlegene[r]“9 galt. Dadurch wurden in Deutschland beispielsweise französische Texte den deutschen vorgezogen. Durch die Nachwirkungen der französischen Revolution10 in den Anfängen des 19. Jahrhunderts, entstand dann jedoch der Wunsch nach einer eigenen nationalen Identität mit einem „ eigene[n] kollektive[n] Selbstbewusstsein “11. Da man folglich einerseits immer noch, nach dem Vorbild Frankreichs, eine moderne Staatsform anstrebte, sich dabei jedoch von den kulturellen Einflüssen anderer Länder entfernen wollte, löste dies in der Literatur eine starke Romantisierung und Rückbesinnung auf die deutsche Geschichte aus. Das Ziel dabei war, durch das Wiederaufleben alter kultureller Werte, eine neue deutsche Identität festigen zu können. Die daraus resultierende literarische Epoche wird daher als Romantik bezeichnet12
Jacob und Wilhelm Grimm wurden in den Jahren 1785 und 1786 in Hanau in Hessen geboren. Während ihres Studiums von Rechtswissenschaften in Marburg, begannen sie sich für die Literatur und deutsche Sprache zu interessieren. Im Zuge dessen gingen sie im Jahre 1829 an die Universität in Göttingen, um als Bibliothekare und Professoren zu arbeiten und wurden dort Anhänger der romantischen Bewegung.13
Die Sprache sahen sie hierbei als „ ein Fundament moderner Demokratiebewegungen “14, da man aufgrund dieser und ihrer Entwicklung in Wort und Schrift vergangene Kulturen immer noch wissenschaftlich untersuchen und verstehen kann. Dabei bemaßen sie vor Allem Volksmärchen eine wichtige Rolle zu, da diese keine Erfindungen eines einzelnen Schreibers waren, sondern über die Jahre hinweg mündlich weitererzählt und dadurch auch stets abgeändert und an den Geist der Gesellschaft angepasst wurden, auch wenn die Erzählungen in ihrem Kern stets gleich blieben.15 Deshalb begannen die Brüder Grimm zusammen mit anderen Vertretern der Romantik wie Clemens Bretano, alte Volkslieder zu finden, zur „ Erneuerung der Welt aus dem Geist der ersten Poesie“.16 Die „Erneuerung der Welt “ bezeichnet hierbei das Streben nach einer modernen Rechtsform und der „Geist der ersten Poesie “ das Gedankengut alter deutscher Werke. Später erweiterten sie die Suche auch auf „mythologische Überlieferungen und Rechtsdokumente “ da auch diese „ Zeugnisse“ früherer deutscher Kulturen waren.17
[...]
1 Anonym: Richtlinie (EU) 2019/790 des europäischen Parlaments und des Rates. Über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG. Straßburg: 2019. Seite 2, Absatz (6).
2 Brühl, Jannis: Schluss mit dem Gerede von den Marionetten!. In: Süddeutsche Zeitung (26.03.2019). URL: https://www.sueddeutsche.de/digital/artikel-13-eu-urheberrecht-kommentar-1.4384425 (Zugriffsdatum: 20.04.2021), Absatz 5.
3 Dreyer, Dr. Stephan / Matzner, Prof. Dr. Tobias / Gallwitz, Prof. Dr. Florian / Gostomzyk, Prof. Dr. Tobias / Hotho, Prof. Dr. Andreas / Liwicki, Prof. Dr. Marcus / Keber, Prof. Dr. Tobias: EU-Urheberechtsreform: Experten zu Upload-Filtern. In: Science Media Center (08.03.2019). URL: https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/rapid-reaction/details/news/eu-urheberrechtsreform-experten-zu-upload-filtern/ (Zugriffsdatum: 20.04.2021), Absatz 1.
4 Wie beispielsweise Parodien, Satirebeiträge oder Liedcover.
5 Meuser, Micki: Der umstrittene Artikel 13 sorgt in Wahrheit für mehr Gerechtigkeit. In: Welt (09.03.2019). URL: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article189986987/Artikel-13-Das-Urheberrecht-sorgt-fuer-mehr-Gerechtigkeit.html (Zugriffsdatum: 20.04.2021), Absatz 20.
6 Locker, Theresa: Streit um Uploadfilter: Wie Axel Voss das Internet sieht. In: Vice (19.03.2019). URL: https://www.vice.com/de/article/vbw8zy/streit-um-uploadfilter-und-artikel13-wie-axel-voss-das-internet-sieht (Zugriffsdatum: 20.04.2021), Absatz 12.
7 Jannidis, Fotis / Lauer, Gerhard / Martinez, Matias / Winko, Simone: Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern. Historische Modelle und systematische Perspektiven. In: dies. (Hg.): Rückkehr des Autors. Berlin, New York: Max Niemeyer Verlag 2012, S.7.
8 Ebd.
9 Bluhm, Lothar: Die „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm. Eine literatur- und kulturwissenschaftliche Einordnung eines ‚Bestsellers‘. In: Literaturkritik (21.11.2012). URL: https://literaturkritik.de/id/17417 (Zugriffsdatum: 20.04.2021), Absatz 7.
10 Fand in den Jahren von 1789−1799 statt.
11 Bluhm 2012, Absatz 7.
12 Vgl. ebd.
13 Vgl. Anonym: Wer waren die Brüder Grimm? In: Brüder Grimm. (o.D.). http://www.grimms.de/de/content/wer-waren-die-br%C3%BCder-grimm (Zugriffsdatum: 20.04.2021).
14 Bär, Jochen / Dehrmann, Mark-Georg / Ehrhardt, Holger / Fleischer, Jürg / Kämper, Heidrun / Krome, Sabine / Martus, Steffen / Wolf, Norbert Richard: Die Brüder Grimm. Pioniere deutscher Sprachkultur des 21. Jahrhunderts. München: Brockhaus 2013, S.11f.
15 Vgl. a.a.O. S.54.
16 Lauer, Gerhard: Die Brüder Grimm und ihre Folgen. In: Bendix, Regina / Marzolph, Ulrich (Hg.): Hören, Lesen, Sehen, Spüren. Märchenrezeption im europäischen Vergleich (Bd.8). Göttingen: Baltmannsweiler 2008, S.11.
17 Ebd.