Im Rahmen dieser Arbeit sollen zwei erprobte Methoden der Eingewöhnung für Kinder bis drei Jahren miteinander verglichen werden. Trotz der Altersgrenze finden beide Modelle auch bei älteren Kindern Anwendung. Bei dem einen handelt es sich um das von Laewen, Andres und Hédérvari-Heller (2011), einem Forscherteam vom infans-Institut, entwickelte Berliner Eingewöhnungsmodell und bei dem anderen um das Münchener Eingewöhnungsmodell nach Winner und Erndt-Doll (2009).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen
2.1 Bindungstheorie – Bedeutung von Bindung
2.2 Transition – Bedeutsamkeit von Übergangssituationen
2.3 Merkmale und Auswirkungen einer gelungenen Eingewöhnung
3 Berliner Eingewöhnungsmodell
3.1 Die Elterninformation
3.2 Die Grundphase
3.3 Die erste Trennungsphase
3.4 Die Stabilisierungsphase
3.5 Die Schlussphase
4 Münchener Eingewöhnungsmodell
4.1 Die Vorbereitungsphase
4.2 Die Kennenlernphase
4.3 Die Sicherheitsphase
4.4 Die Vertrauensphase
4.5 Die Reflexions- und Schlussphase
5 Vergleich der Eingewöhnungsmodelle
6 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Seit 2013 besteht für Kinder über drei Jahren und unter gewissen Voraussetzungen auch für Kinder unter drei Jahren ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz (vgl. § 24 SGB 8 – Einzelnorm 2021). Aus diesem Grund müssen immer mehr Kinder in institutionelle Einrichtungen eingewöhnt werden. Die Unterstützung der Eltern ist dabei von großer Relevanz, da die Trennung eines Kindes von seiner Bezugsperson eine große Belastung für dieses darstellt. Diese Belastung wird „durch eine langsame und sensible Eingewöhnung deutlich gemindert“ (Braukhane & Knobeloch, 2011, 3). Auf Grund dessen gewinnt der Bedarf an Eingewöhnungskonzepten für den Übergang von der Familie in eine institutionelle Einrichtung immer mehr an Bedeutung.
Im Rahmen dieser Arbeit sollen zwei erprobte Methoden der Eingewöhnung für Kinder bis drei Jahren miteinander verglichen werden. Trotz der Altersgrenze finden beide Modelle auch bei älteren Kindern Anwendung. Bei dem einen handelt es sich um das von Laewen, Andres & Hédérvari-Heller (2011), einem Forscherteam vom infans-Institut, entwickelte Berliner Eingewöhnungsmodell und bei dem anderen um das Münchener Eingewöhnungsmodell nach Winner & Erndt-Doll (2009). Das zentrale Thema dieser Arbeit lautet daher:
„Das Berliner- und Münchener Eingewöhnungsmodell im Vergleich“
Dafür soll zunächst auf die Bedeutung der Bindung und auf den Übergangsprozess von der Familie in die Krippe eingegangen werden. Daraufhin wird beschrieben, was eine Eingewöhnung erfolgreich macht und warum dieses so wichtig für Kinder ist. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die beiden Eingewöhnungsmodelle auf Basis der theoretischen Grundlagen detailliert dargestellt und anschließend miteinander verglichen. In einem abschließenden Fazit werden schlussendlich die prägnantesten Erkenntnisse aufgegriffen und pointiert dargestellt.
Bevor mit dem theoretischen Teil dieser Arbeit begonnen wird, erfolgt eine kurze Erläuterung zur Verwendung der Begrifflichkeiten: Die Begriffe Kindertagesstätte, Kindertageseinrichtung und Krippe werden im weiteren Verlauf der Arbeit synonym zueinander verwendet oder als institutionelle Einrichtung zusammengefasst.
Grundlagen
In diesem Kapitel soll zum einen die Bedeutsamkeit der Bindung anhand der Bindungstheorie erläutert werden und zum anderen in die Begriffsbestimmung der Transition eingeführt werden. Daraufhin wird in den Blick genommen, wodurch eine Eingewöhnung gelingt und welche Bedeutung dies für die zukünftige Entwicklung von Kindern hat.
1.1 Bindungstheorie – Bedeutung von Bindung
Die Bindungstheorie wurde von John Bowlby, einem englischen Kinderpsychiater und Psychoanalytiker, in den 50er Jahren entwickelt. Diese erklärt sowohl die Entstehung der Bindung als auch das Bindungsverhalten eines Kindes (vgl. Bowlby, 2018, 22).
Die Bindung zwischen einem Kind und seiner Bezugsperson entwickelt sich durch die gemeinsamen Interaktionen der beiden innerhalb der ersten Lebensmonate eines Kindes (vgl. van Dieken, 2012, 16). Als vorgegebenes Verhaltensmuster ist das Bindungsverhalten den Kindern von Beginn an inhärent und aktiviert sich automatisch bei beispielsweise Angst oder Müdigkeit (vgl. Becker-Stoll, 2007, 16 f.). Schließlich hat es die „Funktion, dem Kind die Nähe und den Schutz einer Pflegeperson zu sichern“ (Jungbauer, 2017, 59). Nach Bowlby steht dem Bindungsverhalten das ebenfalls vorgegebene Explorationsverhalten gegenüber. Das Explorationsverhalten eines Kindes wird aktiviert, wenn es sich sicher fühlt. Aus diesem Grund spricht man bei der Bezugsperson von der „sicheren Basis“. Von dort aus kann ein Kind sowohl andere Personen als auch die Umwelt erkunden. Bei einer „sicheren Bindung“ ist die Balance zwischen dem Bindungs- und Explorationsverhalten am besten ausgeglichen. Dies ist auf eine Untersuchungsmethode von Mary Ainsworth und ihren Mitarbeitern aus dem Jahr 1978 zurückzuführen, welche auf der Bindungstheorie basiert. Letztendlich kommen Ainsworth und ihre Mitarbeiter zu dem Ergebnis, dass es neben der „sicheren Bindung“ noch drei weitere Bindungsmuster gibt. Dabei handelt es sich um die „unsicher-vermeidende Bindung“, die „unsicher-ambivalente Bindung“ und die „desorganisierte Bindung“, bei denen ein Kind schlechte Erfahrungen mit seiner Bezugsperson gemacht hat. Die Bindungsqualität ist abhängig von der Feinfühligkeit der Mutter bzw. der primären Bezugsperson. Diese wird durch vier Merkmale gekennzeichnet, die im Folgenden genannt werden sollen. Zunächst geht es darum, die kindlichen Signale wahrzunehmen sowie richtig zu interpretieren. Weiterhin geht es um die Bereitschaft, prompt und angemessen auf die Signale des Kindes zu reagieren. Ein „sicheres Bindungsmuster“ ist wahrscheinlicher bei einer hohen Feinfühligkeit der Bezugsperson (vgl. Becker-Stoll, 2007, 16 ff.). Kinder profitieren in vielerlei Hinsicht von einer „sicheren Bindung“, unter anderem, weil die Bindungsqualität als Basis für das innere Arbeitsmodell dient, nach dem ein Kind weitere Beziehungen aufbaut (vgl. ebd., 59). Somit ist die Bindungsqualität zwischen einem Kind und seiner Bezugsperson auch die Grundlage für die Erzieher*in-Kind-Beziehung, welche ein Kind während des Übergangs von der Familie in die Kindertageseinrichtung eingeht (vgl. van Dieken, 2012, 16).
1.2 Transition – Bedeutsamkeit von Übergangssituationen
Das Leben der Menschen ist geprägt von Übergängen. Dazu zählt beispielsweise der Übergang in die Grundschule oder der Einstieg in den Beruf sowie ebenfalls der Übergang von der Familie in die Kindertagesstätte. Nach Griebel und Niesel (2017) wird ein solcher Übergang als Transition bezeichnet. Das IFP-Transitionsmodell, welches am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München (IFP) entwickelt wurde, setzt sich mit den Übergangsprozessen von Menschen auseinander. Grundlage des Transitionsmodells ist die entwicklungspsychologische Tradition, bei der der Fokus auf der Bewältigung von Diskontinuitäten liegt. Diskontinuitäten meinen Veränderungen, die ein Kind und seine Eltern während eines Übergangs auf den Ebenen des Einzelnen, der Beziehungen und der Lebensumwelten bewältigen müssen (vgl. Griebel & Niesel, 2017, 33 ff.). Nach Brooker benötigen Kinder, diese Diskontinuitäten, um sich zu entwickeln, da „Transitionen Auslöser für Lernprozesse und Entwicklung sind“ (2008, zit. nach Griebel & Niesel, 2017, 178). Allerdings müssen bei einem Transitionsprozess auch die individuellen Ressourcen eines Kindes berücksichtigt werden. Ist für ein Kind kein sicheres Umfeld (z.B. Scheidung der Eltern oder neues Geschwisterkind) gegeben, so können Diskontinuitäten hinderlich sein, da diese die Entwicklung hemmen würden (vgl. Griebel & Niesel, 2017, 178 f.). Bei der Transition von der Familie in die Krippe erfährt nicht nur das einzugewöhnende Kind extreme Veränderungen im Alltag, sondern auch sein soziales Umfeld, wie beispielsweise die Eltern. Alle Beteiligten müssen sich in kürzester Zeit auf die neuen Personen, die Einrichtung und den neuen Alltag einlassen. Die Emotionen sind bei solchen Übergangphasen oft zwiegespalten, da diese zum einen Freude und zum anderen auch Trauer und Ängste mit sich bringen. Personen, die solch eine Transition erleben, befinden sich dabei in einem sogenannten „Schwebezustand“. Beispielsweise ist ein Kind, welches in die Krippe eingewöhnt wird, nicht mehr nur ein „Zuhause-Kind“, aber auch noch kein „Krippenkind“ (vgl. Winner & Erndt-Doll, 2013, 22 f.). Für Kinder ist dieser Übergang oftmals der erste große Übergangsprozess, weshalb die Eingewöhnung von enormer Bedeutung ist. Aus diesem Grund hat die Eingewöhnung auch einen immensen Einfluss auf die Qualität einer Einrichtung und somit oft einen hohen Stellenwert in einer Konzeption. Eine gelungene Eingewöhnung ist für ein Kind nicht nur die Grundlage für den weiteren Besuch der institutionellen Einrichtung, sondern auch Grundlage für weitere Transitionen. Winner und Erndt-Doll (2013) weisen auf Forschungen hin, aus denen bekannt ist, dass Erfahrungen, die während eines Übergangs gemacht wurden, auf die zukünftigen Übergänge übertragen werden. Kinder, die sich während dieser Phase als selbstwirksam erleben, können also gestärkt aus der Situation herausgehen und die nächsten Übergänge besser meistern (vgl. ebd., 16 f.). Das folgende Zitat soll veranschaulichen, wie dies erreicht werden kann: „Ziel […] ist es nicht, den Übergang möglichst schnell und >>problemlos<< zu überwinden, sondern den Betroffenen die Zeit und Unterstützung zu geben, selbst aktiv den Übergang zu bewältigen und sich in diesem Prozess als erfolgreich zu erleben“ (Winner & Erndt-Doll, 2013, 22).
1.3 Merkmale und Auswirkungen einer gelungenen Eingewöhnung
Der Übergangsprozess von der Familie in eine institutionelle Einrichtung stellt für jedes Kind eine große Herausforderung dar, weil es hohe „Lern- und Anpassungsleistungen“ bedarf, die für jüngere Kinder, oftmals aber auch für ältere Kinder mit immensem Stress verbunden sind. Auf Grund dessen ist die Beteiligung der Eltern während der Eingewöhnung von großer Bedeutung. Der Bindungstheorie nach Bowlby zufolge dienen sie dem Kind als „sichere Basis“, von der ausgehend es sowohl andere Personen als auch die Umwelt erkunden und sich im Bedarfsfall wieder in deren Nähe zurückziehen kann. Wie bereits erwähnt, dient eine gelungene Eingewöhnung als Grundlage für den weiteren Besuch der Einrichtung. Demnach hat die fehlende Unterstützung der Eltern negative Auswirkungen für die kommende Zeit. Dies hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Eingewöhnung aus den 80er Jahren an der Universität Berlin herausgestellt: Kinder, die sich ohne Begleitung der Eltern in der Kindertagesstätte aufhielten, waren nicht nur öfter krank, sondern wiesen zudem auch einen geringeren Entwicklungsstand und häufigere Irritationen in ihren Bindungsbeziehungen auf (vgl. Laewen et al., 2013, 20 f.).
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