Die Arbeit beschäftigt sich mit einer Attribuierung des Wesens des Bösen unter der Determinierung der Positionierungen von Immanuel Kant und Hannah Arendt. Konkret soll sich mit folgender Fragestellung auseinandergesetzt werden: Wie zeichnen Immanuel Kant und Hannah Arendt den Charakter des Bösen? Ziel der Arbeit ist es, sich den begrifflichen Darstellungen der beiden Philosoph/innen definitorisch anzunähern und die Begründungen für das hierbei illustrierte Wesen des Bösen in ausgewählten Textfundamenten herauszuarbeiten, um die dargelegte Charakteristik des Bösen in verschiedenen Facetten zu beleuchten.
Die textliche Grundlage bildet dabei vor allem das erste Stück in Kants Werk Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft mit dem Titel: „Von der Einwohnung des bösen Princips neben dem guten: oder über das radicale Böse in der menschlichen Natur“ Leitend für Arendts Auffassungen sind „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, der Bericht über Eichmann in Jerusalem sowie die Vorlesung „Über das Böse“.
Zu Beginn der vorliegenden Arbeit ist die Ergründung des Wesens des Bösen in der kantischen Darstellung unter Einbezug des „Hange zum Bösen in der menschlichen Natur“ aufgeführt, welche in der Illustration des radikalen Bösen mündet. Weiterhin ist die arendtsche Konstruktion des radikalen, banalen sowie extremen Bösen dargelegt. Im Anschluss erfolgt die vergleichende Auseinandersetzung mit einer Reihe komplementärer und oppositiver Standpunkte und der ihnen innewohnenden kriterialen Attribute in Bezug auf den Charakter des Bösen. Im Resümee vollzieht sich der Zusammenschluss der vorangegangenen textlichen Erarbeitung im Lichte der Ausgangsfrage.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das radikale Böse bei Kant
2.1 Von der Anlage zum Guten in der menschlichen Natur
2.2 Über den Hang zum Bösen in der menschlichen Natur
2.3 Der Mensch ist von Natur aus böse
2.4 Die Charakteristik des radikalen Bösen
3 Die Charakteristik des radikalen, banalen und extremen Bösen bei Arendt
3.1 Das radikale Böse
3.2 Das banale Böse bei Eichmann
3.3 Das grenzenlose extreme Böse
4 Eine vergleichende Auseinandersetzung
4.1 Die Gegenüberstellung des radikalen Bösen bei Kant und Arendt
4.2 Der Vergleich des radikalen mit dem banalen Bösen
4.3 Die Kontrastierung des radikalen mit dem extremen Bösen
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Im Laufe der Zeit hat sich unser Begriff vom Bösen drastisch gewandelt.“ (Neimann 2006, S. 16)
In Zeiten moderner Streaming-Anbieter erfreuen sich eben jene Filme größter Beliebtheit, die in ihrem Kern die Thematik des Boshaften horrorfizieren, um die Nachfrage der Zuschauenden nach dem skandalös Grausamen zu stillen. So bilden auf Portalen wie Amazon Prime oder Netflix Dokumentationen, Filme und Serien über groteske Fiktion, welche den Gegenstand des Boshaften in seiner Faszination thematisieren, einen wesentlichen Bestandteil der angebotenen Unterhaltung. Offenkundig liegt großes Interesse der Adressat/innen im Phänomen des Bösen, in seiner Vielgestaltigkeit und der vermeintlichen Begründung seines Ursprungs. Fällt der Blick auf philosophische Auseinandersetzungen im Rahmen der weiträumigen Debatten um und über das Wesen des Bösen, so sticht schnell ein Quantum an Konkretisierungsansprüchen bezüglich des Charakters prägnant heraus. Infolgedessen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit einer Attribuierung des Wesens des Bösen unter der Determinierung der Positionierungen von Immanuel Kant und Hannah Arendt.
Konkret soll sich mit folgender Fragestellung auseinandergesetzt werden: Wie zeichnen Immanuel Kant und Hannah Arendt den Charakter des Bösen? Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, sich den begrifflichen Darstellungen der beiden Philosoph/innen definitorisch anzunähern und die Begründungen für das hierbei illustrierte Wesen des Bösen in ausgewählten Textfundamenten herauszuarbeiten, um die dargelegte Charakteristik des Bösen in verschiedenen Facetten zu beleuchten.
Die textliche Grundlage bildet dabei vor allem das erste Stück in Kants Werk Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft mit dem Titel: Von der Einwohnung des bösen Princips neben dem guten: oder über das radicale Böse in der menschlichen Natur. Leitend für Arendts Auffassungen sind Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, der Bericht über Eichmann in Jerusalem sowie die Vorlesung Über das Böse.
Zu Beginn der vorliegenden Arbeit ist die Ergründung des Wesens des Bösen in der kantischen Darstellung unter Einbezug des „Hange zum Bösen in der menschlichen Natur“ (Kant 1793, S. 28, H. i. O.) aufgeführt, welche in der Illustration des radikalen Bösen mündet. Weiterhin ist die arendtsche Konstruktion des radikalen, banalen sowie extremen Bösen dargelegt. Im Anschluss erfolgt die vergleichende Auseinandersetzung mit einer Reihe komplementärer und oppositiver Standpunkte und der ihnen innewohnenden kriterialen Attribute in Bezug auf den Charakter des Bösen. Im Resümee vollzieht sich der Zusammenschluss der vorangegangenen textlichen Erarbeitung im Lichte der Ausgangsfrage.
2 Das radikale Böse bei Kant
Nachfolgend erfährt der Begriff des Bösen bei Kant in seiner Spätschrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft nähere Betrachtung. Die in vier Stücke untergliederte Abhandlung setzt die Frage nach Natur, Herkunft, Wesen und Wirkung des Bösen in den Fokus der Untersuchung. Zur systematischen Gliederung der Erläuterungen sind zunächst die „ursprünglichen Anlagen zum Guten in der menschlichen Natur“ (Kant 1793, S. 26, H. i. O.) sowie der Hang zum moralischen Bösen thematisiert. Weiterführend wird erläutert, inwieweit der Mensch von Kant als von Natur aus böse bezeichnet wird. Dies mündet in einer definitorischen Annäherung an den Begriff des radikalen Bösen bei Kant.
2.1 Von der Anlage zum Guten in der menschlichen Natur
Der Ausgangspunkt der Erläuterung des radikalen Bösen liegt in der Annahme der „ursprünglichen Anlagen zum Guten in der menschlichen Natur“ (ebd., S. 26, H. i. O.) begründet. Kant unterteilt diese „als Elemente der Bestimmung des Menschen“ (ebd., S. 26) in drei konkrete Klassen, die in einer Rangfolge gegliedert sind:
„1. Die Anlage für die Thierheit des Menschen, als eines lebenden;
2. Für die Menschheit desselben, als eines lebenden und zugleich vernünftigen;
3. Für seine Persönlichkeit, als eines vernünftigen und zugleich der Zurechnung fähigen Wesens.“ (ebd., S. 26)
Anders gesprochen subsumieren diese drei Anlagen unter sich die Selbsterhaltung, die Vernünftigkeit und die Verantwortung (vgl. Muransky 2018, S. 65). Die erste Anlage fasst das Begehren des Menschen bzw. dessen animalische Triebe. Kant bezeichnet diese lediglich mit einer „physischen und bloß mechanischen Selbstliebe“ (Kant 1793, S. 26), für die an sich keine Vernunft benötigt wird. Diese Selbstliebe veräußert sich in Form von drei konkreten Trieben: Dem Trieb zur Selbsterhaltung, Fortpflanzung und zur Gesellschaft (vgl. ebd., S. 26). Die zweite Anlage bezeichnet Kant mit einer „physischen, aber doch vergleichenden Selbstliebe (wozu Vernunft erfordert wird)“ (ebd., S. 27) und die dritte mit „Empfänglichkeit der Achtung für das moralische Gesetz, als einer für sich hinreichenden Triebfeder der Willkür“ (ebd., S. 27). Letztere markiert lediglich die Empfänglichkeit der Willkür für die Achtung von Gesetzen moralischer Natur. Demnach kann die Achtung die Willkür als Triebfeder anerkennen, muss dies jedoch nicht (vgl. Balzer 2014, S. 74).
Auf die erste Anlage an sich „können allerlei Laster gepfropft werden“ (Kant 1793, S. 26). Der Vergleich des Pfropfens deutet darauf hin, dass diese Laster nicht aus den Anlagen selbst rühren, sondern sich als eigene Wurzeln verankern können. Diesbezüglich fasst Kant unter die Anlage der „Thierheit [sic]“ (ebd., S. 26) die „viehische Laster der Völlerei, der Wollust“ (ebd., S. 27), sowie unter die Anlage der Menschheit Aspekte, die sich um Eifersucht und Nebenbuhlerei rahmen. Die dritte Anlage, die Anlage der Persönlichkeit, differenziert Kant von den ersten Beiden. Sie ist im weiteren Verlauf essentiell für die Untersuchung des radikalen Bösen, denn auf die dritte Anlage kann im Kontrast zu den ersten Beiden „schlechterdings nichts Böses gepfropft werden“ (Kant 1793, S. 27). Die drei Anlagen betrachtet Kant nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit und hält diesbezüglich fest, dass „die erste keine Vernunft, die zweite zwar praktische Vernunft, aber nur allein die dritte für sich selbst praktische, das ist unbedingt gesetzgebende Vernunft zur Wurzel hat.“ (Balzer 2014, S. 75) Muransky (2018) hebt hervor, dass es „[n]ur moralische Persönlichkeit vermag [...] die moralisch neutralen Anlagen zum [sic] Tierheit und zur Cultur [sic] von der Pervertierung zum Bösen abzuwenden“ (Muransky 2018, S. 67) und sich daraus die Möglichkeit ergibt, sich der „Empfänglichkeit der Achtung für das moralische Gesetz“ (Kant 1793, S. 27) zu öffnen. Weiterhin betont Kant, dass all diese Anlagen nicht allein (negativ) gut seien, da sie nicht dem moralischen Gesetzt widerstreiten, sondern dass es sich dabei auch um Anlagen des Guten handelt, die die Befolgung moralischer Gesetze befördern. Kant bezeichnet sie zugleich als „ursprünglich; denn sie gehören zur Möglichkeit der menschlichen Natur“ (ebd., S. 28). Ausgehend von diesen „ursprünglichen Anlagen zum Guten in der menschlichen Natur“ (ebd., S. 26, H. i. O.) identifiziert Kant einen „Hange zum Bösen in der menschlichen Natur“ (ebd., S. 28, H. i. O.). Explikationen dazu sind nachfolgend angeschlossen.
2.2 Über den Hang zum Bösen in der menschlichen Natur
Wie bereits bei den vorangegangenen Erläuterungen zu den Anlagen zum Guten resultiert auch der „Hange zum Bösen“ (ebd., S. 28, H. i. O.) aus dem willkürlichen Gebrauch der Freiheit durch den Menschen. Muransky (2018) formuliert dazu: „Die Zurechnungsfähigkeit des Menschen für das Böse gründet auf dem Akt der Freiheit, und muss als vom Menschen zugezogen gedacht werden.“ (Muransky 2018, S. 67) Diesen Akt bezeichnet Kant als den „Hange zum Bösen“ (Kant 1793, S. 28, H. i. O.) bzw. zum moralisch Bösen. Kant setzt diesen Hang mit dem lateinischen Begriff „ propensio “ (Kant 1793, S. 28, H. i. O.) gleich, welche als Neigung übersetzt werden kann. Unter dem Begriff an sich fasst Kant „den subjectiven Grund der Möglichkeit einer Neigung (habituellen Begierde, concupiscentia )“ (ebd., S. 28, H. i. O.). In einem nächsten Schritt vollzieht Kant die begriffliche Trennung zwischen Hang und Anlagen. Während die „Anlagen zum Guten“ (ebd., S. 26, H. i. O.) dem Menschen angeboren sind, darf sich der Hang nicht als ein solcher vorgestellt werden: er muss sich als erworbener vorgestellt werden, wenn er gut ist und als zugezogen, wenn er böse ist. Da der Mensch die moralischen Gesetze (an)erkennt und sich dennoch unter Gebrauch der Fähigkeit der freien Willkür gelegentlich zur Abweichung hinsichtlich seiner Maxime entscheidet, besteht nach Kant der Hang zum (moralischen) Bösen im „subjectiven Grunde der Möglichkeit der Abweichung der Maximen vom moralischen Gesetze.“ (ebd., S. 29) Kant bezeichnet dies als das „gute oder böse Herz“ (ebd., S. 29), welches sich wiederum in drei konkrete Stufen gliedern lässt: die „Gebrechlichkeit ( fragilitas ) der menschlichen Natur“ (Kant 1793, S. 29), „Unlauterkeit ( impuritas, improbitas ) des menschlichen Herzens“ (ebd., S. 29 f.) und „Bösartigkeit (vitiositas, pravitas ), oder [...] Verderbtheit ( corruptio ) des menschlichen Herzens“ (ebd., S. 30, H. i. O.). Unter erstere fasst Kant die Schwäche den selbst gesetzten Maximen Folge zu leisten. Zwar werden in die Maxime moralische Gesetze aufgenommen, jedoch kommt es durch verschiedene Gründe - wie etwa durch Willensschwäche - zum Scheitern der Durchführung. Unter zweitere formuliert Kant die Vermischung von moralischen und nicht rein moralischen Maximen, da noch andere Triebfedern aufgenommen wurden, die zur eigentlichen Handlung führten. Nach Kant resultiert daraus das Problem, dass „pflichtmäßige Handlungen nicht rein aus Pflicht gethan [sic] werden.“ (ebd., S. 30). Zuletzt erläutert Kant, dass die „Bösartigkeit [.] des menschlichen Herzens“ (ebd., S. 30) in einer fälschlichen (Unter)Ordnung der zu befolgenden Maximen besteht. Vor dem moralischen Gesetz werden andere, nicht-moralische Triebfedern priorisiert. Aus dieser Umkehrung der „sittliche[n] Ordnung in Ansehung der Triebfedern“ (ebd., S. 30) durch die freie Willkür, ergibt sich die zuvor benannte Begrifflichkeit der „Verkehrtheit ( perversitas ) des menschlichen Herzens“ (ebd., S. 30). Auch legale bzw. moralisch gute Handlungen verderben dadurch in Hinblick auf ihre moralische Gesinnung ihre Wurzeln, wodurch dem Menschen die Bezeichnung „böse“ zuteilwird (vgl. ebd., S. 30).
2.3 Der Mensch ist von Natur aus böse
Anschließend erfolgt die Synthese der vorangegangenen Explikationen zu den „ursprünglichen Anlagen zum Guten“ (ebd., S. 26, H. i. O.) und dem „Hange zum Bösen in der menschlichen Natur“ (ebd., S. 28, H. i. O.), um den Fokus der Betrachtungen darauf zu lenken, wie Kant seine These „d]er Mensch ist von Natur böse“ (ebd., S. 32, H. i. O.)“ erläutert und in welchem Zusammenhang dies mit der Begrifflichkeit des „radicale[n] [.] Böse[n]“ (ebd., S. 32) steht. Gemäß Kant impliziert diese These, dass sich der Mensch des moralischen Gesetzes bewusst ist und doch „die (gelegenheitliche) Abweichung von demselben in seine Maxime aufgenommen [hat].“ (ebd., S. 32) Der bereits hinreichend explizierte „„Hange zum Bösen“ (ebd., S. 28, H. i. O.) ist selbst moralisch böse, jedoch nicht im Sinne einer natürlichen Anlage, sondern als Zurechnung zur menschlichen Person (vgl. Balzer 2014, S. 77). Dazu konkretisiert Kant: „so werden wir diesen einen natürlichen Hang zum Bösen, und da er doch immer selbstverschuldet sein muß, ihn selbst ein radicales, angebornes, (nichts destoweniger aber uns von uns selbst zugezogenes) Böse in der menschlichen Natur nennen können.“ (Kant 1793, S. 32) Kant betont in diesem Zusammenhang, dass der Grund des Bösen erstens nicht in der Sinnlichkeit des Menschen bzw. den daraus hervorgehenden Neigungen liegt, da der Mensch als Opfer seiner Natürlichkeit sonst keine Verantwortung für seine Taten inne hätte (vgl. ebd., S. 34 f.). Zweitens hebt er hervor, dass der Grund des Bösen ebenso wenig in der Verderbtheit der moralischen, gesetzgebenden Vernunft gesucht werden kann, denn die praktische Vernunft kann sich nicht von den moralischen Gesetzen distanzieren. Weiterhin wäre auch die Annahme einer generellen bösen Vernunft und eines bösen Willens inkonsistent, da dies den Menschen auf die Ebene eines teuflischen Wesens erheben würde und dies ist auf den Menschen nicht zutreffend (vgl. Kant 1793, S. 35). Ob der Mensch nun gut oder böse ist, liegt nicht in den Triebfedern und deren Unterschieden begründet, sondern in deren Priorisierung bzw. Unterordnung, „welche von beiden er zur Bedingung der andern macht“ (ebd., S. 36). Demgemäß ist (auch der beste) Mensch, an sich nur dadurch böse, indem er eine Umkehrung in der sittlichen Ordnung der Triebfedern betreibt. So nimmt der Mensch zwar „das moralische Gesetz [...] neben dem der Selbstliebe in dieselbe [auf]“ (ebd., S. 36), jedoch können diese beiden nicht nebeneinander, sondern nur in Form einer hierarchischen (Unter)Ordnung bestehen, und zwar in der Form, dass sich die Selbstliebe dem moralischen Gesetz als oberste Bedingung unterstellen muss.
Worin liegt aber nun der „Ursprunge des Bösen in der menschlichen Natur“ (ebd., S. 39, H. i. O.) begründet? Aufgrund des determinierten Rahmens der vorliegenden Arbeit soll dies nur eine wenig ausführliche Betrachtung erfahren: Kant sieht die Herkunft des Bösen entweder in einem Vernunftsursprung oder einem Zeitursprung (vgl. Balzer 2014, S. 78). Da sich der Mensch unter keinem Umstand der Welt davon lossagen kann, ein frei handelndes Wesen zu sein, darf diesbezüglich nicht nach dem Zeitursprung gefragt werden, da sich „[e]ine solche Handlung [.] nicht aus einem vorangegangenen Zustand ableiten [lässt].“ (ebd., S. 78) Somit bleibt nur noch der Vernunftsursprung zu betrachten. Jedoch ist die „Verstimmung unserer Willkür in Ansehung der Art, subordinierte Triebfedern zu oberst in ihre Maximen aufzunehmen“ (Kant 1793, S. 43) an sich unerforschbar. Abschließend betont Kant die essentielle Rolle der Freiheit des Menschen, um die entsprechende Priorisierung der Triebfedern mit den Anlagen zum Guten zu tätigen und in die Maxime aufzunehmen, denn „[w]as der Mensch im moralischen Sinne ist oder werden soll, gut oder böse, dazu muß er sich selbst machen oder gemacht haben.“ (ebd., S. 44) Die in den Anlagen des Guten etablierte Achtung für das moralische Gesetz kann nie verloren werden (vgl. ebd., S. 46).
2.4 Die Charakteristik des radikalen Bösen
Nachfolgend ist unter Einbezug der bis hierhin explizierten Aspekte die Charakteristik des Bösen bei Kant dargelegt. Die Umordnung der Maxime als Abweichung vom Sittengesetzt beschreibt Kant als das moralische Böse (vgl. Dalferth 2008, S. 274). Der Hang zum moralischen Bösen darf nicht als Naturanlage an sich verstanden werden, sondern als etwas Zugezogenes (vgl. Kant 1793, S. 32). Das Böse pervertiert nach Kant den Grund aller Maxime, da es in der Gesinnung eines jeden Menschen tief verwurzelt ist. Demgemäß fasst Kant zusammen: „so werden wir diesen einen natürlichen Hang zum Bösen, und da er doch immer selbstverschuldet sein muß, ihn selbst ein radicales [sic], angebornes [sic], (nichts destoweniger aber uns von uns selbst zugezogenes) Böse in der menschlichen Natur nennen können.“
[...]