Diese wissenschaftliche Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie das individuelle Erleben in Bezug auf Schamsituationen im Kontext des Sportunterrichts entsteht und worauf Lehrkräfte in ihrer Unterrichtsgestaltung und -durchführung achten sollten. Des Weiteren werden die Sporttypen sportstark und -schwach definiert und mögliche Ursachen herausgestellt. In dem Zusammenhang werden das Körperbild und das Selbstkonzept kurz erläutert, um einen Überblick über die inneren Kausalitäten zu geben. Der Forschungsstand bietet jedoch noch kein großes Spektrum an wissenschaftlicher Literatur, da sich scheinbar noch nicht viele Menschen mit dem individuellen Erleben und sportschwachen SuS auseinandergesetzt haben. Da D. Wiesche seine Dissertation und viele andere Forschungsbeiträge über Scham im Sportunterricht verfasst hat, werde ich mich größtenteils auf seine Ergebnisse beziehen.
Bereits im Jahr 2002 schrieb der Pädagoge E. Liebau über den Sportunterricht: "Kein anderes Schulfach berührt so intim und existenziell wie der Schulsport". Damit hat er die heutigen Zustände beschrieben, die im Unterricht vorherrschen. Außerdem hat er sich auf die Wirkungen bezogen, die von diesem Fach ausgehen. Die Gegenstände des Sportunterrichts sind der eigene Körper und die Leistung, die erbracht werden soll. Deswegen bietet es sehr viel Konfliktpotenzial zwischen den einzelnen Unterrichtsthematiken, den Peers und den individuell ausgebildeten motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler*innen, da sie in Bezug zum eigenen Körperbild und Selbstkonzept stehen. Wenn ein*e Schüler*in das Gefühl hat, er*sie würde eine sportliche Aufgabe nicht zufriedenstellend meistern, wirkt sich dieser Um-stand auf sein*ihr Selbstwertgefühl und die sportliche Motivation bzw. den Antrieb aus. Es entsteht eine Sportschwäche, die negative Folgen für den weiteren Verlauf des Sportunterrichts hat. Zudem wird eine innere Blockade aufgebaut, die die eigene Meinung über den Sport beeinflusst.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Abbildung 2:
Abbildung 3:
Abbildung 4:
Abbildung 5:
Abbildung 6:
Abbildung 7:
1. Einleitung
2. Unterscheidung leistungsschwacher und leistungsstarker Sporttypen
2.1 Leistungsstarke Schüler*innen
2.1.1 Definition
2.1.2 Ursachen
2.2 Leistungsschwache Schüler*innen
2.2.1 Definition
2.2.2 Ursachen
3. Körperbild und Selbstkonzept im Sportunterricht
4. Scham im Sportunterricht
4.1 Kategorien zur Einordnung von Scham.
4.2 Ursachen für Schamsituationen im Sportunterricht
4.3 Schamsituationen aus Lehrer*innenperspektive
5. Unterrichtsgestaltung und Anerkennungspädagogik
6. Fazit und Ausblick
7. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Bereits im Jahr 2002 schrieb der Pädagoge E. Liebau über den Sportunterricht: „Kein anderes Schulfach berührt so intim und existenziell wie der Schulsport“ (2002, S. 36). Damit hat er die heutigen Zustände beschrieben, die im Unterricht vorherrschen. Außerdem hat er sich auf die Wirkungen bezogen, die von diesem Fach ausgehen. Die Gegenstände des Sportunterrichts sind der eigene Körper und die Leistung, die erbracht werden soll. Deswegen bietet es sehr viel Konfliktpotenzial zwischen den einzelnen Unterrichtsthematiken, den Peers und den individuell ausgebildeten motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler*innen1, da sie in Bezug zum eigenen Körperbild und Selbstkonzept stehen. Wenn ein*e Schüler*in das Gefühl hat, er*sie würde eine sportliche Aufgabe nicht zufriedenstellend meistern, wirkt sich dieser Umstand auf sein*ihr Selbstwertgefühl und die sportliche Motivation bzw. den Antrieb aus. Es entsteht eine Sportschwäche, die negative Folgen für den weiteren Verlauf des Sportunterrichts hat. Zudem wird eine innere Blockade aufgebaut, die die eigene Meinung über den Sport beeinflusst. Diese SuS entsprechen jedoch nicht der allgemein geltenden Norm und dem gesellschaftlichen Leitbild, sodass sie einen Teil der vulnerablen Gruppe darstellen. Sie können sich mit dem Sporttreiben nicht identifizieren, genauso wenig mit ihrem Körper, der bei bestimmten Unterrichtssituationen stark im Mittelpunkt steht. Aus dieser Fokussierung resultiert ein Schamgefühl, welches auch die Leistungsform prägt. Es steuert das Schüler*innenverhalten, indem bestimmte Symptome wie Zittern, Nervosität, Angstzustände oder Leistungsdruck aufkommen. Dieses Verhalten hat negative Folgen für die eigene Leistungsfähigkeit, sodass sich dadurch auch sportschwache SuS herausstellen. Infolgedessen besteht Scham im Sportunterricht aus zwei Faktoren: Der physischen, sowie der psychischen Beeinflussung.
Diese wissenschaftliche Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie das individuelle Erleben in Bezug auf Schamsituationen im Kontext des Sportunterrichts entsteht und worauf Lehrkräfte in ihrer Unterrichtsgestaltung und -durchführung achten sollten. Des Weiteren werden die Sporttypen sportstark und - schwach definiert und mögliche Ursachen herausgestellt. In dem Zusammenhang werden das Körperbild und das Selbstkonzept kurz erläutert, um einen Überblick über die inneren Kausalitäten zu geben. Der Forschungsstand bietet jedoch noch kein großes Spektrum an wissenschaftlicher Literatur, da sich scheinbar noch nicht viele Menschen mit dem individuellen Erleben und sportschwachen SuS auseinandergesetzt haben. Da D. Wiesche seine Dissertation und viele andere Forschungsbeiträge über Scham im Sportunterricht verfasst hat, werde ich mich größtenteils auf seine Ergebnisse beziehen.
2. Unterscheidung leistungsschwacher und leistungsstarker Sporttypen
Der Blick der Betrachtung richtet sich auf das individuelle Erleben im Sportunterricht. Dabei ist es zu Beginn bedeutsam zu unterscheiden, dass es in jeder Schulform und jeder Klassenstufe leistungsstarke und -schwache SuS gibt. Diese beiden Einordnungen sollten differenziert voneinander betrachtet werden, weil es bei dieser wissenschaftlichen Arbeit um die Emotionalität in Scham- und Angstsituationen geht. Es ist vorhersehbar, dass sich Leistungsstärkere grundsätzlich besser mit Sport und Bewegungen identifizieren können und sich allgemein wohler im Sportunterricht fühlen als leistungsschwächere Mitschüler*innen. Besonders in der heutigen Gesellschaft liegt der Fokus auf dem Körper und dem motorischen Können bzw. Leisten. Heutzutage ist oft die Rede von einer sogenannten Leistungsgesellschaft, weil sich Menschen über den Sport hinaus in verschiedensten Bereichen miteinander messen und vergleichen. Somit kann gefolgert werden, dass sich Menschen über ihre Leistung definieren (Klinge & Wiesche, 2017, S. 113).
2.1 Leistungsstarke Schüler*innen
2.1.1 Definition
Nach den ersten Sportstunden kann relativ leicht erkannt werden, welche SuS einen positiven Zugang und Bezug zum Sporttreiben haben und welche eher aus dem Grund mitmachen, weil sie anwesend sein müssen, da das Fach verpflichtend ist. Besonders gut können leistungsstärkere SuS als solche erkannt werden, wenn sie vor der Klasse etwas zeigen müssen und es ihnen nicht unangenehm ist. Sie führen gerne ihre Leistung vor und es macht ihnen Spaß. Des Weiteren fühlen sie sich stolz und erhalten von anderen Mitmenschen positive Rückmeldungen, sodass sie eine Bestätigung für ihr Können bekommen (Klinge & Wiesche, 2017, S. 14). Ein weiterer Aspekt liegt im Gegenstand des Faches: Der eigene Körper steht im Mittelpunkt der Betrachtung. Im Gegensatz zu Sportschwachen ordnen stärkere SuS körperzentrierte Situationen, wenn überhaupt, als minimal beschämend ein (Klinge, 2009, S. 296).
2.1.2 Ursachen
Hierbei ist es schwierig anhand der Forschungsliteratur festzuhalten, welche Ursachen für das Herausbilden einer Sportstärke zugrunde liegen. Nichtsdestotrotz könnte zum einen die Sozialisation im familiären Umfeld, aber auch in der Peergroup eine Rolle spielen. Wenn Kinder und Jugendliche positiv zum Sport herangeführt wurden und sich selbst mit Sport identifizieren können, liegt es nahe, dass sie auch im Sportunterricht einer leistungsbezogenen Einstellung folgen. Zum anderen kann ein gestärktes Selbstkonzept und Körperbild die SuS selbstbewusster machen.
2.2 Leistungsschwache Schüler*innen
2.2.1 Definition
Wenn Kinder und Jugendliche im Sportunterricht als leistungsschwach definiert werden, bedeutet dies, dass sie den vorherrschenden Normen nicht entsprechen. Sie bilden das Gegenteil von leistungsstarken Mitschüler*innen ab. Sie erbringen im Vergleich zu den Sportstarken keine zufriedenstellende Leistung, sodass sie außerhalb der gesetzten Norm stehen. Somit fallen sie durch die von der Gesellschaft sozial, historisch und kulturell angereicherten konstruierten Maßstäbe und Richtwerte. Von Sporttreibenden wird grundsätzlich erwartet, dass sie ihre Leistung stets optimieren und verbessern, sowie effizient und siegreich Sport ausüben (Klinge, 2009, S. 298).
2.2.2 Ursachen
Sport- und leistungsschwache SuS stoßen regelmäßig an mehrere Grenzen im Sportunterricht. Ihre eigenen, aber auch an die institutionell bedingten Grenzen der Schule: Es wird im Klassenverband unterrichtet und insbesondere im Sport werden oft Rituale eingesetzt, die verschiedene Gefühle bei sportschwachen SuS auslösen. Diese Rituale sind z.B. das Vormachen des Bocksprungs vor der ganzen Klasse. Durch den direkten Vergleich mit anderen stärkeren Mitschüler*innen und der aktiven Bloßstellung der eigenen körperlichen Leistung folgern sie, dass sie scheinbar unsportlich, schwach und zu den Verlierern der Klasse gehören (Klinge, 2009, S. 298). Hinzu kommen oft abwertende und verletzende Kommentare von den Peers, aber auch vom Lehrkörper. Es liegt nahe, dass den Kindern und Jugendlichen charakteristische Merkmale zugeschrieben werden, sodass sie zur Kategorie der leistungsschwachen SuS gehören.
Eine weitere Ursache könnte sein, dass sie auch in anderen Unterrichtsfächern negative Erfahrungen, wie z.B. Mobbing gemacht haben. Diese Erlebnisse werden auch auf andere Fächer übertragen. Infolgedessen kann es möglich sein, dass diese SuS ein schlechtes Selbstkonzept von sich selbst haben und sich unsicher und unwohl fühlen. Da der Körper im Fokus steht und sie sich nicht hinter einem Tisch aus dem Klassenzimmer „verstecken“ können, kann ein Gefühl des Unbehagens aufkommen. Das beeinflusst das Selbstbewusstsein und die Leistung (Ahrens-Eipper & Pötschke, 2017, S. 94). Für diese SuS ist es schwierig trotz der emotionalen Belastung aktiv am Sportunterricht teilzunehmen, weil der Körper und das Kind bzw. der Jugendliche selbst zur Schau gestellt wird. Sie erleben sich als unsportlich, unbeholfen und fehl am Platz. Eine weitere schlimme Folge ist jedoch, dass die Kinder und Jugendlichen ihre körperlichen Gegebenheiten infrage stellen und sich eigenständig als schlechter wahrnehmen als sie es eigentlich sind (Klinge, 2009, S. 296). Dieses negative Körperbild und das unbefriedigende Selbstbewusstsein schlägt sich im Selbstkonzept nieder und zeigt sich schlussendlich in der sportlichen Leistung der SuS.
3. Körperbild und Selbstkonzept im Sportunterricht
Wie im vorherigen Kapitel angesprochen, spielt das Körperbild und das Selbstkonzept eine wichtige Rolle bei der Betrachtung von SuS im Sportunterricht. Infolgedessen wird in diesem Kapitel kurz erläutert, wieso ein gesundes Körperbild und Selbstkonzept relevant für Kinder und Jugendliche sind.
Heranwachsende entwickeln bereits sehr früh ein Verständnis über die gegenwärtigen Schönheitsideale. Eine Erklärung findet sich in den modernen Medien aus diesem Jahrhundert. Es gibt immer mehr Social-Media-Plattformen, wie z.B. Instagram, die den jungen Menschen vor Augen führen, wie makellos und attraktiv diese Körper aussehen und wie sie dargestellt werden können. Kinder und Jugendliche vergleichen sich mit diesen Bildern und Videos, was dazu führt, dass sie denken, ihr Körper sollte genauso aussehen wie bspw. von Influencer*innen. Außerdem kommen Kinder anhand von Titelbildern aus Zeitschriften mit der Thematik in Verbindung, sodass sich früh ein Idealbild manifestiert, welches offensichtlich zeigt, was von der Gesellschaft akzeptiert wird. Infolgedessen steigt der Druck einen passenden Körper zu haben, der der Norm entspricht (Klinge, 2009, S. 296). Es wurde festgestellt, dass Heranwachsende zwischen ihrem achten und 14. Lebensjahr eine subjektive Meinung über das Aussehen ihres Körpers bilden und wissen, wie dieser auszusehen hat (Wiesche, 2013, S. 198). Aus dem Grund ist der Sportunterricht wichtig für die Entwicklung der SuS. Der Körper ist ein „Kapital in kultureller wie sozialer Hinsicht“ (Klinge, 2009, S. 297), der im Sportunterricht offen vorgeführt wird. Die Körperlichkeit bietet aufgrund der sozialen Bedeutsamkeit viel Fläche für tiefgreifende Emotionen, welche unter anderem aufgrund von Leistungs- und Bewertungssituationen aufkommen. In den Augen vieler SuS bewerten Lehrkräfte nur ihre motorische Leistungsfähigkeit, aber verlieren andere Bewertungskriterien aus dem Blick. Der Körper gilt als Richtlinie und liefert somit einen Anlass zur persönlichen Scham (Klinge, 2009, S. 297). Besonders leistungsschwächere SuS fühlen sich in Leistungs- und Bewertungssituationen ängstlich und schamerfüllt, weil sie mit ihrem Körper nicht den vorherrschenden Maßstäben entsprechen und keine hinreichende Leistung zeigen können. Das verankert sich auch in ihrem Selbstkonzept. Dieses setzt sich aus dem „akademischen“ und „intellektuellen Konzept“, dem „Sozialkonzept“ und dem „Körperkonzept“ (Klinge & Wiesche, 2017, S. 69) zusammen. Bei SuS, die sich im Sport sicher fühlen, liegt ein ausgewogenes Selbstkonzept vor. Ein solches Selbstkonzept verringert Hemmungen und das Risiko von Misserfolgen. Aufgrund dessen sollte der Sportunterricht darauf abzielen, dass möglichst wenig beschämende Situationen auftreten, sodass die SuS keine Befürchtungen und Ängste vor Übungen und Überprüfungen haben müssen. Ein ausgeglichenes Selbstkonzept ist somit wichtig für die Identitätsbildung der Kinder und Jugendlichen.
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1 Im Folgenden werden Schüler*innen mit SuS abgekürzt.