In dieser Arbeit soll herausgearbeitet werden, aus welcher Perspektive heraus Hume den Verstand erkenntnistheoretisch eingrenzt und welche Möglichkeiten er trotz dieser Infragestellung innerweltlicher Erkenntnis für das pragmatische Handeln des Menschen in der Welt sieht. In seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand aus dem Jahr 1748 stellt David Hume die Frage nach den Grenzen menschlicher Erkenntnis. Dabei schränkt er die Leistungsfähigkeit des Verstandes im Hinblick auf die Erfassung innerweltlicher Vorgänge radikal ein. Der Untersuchungsgang erfolgt in drei Schritten.
Im ersten Schritt soll die Konzeption der Untersuchung als essayistischer Sammelband vorgestellt werden. Bevor Hume im zweiten Abschnitt mit der Entwicklung seiner erkenntnistheoretischen Theorie beginnt, stellt er im ersten Abschnitt sein philosophisches Selbstverständnis dar. Dieses philosophische Programm bildet den Hintergrund, vor dem er seine erkenntnistheoretischen Grundsätze im zweiten und dritten Abschnitt formuliert. Die im zweiten Abschnitt eingeführte Unterscheidung zwischen Eindrücken und Vorstellungen und die im dritten Abschnitt dargestellten Assoziationsprinzipien werden als erkenntnistheoretische Grundlage Humes eingeführt.
Im zweiten Schritt folgt die Analyse des vierten und fünften Abschnitts, in welchen Hume am Beispiel der Kausal- und Induktionskritik seine Skeptischen Zweifel formuliert und schließlich durch einen Perspektivwechsel die Skeptische Lösung dieser Zweifel erreicht. Auf Grundlage der Ergebnisse der ersten beiden Teile der Arbeit soll in einem dritten Schritt eine Wertung erfolgen, welche zum einen Humes Lösung des Induktionsproblems würdigt, zum anderen aber auch deren skeptisch unabgeschlossenen und offenen Charakter problematisiert.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die Konzeption der Untersuchung über den menschlichen Verstand
2.1 Die literarische Konzeption - ein essayistischer Sammelband
2.2 Das philosophische Programm
2.3 Erkenntnistheoretische Voraussetzungen
3 Die skeptischen Zweifel und die skeptische Lösung
3.1 Die Abschnitte IV und V als Zentrum der Untersuchung
3.2 Skeptische Zweifel
3.2.1 Der Rahmen der Untersuchung
3.2.2 Die Kausalitätskritik
3.2.3 Die Induktionskritik
3.3 Aporie des Denkens?
3.4 Skeptische Lösung
3.4.1 Gewohnheit als das der Induktion zugrundeliegende Prinzip
3.4.2 Das Wesen des Glaubens
4 Abschließende Bewertung
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
In seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand aus dem Jahr 1748 stellt David Hume die Frage nach den Grenzen menschlicher Erkenntnis. Dabei schränkt er die Leistungsfähigkeit des Verstandes im Hinblick auf die Erfassung innerweltlicher Vorgänge radikal ein. In dieser Arbeit soll herausgearbeitet werden, aus welcher Perspektive heraus Hume den Verstand erkenntnistheoretisch eingrenzt und welche Möglichkeiten er trotz dieser Infragestellung innerweltlicher Erkenntnis für das pragmatische Handeln des Menschen in der Welt sieht.1
Der Untersuchungsgang erfolgt in drei Schritten. Im ersten Schritt soll die Konzeption der Untersuchung als essayistischer Sammelband vorgestellt werden. Bevor Hume im II. Abschnitt mit der Entwicklung seiner erkenntnistheoretischen Theorie beginnt, stellt er im I. Abschnitt sein philosophisches Selbstverständnis dar. Dieses philosophische Programm bildet den Hintergrund, vor dem er seine erkenntnistheoretischen Grundsätze im II. und III. Abschnitt formuliert. Die im II. Abschnitt eingeführte Unterscheidung zwischen Eindrücken und Vorstellungen und die im III. Abschnitt dargestellten Assoziationsprinzipien werden als erkenntnistheoretische Grundlage Humes eingeführt.2
Im zweiten Schritt folgt die Analyse des IV. und V. Abschnitts, in welchen Hume am Beispiel der Kausal- und Induktionskritik seine Skeptischen Zweifel formuliert und schließlich durch einen Perspektivwechsel die Skeptische Lösung dieser Zweifel erreicht.3
Auf Grundlage der Ergebnisse der ersten beiden Teile der Arbeit soll in einem dritten Schritt eine Wertung erfolgen, welche zum einen Humes Lösung des Induktionsproblems würdigt, zum anderen aber auch deren skeptisch unabgeschlossenen und offenen Charakter problematisiert.
2 Die Konzeption der Untersuchung über den menschlichen Verstand
2.1 Die literarische Konzeption - ein essayistischer Sammelband
In der Untersuchung über den Menschlichen Verstand, welche in London 1748 veröffentlicht wird, legt David Hume eine Neuformulierung seiner Gedanken vor, welche er in seiner umfassenden dreibändigen Traktat über die menschliche Natur aus den Jahren 1739/1740 grundgelegt hat.4 Hume verfolgte in diesem Werk mit seinen Untersuchungen über den Verstand, die Affekte und die Moral das Ziel die menschliche Natur exakt zu beschreiben und auf diese Weise ein Fundament für andere Wissenschaften bereitzustellen. Der erhoffte Erfolg bleibt aus und das Werk wird nicht von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen.
Aus diesem Grund entscheidet sich Hume für einen publizistischen Strategiewechsel. In der Untersuchung aus dem Jahr 1747 verzichtet er auf einen explizit wissenschaftlichen Anspruch und wählt eine leichter verständliche essayistische Darstellungsform. In diesem Sammelband sind zwölf Essays in loser Folge zusammengestellt, welche jedoch einer inhaltlichen Konzeption folgen und untereinander vielfältige Beziehungen aufweisen.
Der Sammelband lässt sich inhaltlich in drei Haupteile gliedern. Im ersten Teil, welcher den I. Abschnitt Über die verschiedenen Arten der Philosophie umfasst, stellt Hume sein philosophisches Selbstverständnis vor, indem er die von ihm favorisierte anatomisierende Philosophie von der malenden Philosophie abgrenzt. Im zweiten Teil (Abschnitt II-VII) entwickelt Hume seine Erkenntnistheorie. Das Zentrum dieses inhaltlichen Abschnittes bilden die Abschnitte Skeptischer Zweifel in betreff der Verstandestätigkeiten und Skeptische Lösung dieser Zweifel, welche Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit sind und in denen Hume zu neuen und bahnbrechenden Erkenntnissen kommt. Die Konsequenzen aus der vorgestellten
Erkenntnistheorie werden im dritten Teil aufgezeigt (Abschnitt VIII-XII). Hume führt aus, welche Konsequenzen seine Theorie auf das Verhältnis von Freiheit und Vernunft hat und beleuchtet kritisch rationale theologische Auffassungen am Beispiel des Wunderglaubens. Im XII. Abschnitt Über die akademische oder skeptische Philosophie verortet Hume seinen gemäßigten akademischen Skeptizismus in Abgrenzung zum radikalen pyrrhonischen Skeptizismus.
2.2 Das philosophische Programm
Im ersten Abschnitt Über die verschiedenen Arten der Philosophie stellt David Hume sein philosophisches Selbstverständnis vor, auf dessen Grundlage er in den folgenden Abschnitten seinen erkenntnistheoretischen Ansatz entwickelt. Er verdeutlicht seinen philosophischen Anspruch, indem er metaphorisch seine anatomisierende Philosophie von der allgemein üblichen malenden Philosophie abgrenzt. Nach Gerhard Streminger lässt sich diese Unterscheidung hinsichtlich des Zweckes, hinsichtlich der Methode und hinsichtlich der vorausgesetzten Berechtigung ausdifferenzieren.5
Die malende Philosophie stellt den Menschen als handelndes Wesen in den Mittelpunkt und verfolgt das Ziel, dessen Sitten zu veredeln. Sie malt die erstrebte Tugendhaftigkeit des Menschen in bunten Farben aus, um sie für diesen erstrebenswert und attraktiv zu machen. Die anatomisierende Philosophie betrachtet den Menschen als vernünftiges Wesen, dessen Verstand veredelt werden soll. Sie fragt nach den Grundlagen der menschlichen Natur und sucht nach den Prinzipien, die den Verstand leiten und die Gefühle erregen.
Um ihr Ziel der moralischen Vollkommenheit des Menschen zu erreichen, setzt die malende Philosophie rhetorische Mittel ein, um die menschlichen Gefühle zu bewegen. Die moralischen Schriften müssen deswegen anziehend und attraktiv sein. Die anatomisierende Philosophie hat die anspruchsvolle Aufgabe, die Natur des Menschen und sein Erkenntnisvermögen zu analysieren. Ihre Schriften sind deswegen nicht leicht zugänglich und schwierig zu verstehen. Der praktische Nutzen dieser Philosophie scheint nicht vordergründig gegeben, da „ihre Prinzipien nicht leicht nachhaltigen Einfluß auf unsere Führung und unser Verhalten ausüben“.6
Die malende Philosophie findet ihre Berechtigung darin, den Menschen zu einem tugendhafteren Leben zu motivieren und zu einem glücklicheren Leben zu führen. Die anatomisierende Philosophie versteht sich als Grundwissenschaft, welche die Basis aller Disziplinen des menschlichen Geistes darstellt. Malende und anatomisierende Philosophie widersprechen sich nach Hume nicht, sondern die anatomisierende Philosophie ist notwendige Voraussetzung für die malende Philosophie:
„Der Anatom zeigt dem Auge die abschreckendsten und widerwärtigsten Gegenstände; aber seine Wissenschaft ist dem Maler (...) von Nutzen. (...) Während dieser die üppigsten Farben seiner Kunst anwendet (...), muss er doch dabei die innere Struktur des menschlichen Körpers (...) aufmerksam beobachten. Genauigkeit kommt immer der Schönheit zugute, und richtiges Denken dem zarten Gefühl. Es ist vergeblich, das eine auf Kosten des andern erheben zu wollen.“ (EHU 10)
2.3 Erkenntnistheoretische Voraussetzungen
In den Abschnitten II bis VII entwickelt Hume seine Theorie des empirischen Wissens, indem er aufzeigt, wie dieses in Auseinandersetzung mit der Umwelt erworben wird. Im zweiten Abschnitt Über den Ursprung der Vorstellungen erläutert Hume sein empiristisches Grundprinzip7.
Er unterscheidet innerhalb der Bewusstseinsinhalte (perceptions) zwischen sinnlichen Eindrücken (impressions) und gedanklichen Vorstellungen (ideas). Eindrücke entstehen unmittelbar bei der Wahrnehmung von Sinneseindrücken wie Hören, Riechen, Schmecken oder Fühlen. Dieser Vorgang ist ein bewusstes Wahrnehmen und Erleben, welches auch mit einem bestimmten Lust- oder Unlustgefühl verbunden sein kann. Vorstellungen vollziehen sich im Denken und Erinnern an ein bestimmtes Erlebnis. Das Erinnerungsvermögen ermöglicht dem Menschen vergangene Erfahrungen ins Bewusstsein zurückzurufen.
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1 Zur ersten Orientierung diente das Kapitel David Hume, in: Franz Schupp, Geschichte der Philosophie im Überblick, Bd. 3: Neuzeit, Meiner: Hamburg 2013, 267-288.
2 Die Ausführungen zu den ersten drei Abschnitten der Untersuchung sind auf der Grundlage des folgenden Kommentars entstanden: Gerhard Streminger, David Hume: „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“: ein einführender Kommentar, Schöningh: Paderborn (u.a.) 1995, 54-107.
3 Die Analyse des IV. und V. Abschnitts der Untersuchung in dieser Arbeit ist eigenständig verfasst worden, wobei folgender Artikel zur ersten Orientierung Verwendung gefunden hat: Astrid von der Lühe, „Wie ist eine empirische Wissenschaft vom Menschen möglich? Humes skeptische Zweifel und ihre skeptische Lösung (Abschnitt IV und V)“, in: David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, hg. v. Jens Kulenkampff, Akademie Verlag: Berlin 22013, 53-72.
4 Die Hintergrundinformationen zur Entstehungsgeschichte der Untersuchung entstammen: Streminger, 19-27.
5 Streminger, 58-60.
6 David Hume; Manfred Kühn (Hg.), Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Meiner: Hamburg 2015, 6. Im Folgenden wird der Konvention gefolgt, Zitate aus der Untersuchung im Fließtext unter Verwendung der Abkürzung EHU (Enquire concerning Human Understanding) nachzuweisen. In dieser Arbeit wird jeweils nur die Seitenzahl der deutschen Übersetzung angegeben.
7 Im Folgenden werden in Klammern hinter die deutschen Begriffe die englischen Originalbegriffe des Urtextes in Klammern angegeben.