Fusionen sind in der heutigen Zeit an der Tagesordnung, der größte Teil von ihnen scheitert. Häufig werden nur harte Faktoren für den Misserfolg verantwortlich gemacht, organisationskulturelle Faktoren spielen jedoch auch eine wichtige Rolle. Die vorliegende Masterthesis beschreibt die Notwendigkeit der kulturellen Post-Merger-Integration.
In jedem Unternehmen hat sich im Laufe der Zeit eine Kultur entwickelt, die oft sehr unterschiedlich zu anderen ist. Somit ist die Bildung einer gemeinsamen Kultur unumgänglich, um Missverständnisse sowie unterschiedliche Denk- und Verhaltensweisen nach einem Zusammenschluss zu minimieren und eine effektive Zusammenarbeit zu ermöglichen.
Die Thesis beschreibt aus systemtheoretischer Perspektive die Möglichkeiten der Einflussnahme interner Kommunikation auf den Kulturwandel, der im Rahmen der Post-Merger-Integration stattfinden muss sowie deren Grenzen und Problemstellungen. Die empirische Vorgehensweise beruht auf offenen, leitfadengestützten Experteninterviews, die mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet wurden.
Das Untersuchungsergebnis liefert die Basis zur Beantwortung der Forschungsfrage(n), nämlich wie weit interne Kommunikation den Wandel formen kann und wo sie an ihre Grenzen stößt, ob sie den Wandel bewirkt oder nur begleitet und welche Problemstellungen sich für sie ergeben. Hierbei werden auch die verschiedenen Begriffsdefinitionen für interne Kommunikation berücksichtigt. Ergebnis der Arbeit ist ein Modell zur Einflussnahme der internen Kommunikation auf den Kulturwandel.
Inhaltsverzeichnis
Teil A - Einleitung
1 Problemstellung: Merger & Acquisitions (M&A) unter Berücksichtigung der Unternehmenskultur
2 Forschungsstand
2.1. Zielsetzung der Arbeit
2.2. Herleitung der Forschungsfrage
2.3 Vorgehensweise
3 Eingrenzung der Untersuchung
Teil B – Theoretischer Teil
2 Grundlagen von M&A
2.1 Definition von M&A
2.2 Motive für M&A
2.3 Integration im Rahmen von Fusionen
2.3.1 Begriff der Integration
2.3.2 Emotionale Folgen von Fusionen
2.4. Zusammenfassung
3 Grundlagen von Corporate Culture
3.1 Die drei Ebenen der Kultur nach Schein und ihre Bedeutung für die Integration
3.1.1 Ebene 1 – Artefakte
3.1.2 Ebene 2 – öffentlich propagierte Werte
3.1.3 Ebene 3 – Grundlegende unausgesprochene Annahmen
3.2 Notwendigkeit von Kulturerhebungen vor Fusionen
3.3 Kulturwandel
3.3.1 Überlebensangst als Motivation zur Veränderung
3.3.2 Lernen und Verlernen als Motor der Veränderung
3.3.3 Interaktion von Überlebensangst und Lernangst
3.3.4 Umgang mit Widerstand
3.3.5 Vorbildfunktion als Anstoß zur Veränderung
3.4 Möglichkeiten der kulturellen Integration nach Fusionen
3.5 Auswirkungen kultureller Unterschiede in der Integration
3.6 Zusammenfassung
4 Interne Kommunikationsprozesse im Rahmen der kulturellen Post-Merger-Integration
4.1 Unternehmen und Kommunikation unter systemtheoretischer Betrachtung
4.2 Entstehung von Kommunikation
4.3 Interne Kommunikation
4.3.1 Die Rolle der „Abteilung“ Interne Kommunikation
4.3.2 Das moderne Verständnis der internen Kommunikation
4.3.3 Der Zusammenhang zwischen interner Kommunikation und Unternehmenskultur
4.4 Sonderfall Change-Kommunikation
4.4.1 Changeprojekt Fusion: Problemstellungen für die interne Kommunikation
4.4.2 Die Einbindung der Führungskräfte in den internen Kommunikationsprozess
4.5 Zusammenfassung
5 Zusammenfassung
Teil C – Empirischer Teil
6 Empirische Herangehensweise
6.1 Methodisches Vorgehen
6.2 Auswahl der Experten, Beschreibung des Umfelds
6.2.1 Quelle A, CEO, Unternehmen A
6.2.2 Quelle B, Director Corporate Communications, Unternehmen B
6.2.3 Quelle C, Leiterin Unternehmenskommunikation, Unternehmen C
6.2.4 Quelle D, selbständiger Unternehmensberater
6.2.5 Quelle E, Gesellschafter, Unternehmen E, Unternehmensberatung
6.2.6 Quelle F, geschäftsführender Gesellschafter, Unternehmen F
6.2.7 Dr. Quelle G, Managing Partner, Unternehmen G
6.3 Erstellung des Leitfadens
6.4 Durchführung der Interviews, Transkription
6.5 Anwendungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse
7 Zusammenfassung der Ergebnisse
7.1. Unternehmenskultur
7.1.1. Verständnis des Begriffs Unternehmenskultur in der Praxis
7.1.2 Verständnis des Begriffs „unbewusste Überzeugungen“
7.2 Wandelbarkeit von Kultur
7.2.1 Einfluss der Führungskräfte auf den Kulturwandel
7.2.2 Partizipation der Mitarbeiter
7.2.3 Einfluss von positiven und negativen Sanktionen
7.2.4 Einfluss von Sinn
7.2.5 Sense of Urgency
7.2.6 Wandel von Werten, Verhaltensweisen und unbewusste Überzeugungen
7.3 Interne Kommunikation im Wandel
7.3.1 Die Rolle der internen Kommunikation bei einem Wandel
7.3.2 Kommunikative Berücksichtigung unterschiedlicher Kulturen
7.3.3 Einfluss der internen Kommunikation auf den Wandel
7.3.4 Einfluss der internen Kommunikation auf das organisatorische Lernen
7.3.5 Problemstellungen für die interne Kommunikation
Teil D – Fazit und Ausblick
8. Interpretation der Ergebnisse und Hypothesenbildung
8.1 Fazit zum Verständnis des Begriffs Unternehmenskultur
8.2 Fazit zum Verständnis des Begriffs und zur Rolle der unbewussten Überzeugungen
8.3 Fazit zum Einfluss der Führungskräfte auf den Wandel
8.4 Fazit zum Einfluss von Partizipation auf den Wandel.
8.5 Fazit zum Einfluss von positiven und negativen Sanktionen.
8.6 Fazit zum Einfluss von Sinn
8.7 Fazit zum Einfluss der Veränderungsbereitschaft und Lernfähigkeit
8.8 Fazit zur Notwendigkeit des Sense of Urgency
8.9 Fazit zum Wandel von Werte, Verhaltensweisen und unbewussten Überzeugungen
8.10 Fazit zur kommunikativen Berücksichtigung unterschiedlicher Kulturen
8.11 Fazit zum Einfluss der internen Kommunikation auf den Wandel
8.12 Fazit zur Rolle der internen Kommunikation im Wandel
8.13 Fazit zum Einfluss der internen Kommunikation auf das organisatorische Lernen .
8.14 Fazit zur Problemstellung für die interne Kommunikation im Wandel
8.15 Zuordnung der Hypothesen zur Beantwortung der Forschungsfragen
9 Einschränkung der Studie und weitere Forschungsthemen
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Vergleich sichtbarer, hörbarer und spürbarer Gegebenheiten
Tabelle 2: Vergleich öffentlich propagierter Werte, Frage nach dem „Warum“
Tabelle 3: Unterschiedliches Denken innerhalb verschiedener Kulturen
Tabelle 4: Zuordnung des Kategoriensystems zu den Leifragen
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Risiken bei einer Fusion oder Akquisition
Abbildung 2: Integrationsphasen bei M&A
Abbildung 3: Die drei Ebenen der Unternehmenskultur
Abbildung 4, Types of Resistance
Abbildung 5, Wandelkurve nach Elisabeth Kübler-Ross
Abbildung 6, Multikulturstrategie
Abbildung 7, Mischkulturstrategie
Abbildung 8, Monokulturstrategie
Abbildung 9, Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen bei Mergers & Acquisitions
Abbildung 10, Krisenbewältigungsphasen bei verschiedenen Hierarchieleveln
Abbildung 11, Modell zum Einfluss der internen Kommunikation auf den Wandel
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Teil A - Einleitung
1 Problemstellung: Merger & Acquisitions (M&A) unter Berücksichtigung der Unternehmenskultur
Wachstum und die Steigerung des Unternehmenswertes gehören heute zu den wichtigsten Zielen vieler Unternehmen und spielen eine große Rolle für ihren Erfolg. Dies kann einerseits durch den Ausbau eigener Potentiale geschehen, oft werden aber auch M&A – Unternehmenszukäufe oder –zusammenschlüsse - als geeignetes Mittel betrachtet, um Wachstum zu generieren (Bea/Haas 2001, S. 171ff; Welge/A-Laham 1992, S. 307ff). Zusätzlich wollen Unternehmen durch M&A Synergien nutzen. Durch den Zusammenschluss zweier Unternehmen lassen sich im Idealfall Kosteneinsparungen und Ertragssteigerungen erzielen. Aber hier entstehen auch Risiken: Einerseits können beide Unternehmenskulturen positiv aufeinander wirken, aber sie können auch so gegensätzlich sein, dass sie zum Zusammenbruch führen.
Nachweislich entsprechen die Ergebnisse in einem Großteil der Zusammenschlüsse nicht den erwarteten Auswirkungen: In 50 bis 78,5 % der Fälle (Picot 2002, S. 511) werden die gewünschten Erfolge bei Mergern nicht erzielt. Dass die Erfolge oft ausbleiben, kann viele verschiedene Gründe haben. Häufig werden finanzielle, steuerliche, produktionsbezogene oder juristische, also „harte“ Faktoren für einen Misserfolg verantwortlich gemacht. Verliert ein Unternehmen seine wirtschaftliche und rechtliche Selbstständigkeit, ist jedoch häufig eine Identitätskrise die Folge. Den Mitarbeitern, die sich mit dem Unternehmen, also der Organisation, der Struktur, den Abläufen, und kulturellen Aspekten „ihres“ Unternehmens identifizieren konnten, wird im schlimmsten Fall das alles genommen. Umstrukturierung, Veränderung von Abläufen, Ungewissheit und ein anders erwartetes Verhalten untereinander führen in eine Identitätskrise. Hierdurch kommt es unter Umständen zu Orientierungslosigkeit und Motivationsverlust – der Zusammenschluss wird häufig nicht positiv, sondern negativ gesehen.
Die Integration zweier Unternehmen kann aber nur gelingen, wenn die Mitarbeiter den Zusammenschluss akzeptieren und ihn unterstützen: Das konstruktive Engagement der Mitarbeiter bei der aktiven Gestaltung und konsequenten Umsetzung einer erfolgreichen Integration kann als entscheidend für den Erfolg des M&A Prozesses betrachtet werden. (Unternehmen G1999, S. 17) Das Commitment der Mitarbeiter, das wesentlich durch die Informationsbzw. Kommunikationspolitik des Unternehmens gebildet wird, wird somit zum Wettbewerbsfaktor und ein wichtiger Baustein der Zusammenführung.
Auch kulturelle Aspekte werden häufig nicht genügend in die Chancenund Risikobewertung eines bevorstehenden Zusammenschlusses einbezogen. Daher kommt es nicht selten zu einem „Aufeinanderprallen“ gegensätzlicher Wertvorstellungen und Verhaltensmuster. Folge der hieraus entstehenden Konflikte ist häufig Motivationsverlust. Der mündet in weniger effektivem Arbeiten und hat hierdurch negative finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmensergebnis. Und selbst wenn vor Durchführung des Zusammenschlusses so genannte Kulturbewertungen erfolgen, ist das Ergebnis fraglich: Schein (2003, S. 70) zweifelt deren Tauglichkeit an „[…] aber meiner persönlichen Erfahrung nach besitzt jedes Unternehmen ein einzigartiges Profil kultureller Annahmen, die kein Fragebogen erfassen kann (vgl. Hofstede 1991/1997; Cameron/Quinn 1999; Goeffee/Jones 1998).“
Stellt man nach erfolgtem Zusammenschluss fest, dass beide Kulturen gar nicht oder nur unzureichend zueinander passen, muss man Lösungswege suchen. Als ein Lösungsansatz wird oft die interne Kommunikation gesehen, die den Mitarbeiter beeinflussen soll, „sein Denken und Handeln an den Betriebsund Unternehmenszielen auszurichten“. (Klöfer/Nies 2001, S. 31) Aber interne Kommunikation ist kein „Allheilmittel“.
2 Forschungsstand
Es gibt eine Vielzahl an wissenschaftlichen Arbeiten und Büchern, die sich mit dem Begriff Unternehmenskultur und ihrem Einfluss auf den M&A Prozess beschäftigen.
Z.B. widmen Edgar Schein Schein (2003) in seinem Buch über Organisationskultur "The Ed Schein Corporate Culture Survival Guide“ sowie Fons Trompenaars und Peter Prud'Homme (2004) in ihrem Buch „Managing Change Across Corporate Cultures“ dem Thema Unternehmenskultur bei Mergers und Aquisitions jeweils ein Kapitel und stellen die Schwierigkeiten heraus, die kulturelle Unterschiede in einem verschmolzenen neuen Unternehmen verursachen können. Edgar Schein kritisiert, wie naiv Kulturkonzepte von Beratern und Veränderungsmanagern häufig gehandhabt werden. Er berichtet aus seiner langjährigen Erfahrung im Bereich Unternehmenskultur und gibt praktische Tipps zur Anwendung seines Konzepts. Dies wird nicht wissenschaftlich fundiert, sondern beruht auf seiner persönlichen Erfahrung.
Sonja Sackmann (2004) untersucht in ihrem Buch „Erfolgsfaktor Unternehmenskultur“ den Einfluss von Kultur und Führungsverhalten als Erfolgsfaktor im Wettbewerb. Sie stellt sich der Frage, wie Unternehmenskultur konkret gestaltet und entwickelt werden kann, wählt aber einen betriebswirtschaftlichen anstatt einen kommunikationswissenschaftlichen Ansatz zur Beantwortung.
Schein, Sackmann sowie Fons Trompenaars und Peter Prud'Homme gehen jedoch nicht auf die Rolle der Kommunikation bei der aktiven Entwicklung einer neuen oder Änderung einer bestehenden Kultur ein. Es gibt viele weitere Buchtitel, die sich mit dem Thema Fusion und Unternehmenskultur beschäftigen, allerdings nur vom betriebswirtschaftlichen Ansatz her.
Einer, der Unternehmenskultur kommunikationswissenschaftlich betrachtet, ist Siegfried J. Schmidt (2005) mit seinem Buch „Unternehmenskultur – Die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen“. Er geht im ersten Teil seines Buches auf die Begriffe Kultur und Kommunikation ein. Die Basis für das Kapitel "Beobachten, Kommunizieren, Entscheiden: Unternehmen als Prozess-Systeme" liefert die Systemtheorie.
Hier analysiert er die Prozesssysteme, die Unternehmenskultur ausmachen: Das Entscheidungssystem, um gemeinsame Ziele zu erreichen, das Beobachtungssystem, um gemeinsame Wirklichkeitskonstruktionen zu erlangen und das Kommunikationssystem zur Koordination von Teilöffentlichkeiten. Im zweiten Teil seines Buches gibt er praktische Hinweise, wie Unternehmenskultur gestaltet werden kann. Er sagt aber auch ganz deutlich, dass es sich hier – hervorgehend aus dem ersten Teil - nicht um glatte Problemlösungen handelt:
„Sicher ist hier allein die Unsicherheit“ (S. 186). Er analysiert die Bedeutung von Unternehmensleitbildern als eine Antwort auf eine fehlende gemeinsame Zielorientierung bei Fusionen, geht aber ansonsten nicht auf die Problemstellung unterschiedlicher Kulturen bei Fusionen ein.
Zusätzlich gibt es viele Dissertationen, Thesen, Diplomarbeiten und Hausarbeiten, die sich mit der Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor im M&A Prozess beschäftigen. Auch diese haben oft einen betriebswirtschaftlichen Ansatz und gehen gar nicht – oder nur unzureichend auf die Rolle der internen Kommunikation ein. Erwähnt sei hier noch eine Hausarbeit von Thomas Kraft (2001) mit dem Thema „Informationsund Kommunikationspolitik als Erfolgsfaktor bei M&A Prozessen“. Er beschränkt sich allerdings auf die reine Informationsübermittlung im M&A Prozess, ohne das Thema Unternehmenskultur in seine Überlegungen mit einzubeziehen.
Es wird deutlich, dass zwar die Blöcke M&A und Kultur, sowie Kommunikation und Kultur betrachtet werden, aber bei der Recherche wurde keine Thematisierung aller drei Komponenten Fusion, Kommunikation und Kultur – sowie deren Beeinflussung untereinander - gefunden.
2.1. Zielsetzung der Arbeit
Ziel der Arbeit ist es herauszufinden, ob und wie interne Kommunikation den Kulturwandel bei einer Fusion beeinflusst. Es sollen Diskussionsgrundlagen geschaffen, Problemstellungen aufgedeckt und neue Erkenntnissen erlangt sowie daraus Hypothesen entwickelt werden.
Die Arbeit soll möglichst nahe an den alltäglichen Situationen bei Fusionen und kultureller Integration anknüpfen und Beteiligten aufzeigen, worauf es bei einer kulturellen Integration, also bei einem Kulturwandel für mindestens eins der fusionierenden Unternehmen, ankommt, wie viel Zeit einzuplanen ist und welche Rolle die interne Kommunikation im Change- Prozess spielt. Sie soll aufzeigen, welche Voraussetzungen für eine effektive Umsetzung kultureller Post-Merger-Integration erforderlich sind.
Ziel dieser Arbeit ist es nicht, eine Aufstellung von Methoden und Medien zu liefern, die für die Change Kommunikation geeignet sind. Hierüber gibt es bereits eine Vielzahl praktisch orientierter Bücher, die von Kommunikationsverantwortlichen in bestimmten Situationen als hilfreich empfunden werden. In diesen Büchern wird u. a. oft empfohlen, „einfach und verständlich“ zu kommunizieren. Dies „ist beispielsweise im Grunde eine sehr triviale Aussage, denn was für den einen klar und verständlich ist, ist es nun einmal für den anderen nicht“. (Hegele-Raih 2001, S. 59) Auch auf diese Problematik soll in der Arbeit eingegangen werden.
2.2. Herleitung der Forschungsfrage
Schmidt (2005) beschreibt das Dilemma der Unternehmenskommunikation, indem er aufzeigt, dass für viele Unternehmen Kommunikation aus dem bloßen Austausch von Gedanken, Informationen und Gefühlen besteht. Botschaften werden in geeignete Medienangebote verpackt und von den Empfängern dann ausgepackt und verstanden – das Stimulus- Response Modell in Reinform. „Diese Alltagstheorie ist in den letzten Jahren immer problematischer geworden; denn sie setzt einerseits voraus, dass man Informationen ohne „Reibungsverluste“ einund auspacken kann; und sie unterstellt andererseits einen passiven Empfänger von Botschaften, der die Nachrichten des Senders wie aus einem Container bloß entnimmt.“ (Schmidt 2005, S. 50) Laut Schmidt kann beispielsweise ein Text – oder ein anderes Medienangebot zwar als eine Möglichkeit zur Informationsproduktion beim Rezipienten gesehen werden, aber man kann auf keinen Fall die vom Sender gewünschte Informationsproduktion erzwingen. Der Sender kann also nicht aufgrund eines bestimmten Medienangebotes auf ein erwünschtes Verhalten schließen. (Schmidt 2005, S. 51) Die Botschaft entsteht beim Empfänger und ist abhängig von seinen persönlichen Erfahrungen. Hier geht es um den Prozess der selektiven Wahrnehmung: Wir nehmen die Welt nicht so wahr wie sie ist, sondern in Abhängigkeit unseres kognitiven Apparats, also subjektiv. (Merten, PR plus Studienbrief 2, S. 8)
Interne Kommunikation, die den Mitarbeitern Informationen vermitteln, Unsicherheiten nehmen und Perspektiven aufzeigen soll, ist bei fusionierenden Unternehmen mit stark differierenden Kulturen vor eine große Herausforderung gestellt. Denn Kommunikation entsteht durch das reflexiv werden von Wahrnehmungen in sozialer, zeitlicher und sachlicher Dimension (Luhmann 1970a in Merten 1999-2003, S. 12f.). Diese sind aber bei beiden Mitarbeitergruppen – der von Unternehmen X und der von Unternehmen Y – unter Umständen völlig unterschiedlich. Daher können Informationen unterschiedlich interpretiert werden, bzw. lösen unterschiedliche Reaktionen aus. Man stelle sich z.B. die Fusion zwischen einem traditionsgebundenen, stark hierarchisch orientierten Unternehmen und einem modernen mit flachen Hierarchien und großer Eigenverantwortung der Mitarbeiter vor. Eine Information über eine Umstrukturierung bzw. einen Führungswechsel würde wahrscheinlich bei der Gruppe ehemaliger Mitarbeiter des vorher stark hierarchisch geführten Unternehmens eine weitaus größere Verunsicherung hervorrufen als bei den Mitarbeitern, die an ein eigenverantwortliches Arbeiten gewöhnt sind.
Interne Kommunikation soll letztendlich die Zusammenführung beider Kulturen stützten und unterstützten. Hieraus ergibt sich folgende Frage:
Wieweit kann interne Kommunikation den Wandel formen, und wo stößt sie an ihre Grenzen?
- Bewirkt sie den Wandel oder begleitet sie ihn nur?
- Mit welchen unterschiedlichen Problemstellungen muss sich die interne Kommunikation in der Post-Merger-Integration auseinandersetzen?
2.3 Vorgehensweise
Zur Bildung der Hypothesen wurde explorativ vorgegangen: Eine qualitative Inhaltsanalyse von Experteninterviews bildet die Grundlage zur Beantwortung der Forschungsfragen.
Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte unter der Einbeziehung besonders typischer Fälle: Mit einem Kreis von sieben Personen - Führungskräfte aus Kommunikationsabteilungen, externe Berater sowie der CEO eines großen mittelständischen Unternehmens, die aufgrund ihrer Tätigkeit Erfahrungen mit den Themen Fusionen und Kulturwandel haben - wurden offene leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Die Ergebnisse der Experteninterviews flie- ßen in die Arbeit ein und liefern die Grundlage zur Hypothesenbildung.
3 Eingrenzung der Untersuchung
In dieser Arbeit sollen ausschließlich Zusammenschlüsse – also Fusionen - von Unternehmen berücksichtigt werden, bei denen die wirtschaftliche Selbstständigkeit vollständig aufgegeben wird und mindestens eines der Unternehmen auch seine rechtliche Selbstständigkeit verliert. Fusionen sind in der Regel dauerhaft geplante Zusammenschlüsse, daher ist hier eine Anpassung beider Kulturen sinnvoll und wichtig.
Der Fokus der Thesis liegt auf interner Kommunikation und deren Einfluss auf die Kultur der fusionierenden Unternehmen.
Eine Fusion wird in drei Phasen eingeteilt: Die Pre-Merger-Phase, die Merger-Phase und die Post-Merger Phase. Diese Arbeit setzt in der dritten Phase, der Post-Merger-Phase an. Der Zusammenschluss ist bereits erfolgt, beide Unternehmen sind miteinander verschmolzen, und das neu daraus hervorgegangene Unternehmen muss nun unter Beweis stellen, dass die Entscheidung richtig war. Es muss die Kulturen miteinander vereinen – das heißt aus jeder das Beste beibehalten und den Rest ablegen, oder aber die „bessere“ von beiden – das ist die, die zu der neuen gewünschten Identität des entstandenen Unternehmens am besten passt – beibehalten und die andere komplett verwerfen. Der länderspezifische Einfluss auf Unternehmenskulturen bleibt unberücksichtigt.
Teil B – Theoretischer Teil
2 Grundlagen von M&A
2.1 Definition von M&A
Um zu verstehen, in welchen Spannungsfeldern sich Mitarbeiter, die von einem Unternehmenszusammenschluss betroffen sind, bewegen, sind Grundlagenkenntnisse der M&A erforderlich.
Der Begriff M&A – Mergers & Acquisitions - stammt aus dem Angelsächsischen. In der Regel wird er im Deutschen mit Unternehmenszusammenschluss und Unternehmensübernahme übersetzt. (Picot, 2000, S. 15) Dabei kann man zwischen „M&A im engeren Sinne“ als im Rahmen von Unternehmungstransaktionen auftretende Dienstleistungen und „M&A im weiteren Sinne“ als Sammelbegriff für den Erwerb oder den Verkauf von Firmenbeteiligungen, Fusionen oder Kooperationen verstehen (Gösche 1991, S. 11; Storck 1993, S. 22).
Ein Merger “ […] is a marriage between two companies, usually of roughly the same size.” (Jones 1998, S. 64) Das Wort Fusion kann synonym verwendet werden. (Müller-Stewens et al. 1999, S. 1) Bei einer Fusion schließen sich mindestens zwei Unternehmen zusammen und bilden eine wirtschaftliche und rechtliche Einheit. (Wöhe 1993, S. 404) Bei einer Akquisition hingegen handelt es sich um den Kauf eines Unternehmens, oder von Unternehmensteilen. (Müller-Stewens et al. 1999, S. 1) Diese kann auch gegen den Willen des akquirierten Unternehmens erfolgen. Hier wird synonym der Begriff Übernahme verwendet. (Macharzina 1999, S. 531f)
2.2 Motive für M&A
M&A dient grundsätzlich den höheren Unternehmenszielen. Die Hauptintention ist das Wachstum sowie die Ertragssteigerung. Dies kann, wie anfangs schon erwähnt, durch das
Nutzen eigener Potenziale – z.B. die Eröffnung neuer Standorte, Umsatzsteigerungen durch innovative Produkte, etc. – gelingen. Andererseits kann Wachstum auch extern generiert werden, z.B. durch Zusammenschlüsse.
Man unterscheidet nach proaktiven und defensiven Gründen für M&A. Bei proaktiven Gründen wird der Zusammenschluss als Mittel gesehen, um die Vorraussetzungen für die Zielerreichung zu schaffen oder zu verbessern. Ein Hauptmotiv für proaktive M&A ist die Bildung von Synergien. Z.B. können sich aus dem Zusammenlegen verschiedener Aktivitäten Kosteneinsparungen ergeben. Je besser die Unternehmen zusammen passen, desto höher ist die Erfolgsaussicht bei der Nutzung von Synergien. Hierzu sollten die Unternehmen in ihren zentralen Elementen übereinstimmen, da diese nur langfristig veränderbar sind. (Spickers 1995, S. 134)
Neben dem strategischen und organisatorischen „Fit“ spielt auch der kulturelle eine große Rolle (Spickers 1995, S. 144), aber natürlich sind vor allem finanzielle Aspekte wichtig. Z.B. haben Acquisitions häufig das Ziel, zusätzliche Gewinne zu generieren, indem ein wahrscheinlich unterbewertetes Unternehmen aufgekauft und anschließend als Ganzes oder in Teilen wieder verkauft wird. (Achleitner 1999, S. 140)
Ein weiterer Grund für Zusammenschlüsse ist, auf Umweltveränderungen zu reagieren. Diese bezeichnet man als defensive Gründe. Hierzu gehören z.B. Marktveränderungen: Wettbewerber schließen sich zusammen und bringen andere Unternehmen unter Zugzwang. (Bressmer et. Al 1989, S. 20) Diese Kettenreaktionen lassen sich vor allem in der Automobilindustrie beobachten (Daimler-Benz/Chrysler, Ford/Volvo, Renault/Nissan, Scania/Volvo). Ferner können defensive Zusammenschlüsse dem Ablenken von aktuellen
Problemen oder der Flucht aus einer misslichen Lage in eine Auswegsstrategie dienen. (Sandler 1991, S. 184f)
Für die betroffenen Mitarbeiter macht es nicht viel Unterschied, ob der Zusammenschluss aus proaktiven oder defensiven Gründen geschieht – das Ergebnis bleibt für sie letztendlich das gleiche. In jedem Fall ergeben sich für zumindest einige Betroffene erhebliche Nachteile. Auch für auf das kulturelle Umfeld hat der Grund eines Zusammenschlusses keine Bedeutung. Fest steht: Sobald er erfolgt ist, muss regiert werden.
2.3 Integration im Rahmen von Fusionen
Die Post-Merger-Phase, auf die diese Arbeit sich fokussiert, wird häufig als Integrationsphase bezeichnet. Ein Zusammenschluss kann als ein Prozess beschrieben werden, bei dem die Integration nach der Initiierungs-, Suchund Verhandlungsphase den letzten Schritt darstellt. (Sandler 1991, S.178). In der Integrationsphase erfolgen die eigentlichen Aktivitäten zur Umsetzung der Integrationsziele. Daher kommt dieser Phase hinsichtlich Aufwand und Erfolgsrelevanz die größte Bedeutung zu. Gleichzeitig birgt sie aber – wie Abbildung 1 hervorgeht - auch das größte Risiko für den Erfolg.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Risiken bei einer Fusion oder Akquisition. Quelle: TRÄM, Michael 2000 In: FINK, Dietmar 2000 Seite 291.
2.3.1 Begriff der Integration
Zum Begriff der „Integration“ bei Zusammenschlüssen existieren unterschiedliche Definitionen. In der Regel wird darunter im weitesten Sinne der Prozess der Zusammenführung von Unternehmen oder Unternehmensbestandteilen verstanden. Man unterscheidet nach Integrationstiefe. Es gibt viele Gestaltungsmöglichkeiten und Konstruktionen, sie reichen von einer reinen Finanzbeteiligung über eine Kooperation bei weitgehender Eigenständigkeit bis hin zur totalen Verschmelzung. Auf diese Integrationsvariante bezieht sich diese Arbeit.
Eine mögliche Betrachtungsweise für Integration liefert Scheiter. Er versteht hierunter die
„[...] Zusammenführung und Verschmelzung von Systemen, Strukturen, Ressourcen und Kulturen zweier Unternehmen zur Erreichung einer wirtschaftlichen Zielsetzung.“ (Scheiter 1989, S. 7) Ähnlich ist bei Schoenauer der Integrationsprozess der „[...] process of bringing together the parts, the human resources for instance, and making them into a new whole [...]“. (Schoenauer 1967, S. 32, FN 3). Grüter (1991, S. 81) beschreibt die Integration als
„[…] die Gesamtheit von Aktivitäten, die zum Ziel haben, die beteiligten Unternehmungen bzw. sozialen Systeme so miteinander zu vereinigen, dass daraus eine einzige betriebswirtschaftliche Einheit besteht.“ Alle drei Definitionen gehen auf die Zusammenführung aller Unternehmensbestandteile zu einem neuen Ganzen ein.
Die Integrationsphase ist die Phase, in der beide Kulturen zusammengeführt werden müssen. Die Mitarbeiter beider Unternehmen müssen sich neu orientieren. Unterschiedliche Kulturen vermischen sich, aus den Identitäten der beiden zusammengeführten Unternehmen bildet sich eine neue heraus oder eines der zusammengeführten Unternehmen übernimmt die Identität des anderen für sich. Funktioniert dies, können sich die Mitarbeiter beider Unternehmen nach einiger Zeit mit dem neu entstandenen Unternehmen identifizieren - ein motiviertes Arbeiten ohne Energieverschwendung auf Gerüchte und aufreibende Ängste und Ungewissheit wird möglich. Dies muss gesteuert werden – man darf diese Entwicklung auf keinen Fall dem Zufall überlassen, sonst läuft man Gefahr, dass der Prozess sich völlig anders entwickelt als gewollt. Selbst wenn er sich per Zufall in die richtige Richtung bewegt, dauert dies ohne Unterstützung und Steuerung sehr viel länger. Hieraus ergeben sich große finanzielle Nachteile für das neu entstandene Unternehmen und die Integration scheitert, obwohl ein positives Ergebnis möglich gewesen wäre.
2.3.2 Emotionale Folgen von Fusionen
Nachfolgend soll erläutert werden, warum es so wichtig, die Integration beider Unternehmen zu steuern, zu unterstützen und zu begleiten. Fusionen stellen alle Betroffenen vielfach vor tief gehende Veränderungen (Cartwright/ Cooper 1992, S. 4). Die Menschen neigen dazu, Bestehendes beizubehalten. Das gibt ihnen das Gefühl der Sicherheit und Berechenbarkeit. (Müller-Stewens/Lechner 2001, S. 404) Einschneidende Wandlungsprozesse werden als etwas Neues und Ungewisses empfunden. Damit gehen Gefühle wie Unsicherheit, Verwirrung oder Angst einher. (Rosenstiel 1997, S. 197) Die betroffenen Mitarbeiter müssen ihre „Komfortzone“ verlassen und werden vor Veränderungen gestellt, die häufig unangenehm für sie sind.
Das Ausmaß der Veränderungen hängt bei einer Fusion zu einem großen Teil von der Integrationstiefe ab. Ist eine weit reichende Integration geplant, so gehen die Veränderungen bis tief in das Unternehmen hinein. Müller-Stewens beschreibt „Konzeptionelle Entscheidungen beim Post-Merger-Management“ die möglichen Folgen einer umfassenden Integration wie folgt: „Die „Organisation“ ist in dieser Situation extrem sensitiv und handelt auf Basis einer nur schwer vorhersagund lenkbaren Grundstimmung. Rationale Argumente finden nur begrenzt Beachtung und Emotionen treten in einem zuvor vielleicht nie gekannten Ausmaß an die Oberfläche. Das Handeln der Führungskräfte wird stark symbolisch interpretiert, um empfundene Ungewissheit abzubauen und um mit den eigenen Ängsten umzugehen. Ein Zusammenschluss muss für die Beteiligten gesamthaft Sinn stiften, ansonsten werden sie sich gegen den zur Realisierung von Synergien erforderlichen Wandel stellen.“ (Müller- Stewens, Konzeptionelle Entscheidungen beim Post-Merger-Management, S.4)
M&A stellen für die Betroffenen dann Ereignisse dar, die das existierende „Mitarbeiter- Umwelt-Passungsgefüge“ nicht nur kurzfristig beeinträchtigen, sondern werden als bedeutende Spannungszustände wahrgenommen. Das heißt sie stellen erhöhte Anforderungen an das Anpassungsvermögen der Mitarbeiter. (Gerpott 1993, S. 106) Sie unterbrechen die bestehenden Routinen und stellen die Betroffenen vor eine ungewisse Situation. (Ivanchevich et. al. 1987, S. 20 ff.) Die Veränderungen können den Einzelnen direkt betreffen, zum Beispiel durch Personalabbau, oder sie erfolgen indirekt, wie zum Beispiel durch veränderte Normen oder Arbeitsweisen. (Marks 1981, S. 95, in Gerpott 1993, S. 106) Man spricht auch vom „Merger-Syndrom“, wenn Fusionen als Folge dieser Situation zu Identitätsund Autonomieverlust, zu Orientierungslosigkeit und Ähnlichem führen.
Sobald die Mitarbeiter von den Fusionsplänen erfahren, breitet sich Ungewissheit aus. Folgende Fragen können Ausdruck der Ungewissheit sein:
- Warum wird unser Unternehmen fusionieren?
- Sind wir ab jetzt Mitarbeiter eines neuen Unternehmens?
- Werden wir nun von einem anderen Unternehmen bezahlt?
- Geht das Geld nun an einem anderen Tag ein?
- Wird sich meine Arbeit ändern?
- Wird sich meine Bezahlung ändern?
- Wird unser Standort geschlossen?
- Werde ich entlassen?
- Was passiert mit meinem Team, meinen Kollegen?
- Muss ich eventuell an einen anderen Standort?
- Ich habe eine lange Betriebszugehörigkeit– beginnt die Zählung nun von vorne?
- Wie, wann und von wem werden wir über alle bevorstehenden Änderungen informiert?
- Wird sich etwas an unseren Kundenund Lieferantenbeziehungen ändern?
Die Angst vor dem Ungewissen versetzt die Betroffenen in einen Stresszustand. Dies wiederum liefert die Basis für stark subjektiv geprägte Interpretationen der Situation seitens der betroffenen Mitarbeiter und ist Nährboden für Gerüchte. (Müller-Stewens/Lechner 2001, S.
430) Werden diese Entwicklungen und die entstehenden Emotionen nicht ernst genug genommen und geht man damit nicht sorgfältig um, so kann es zu Widerständen, kontraproduktivem Verhalten oder sogar zum Verlassen des Unternehmens kommen. (Stähle 1999, S. 977f.)
Abbildung 2, S. 24 zeigt die typische Entwicklung von Emotionen bei einschneidenden Veränderungsprozessen wie einer Fusion: Die gegenläufige Tendenz von Emotionen und Stress gegenüber Produktivität wird deutlich. Der Wendepunkt in Phase drei symbolisiert die kritische Stelle. Hier entscheidet sich, ob die beiden Organisationen so zusammengeführt werden konnten, dass das neu entstehende Unternehmen die Probleme lösen und eine neue Kultur bilden, sowie die entstehenden Synergien nutzen kann, oder ob beide Unternehmen wieder getrennte Wege gehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Integrationsphasen bei M&A (Quelle: Nakamura zit. in Müller-Stewens/Lechner 2001, S. 143)
Diese Ängste bestehen zwar für einen Großteil der Mitarbeiter, es gibt jedoch immer Mitarbeiter, die mit der vorigen Arbeitssituation nicht zufrieden waren und in einem Wandel – wie er z.B. durch eine Fusion einhergeht – eine Chance sehen. Bei diesen Mitarbeitern ist die Hoffnung in das was kommt größer, als die Angst davor. Diese Mitarbeiter sollte man als so genannte „Change Agents“ nutzen, denn sie können mit ihrer Offenheit für die neue Situation unter Umständen Brücken bauen (siehe Kapitel 3.5.5).
2.4. Zusammenfassung
Nach einer Fusion ist die Post-Merger-Integration für den Erfolg der Zusammenführung entscheidend. Mit ihr gehen häufig einschneidende Veränderungen einher, die oftmals erhebliche emotionale Zustände wie Angst und Unsicherheit bei den betroffenen Mitarbeitern nach sich ziehen. Diese wiederum können zu negativen Auswirkungen wie eine stak eingeschränkte Motivation bis hin zum Verlassen des Unternehmens führen. Daher ist es wichtig, gezielt mit den emotionalen Folgen der Fusion umzugehen. Die Integration – insbesondere Verschmelzung beider Kulturen muss gesteuert und unterstützt werden. Dies ist einerseits notwendig, um zu verhindern, dass sich das neu entstandene Unternehmen in eine falsche Richtung entwickelt, und andererseits, um die Integration so schnell wie möglich umzusetzen und die Mitarbeiter wieder in einen „Ruhezustand“ zu bringen, in dem ein effektives Arbeiten möglich wird. Mitarbeiter, die der Veränderung durch die Fusion offen gegenüberstehen sollte man nutzen, um anderen aus der Krise zu helfen.
3 Grundlagen von Corporate Culture
Wenn zwei Unternehmen fusionieren, fusionieren auch zwei Kulturen. Das geschieht zum einen, indem man aus jeder Kultur das Beste beibehält und den Rest verwirft, oder indem eins der fusionierenden Unternehmen die Kultur des anderen adaptiert. Aber Kultur – was ist das eigentlich? Neben Einflussfaktoren Eigentumsverhältnisse, Standorten, Branche, Historie, Unternehmensgröße, etc. (Schick 2002, S. 105) hat auch die interne Kommunikation einen Einfluss auf die Kultur eines Unternehmens. Um zu erfahren, wie viel, muss klar sein, was sich eigentlich hinter ihr verbirgt und welche Auswirkungen sie haben kann. Dies soll im folgenden Kapitel geklärt werden.
Der Begriff Unternehmenskultur ist mehr als ein Modetrend. Durch verstärkte M&A Aktivitä- ten mit Schwierigkeiten im Integrationsprozess gewinnt er immer mehr an Bedeutung. Auch plötzliche Firmenzusammenbrüche haben die Unternehmenskultur wieder in den Fokus der Betrachter gesetzt. (Sackmann 2004, S.23). Es ist wichtig, bei allen Entscheidungen, die ein Unternehmen trifft, kulturelle Mechanismen in Betracht zu ziehen, um ungewünschte Folgen zu vermeiden. Passt eine Entscheidung nicht zu der Kultur des Unternehmens, kann sie – wenn überhaupt – nur mit sehr hohen Reibungsverlusten durchgesetzt werden. Dies gilt natürlich auch im Hinblick auf den Zusammenschluss von Unternehmen.
Unternehmenskultur – auch Organisationskultur genannt - wird verschieden definiert: McLean und Marshall (1985) beschreiben sie folgendermaßen: „Organisational culture is the collection of traditions, values, policies, beliefs and attitudes that constitute a pervasive context for everything we do and think in an organisation. “
Sackmann (2000, S. 143) beschreibt Unternehmenskultur als “[…] eine Art kognitive Landkarte, der sich ihre Mitglieder zur Orientierung bedienen. Diese Orientierungshilfe beeinflusst maßgeblich die Wahrnehmung, das Denken, Fühlen und Handeln der Organisationsmitglieder.“
Schmidt (2005, S. 68) beschreibt Unternehmen als Prozess-Systeme, die sich über die Prozesse Beobachten, Kommunizieren und Entscheiden selbst organisieren und sich ständig verändern. Unternehmenskultur ist damit als ein sich selbst steuerndes Programm, das die Lösung aller zentralen Probleme ermöglicht. „Im Rahmen meines Vorschlags, Kultur nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil des integralen Wirkungszusammenhangs von Wirklichkeitsmodell & Kulturprogramm, der sich im Wirkungszusammenhang von Geschichten & Diskursen sozial konkretisiert und über Handlungen und Kommunikationen empirisch beobachtet wird, erscheint ein Kulturprogramm als ein sich selbst organisierendes, reflexives System von Mustern für sinnvolle Problemlösungen. Diese Muster orientieren im Sinne operativer Fiktionen alle individuellen wie sozialen Prozesse der Planung, Durchführung, Interpretation, Empfindung, und Bewertung von Handlungen im weiteren Sinne (hier als >>Problemlösungen<< bezeichnet). Kultur steuert also die Handlungen der Mitarbeiter – dies geschieht jedoch unbewusst und ist grundlegend für die Identität einer Gesellschaft – oder in unserem Fall – eines Unternehmens (Schmidt 2005, S. 83).
3.1 Die drei Ebenen der Kultur nach Schein und ihre Bedeutung für die Integration
Schein (1995, S. 25) definiert Organisationskultur als „ein Muster gemeinsamer Grundprä- missen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird.“ Das von Schein entwickelte dreistufige Kulturmodell (Abb. 3, S. 26) hat sich als Basis für die wissenschaftliche Forschung etabliert.
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Abbildung 3: Die drei Ebenen der Unternehmenskultur, Quelle: Schein 2003, S. 31
Kultur ist schwer zu begreifen. Für viele Unternehmen sind z.B die Grundwerte, der Umgang miteinander, äußere Erscheinungsformen, die Gestaltung von Abläufen und organisatorische Strukturen der Ausdruck der eigenen Kultur: Das, woran Kultur gemessen wird. Diese Denkweise ist einfach, aber nicht ausreichend, will man Kultur wirklich verstehen und fassen. Dies zeigt Scheins Erklärung seines Kulturmodells.
3.1.1 Ebene 1 – Artefakte
Ebene eins – die Ebene der Artefakte – beschreibt den „Stil“ eines Unternehmens. Darunter sind alle Dinge zu verstehen, die man „sehen, hören und spüren kann“ (Schein 2003, S. 32). Schein stellt als Beispiel zwei Unternehmen gegenüber:
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Tabelle 1: Vergleich sichtbarer, hörbarer und spürbarer Gegebenheiten (Kulturmodell Ebene 1) nach Schein (2003, S. 32)
Wenn man beide Unternehmen betrachtet, wird man geneigt sein, aus den hörbaren, sichtbaren und spürbaren Gegebenheiten zu schließen, dass beide Unternehmen komplett unterschiedliche Kulturen haben. Schein gebietet hier Vorsicht, denn man kann durch bloße Beobachtung nicht sagen, warum sich die Mitarbeiter so verhalten und nicht anders. Um die dahinter stehende Kultur zu erkennen, muss man einen Schritt weitergehen und die Gründe für das entsprechende Verhalten finden.
Das bedeutet z.B. im Falle einer Fusion, dass man bei Unternehmen mit sehr ähnlich scheinenden äußeren Gegebenheiten nicht automatisch darauf schließen kann, dass sie eine gleiche oder zumindest sehr ähnliche Kultur haben. Unternehmen, die sich in ihrer Vergangenheit gar nicht oder nur wenig mit Soft Facts wie z.B. Kultur beschäftigt haben, sind verleitet, bei Cultural Due Diligence Prüfungen in der Pre-Merger-Phase – sofern sie überhaupt durchgeführt werden - eben nur auf diese äußeren Erscheindungsmerkmale zu achten. Unter Cultural Due Diligence versteht man einen „[…] diagnostic process conducted to ascertain the degree of cultural alignment or compatibility between companies that are party to a merger or acquisition” (Carleton/Lineberry 2004, S. 53). Von den im Cultural Due Diligence Prozess aufgenommenen äußeren Erscheinungsmerkmalen schließt man dann laut Grüter (1990, S. 159) auf die zugrunde liegenden Werte und Normen. Es ist jedoch sehr schwierig, Werte und Normen auf diese Art zu erfassen, da sie unbewusst gelebt werden.
3.1.2 Ebene 2 – öffentlich propagierte Werte
Somit gelangt man zu Ebene zwei von Scheins Kulturmodell, es geht um die Frage nach dem „Warum“. Hier führen Gruppeninterviews mit Insidern zu den besten Ergebnissen.
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Tabelle 2: Vergleich öffentlich propagierter Werte, Frage nach dem „Warum“ (Kulturmodell Ebene 2) nach Schein (2003, S.32)
Das Kuriose ist, dass beide Unternehmen, die sich in einem doch sehr unterschiedlichen Stil darstellen, die gleichen Werte propagieren. Demnach ist der Betrachter noch nicht viel weiter, weil er bisher nur erkennt, dass die Artefakte völlig verschieden, die propagierten Werte jedoch gleich sind. Das Verhalten der Organisationsmitglieder wird also anders gesteuert, nämlich von der tieferen Denkund Wahrnehmungsebene (Schein 2003, S.33).
3.1.3 Ebene 3 – Grundlegende unausgesprochene Annahmen
Diese tiefer liegenden Denkweisen sind in der Historie des Unternehmens zu finden. Der Firmengründer hat seine Werte, Überzeugungen und Annahmen in das Unternehmen eingebracht und es auf deren Basis aufgebaut und weiterentwickelt. Wenn er damit erfolgreich ist, werden sie von den Mitarbeitern übernommen – sie bilden somit die Unternehmenskultur. Daraus folgt, dass Kultur ein Prozess gemeinsamen Lernens ist (Schein 2003, S. 35). Grü- ters Ansicht (1990, S.62), dass das Ausmaß der „Kulturdistanz“ zum Beispiel durch einen Vergleich der Artefakte zweier Kulturen bestimmt werden kann, ist somit widersprüchlich. Man muss immer versuchen, die tief liegenden unausgesprochenen Annahmen zu bestimmen, um zwei Kulturen vergleichen zu können.
3.2 Notwendigkeit von Kulturerhebungen vor Fusionen
Im Idealfall wird schon vor dem Zusammenschluss geprüft, ob die beiden fusionierenden Unternehmen zusammenpassen. Dies darf sich allerdings nicht auf gemeinsame Geschäftsziele, Märkte, Produkte, Technologien sowie finanzielle Kompatibilität beschränken. Laut Schein (2003, S. 163) werden diese Gemeinsamkeiten nämlich unter Umständen auf ganz unterschiedliche Art und Weise erreicht (siehe auch Kapitel 3.1.1). Nach erfolgtem Zusammenschluss muss zumindest eins der fusionierten Unternehmen seine Denkund Arbeitsweisen, die sich aufgrund langjähriger kollektiver Erfahrungen entwickelt haben, ablegen bzw. ändern. Daher ist es notwendig, die grundlegenden unausgesprochenen Annahmen der fusionierenden Unternehmen zu überprüfen.
Leider wird dies häufig nicht mit der notwendigen Intensität betrieben. Eine intensive Prüfung gestaltet sich als schwierig, weil die Absicht des Zusammenschlusses häufig erst einmal geheim bleiben muss. Meist erfolgt die Bewertung über Fragebögen oder Beobachtung der Artefakte (siehe Kapitel 3.1.1). Hierzu äußert Schein (2003, S.91), dass Kultur sich nicht durch Befragungen und Fragebögen erheben lässt. „Erhebungen im Rahmen einer Befragung können als kulturelle Artefakte und als Spiegel des Unternehmensklimas betrachtet werden, sagen aber nichts über die tieferen Werte oder gemeinsamen Annahmen aus, die wirksam werden.“ Schmidt (2004, S. 200) stellt heraus, dass standardisierte Fragebogenaktionen nur ergänzend durchgeführt werden sollten. Gruppeninterviews hingegen hätten den Vorteil, die kollektiven Meinungen zu ermitteln und irrelevante Einzelansichten auszuklammern. Auch Schein (2003, S.91) unterstützt die Ansicht, dass die Validität und Effektivität von Gruppeninterviews der von Einzelbefragungen unbedingt vorzuziehen ist. „Sicher gibt es Erhebungsmethoden und Fragebögen, die den Anspruch erheben, die Unternehmenskultur zu messen, aber bei dem von mir vorgestellten Kulturmodell können Sie nur einige Artefakte, öffentlich bekundete Werte und eventuell noch eine oder zwei grundlegende Annahmen deutlich machen. Die unausgesprochenen kollektiven Annahmen, die in ihrer Organisation wichtig sind, können Sie nicht erheben.“ (Schein 2003, S. 69)
Wichtig ist: Um größere Schwierigkeiten im Integrationsprozess zu vermeiden, müssen fusionierende Unternehmen vor der Entscheidung für oder gegen eine Fusion auf eine Kompatibilität beider Kulturen geprüft werden. Weichen sie stark voneinander ab, ist es schwierig bis unmöglich, den Integrationsprozess zur allgemeinen Zufriedenheit abzuschließen. Gemeinsame positive Erfahrungen – die zur Neubildung einer gemeinsamen Kultur führen (siehe Kapitel 3.1.3), können aufgrund der negativen Einstellung betroffener Mitarbeiter nicht gemacht werden. Daher werden sie sich nicht mit dem neu entstanden Unternehmen identifizieren können.
3.3 Kulturwandel
Idealerweise behält das neu entstandene Unternehmen die zu seiner Vision passenden Werte und Denkweisen aus beiden Kulturen bei und verwirft die weniger geeigneten. Das hört sich einfach an. Kultur ist ein Selbstläufer und bildet sich im Unternehmensalltag.
Eine Methode, nach der Fusion mit den verschiedenen Kulturen umzugehen, wäre abzuwarten, was passiert und welche neue Kultur sich im Laufe der Jahre herausbildet. „Im Laufe der Zeit entwickeln sich kulturelle Annahmen über den Kern des Unternehmens, seine Mission, seine Strategie. Wer diese Annahmen nicht berücksichtigt, wenn bestimmte Teile einer Kultur verändert werden sollen, wird feststellen, dass die zur Veränderung vorgesehenen Bereiche nicht so reagieren wie erhofft.“ (Schein 2003, S. 54) Auch Georg Fey (Klöfer/Nies 2001, S. 229) hält es für wirtschaftlich bedenklich, den Wandel von Kultur einfach sich selbst zu überlassen lassen: „Eine Unternehmenskultur entwickelt sich, ob mit oder ohne Steuerung. Ohne zusätzliche Anstrengungen, wie die genannten kann eine solche Entwicklung aber in die falsche Richtung abdriften oder gar den Integrationsprozess um Jahre verzögern. In beiden Fällen ergäben sich natürlich erhebliche Probleme für den geschäftlichen Erfolg.“ Um also nicht eventuell von ungewollten Entwicklungen überrascht zu werden, muss Kultur – soweit möglich - gesteuert werden.
Hat mindestens eins der fusionierenden Unternehmen eine starke Kultur, aus der Teilaspekte für die Gestaltung der Zukunft nicht mehr brauchbar sind, kommt es zu Unverständnis über den angestrebten Kulturwandel: „Starken Unternehmenskulturen sind Veränderungen suspekt, sie lehnen sie vehement dann ab, wenn sie ihre Identität bedroht sehen. Unangenehme, dem herrschenden Weltbild zuwider laufende Vorschläge werden frühzeitig blockiert oder gar nicht registriert.“ (Leonard/Barton 1992 in Schryögg/Koch 2007, S. 347)
Brigitte Witzer (1992) führt drei Ansätze zur Gestaltbarkeit von Kultur auf. Vertreter des individualistischen Ansatzes vertreten die Meinung, dass Unternehmen eine Kultur HABEN und Kultur bzw. kultureller Wandel uneingeschränkt steuerbar sei. Dem gegenüber stehen die Vertreter des individualistischen Ansatzes, der besagt, dass Unternehmen Kultur SIND. Kultur stellt eine „organisch gewachsene Lebenswelt“ dar und die Möglichkeit des Eingreifens wird sehr skeptisch gesehen – es wird sogar davor gewarnt. (Schreyögg/Koch 2007, S.350) Die Frage nach einer uneingeschränkten Manipulierbarkeit von Unternehmenskulturen löst bei einigen Organisationskulturforschern mittlerweile allerdings Skepsis aus (Heinen/Frank 1997, S.15). „Die Unternehmenskultur ist das Resultat eines langen Entwicklungsprozesses, dessen Richtung sich nicht kurzfristig nach Maßgabe der verfolgten Strategie verändern lässt.“ (Dülfer 1995, S.193) Der aus dieser Skepsis resultierende dritte Ansatz der „Kurskorrektur“ akzeptiert die Idee des geplanten Wandels eingeschränkt. Nach Initiierung der Ver- änderung findet der Wandel im Laufe der Zeit in einem „offenen Prozess“ statt. (Schrey- ögg/Koch 2007, S.350).
Schmidt (2005, S. 104f) unterscheidet zwischen differentialem Wandel – einem Wandel, der sich durch bewusste oder unbewusste Änderungen vollzieht, jedoch einfach so und allmählich vonstatten geht. Die andere Art Kulturwandel ist der geplante – Unternehmen führen ihn ganz gezielt herbei. Dies wird bei der kontrollierten Verschmelzung zweier Kulturen notwendig. Arbeitsund Denkweisen, die nicht mehr benötigt werden, müssen abgelegt und neue erlernt werden. Die Mitarbeiter müssen begreifen, dass die neue Kultur Vorteile bietet, während das Verharren in alten Denkmustern Nachteile mit sich bringt. Schein (2003, S. 116/117) führt auf: „Ich glaube aufgrund meiner Erfahrungen, dass in einem reifen System, indem altes verlernt werden muss, bevor Neues gelernt werden kann, irgendein Gefühl von Bedrohung, Krise oder Unzufriedenheit vorhanden sein muss.“ Es wird zum Beispiel schwierig sein, in einem Unternehmen, das erfolgreich arbeitet und gut am Markt platziert ist einen Kulturwandel herbeizuführen. Die Mitarbeiter sehen keinerlei Notwendigkeit, von dem, was bisher funktioniert hat, abzusehen und sich umzustellen und neue Wertvorstellungen und Denkweisen zu entwickeln. Sie müssten Lernen - und Lernen bedeutet offen, für Neues zu sein. Neues ist in der Regel unbequem und warum sollte man aus seiner Komfortzone herauskommen, wenn nicht ein dringender Bedarf besteht. „Man kann die Mitarbeiter zwar dazu bringen, ihr offenes Verhalten zu verändern, aber stabil sind solche Verhaltensänderungen erst dann, wenn es auf tieferer Ebene zu irgendeiner Form der Transformation gekommen ist.“ (Schein 2003, S.115)
3.3.1 Überlebensangst als Motivation zur Veränderung
In Wissenschaft und Praxis besteht mittlerweile weitgehende Einigkeit darüber, dass der geplante Wandel von Unternehmenskulturen ein schwieriges und langfristiges Unterfangen ist. Nach Schreyögg (1991 in Dülfer 1991) ist eine der Voraussetzungen für das Gelingen, die Beschäftigten von der Notwendigkeit des Wandels zu überzeugen und durch breite Partizipation zu motivieren, den Entwicklungsprozess mit zu tragen.
„Veränderungen einer Unternehmenskultur können nicht gezielt herbeigeführt oder gar erzwungen werden. Sie können bestenfalls initiiert und gefördert werden; denn die Mitarbeiter müssen ihre bisherigen Überzeugungen und Wertvorstellungen freiwillig und aus Überzeugung ändern.“ (Schmidt 2005, S.133) Doch welche Motivation haben Mitarbeiter für die freiwillige Veränderung? Schreyögg /Koch (2007, S.350) sehen den Beginn eines erfolgreichen Kulturwandels in einer Konfliktsituation. Alte Verhaltensweisen und Denkmuster sind nicht mehr erfolgreich und führen in eine Krise. Bei stark differierenden Kulturen kommt es durch andere und zum Teil gegensätzliche Verhaltensweisen und Denkmuster zu Missverständnissen, Demotivation und Fehlern. Nun treffen zwei Faktoren aufeinander: Einerseits haben beide Unternehmen im ungünstigsten Fall vorher unabhängig voneinander erfolgreich gearbeitet. Das würde bedeuten, dass die Mitarbeiter beider Unternehmen stark von den eigenen Werten und Denkweisen überzeugt sind, die „der anderen“ für ungeeignet erachten und sich schwerlich auf Neues einlassen werden. Es ist paradox, aber dem Wandel kommt hier das eigentlich Negative zugute: Eine Fusion ruft immer Ängste wach (Post-Merger-Syndrom, siehe Kapitel 2.3.2 und 3.5.1). Diese lähmen selbstverständlich die Effektivität der Mitarbeiter, aber sie schaffen gleichzeitig die Grundlage für den Willen zur Veränderung: Sie münden in eine Art Überlebensangst und zwingen die Mitarbeiter, aus ihrer Komfortzone herauszukommen, da sie sich mit ihren negativen Gefühlen unwohl fühlen. Die Antworten auf einige der in Kapitel 2.3.2 dargestellten Fragen, die Ausdruck der Unsicherheit sind, werden nun zum Wegbereiter für die Bereitschaft zur Annahme anderer Denkund Arbeitsweisen:
- Warum hat unser Unternehmen fusioniert? – Weil es die Wettbewerbssituation und die Zukunft des Unternehmens erfordern. Synergien bilden heißt effektiver und effizienter zu arbeiten und hierdurch Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Ohne diese Synergien würden wir auf Dauer scheitern und viele Arbeitsplätze gingen verloren. => Wenn wir uns verändern, wird unser fusioniertes Unternehmen erfolgreich am Markt sein und sich gegen Wettbewerber durchsetzen. Das sichert meinen Arbeitsplatz.
- Sind wir ab jetzt Mitarbeiter eines neuen Unternehmens? Ja, und als Mitarbeiter eines neuen Unternehmens kommt Neues auf uns zu: Wenn wir uns den Gegebenheiten nicht anpassen können, werden wir scheitern. Die Fusion wird zum Misserfolg und man geht mit hohen Verlusten wieder auseinander. => Wenn ich mich verändere, werde ich einen festen Platz im neuen Unternehmen haben.
Hierbei geht es nicht darum, Horrorszenarien aufzubauen, sondern logisch zu erklären, warum der Wandel notwendig ist. Nur wenn die Mitarbeiter die Ernsthaftigkeit und die Wahrheit der Aussagen sehen, werden sie offen für wirkliche Veränderung sein. Jahrelang erlernte und in der Vergangenheit als richtig und notwendig bestätigte Denkweisen und Verhaltensmuster können eventuell kurzfristig durchbrochen werden, aber sie dauerhaft zu verändern, ist eine sehr schwere Aufgabe.
3.3.2 Lernen und Verlernen als Motor der Veränderung
Schmidt (2005, S.145) stellt fest, dass gravierende innere und äußere Beeinflussungen des Unternehmens stattfinden müssen und die unternehmensspezifischen Ordnungszustände
Beobachtung, Kommunikation und Entscheidung nicht mehr hierzu passen, bevor die Frage nach der Bereitschaft zur Veränderung der Unternehmenskultur erfolgen kann.
Nach der Fusion finden solche gravierenden inneren und äußeren Beeinflussungen statt. Die Komplexität des Unternehmens steigert sich: Es gibt mehr Kunden, mehr Lieferanten, mehr Produkte und Technologien, interne Abläufe werden umgestaltet, neue Hierarchien gebildet und Mitarbeiter in andere Positionen versetzt. Diese Aufzählung kann noch lange weitergeführt werden. Die Steigerung der Komplexität muss von den Mitarbeitern verarbeitet werden.
„In der Post-Merger-Phase machen die Partner viele neuartige Erfahrungen miteinander. Diese sind sehr unternehmens-, abteilungs-, bereichsund funktionsspezifisch. Sie betreffen nicht nur die Wahrnehmung fremder und ungewohnter Denk-, Beurteilungsund Reaktionsformen im Umgang miteinander, sondern auch Erfahrungen in der mehr oder weniger produktiven Bewältigung solcher kulturspezifischer Problemsituationen.“ (Alexander Thomas in Nina Janich 2005, S.19) Die Bewältigung, bzw. Verarbeitung aller neuen Gegebenheiten erreichen sie durch Lernen. Schmidt definiert Lernen als „systemspezifische Änderungen von Systemzuständen, in denen Wissen auf der Grundlage von bereits verfügbarem Wissen für künftige Wissensproduktionen hergestellt wird.“, und betont die Selektivität lernender Systeme, die „den Lernanlass, den Lernprozess und das Lernergebnis als kognitiv relevant, affektiv befriedigend und moralisch vertretbar“ einschätzen müssen. (2005, S. 139) Nach Schrey- ögg/Conrad (2000, S.45) findet ein Lernprozess statt, „wenn Individuen oder Organisationen nach der Verarbeitung einer neuen Information in einer unterschiedlichen Art und Weise agieren, als sie es zu tun gewohnt waren. Lernen bedeutet daher Veränderung, d.h. Bewegung, und Begegnung, wie auch immer definiert, bedeutet Wandel.“
Aber es ist nicht nur wichtig, Neues zu lernen, sondern auch früheres Verhalten, das nicht mehr gewollt ist und eine positive Zusammenarbeit hemmt, zu korrigieren. Schein sieht die Dynamik des Verlernens als die Überwindung des Widerstands gegen die Veränderung. (Schein 2003, S.115) Sich auf sein Wissen – also seine Erfahrungen und das was gut war zu berufen – hemmt den Lernprozess. „Wo Wissen bewahrt wird, wird Lernen verhindert. Deshalb lässt sich Wissen auch nicht einfach vermehren wie die Größe einer Torte: Lernen zerstört Wissen, indem es verhindert, dass alte Unterscheidungen weiter vollzogen werden […]. Wissen macht lernbehindert.“ (Simon 1995, S.363 f. zit. in Schmidt 2005, S.143) Dies bedeutet, dass das Beharren auf einmal erworbenem Wissen uns daran hindert, offen für
Neues zu sein und etwas zu lernen, während Lernen Wissen, das da ist und als bisher richtig angesehen wurde, nun als nicht mehr richtig darstellt. Lernen bedingt also, dass Wissen verändert wird. Es wird erweitert, aber auch korrigiert. Einmal gelerntes kann sich als nicht mehr nützlich erweisen. Denkund Handlungsweisen, die bisher funktioniert haben, sind nicht mehr brauchbar und erwünscht. Indem die Mitarbeiter neue Verhaltensmuster erlernen, vergessen sie zwar die alten nicht, aber bei Erfolg wenden sie die neuen immer häufiger an. Dies ist ein Prozess, der sich über einen langen Zeitraum erstrecken kann, denn Menschen fallen – gerade in Extremsituationen – oft in alte Verhaltensmuster zurück. Aber mit der persönlichen Bereitschaft zur Veränderung und der Unterstützung durch positive Erfahrungen oder auch Kollegen, die Feedback geben, werden sich neue Verhaltensmuster verfestigen und die alten verdrängen.
3.3.3 Interaktion von Überlebensangst und Lernangst
Veränderung ist unbequem, aber die Bereitschaft zur Veränderung entsteht, sobald die Notwendigkeit erkannt wird. „Aber in demselben Augenblick, indem Sie die Notwendigkeit der Veränderung akzeptieren, entsteht Lernangst. Die Interaktion dieser beiden Ängste ist für die komplexe Dynamik der Veränderung notwendig.“ (Schein 2003, S.120) Nach seiner Definition (2003, S.121) setzt sich Lernangst aus verschiedenen Ängsten zusammen:
- Angst vor vorübergehender Inkompetenz – Altes wird aufgegeben, ohne das Neue schon perfekt zu beherrschen
- Angst, aufgrund der Inkompetenz Repressalien ausgesetzt zu sein – Wenn es zu lange dauert, das Neue zu lernen, könnte man bestraft werden
- Angst vor Verlust der persönlichen Identität – Das Alte war ein wichtiger Teil der eigenen Identität, das Neue passt nicht zu einem selbst
- Angst vor Ausgrenzung – neues Denken stempelt einen zum Außenseiter in der Gruppe
Widerstand gegen Neues beruht also auf Lernangst, die Überlebensangst wird billigend in Kauf genommen.
Daraus leitet Schein (2003, S.122) folgende Prinzipien ab:
1) Die Überlebensangst muss größer als die Lernangst sein.
2) Man darf die Überlebensangst nicht steigern, sondern muss die Lernangst verringern. Die Lernangst zu verringern anstatt die Überlebensangst zu steigern, ist wichtig, denn zu große Überlebensangst wird die Mitarbeiter lähmen und womöglich dazu führen, dass sie das Unternehmen von selbst verlassen.
3.3.4 Umgang mit Widerstand
Lernen bedeutet Veränderung und Wandel und Widerstand gehören unabdingbar zusammen. Widerstand ist ein Fakt des organisatorischen Lebens und der ständige Begleiter des Wandels. Da man ihn nicht vermeiden kann, muss man gezielt mit ihm umgehen: „Es ist für den Fortgang eines Veränderungsprojekts von entscheidender Bedeutung, dass Widerstand
– in welcher Form auch immer – rechtzeitig erkannt und richtig beantwortet wird.“ (Doppler 2002, S. 323) Ein Kulturwandel, wie er nach einer Fusion bei einer Mischoder Monokulturstrategie (siehe Kapitel 3.4) notwendig ist, ist ein umfangreiches und langfristiges Change- Projekt und löst – wenn auch nicht bei 100 Prozent der Mitarbeiter - in jedem Fall Widerstand aus. Aber Widerstand ist Feedback und Feedback ist wertvolle Information, die man als Basis für den konstruktiven Umgang mit Widerstand nutzen sollte. Macht man das in einer suboptimalen Weise, kann es die Organisation sehr viel Geld kosten. Widerstand optimal zu managen hingegen hilft, Change-Projekte umzusetzen und dabei die Schwierigkeiten gering zu halten.
Aber was genau bedeutet eigentlich Widerstand? Marcellino Sanchez, Change Manager bei Textron Inc. stellt die in Abbildung 4, S. 39, dargestellten Arten von Widerständen fest. Aktiver Widerstand ist leicht auszumachen: Die Mitarbeiter stellen Fragen und fordern eine Richtungsänderung – meist zurück zu Altbewährtem. Diese Art von Widerstand tritt auf, wenn die Mitarbeiter am Anfang der Changekurve (Abb. 5, S. 41) stehen. Der Widerstand ist situativ, wenn er auf eine bestimmte Zeit begrenzt ist. Hier muss man in Aktion treten, um ihn aufzuweichen. Er kann chronisch werden, wenn man nichts dagegen tut und versucht, ihn einzudämmen. Daher ist es unbedingt notwendig, auf Widerstand zu reagieren und ihn nicht einfach zu ignorieren und zu hoffen, dass er sich die Situation irgendwann normalisiert. Obwohl aktiver Widerstand leicht zu identifizieren ist, ist er schwer zu adressieren. Man benötigt sehr viel Energie, um ihn aufzulösen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4, Types of Resistance, Quelle: Marcellino Sanchez, Change Manager Textron Inc., Vortrag
„Change Communications“, Internal Communication Summit Textron April 2007
Noch schwerer ist mit passivem Widerstand umzugehen, weil er nicht so leicht identifizierbar ist. Mitarbeiter spielen hier oft das „das–hab-ich–nicht-gewusst“ oder „das-hab-ich-nichtverstanden-Spiel“, halten Informationen zurück, beschuldigen sich gegenseitig, suchen ständig nach Entschuldigungen, verkomplizieren die Dinge mehr als nötig, etc.
Je nachdem, in welcher Phase der Krise (Abb. 9, S.44) sie sich gerade befinden, ist der Widerstand als situativ oder chronisch zu bezeichnen.
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