Das Schulfach der Mathematik gehört zum naturwissenschaftlich-technischen Kanon der Volks- bzw. Grundschulen sowie der weiterführenden Schulformen. Seit jeher gilt der naturwissenschaftlich-technische Bereich – und darunter insbesondere die althergebrachte Disziplin der Mathematik – zur männlichen Lebenswelt. Diese Seminararbeit möchte Kritik an dieser willkürlichen Sozialkonstruktion üben, die mathematikbegabte Mädchen und junge Frauen durch alltägliche Anforderungen an Geschlechterrollen sowie aufgrund institutioneller Hindernisse vor erschwerte Bedingungen stellt.
Zunächst soll in Kapitel 2 die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Mathematik erläutert werden. Einerseits durch die historische Perspektive auf die fehlenden Möglichkeiten der Teilhabe von Frauen an der mathematischen Disziplin und andererseits durch die Analyse bis dato bestehender Geschlechterstereotype in der Mathematik sollen die Chancen von weiblicher Repräsentation im mathematischen Feld ausgelotet werden.
Anschließend soll herausgearbeitet werden, inwiefern der Mathematikunterricht als solcher noch immer von Benachteiligungsstrukturen durchzogen ist. In Kapitel 3 wird daher das fragend-entwickelnde Unterrichtsmodell, über das die Mathematiklehrenden bis heute ihre Inhalte vermitteln, kritisch beleuchtet. Zur grundlegenden Literatur für dieses Thema gehört die von Helga Jungwirth im Jahr 1990 veröffentliche Studie mit dem Titel Mädchen und Buben im Mathematikunterricht. Eine Studie über geschlechtsspezifische Modifikationen der Interaktionsstrukturen. Dabei soll aufgezeigt werden, dass die Rede von einer sogenannten ‚natürlichen’ Begabung von Jungen im Bereich der Mathematik verschleiert, dass die Gesellschaft diese als dezidiert männliches Charakteristikum erwünscht und demgemäß auch über Unterrichtsmethoden aktiv herstellt.
Im abschließenden Kapitel 4 sollen mithilfe von Handlungsorientierungen aus der Jungenarbeit sowie anhand von den im Seminar erarbeiteten gendersensiblen Beispielen zu alternativen Methoden für den Mathematikunterricht die Potenziale aufgezeigt werden, um den Mathematikunterricht dergestalt zu verändern, dass Mädchen wie Jungen sich gleichermaßen mit mathematischen Aufgabenstellungen auseinandersetzen wollen und können. Damit sollen Denkanstöße zur Vision einer Chancengleichheit angeregt werden, in der die individuellen Neigungen und Fähigkeiten von Kindern vor dem Hintergrund ihres Geschlechts weder emporgehoben, noch ausgebremst werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Mathematik
2.1 Historische Perspektive auf den Ausschluss aus der Mathematik
2.2 Stereotype Darstellungen von Frauen im mathematischen Diskurs
3 Kritik am fragend-entwickelnden Unterrichtsmodell
4 Anregungen zur Veränderung des Status Quo
4.1 Methodische Ansätze aus der Jungenarbeit
4.2 Gendersensible Beispiele für alternative Unterrichtsmethoden
5 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Das Schulfach der Mathematik gehört zum naturwissenschaftlich-technischen Kanon der Volks- bzw. Grundschulen sowie der weiterführenden Schulformen. Seit jeher gilt der naturwissenschaftlich-technische Bereich – und darunter insbesondere die althergebrachte Disziplin der Mathematik – zur männlichen Lebenswelt. Diese Seminararbeit möchte Kritik an dieser willkürlichen Sozialkonstruktion üben, die mathematikbegabte Mädchen und junge Frauen durch alltägliche Anforderungen an Geschlechterrollen sowie aufgrund institutioneller Hindernisse vor erschwerte Bedingungen stellt.
Zunächst soll in Kapitel 2 die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Mathematik erläutert werden. Einerseits durch die historische Perspektive auf die fehlenden Möglichkeiten der Teilhabe von Frauen an der mathematischen Disziplin und andererseits durch die Analyse bis dato bestehender Geschlechterstereotype in der Mathematik sollen die Chancen von weiblicher Repräsentation im mathematischen Feld ausgelotet werden.
Anschließend soll herausgearbeitet werden, inwiefern der Mathematikunterricht als solcher noch immer von Benachteiligungsstrukturen durchzogen ist. In Kapitel 3 wird daher das fragend-entwickelnde Unterrichtsmodell, über das die Mathematiklehrenden bis heute ihre Inhalte vermitteln, kritisch beleuchtet. Zur grundlegenden Literatur für dieses Thema gehört die von Helga Jungwirth im Jahr 1990 veröffentliche Studie mit dem Titel Mädchen und Buben im Mathematikunterricht. Eine Studie über geschlechtsspezifische Modifikationen der Interaktionsstrukturen. Dabei soll aufgezeigt werden, dass die Rede von einer sogenannten ‚natürlichen’ Begabung von Jungen im Bereich der Mathematik verschleiert, dass die Gesellschaft diese als dezidiert männliches Charakteristikum erwünscht und demgemäß auch über Unterrichtsmethoden aktiv herstellt.
Im abschließenden Kapitel 4 sollen mithilfe von Handlungsorientierungen aus der Jungenarbeit sowie anhand von den im Seminar erarbeiteten gendersensiblen Beispielen zu alternativen Methoden für den Mathematikunterricht die Potenziale aufgezeigt werden, um den Mathematikunterricht dergestalt zu verändern, dass Mädchen wie Jungen sich gleichermaßen mit mathematischen Aufgabenstellungen auseinandersetzen wollen und können. Damit sollen Denkanstöße zur Vision einer Chancengleichheit angeregt werden, in der die individuellen Neigungen und Fähigkeiten von Kindern vor dem Hintergrund ihres Geschlechts weder emporgehoben noch ausgebremst werden.
2 Strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Mathematik
Dass Frauen in der Mathematik unterrepräsentiert sind und daher unter struktureller Benachteiligung leiden, wird bereits im Kurswahlverhalten der Mädchen in der schulischen Oberstufe sichtbar. Aus der Beobachtung, dass Mathematik-Leistungskurse in der Regel einen geringeren Anteil an Mädchen haben, lässt sich ableiten, dass Mädchen der Mathematik sogar ausweichen (vgl. Niederdrenk-Felgner 2001: 123). Die Disziplin der Mathematik wird gemäß dem Alltagsverständnis als der männlichen Lebenswelt zugeschrieben. Zusammen mit vielen weiteren geschlechtlichen Bestimmungen der sozialen Welt dringen die binärgeschlechtlichen Anforderungen als habituelle Praxis bis in die Körper der gesellschaftlichen Akteur_innen vor und prägen dort systematisch deren Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata (vgl. Bourdieu 2005: 19f.).
Der Ausschluss von Frauen aus der Sphäre der Mathematik soll an dieser Stelle auf seine historischen Diskurse zurückgeführt werden. Bis heute hält die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Mathematik – insbesondere in der institutionalisierten Form des Mathematikunterrichts – an und wird durch soziale Geschlechterstereotype getragen, die an die historischen Diskurse anknüpfen.
2.1 Historische Perspektive auf den Ausschluss aus der Mathematik
Die historisch gewachsenen Diskurse, die Frauen aus der Mathematik zu marginalisieren versuchten, erreichten zur Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Hochphase. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Mädchen im Rahmen ihrer Schulausbildung nicht einmal die Gelegenheit, sich in angemessener Weise mit mathematischen Inhalten auseinanderzusetzen (vgl. Niederdrenk-Felgner 2001: 124). Der in den Mädchenschulen gelehrte Rechenunterricht blieb auf die Arbeit mit den vier Grundrechenarten sowie die Anwendung in hauswirtschaftlichen Kontexten beschränkt (vgl. ebd.: 124f.). Dieses widersprüchliche Verhältnis zum erhobenen Anspruch der Mathematik, die Welt mithilfe von abstraktem Denken und theoretischer Komplexität erfassen zu wollen, zeigt den institutionellen Androzentrismus auf, durch den lediglich männliche Subjekte zu einer eingehenden Beschäftigung mit der Mathematik ermuntert wurden.
Um 1850 herum entstand eine Debatte darüber, ob die mathematische Bildung zum Ziel haben sollte, wie bisher den menschlichen Geist durch abstraktes Denken zu schulen oder als Antwort auf den technischen Fortschritt entsprechende Anwendungsbezüge zur technischen Entwicklung im Unterricht herzustellen (vgl. Niederdrenk-Felgner 2001: 125). In dieser Diskussion um theoretische oder praktische Prägung der Lernenden wurde selbstredend bloß auf den Mathematikunterricht für Jungen rekurriert.
Die Einschränkung der mathematischen Bildung für Mädchen wurde damit begründet, dass diese qua ihrer ‚natürlichen’ Bestimmtheit nicht über die für den Mathematikunterricht erforderlichen Fähigkeiten – darunter logisches Denken, Abstraktionsvermögen und Intelligenz – verfügten und eine zu intensive Beschäftigung mit den Inhalten der Mathematik sogar deren Gesundheit schädigen könne (vgl. ebd.: 125). Hinter diesem paternalisierenden und daher nur vordergründig ‚wohlwollenden’ Gestus verbirgt sich ein misogynes Frauenbild, das durch die gegen Ende des 19. Jahrhunderts erneut aufgegriffenen, pathologisierenden Diskurse um die vermeintliche ‚Erkrankung’ der als genuin weiblich angenommenen Hysterie forciert wurde. Mittels einer Diagnose der Hysterie wurde den betroffenen Frauen ein Persönlichkeitszustand mit sozial unerwünschten Zuschreibungen attestiert:
„Die hysterische Frau wird [...] in den im [W]esentlichen von Männern verfa[ss]ten medizinischen Werken des 19. Jahrhunderts als ‚Kindsfrau’ geschildert, als leicht beeindruckbar, labil, oberflächlich sexualisiert, exhibitionistisch, mit einer Neigung zu dramatischer Körpersprache und großen Gesten, mit starkem Abhängigkeitsbedürfnis und eindeutiger Ich-Schwäche.“ (Smith-Rosenberg 1981: 293).
Hysterische Anfälle wurden so als emotionale Ausbrüche gewertet und standen damit einer rationalen Herangehensweise an alltägliche Probleme entgegen. Mit einem emotional labil gezeichneten Frauenbild scheint es der patriarchalischen Lesart zufolge ‚logisch’, dass das rationale Beschreiten von mathematischen Lösungswegen eine Aufgabe sei, die sich ausschließlich an Jungen und Männer richten müsse.
Die Unterrepräsentanz von Frauen in der mathematischen Welt und deren Mangel an Interesse für mathematische Inhalte verstärken sich als miteinander verknüpfte Faktoren gegenseitig in einem Teufelskreis und begünstigen damit die Deutung der Mathematik als der männlichen Lebenswelt zugehörig (vgl. Niederdrenk-Felgner 2001: 130). Einer naturalisierten Auffassung von geschlechtlich bedingter Mathematikbegabung liegt demnach eine „lang andauernde kollektive Arbeit der Vergesellschaftung des Biologischen und der Biologisierung des Gesellschaftlichen in den Körpern und in den Köpfen“ (Bourdieu 2005: 11) zugrunde.
[...]