Im Rahmen dieser Facharbeit möchte die Autorin sich mit dem Gehorchen von Befehlen der deutschen Bürger zur NS-Zeit beschäftigen und im Zuge dessen mit der Frage, warum sich die Menschen nicht schuldig fühlen. Mit den Ergebnissen soll gezeigt werden, dass wir diese Zeit und die Ereignisse nicht vergessen dürfen, damit so eine grausame Tat nicht wiederholt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Stanley Milgram
2.1.1 Biografie
2.1.2 Das Milgram-Experiment
2.1.3 Ergebnisse
2.1.4 Das Interview danach
2.1.5 Fazit
2.2 Was hat das Experiment mit den Vorfällen zur NS-Zeit zu tun?
2.3 Weitere psychologische Ursachen
2.3.1 Sigmund Freud Biografie
2.3.2 Die Abwehrmechanismen
2.4 Erfahrungsbericht
2.4.1 Interview mit Tilman Taube
2.5 Gerichtsverfahren - Schuld?
2.5.1 SS-Sturmmann Johann R
2.5.2 NS-Verbrecher: "Ich bereue nichts!"
2.5.3 Vergleich- Wie denken Täter über Ihre Tat?
3. Schluss
3.1 Diskussion über Schuld
3.2 Abschließende Beurteilung
Anhang
Literaturverzeichnis
Gedruckte Quellen:
Internetquellen:
Bilderquellen:
Interview mit Herr Tilman Taube:
1. Einleitung
Warum fühlen sich die Täter nicht schuldig?
Eine Frage, die mich seit längerem sehr beschäftigt. Wie konnten die Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus den Befehlen gehorchen, ohne anscheinend selbst moralisch über ihr Verhalten nachzudenken? Hinzu kommt, dass viele der Täter ihre Schuld abstreiten und wie kommt es dazu, dass die Menschen überzeugt waren, richtig zu handeln?
Der US-amerikanische Psychologe Stanley Milgram beschäftigte sich mit der Bereitschaft der Menschen, gegenüber Autoritäten gehorsam zu sein und stellte das so genannte Milgram-Experiment auf, indem er genau diese Bereitschaft untersuchte. Das Experiment beweist, dass die Taten zur NS-Zeit kein Einzelfall waren. Es muss also psychologische oder soziale Ursachen für das Verhalten der Menschen gegeben haben. Diese Ursachen möchte ich in meiner Facharbeit genauer erforschen und die Frage klären, was ganz normale Menschen zu Massenmördern machte.
Ich habe dieses Thema gewählt, da ich mir diese Fragen schon immer gestellt habe, sie mir aber nie jemand wirklich beantworten konnte. Dazu kommt, dass in Münster ein aktueller Fall eines NS-Täters neu verhandelt wurde und das Thema der Schuld und Verurteilung durch die Nachrichten ging. Besonderes Interesse zu diesem Thema hat eine Dokumentation, die ich vor längerer Zeit gesehen habe, in mir geweckt, in welchem ein Täter interviewt wurde und keinerlei Schuld für seine Morde zeigte. Zunächst erschien es mir absurd, für einen Mord, beziehungsweise in vielen Fällen Massenmord oder Beihilfe, keine Schuld oder schlechtes Gewissen zu empfinden. Ebenso in der heutigen Zeit davon überzeugt zu sein, etwas Richtiges getan zu haben. Doch das Verhalten der Menschen lässt sich psychologisch erklären.
Dazu werde ich mich zunächst mit dem psychologischen Phänomen beschäftigen, die Schuld abzuweisen und zu glauben, etwas Gutes getan zu haben. Ich werde hierzu verschiedene Interviews, Theorien von verschiedenen Psychologen, Pädagogen und Gerichtsverfahren mit einbeziehen, um ein Verständnis für die Verhaltensweisen der Menschen zu bekommen.
2. Hauptteil
2.1 Stanley Milgram
2.1.1 Biografie
Stanley Milgram, Abbildung 1 (siehe Anhang S. XVIII), war ein US- amerikanischer Psychologe. Er wurde am 15. August 1933 in New York City geboren. Im Jahre 1950 absolvierte er an der James Monroe High School seinen Abschluss. Vier Jahre später erhielt er am Queens College den BachelorAbschluss. An der Harvard Universität bekam er schließlich seinen Doktortitel. Anschließend arbeitete er als Professor am Graduate Center der City University of New York. 1983 wurde er zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences ernannt. 1984, im Alter von 51 Jahren, starb Stanley Milgram an einem Herzinfarkt und hinterließ eine Frau und zwei Kinder.1
Stanley Milgram wurde durch seine Arbeit zum Gehorsam von Durchschnittsmenschen gegenüber Autoritäten berühmt. Seine bekannteste Forschung ist das so genannte Milgram-Experiment.2
2.1.2 Das Milgram-Experiment
Das originale Experiment fand zunächst an der „Yale University“ (Stanley Milgram 1982, S.18) statt und wurde später an mehreren Universitäten und in unterschiedlichen Varianten wiederholt (vgl. Stanley Milgram 1982, S.18-19). Die „Experimentalanordnung übernahm Milgram von seinem Lehrer Salomon Asch“3. Jedoch wollte Milgram keine Yalestudenten für das Experiment verwenden, da das Risiko zu hoch gewesen wäre, dass sich die Studenten untereinander über das Experiment austauschen würden. Außerdem wären in dieser Testgruppe alle knapp unter oder Anfang zwanzig, hochintelligent und besäßen bereits Erfahrungen mit psychologischen Experimenten. Daher wählte Milgram seine Testpersonen aus der naheliegenden Gemeinde New Haven (vgl. Stanley Milgram 1982, S.31-32). Er und sein Forschungsteam gaben eine Anzeige in der Lokalzeitung auf, unter dem Vorwand, eine Untersuchung über Gedächtnis und Lernvermögen zu vollziehen. Abbildung 2 zeigt die Anzeige in der Lokalzeitung zum Experiment auf Deutsch (Original in Englisch) (siehe Anhang, S.XIX). Sie erhielten „296 Zuschriften“ (Stanley Milgram 1982, S.33). Doch die Menge reichte noch nicht aus, sodass sie die Bürger durch eine briefliche Aufforderung direkt anschrieben. So erhielten sie eine breite Masse verschiedener Menschen. „Typische Versuchspersonen waren Schalterbeamte der Post, Oberschullehrer, Vertreter, Ingenieure und Arbeiter“ (Stanley Milgram1982, S. 33) mit unterschiedlichem Bildungsniveau.
Der Proband kommt zunächst in ein psychologisches Laboratorium. Mit ihm ist ein weiterer Proband und ein Versuchsleiter im Raum. Die beiden Probanden ziehen ein Los, welches bestimmt, wer die Rolle des Lehrers und wer die Rolle des Schülers einnimmt. Ihnen wird erklärt, es handle sich um eine Untersuchung über Erinnerungsvermögen und Lernfähigkeit und das sich die Untersuchung mit den Auswirkungen von Strafe auf das Lernen beschäftig. Der Schüler bekommt eine Reihe von Wortpaaren vorgelesen, zum Beispiel Blau-Himmel, und muss diese in einer zweiten Runde zusammensetzten, indem er nur noch ein Wort vorgelesen bekommt und das andere ergänzen muss. Bei jeder falschen Antwort bekommt er einen Stromschlag zugefügt, welcher sich mit jeder falschen Antwort um 15 Volt erhöht. Der Schüler und der Lehrer sind dabei räumlich voneinander getrennt. Sie können über einen Lautsprecher kommunizieren und der Lehrer kann den Schüler sehen. Abbildung 3 zeigt den Aufbau des Experiments (s. Anhang, S.XX). Der Lehrer hat dreißig Schalter vor sich, die mit einer Steigung von je 15 Volt von 15 Volt bis 450 Volt bezeichnet sind. Der Schüler wird auf einem Stuhl gefesselt und ihm werden Elektronen aufgeklebt, um den Schock durchzuführen.
Doch die Lose sind gefälscht und der eine Proband ist ein Schauspieler. Der wirkliche Proband bekommt so immer die Rolle des Lehrers und der Schauspieler die Rolle des Schülers (vgl. Stanley Milgram 1982, S.19). „Die Kernfrage ist, wie lange sich die Versuchsperson den Anordnungen des Versuchsleiters fügt, bevor sie sich weigert, die von ihm geforderten Handlungen auszuführen“ (Stanley Milgram 1982, S.19). Natürlich erhält der Schüler dabei keinen Schock, sondern spielt die Schmerzen nur. Doch der Lehrer weiß dies nicht. Ziel des Experiments ist zu schauen, wie lange der Lehrer die Schocks verteilt, weil der Versuchsleiter es ihm anordnet und so dem Schüler qualvolle Schocks zufügt, und wann der Lehrer sich weigert (vgl. Stanley Milgram 1982, S.20). Sobald der Lehrer anfängt zu zweifeln, antwortet der Versuchsleiter mit vier verschiedenen Möglichkeiten. „Ansporn 1: Bitte, fahren Sie fort! Oder: Bitte machen Sie weiter! Ansporn 2: Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen! Ansporn 3: Sie müssen unbedingt weitermachen! Ansporn 4: Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen!“ (Stanley Milgram 1982, S. 38). Der Versuchsleiter versichert dem Lehrer die volle Verantwortung zu tragen (vgl. Stanley Milgram 1982, S.170). Falls der Lehrer Fragen zu den Gefahren stellt, antwortet der Versuchsleiter: „Die Schocks mögen schmerzhaft sein, sie hinterlassen aber keine bleibende Gewebsschädigung. Machen Sie also weiter!“ (Stanley Milgram 1982, S.38). Falls der Lehrer zweifelt, weil der Schüler aufhören möchte, antwortet der Versuchsleiter: „Ob es dem Schüler passt oder nicht, Sie müssen weitermachen, bis er alle Wortpaare exakt gelernt hat. Fahren Sie also fort!“ (Stanley Milgram 1982, S.38). Bei zunehmender Höhe des Schocks fängt der Schüler zunächst an, leise zu knurren, dann schmerzhaft zu stöhnen, zu flehen, dass Experiment abzubrechen, qualvoll zu brüllen, die Antwort zu verweigern, laut zu schreien und schließlich bei 330 Volt keinen Laut mehr von sich zu geben (vgl. Stanley Milgram 1982, S.40). Nach dem Versuch folgt ein Interview mit den Probanden über ihr Verhalten (vgl. Stanley Milgram 1982, S.41).
2.1.3 Ergebnisse
Die Prognosen der Psychologen lagen deutlich niedriger. Sie vermuteten, dass die meisten Probanden nicht über die 10. Schockstufe hinausgehen würden, was einem Schock von 150 Volt entspricht. 4 Prozent sollten die 300 Volt erreichen und nur ca. ein Proband von Tausend würde den höchsten Schock mit 450 Volt abgeben. Damit würde der Prozentsatz vorhergesagter Gehorsamkeitsverweigerung bei 100 Prozent liegen (vgl. Stanley Milgram 1982, S.45-47). Auf der Abbildung 4 sind die erwarteten Werte graphisch dargestellt. (s. Anhang, S.XXI). Doch die Ergebnisse sind deutlich höher. Im ersten Experiment (ohne akustische Rückkopplung) werden 40 Personen unter gleichen Bedingungen getestet. Keiner der Probanden bricht vor 300 Volt ab. 26 gehen sogar bis 450 Volt. Das entspricht einem Prozentsatz gehorsamer Personen von 65 Prozent. Durchschnittlich brechen die Probanden bei 405 Volt ab. Im zweiten Experiment (mit der akustischen Rückkopplung) wurden ebenfalls 40 Personen getestet. 25 von ihnen gaben den maximalen Schock ab. Der Durchschnittswert lag etwas niedriger, bei etwa 360- 375 Volt. Diese Werte werden auf der Abbildung 5 dargestellt. (s. Anhang, S.XXII).
Es gibt noch eine Reihe weiterer Varianten des Experiments. Deutlich wird, dass je näher der Lehrer dem Schüler kommt, sei es durch Hören der Schreie, räumliche Nähe oder Körperkontakt, desto niedriger wird der durchschnittliche, maximal abgegebene Schock. Sobald der Versuchsleiter abwesend ist, oder der Lehrer den Schock selbst bestimmen muss und somit auf sich allein gestellt ist, ist die Bereitschaft einen Schock abzugeben deutlich niedriger und die Probanden hören im Durchschnitt bei einer geringeren Höhe an Volt auf (vgl. Stanley Milgram 1982. S.73ff.)
2.1.4 Das Interview danach
Nach dem Versuch werden die Probanden interviewt. Dabei schieben sie all die Verantwortung ihres Handelns auf den Versuchsleiter. „Ich selbst hätte das ja nicht gemacht. Ich hab nur gemacht, was man mir befohlen hat.“ (Stanley Milgram 1982, S.24), heißt es. Sie empfinden eine Art „Scham und Stolz“ (Stanley Milgram 1982, S.25) an Stelle von Schuld.
2.1.5 Fazit
Obwohl die Probanden keinerlei Strafe bekommen und der Schüler ein unschuldiges Opfer ist, zählen ca. zwei Drittel der gesamten Teilnehmer zu gehorsamen Versuchspersonen (vgl. Stanley Milgram 1982, S. 21).
Sie wollen ihre Pflichten als Versuchspersonen erfüllen und geben die Verantwortung ihres Handelns ab. Sie nehmen ihre eigene Verantwortung nicht wahr, da sie nur „ein Zwischenglied in einer Kette von üblen Aktionen“ (Stanley Milgram 1982, S. 28) sind. Ihre Moralvorstellungen jedoch bleiben, wodurch ein starker Gewissenskonflikt entsteht. Dennoch zeigt das Experiment, dass ganz normale Durchschnittsmenschen in der heutigen Zeit dazu in der Lage sind, Befehlen zu gehorchen und unschuldigen Personen Schmerz zuzuführen, weil eine ihnen übergeordnete Person dies verlangt.
„Ein paar Änderungen in den Schlagzeilen der Zeitung die Einberufung zum Militär, Befehle von einem Mann mit Epauletten - und man bringt Menschen ohne große Schwierigkeiten dazu, zu töten“ (Stanley Milgram 1982, S. 23).
2.2 Was hat das Experiment mit den Vorfällen zur NS-Zeit zu tun?
Zur Zeit des Nationalsozialismus haben viele Menschen grausame Taten begangen, welche ihnen befohlen wurden, ohne anscheinend über ihre Arbeit nachzudenken. Die breite Masse hat die Ideologien nicht hinterfragt und einfach ihre Pflicht erfüllt.
Wie Milgram auch schon angedeutet hat, lässt sich der Mensch sehr stark durch eine Autorität beeinflussen und ist dann sogar bereit, seine eigenen Moralvorstellungen zurück zu stellen. Die Personen aus dem Experiment lassen sich auch den Rollen im Nationalsozialismus zuordnen. Dabei würde Adolf Hitler der Versuchsleiter sein und eventuell andere Autoritäten, die fest an die Ideologien glauben. Durch ihre Stellung im Land und in einer Uniform vertraut der Bürger ihnen, sowie es die Probanden tun, da der Versuchsleiter ein Mann im Kittel ist und ja wohl wissen muss, was er tut. Ein Staatsoberhaupt müsste dementsprechend auch wissen, was er tut. Die Bürger hinterfragen seine Befehle dann auch nicht, da es nicht ihre Verantwortung ist.
Natürlich ist der Massenmord noch etwas anderes, als der Gehorsam im Experiment, allerdings sind die Umstände auch etwas anders. Zum einen wurden die Ideologien so stark verbreitet durch die Erziehung und durch Propaganda, sodass viele Menschen daran geglaubt haben. Zum anderen durfte man sich den Befehlen auch nicht einfach widersetzten, ohne Benachteiligungen zu erfahren.
Deutlich wird auch, dass sich viele nicht verantwortlich gefühlt haben, da sie nur ein Teil einer langen Kette von Aktionen waren. Ein Mensch, der im Büro seine Papiere für den Krieg ausfüllt, fühlt sich nicht verantwortlich, wenn Menschen von den NS-Soldaten ermordet werden. Er hat ja nur seine Pflicht erfüllt. Es macht es einfach, weit entfernt von den Opfern zu handeln. Doch auch für die Soldaten ist es ja nur der Befehl. Sie tuen ihre Pflicht. Ihre Moralvorstellungen verdrängen sie. Die Juden, Sinti, Roma und andere Opfer werden zu den Schülern. Der Schüler hat es verdient, bestraft zu werden, da er die Begriffe nicht nennen kann. Es ist also seine Schuld, wenn der Lehrer ihn bestrafen muss. Die Häftlinge hätten es folglich verdient zu sterben, eben weil es ihre Schuld ist, ein Häftling zu sein, so die Annahme des Experiments. Auf Grund dieser Annahme fällt es den Tätern leichter zu handeln.
Diese Situation ist kein Fall der damaligen Zeit. Das Experiment hat deutlich gezeigt, dass auch heute noch, nach dem Krieg, die Menschen sich einer Autorität unterordnen. Sie sehen es als Plicht an und sind hinterher sogar stolz, die Befehle befolgt zu haben. Sie verdrängen ihre Schuld dabei völlig, weil sie ihr Verhalten nur als Ausführen von Befehlen sehen. Für die Befehle seien nicht sie, sondern die Befehlsgeber verantwortlich. Man sollte meinen, die Menschen hätten aus der Vergangenheit gelernt, doch es genügend nur eine Person, um das Prinzip wiederholen zu können.
2.3 Weitere psychologische Ursachen
2.3.1 Sigmund Freud Biografie
Der Mediziner für Neurologie und Psychologie, Sigmund Freud, wurde am 3. Mai 1856 geboren. Während seines Studiums an der Universität Wien arbeitete er in einem physiologischen Labor unter der Leitung von Ernst Wilhelm Ritter von Brücke. Unter der Anleitung des Psychiaters und Neuropathologen Theodor Meynert führte Sigmund Freud erste Untersuchungen durch[[4]]. Nach seinem Studium ab 1882 bis 1885 war er am Allgemeinen Krankenhaus in Wien angestellt. Sigmund Freud beteiligte sich an der Entdeckung der schmerzstillenden Wirkung des Kokains. Von 1885 bis 1902 war er Dozent für Neuropathologie an der Wiener Universität und beschäftigte sich mit hirnanatomischen Forschungen. 1923 wurde bei ihm Krebs diagnostiziert. 1935 wurde er zum Ehrenmitglied der British Royal Society of Medicine ernannt und starb schließlich am 23. September 1939 in London4.
Im Laufe der Jahre entwickelte Sigmund Freud zahlreiche psychologische Theorien, welche noch heute als Grundlage für die Forschung anderer Psychologen dienen. Seine bekannteste Theorie ist die Psychoanalyse, welche psychotherapeutische Methoden zur Heilung, unter anderem psychischer Störungen, Krankheiten und Fehlleistungen dient. Durch die Aufdeckung und Bewusstmachung verdrängter Triebkonflikte können diese dann geheilt werden.
2.3.2 Die Abwehrmechanismen
Auf Basis der Psychoanalyse Sigmund Freuds erstellte seine Tochter Anna Freud, sowie viele andere Psychologen, eine Reihe an sogenannten Abwehrmechanismen, welche sie in ihrem Buch „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ darlegt.
In der Psychoanalyse versteht man Abwehrmechanismen als eine Art der Vermittlung des ICHs, dem Selbst zwischen dem ÜBER-ICH, dem Gewissen und den Trieben des ES, dem Unbewussten.
Nun kommt es vor, dass zwischen den Instanzen ÜBER-ICH und dem ES Konflikte entstehen. Im Normalfall sind ÜBER-ICH und ES ausgeglichen, sodass mal das ES gewinnt und mal das ÜBER-ICH. Kommt es vor, dass das ES eine Tat begeht oder an etwas denkt, welches das ÜBER-ICH verboten hat, kann das ICH diese Tat nicht einfach hinnehmen. Dann kommen die Abwehrmechanismen ins Spiel. Sie machen die Tat oder den Gedanken für das ÜBER-ICH ertragbar. Kurz gesagt, Abwehrmechanismen dienen dazu, das eigene Verhalten zu verarbeiten und ein schlechtes Gewissen zu vermeiden.
Diese Abwehrmechanismen sind: „Verdrängung, Regression, Reaktionsbildung, Isolierung, Ungeschehenmachen, Projektion, Introjektion, Wendung gegen die eigene Person, Verkehrung ins Gegenteil [...] und Sublimierung“ (Anna Freud 1984, S.50).
Zwei dieser Abwehrmechanismen sind besonders interessant.
Die Verdrängung:
Die Verdrängung löscht zwar keine Erinnerungen, jedoch verdrängt sie bestimmte Erinnerungen aus dem Bewusstsein. Diese sind dann nur noch unterbewusst vorhanden. Bei schweren Taten können solche unterbewussten, verdrängten Erinnerungen sich durch psychische Krankheiten oder Träume äußern. Die Verdrängung kann sich zum Beispiel in dem Verdrehen der Realität äußern. „Das war so gar nicht!“ Oder einfach völlig in Vergessenheit geraten.
Die NS-Täter könnten demnach Erinnerungen an ihre Taten ins Unterbewusste verdrängt haben, um besser damit umgehen zu können. So verdrängen sie ihr Gewissen, sind sich ihrer Schuld auch nicht mehr bewusst oder haben ihre Erinnerungen verdreht, bis sie selbst daran glaubten, das richtige getan zu haben.
Projektion:
Bei der Projektion werden eigene psychische Missstände auf ein Objekt oder eine andere Person projiziert.
Gefühle, wie Schuld zum Beispiel, werden dann auf andere übertragen. Wenn ich jemanden umbringe, ist es demnach nicht meine Schuld, sondern die des Opfers, weil dieses zum Beispiel fliehen wollte.
2.4 Erfahrungsbericht
2.4.1 Interview mit Tilman Taube
Im Rahmen meiner Facharbeit führte ich ein Interview mit Herr Tilman Taube. In einem etwa zwei stündigen Gespräch erzählte er mir von seinen Forschungen. Daraufhin fassten wir die wichtigsten Ergebnisse nochmal in einem kurzen Interview zusammen.
Er beschäftigt sich vor allem mit den Tätern der NS-Zeit, insbesondere mit dem Fall seines Großvaters Heinrich Friedrich Wilhelm Baumkötter. Dieser war SS- Mitglied und arbeitete „von 1941 bis 1945 in verschiedenen Lagern als Lagerarzt“ (siehe Anhang S.XXIII). Baumkötter habe zwar niemanden totgeschlagen, aber „man kann davon ausgehen, auch wenn es nicht zu beweisen ist, dass er Leute tot gespritzt hat“ (siehe Anhang S. XXIII). Außerdem war er dafür zuständig, die Häftlinge in arbeitsfähig und nicht arbeitsfähig zu unterteilen. Die nicht arbeitsfähigen wurden in Zügen nach Auschwitz deportiert. Herr Taube betonte, sein Großvater muss „sich im Klaren gewesen sein, dass die Häftlinge da auf kurz oder lang [...] ermordet wurden“ (siehe Anhang S. XXIII). Das Gehorchen der Befehle und damit das Überwerfen der eigenen Moralvorstellungen habe viele Gründe. Zum einen hatte Baumkötter bereits Fronterfahrung. Das Leben als Lagerarzt war für die Kriegszeit paradiesisch „er hatte ein Bett, er hatte einen geheizten Raum, er hatte ordentlich zu essen, er konnte sich waschen, er konnte sogar hinterher in einem anderen Lager heiraten, seine Frau zu sich holen. [.]“ (siehe Anhang S. XXIII). Zum anderen hatte er die Chance, Karriere zu machen. Bei einer Dienstverweigerung wären die Menschen nicht umgebracht worden, aber sie hätten ihre Karriere und das „schöne“ Leben aufgeben müssen und wohlmöglich an die Front gemusst. Dazu kamen natürlich auch die Beeinflussung durch die Ideologien, wodurch die SS-Mitglieder ein „Zusammengehörigkeitsgefühl der Truppe“ (siehe Anhang S. XXIV) erlangten und die Häftlinge als Gegner und Staatsfeinde sahen.
Auf die Frage, ob man das Milgram-Experiment gut auf die NS-Zeit beziehen könne, bestätigte Herr Taube meine bisherigen Ergebnisse. Die Abgabe der Verantwortung und das Pflichtgefühl führten dazu, dass die Täter sich selbst nicht schuldig gefühlt haben. Auch wenn viele anfangs noch begeistert von ihren Taten waren, wurde ihnen mit der Zeit bewusst, was sie eigentlich getan hatten. Daraus folgt das typische Verhalten der Schuldabweisung. Ein Phänomen, welches auch bei seinem Großvater zu sehen war. „Bei meinem Opa war das so, bei Kriegsende muss dem schon geschwant haben, dass das nicht alles so toll war und es hat dann eine Weile gedauert, bis er sich so seine Strategie zurechtgelegt hatte, und wie er jetzt damit umgehen wollte, und wie er da jetzt irgendein Gericht überzeugen wollte, dass er jetzt nicht der Haupttäter zumindest ist. [...]“ (siehe Anhang S. XXV). Er beschrieb sein Verhalten so, als habe er keine andere Wahl gehabt.
Nun ist die Frage der Schuld immer noch offen. Aus dem Interview geht hervor, dass auch diejenigen, welche zum Beispiel nur als Bäcker Kuchen für die SS- Leute gebacken haben, eine moralische Schuld tragen (siehe Anhang S. XXV), da sie zum Wohlbefinden dieser beigetragen haben und somit auch ein Teil des gesamten Systems waren. Ein weiteres Beispiel ist der Unteroffizier Kurt Knittel aus Auschwitz, welcher für die Truppenmoral, sprich Schulungen, Vergnügungsaktionen der SS, Liederabende, Konzerte und Theatergeschichten zuständig war. Alles „Nach dem Motto die Juden sind der Feind“ (siehe Anhang S. XXV). „Der hat persönlich keinen umgebracht [...], aber das Beispiel zeigt, dass so einer einen riesen Einfluss auf das Gesamtgeschehen hatte.“ (siehe Anhang S. XXV) und damit eine enorme moralische Schuld trägt.
Abschließend macht Herr Taube deutlich, es seien keine „pathologischen sadistischen Exzess Täter, die Spaß dran hatten, Leute mit eigenen Händen tot zu schlagen“ (siehe Anhang S. XXVI), sondern ein Bevölkerungsquerschnitt, ganz normale Leute.
2.5 Gerichtsverfahren - Schuld?
2.5.1 SS-Sturmmann Johann R.
Der ehemalige SS-Wachmann Johann R., heute 94 Jahre, muss sich nun, nach mehr als 70 Jahren, für seine Taten im KZ Stutthof vor dem Landgericht Münster verantworten.
Johann R. „war erst 18 Jahre alt, als er jenen Dienst antrat“5. Daher muss er sich vor einer Jugendkammer verantworten. Er arbeitete ab 1943 als SS-Sturmmann im deutschen Vernichtungslager Stutthof bei Danzig, überwachte Arbeitskommandos und bewachte das Lager auf den Wachtürmen. Er bestritt nie seine Arbeit in dem Konzentrationslager, „will aber von den systematischen Tötungen nichts mitbekommen haben“6. „Ihm wird Beihilfe zum Mord in Hunderten Fällen vorgeworfen“7. Mehr als 1000 Zeugenaussagen wurden für die Anklageschrift von Oberstaatsanwalt Andreas Brendel und seinem Team ausgewertet. Früher wurden meistens nur Verdächtige angeklagt, die direkt an den Morden der Häftlinge beteiligt waren. Heute „setzt sich in der Justiz wieder die Rechtsauffassung durch, wonach auch unterstützende Tätigkeiten von KZ- Wachleuten als Beihilfe zum Mord eingestuft werden“8. Dem Angeklagten waren sämtliche Tötungsmethoden in Stutthof bekannt, sie wurden auch ermöglicht durch seine Arbeit.
Im Prozess zeigte der Angeklagte Trauer und weinte bei den Vorlesungen. „Die Anwälte des geschiedenen dreifachen Vaters kündigten an, dass er sich im Laufe des Verfahrens äußern werde. Wann genau, ist noch offen.“9
Seit November 2018 ist Johann R. verhandlungsunfähig und liegt im Krankenhaus. Man hatte ihm öfter nahegelegt, das Verfahren zu unterbrechen, doch er wollte es durchhalten.
Doch auf Grund seiner gesundheitlichen Lage wird es wohl zu keinem Urteil mehr kommen.10
[...]
1 vgl. http://www.milgram-experiment.com/stanley-milgram.shtml (11.02.2019)
2
3 vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Stanley_Milgram (11.02.2019)
4 vgl. https://www.dhm.de/lemo/biografie/sigmund-freud (17.02.2019).
5 https://www.sueddeutsche.de/politik/muenster-ns-prozess-stutthof-1.4199081 (21.02.2019).
6 https://www.sueddeutsche.de/politik/muenster-ns-prozess-stutthof-1.4199081 (21.02.2019).
7 https://www.sueddeutsche.de/politik/muenster-ns-prozess-stutthof-1.4199081 (21.02.2019).
8 https://www.sueddeutsche.de/politik/muenster-ns-prozess-stutthof-1.4199081 (21.02.2019)
9 https://www.rundschau-online.de/politik/prozessauftakt-in-muenster-ehemaliger-ss- wachmann-weint-vor-gericht-31549632 (10.03.2019).
10 http://www.spiegel.de/panorama/justiz/muenster-stutthof-prozess-gegen-frueheren-ss- wachmann-vor-dem-aus-a-1255026.html (10.03.2019).
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2019, Warum fühlen sich die Täter nicht schuldig?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1147990