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Hausarbeit, 2021
19 Seiten, Note: 1,33
1. Einleitung
2. Grundlagen
2.1 Digitale Güter
2.2 (Digitale) Märkte und Plattformen
2.2.1 „Winner-takes-it-all“-Phänomen
2.2.2 Kritische Masse Phänomen
2.3 Konzentration und Volatilität
2.3.1 Konzentration
2.3.2 Volatilität
3. Plattformlogik
3.1 Lösung etablierter Kopplungen
3.2 Die Ordnung digitaler Märkte
4. Resümee
Literaturverzeichnis
Die Entwicklung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien hat zu einem weitreichenden und nachhaltigen Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft geführt und wird neben der Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektrotechnik und Petrochemie als Auslöser eines neuen ,Kondratjew-Konjunkturzyklus‘ angenommen (Clement et al. 2019, S. 29). Die besonderen Eigenschaften der neuen Technologie ermöglichen es, digitale Güter dezentral herzustellen, Grenzen zwischen Anbietern und Konsumenten verschwimmen zu lassen und die Vernetzung und den Austausch von Nutzern untereinander: „radically decentralized, collaborative, and nonproprietary; based on sharing resources and outputs among widely distributed, loosely connected individuals who cooperate with each other without relying on either market signals or managerial commands.“ (Benkler 2006, S. 40)
Diese Perspektive ist zweifellos insofern begründet, als das Potenzial für eine derartige Entwicklung den neuen Technologien innewohnt. Nichtsdestotrotz muss die Frage gestellt werden, ob hiermit die charakteristische und dominierende Entwicklungsströmung der Internet-Ökonomie beschrieben ist. Ulrich Dolata (2015) konstatiert, dass diese Perspektive die immense Bedeutung einiger weniger international agierender Großunternehmen hinsichtlich der Gestaltung und Strukturierung des Internets sowie der Aktivitäten ihrer Nutzer unterschätzt: „Nicht Dezentralisierung, Demokratisierung und Kooperation, sondern Konzentration, Kontrolle und Macht sind, so die hier vertretene These, die Schlüsselprozesse und -kategorien, mit denen sich die wesentlichen Entwicklungstendenzen des (kommerziellen) Internets angemessen erfassen lassen.“ (S. 507, Herv. im Original)
Die Fragestellung dieser Arbeit lautet deshalb: Welche Eigenschaften der InternetÖkonomie führen zu der beobachtbaren starken Marktkonzentration?
Um diese Fragestellung zu beantworten, wird diese Arbeit in zwei Abschnitte unterteilt: Im ersten Abschnitt werden zunächst die zentralen Begriffe - digitale Güter und (digitale) Märkte und Plattformen - aus einer vornehmlich wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive definiert und zueinander in Beziehung gesetzt. Es werden die besonderen Eigenschaften digitaler Güter und Märkte und die hieraus resultierenden Tendenzen zur Marktkonzentration dargestellt. Zum Abschluss des ersten Abschnitts werden anhand der beschriebenen Charakteristika die beiden gegenläufigen Tendenzen der InternetÖkonomie - Konzentration und Volatilität - beschrieben.
Die im ersten Abschnitt thematisierten Inhalte werden im zweiten Abschnitt in Form der ,Plattformlogik‘ systematisiert und in einer Typologie der Internet-Ökonomie zusammengefasst.
In einem abschließenden Resümee werden die Argumente aus beiden Teilen thesenförmig im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit zusammengefasst.
„Digitale Güter sind immaterielle Mittel zur Bedürfnisbefriedigung, die aus Binärdaten (0, 1) bestehen und sich mit Hilfe von Informationssystemen entwickeln, vertreiben oder anwenden lassen.“ (Clement 2016, S. 2)
Digitale Güter treten in unterschiedlichen Digitalisierungsgraden auf (Clement 2016, S. 3):
- Vollständig digitale Güter beinhalten weder physische Komponenten noch einen Dienstleistungsaspekt und können ohne Einschränkung über das Internet vertrieben und genutzt werden.
- Semi-digitale Güter sind Dienstleistungen, die die Anwendung des vollständig digitalen Gutes begleiten oder ergänzen.
- Semi-physische Güter sind physische Güter, die über digitale Plattformen vertrieben werden.
- Rein physische Güter ohne digitale Komponente
Digitale Güter haben im Vergleich zu physischen Gütern besondere Eigenschaften (Stelzer 2008):
- Nicht-Rivalität: Digitale Güter zeichnen sich im Gegensatz zu physischen Gütern dadurch aus, dass durch die Benutzung des Gutes keine Wertminderung eintritt.
- Reproduktion: Digitale Güter bieten die praktisch grenzenlose Möglichkeit zur Vervielfältigung. Während für die Entwicklung digitaler Güter zunächst hohe Fixkosten entstehen, erfolgt die (Re-)Produktion digitaler Güter zu sehr geringen Grenzkosten, was zu stark ausgeprägten Skaleneffekten und Kostendegression führt (Siehe Kapitel 2.2.1).
- Manipulation: Digitale Güter lassen sich kostengünstig anpassen und aktualisieren, was Produzenten die Verbreitung neuer Versionen oder personalisierter Produkte wesentlich vereinfacht.
- Keine Singulärgüter: Die Entwicklung, Produktion, Nutzung und der Vertrieb digitaler Güter erfordern komplementäre Güter, weshalb sie auch als ,Netzeffektgüter‘ oder ,Systemgüter‘ bezeichnet werden.
Die beschriebenen Eigenschaften digitaler Güter führen dazu, dass deren Produzenten beträchtliche Anstrengungen unternehmen müssen, um unbefugten Reproduktionen und Manipulationen der digitalen Güter vorzubeugen und entsprechende Versuche zu sanktionieren (Stelzer 2008). Darüber hinaus haben die geringen Grenzkosten zur Folge, dass sich die Festlegung von Preisen für Produzenten ausgesprochen komplex darstellt und sich wesentlich als Ergebnis strategischer Entscheidungen ergibt (Clement 2016, S. 5).
Paul Samuelson und William Nordhaus (2007) gehen davon aus, dass drei universell relevante Fragestellungen durch jede Gesellschaft hinsichtlich ihrer Wirtschaft beantwortet werden müssen: Was wird wie und für wen produziert? (S. 25) Die Autoren definieren Märkte als Mechanismen, unter deren Mitwirkung Käufer und Verkäufer miteinander in Interaktion treten, mit dem Ziel der Feststellung von Preisen (S. 51).
Clement et al. (2019) fassen Märkte als Orte auf, die ein Zusammentreffen des aggregierten (= gesamtwirtschaftlichen) Angebots und der aggregierten Nachfrage für ein Gut ermöglichen und sich durch folgende drei Merkmale auszeichnen:
1. Der Markt stellt für die Teilnehmer ein abstraktes Regelsystem dar.
2. Die Autoren gehen davon aus, dass das Marktgeschehen in spezifische Transaktionsphasen aufgeteilt werden kann, in denen Transaktionskosten anfallen:
2.1 Informationsphase: Kosten resultierend aus dem Austausch von Informationen zwischen Anbieter und Konsument.
2.2 Vereinbarungsphase: Kosten resultierend aus der Aushandlung der Vertragsinhalte.
2.3 Abwicklungsphase: Kosten resultierend aus der Kontrolle der Einhaltung der Vertragsinhalte.
2.4 After-Sales-Phase: Kosten resultierend aus Reklamationen.
3. Die zentrale Funktion des Marktes besteht in der Bildung von Preisen, die der Koordination von Angebot und Nachfrage dienen (S. 24).
Zur Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit erscheint es notwendig, jene wirtschaftlichen Aktivitäten, die auf moderner Kommunikationstechnologie beruhen, gesondert zu betrachten.
Digitale Märkte
Die Begriffe ,Markt‘ und ,Plattform‘ werden in der Fachliteratur weder einheitlich definiert noch klar voneinander abgegrenzt und häufig synonym verwendet. Nick Srnicek (2017) beschreibt Plattformen wie folgt:
„At the most general level, platforms are digital infrastructures that enable two or more groups to interact. They therefore position themselves as intermediaries that bring together different users: customers, advertisers, service providers, producers, suppliers, and even physical objects. More often than not, these platforms also come with a series of tools that enable their users to build their own products, services, and marketplaces.“ (S. 22)
Clement et al. (2019) verwenden die Bezeichnung „Internet-Ökonomie“: der „Anwendungsbereich von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), die über digitale Märke und Netzwerke, der Abwicklung von ökonomischen Transaktionen dienen, um digitale Wertschöpfung zu generieren.“ (S. 8)
Als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen physischen und digitalen Märkten benennen Clement et al. (2019) die Bedeutung von Intermediären im Distributionsprozess zwischen Produzenten und Konsumenten: Auf Grund der besonderen Eigenschaften des digitalen Raumes stellt die Plattform das Bindeglied zwischen Anbietern und Abnehmern von Gütern dar, durch die die Interaktion zwischen den beiden Parteien erst möglich wird, wohingegen auf physischen Märkten Intermediation meist eine untergeordnete Rolle spielt (S. 24). Während physische Märkte unter sachlichen, zutrittsbezogenen, organisatorischen, räumlichen und zeitlichen Kriterien beschrieben werden, üben zeitliche und räumliche Faktoren hinsichtlich Plattformen keinen Einfluss aus.
Diese Besonderheiten digitaler Märkte führen laut Clement et al. (2019) zu einer Reihe komparativer Vorteile gegenüber physischen Märkten und einer Reduktion der in den einzelnen Transaktionsphasen anfallenden Transaktionskosten, wie durch die Geschwindigkeit in der Transaktionsabwicklung, die Realisierung von Produktionskostenreduktionen, die Individualisierung von Leistungen und größere Volumina und Reichweiten (S. 158 ff.). Im Sinne des in der klassischen Ökonomie beschriebenen Konzepts ,vollkommener Märkte‘ führen diese Vorteile zu einem höheren Vollkommenheitsgrad digitaler Märkte: Die vergleichsweise größere Menge an Informationen über Produkte und Unternehmen führt zu einem größeren Maß an Markttransparenz, nicht wettbewerbsfähige Marktteilnehmer werden zuverlässiger selektiert, es entfällt die räumliche Abhängigkeit und damit verbundene Kundenpräferenzen sowie die zeitliche Abhängigkeit durch Transaktionsmöglichkeiten zu jeder beliebigen Uhrzeit (Clement et al. 2019, S. 8).
Ulrich Dolata (2015) beschreibt den Ist-Zustand der Internet-Ökonomie wie folgt: „Das kommerzielle Internet wird heute von kaum mehr als einer Handvoll international tätiger Konzerne und ihren Angeboten beherrscht, die alle in den USA ihren Hauptsitz haben und die wesentliche Segmente des Netzes monopolartig oder oligopolistisch dominieren.“ (S. 508) Eine solche Marktstruktur ist auch unter dem Begriff „Winner-takes-it-all“- Phänomen bekannt. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Effekte geschildert, die zum Entstehen dieser Marktstruktur beitragen:
Skaleneffekt
Die besonderen Eigenschaften digitaler Güter hinsichtlich ihrer (Re-)Produktion können zur Entwicklung eines natürlichen Monopols4 führen, also zu einer Marktform, in der die Bereitstellung eines Gutes durch einen einzelnen Anbieter effizienter realisiert werden kann als durch mehrere Anbieter. Diese Wettbewerbssituation wird auch als ,Bertrand- Preiswettbewerb‘ bezeichnet und führt dazu, dass digitale Produkte einem bestimmten Entwicklungszyklus folgen, an dessen Anfang ein Preiswettbewerb zwischen mehreren Anbietern steht, der im Angebot des digitalen Gutes zum Grenzkostenpreis - in diesem Fall praktisch kostenlos - mündet (Clement et al. 2019, S. 240 f.).
Netzwerkeffekte „As a result, the strong get stronger and the weak get weaker; both effects represent the positive feedback so common in markets for information infrastructure“ (Shapiro & Varian 1999, S. 177)
Direkte Netzwerkeffekte
Als direkter Netzwerkeffekt wird der enge Zusammenhang zwischen der Netzwerkgröße und dem Nutzen, den die Netzwerkteilnehmer vom Konsum eines Produktes erfahren, bezeichnet (Hasfeld 2005, S. 36). Direkte Netzwerkeffekte werden als ,externe Effekte‘ identifiziert, bei denen Entscheidungen einzelner Individuen einen positiven Einfluss auf die Wohlfahrt Dritter (hier: andere Teilnehmer des Netzwerkes) ausüben, ohne für dieses Individuum zusätzliche Kosten zu verursachen und treten tendenziell stärker nachfrageseitig auf (Clement et al. 2019, S. 43).
Indirekte Netzwerkeffekte
Als indirekte Netzwerkeffekte werden positive Begleiterscheinungen bezeichnet, die sich mittelbar aus einer wachsenden Netzwerkgröße ergeben: Die Vergrößerung des Netzwerkes begünstigt die Verbreitung von Komplementärgütern, die das Konsumprodukt ergänzen und damit für den Konsumenten nützlicher machen; die Hersteller der Komplementärgüter hingegen finden im Netzwerk zielgerichtet die optimalen Adressaten ihrer Produkte vor (Hasfeld 2005, S. 37). Die zugrundeliegende Annahme unterstellt das Entstehen von Synergien durch die Bündelung komplementärer Güter gegenüber dem Angebot als Einzelgut und geht tendenziell eher von der Angebotsseite aus (Clement et al. 2019, S. 43).
Lock-in-Effekt
Ausgehend von der Annahme, dass der Wechsel zwischen unterschiedlichen Anbietern eines Produktes Transaktionskosten für den Konsumenten verursacht, beschreibt der Lock-in-Effekt die Hemmschwelle für einen Konsumenten, zu einem anderen Anbieter zu wechseln, selbst dann, wenn bessere Angebote für den Konsumenten existieren würden. Die Wechselkosten ergeben sich aus der Summe der Integrationskosten eines neuen Anbieters und den Opportunitätskosten, die aus dem Verharren auf dem ineffizienteren Produkt resultieren (Clement et al. 2019, S. 242). In der Literatur werden eine Reihe von Faktoren benannt, die einen Einfluss auf den Grad des Lock-in-Effektes ausüben, wie technologische Entwicklungen, Maßnahmen zur Kundenbindung (z.B. komplementäre Produkte) oder Prozess- und Systemintegrationen, auf die hier wegen des begrenzten Umfangs dieser Arbeit nicht weiter eingegangen wird (Dolata 2015, S. 511).
Pfadabhängigkeit
Die Ansicht, dass die in diesem Kapitel beschriebenen Effekte zu einer sich selbst verstärkenden Dynamik führen, ist relativ verbreitet. Clement et al. (2019) charakterisieren pfadabhängige Prozesse als ,nicht selbstkorrigierend‘. Dies beschreibt das Verharren auf ineffizienter Technologie, obwohl der Wechsel zu effizienteren Alternativen möglich wäre (S. 252 ff.).
Peter Hasfeld (2005) weist auf den zunächst paradox anmutenden Umstand hin, dass ein digitales Gut trotz positiver Netzwerkeffekte keine Marktdurchdringung erreichen kann und verwendet hierfür den Begriff der „Adoptionsproblematik“ (S. 43): Viele digitale Güter haben einen vergleichsweise geringen eigenständigen Nutzen, ohne die Netzwerkeffekte. Gelingt es einem digitalen Gut in der Phase des Netzwerkaufbaus nicht, eine hinreichend große Konsumentenzahl zu ,adoptieren‘, ist die positive Rückkopplung aus den Netzwerkeffekten nicht groß genug, um ein Wachstum der Konsumentenzahl zu erreichen. Für diese ,hinreichend große Konsumentenzahl ‘ wird auch der Begriff „kritische Masse“ (Clement et al. 2019, S. 211) verwendet. Unter diesem Begriff wird jene Konsumentenzahl verstanden, die durch hinreichend starke positive Netzwerkeffekte zu einer sich selbst erhaltenden Eigendynamik und einer wachsenden Nutzerzahl führt. Die Herausforderung für Produzenten besteht darin, den „tipping point“ (Clement et al. 2019, S. 215), also den Zeitpunkt des Erreichens der kritischen Masse, möglichst korrekt einzuschätzen, um auf dieser Grundlage strategische Entscheidungen, wie die Preisgestaltung, dem Lebenszyklus des Produktes anzupassen: Um die kritische Masse möglichst schnell und zielgerichtet zu erreichen, kann es sich für Produzenten lohnen, das digitale Gut anfänglich unter Grenzkostenpreis, also mit Verlusten, zu vertreiben.
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