Für Adorno liegt die Antwort in dem Wesen der Aufklärung selbst. Demnach beherrscht nicht der Mensch die Natur, sondern die von Menschen gemachten Gesetze, angeführt von einer instrumentellen Vernunft, beherrschen die Menschen. Von dieser eigens verschuldeten Unmündigkeit ist der Mensch geblendet.
Ebendiese Verblendung, welche im Übrigen als Nährboden für wissenschaftliche und menschliche Katastrophen, insbesondere im zwanzigsten Jahrhundert, dient, gilt es nach Adorno, mithilfe seiner Konzeption von Kritik aufzudecken, um partiell die eigene Freiheit wiederzuerlangen. Welche Wirkungsmacht Adornos Konzeption von Kritik auf die persönliche Lebenswirklichkeit eines Menschen hat und welche Rolle dabei die Kultur- sowie Geisteswissenschaften einnehmen, gilt es in der folgenden Abhandlung zu untersuchen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Adornos Konzeption der Kritik
2.1 Über die selbstverschuldete Unfreiheit des Menschen
2.1.1 Der Mythos und die Dialektik der Aufklärung
2.1.2 Die Verwaltung und Selbstzerstörung der Kultur
2.2 Wahrhaftige Kritik
2.2.1 Die Notwendigkeit eines selbstkritischen kritischen Gedankens
2.2.2 Die Methode der Konstellationen
3. Die praktische Wirkungsmacht der Theorie
3.1 Die Figur des Intellektuellen und den Möglichkeiten der Kultur - und Geisteswissenschaften - Präsenz und Reflexion ab 1950
3.2 Das lebenswirkliche Potential einer augenscheinlich unsichtbaren Kraft
3.2.1 Das Verhältnis von Theorie und Praxis - Denken ist praktisch
3.2.3 Entgrenzung und Freiheit durch einen Geisteszustand
5. Resümee
6. Literaturverzeichnis
Einleitung
,,Sie sagten einst, wir benennen die Dinge, damit wir uns nicht vor ihnen fürchten.”1 „Seit je hat die Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.”2 Die Furcht vor dem Unbekannten hat die Aufklärung genommen, jedoch mitsamt der erhofften Freiheit des Menschen und [...] ,,die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.”3 Schien, etwa mit der Säkularisierung oder der zunehmenden wissenschaftlichen Beherrschung der Natur, geleitet durch die Vernunft, die Menschheit fähig, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen und sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, so markieren etwa die Atomkriege oder der Holocaust, mit Blick auf die gesamte Wirkungszeit der Menschheit, die in jüngster Vergangenheit liegenden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Extreme.
Wie kann eine aufgeklärte, und damit augenscheinlich befreite Welt in eine irrationale und inhumane Rationalität verfallen?4
Für Adorno liegt die Antwort in dem Wesen der Aufklärung selbst. Demnach beherrscht nicht der Mensch die Natur, sondern die von Menschen gemachten Gesetze, angeführt von einer instrumentellen Vernunft, beherrschen die Menschen.5 Von dieser eigens verschuldeten Unmündigkeit ist der Mensch geblendet. ,,In der Reduktion des Denkens auf mathematische Apparatur ist die Sanktion der Welt als ihr eigenes Maß beschlossen.”6 Ebendiese Verblendung, welche im übrigen als Nährboden für wissenschaftliche und menschliche Katastrophen, insbesondere im 20. Jahrhundert, dient, gilt es nach Adorno, mithilfe seiner Konzeption von Kritik aufzudecken, um partiell die eigene Freiheit wiederzuerlangen. Welche Wirkungsmacht Adornos Konzeption von Kritik auf die persönliche Lebenswirklichkeit eines Menschen hat und welche Rolle dabei die Kultur- sowie Geisteswissenschaften einnehmen, gilt es in der folgenden Abhandlung zu untersuchen.
2. Adornos Konzeption der Kritik
2.1 Über die selbstverschuldete Unfreiheit des Menschen
2.1.1 Der Mythos und die Dialektik der Aufklärung
,,Der Mythos wollte berichten, nennen, den Ursprung sagen: damit aber darstellen, festhalten, erklären.”[7] So stellt der Mythos eine erste Form des rationalen Denkens dar, welche geleitet durch ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, der eigenen Herkunftsbestimmung, Erklärungen sowie Begründungen für das weltliche Dasein verspricht. Damit einhergehend schafft der Mythos eine Struktur, worauf sich Recht und Ordnung einer Gesellschaft berufen, wodurch eines der fundamentalsten Wesenszüge, sowohl einer Gemeinschaft als auch eines Individuums geschaffen wird: Identität.
Weiter ist mit dem Mythos der Glaube verknüpft, mit den eigens formulierten Erkenntnissen die Objekte der Erkenntnis zu beherrschen, was wiederum zu Zufriedenheit, Stabilität und letztlich zu allgemeinen Fraglosigkeit gegenüber dem ersten Ursprung führt. Man geht davon aus, dass ,,[das] Sein, das seinen Grund in dieser mythischen Vergangenheit hat, das schon immer oder vor urdenklichen Zeiten bestanden hat, das Sicherste und Gewisseste [ist], das nicht zum Gegenstand des Fragens gemacht werden kann.”[8] ,,Das erzählende Wiedererstehenlassen des Ursprungs ist im eminenten Sinn ein Begründen, ein Zurückgehen auf den tragenden Grund.”[9] So mündet das zunächst identitätsstiftende Motiv der Daseinssicherung in rituelle Wiederholung.
Mit der Aufklärung sollten die vieldeutigen mystischen Erzählungen entkräftet werden und die Natur mittels einer eindeutigen, wissenschaftlichen Methode, der Anwendung der Vernunft, gezähmt und beherrscht werden. Unwissend, dass sich die Menschen als Teil der Natur ihren eigenen Gesetzen unterwerfen, erkaufen sie sich ihr Wissen zur augenscheinlichen Beherrschung der Natur durch die Entäußerung ihres freien Denken und Handelns an eine instrumentelle Vernunft. ,,Denn Aufklärung ist totalitär wie nur irgendein System.”[10] Sie macht Ungleiches gleich, Spontanes berechenbar, reduziert Unbekanntes auf Abstraktes und weißt Zweck- und Bedeutungslosem einen Nutzen in ihrem System zu. Alles Unbekannte bekommt in einer Gleichung einen Namen, jeder Gedanke ist durch die Unterwerfung an mathematische Gesetze an einer absehbaren Grenze zu Ende gedacht.[11]
,,Je mehr die Denkmaschinerie das Seiende sich unterwirft, umso blinder bescheidet sie sich bei dessen Reproduktion. Damit schlägt Aufklärung in die Mythologie zurück, der sie nie zu entrinnen wußte.”7 Die Unumgänglichkeit dieser Entwicklung lässt sich an dem Aspekt des natürlichen Bedürfnisses der Selbsterhaltung veranschaulichen. Da ein Mensch auf sich allein gestellt nicht überleben kann und somit auf eine funktionierende und durchstrukturierte Gemeinschaft angewiesen ist, besiegelt dies sein Schicksal, ein Leben in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem System, welches über den Einzelnen herrscht. Längst kontrolliert nicht mehr der Mensch den Apparat, den er geschaffen hat. ,,Die Berufung auf Wissenschaft, auf ihre Spielregeln, [...] ist zur Kontrollinstanz geworden, die den freien, ungegängelten, nicht schon dressierten Gedanken ahndet und vom Geist nichts duldet als das methodologisch Approbierte.”8 Die über allem schwebende instrumentelle Vernunft regiert den Menschen in einer Spirale des Immergleichen.9 Die Dialektik der Aufklärung äußert sich in der konträren Entwicklung ihrer ursprünglichen Motive: Der verblendete Mensch begibt sich in die selbstverschuldete Unmündigkeit.
2.1.2 Die Verwaltung und Selbstzerstörung der Kultur
Tragend für die Selbsterhaltung des totalitären Systems der Aufklärung ist die Umkehr eines wesentlichen Charakteristikums: die Individualität. Implizierte die Idee der Aufklärung einst die unerschöpfliche Bildung von Charakteren, Begriffen und Bildern, so konzentriert sich ihre ganze Entwicklung auf die Desubjektivierung des Einzelnen. ,,Je weiter aber der Prozeß der Selbsterhaltung durch bürgerliche Arbeitsteilung geleistet wird, um so mehr erzwingt er die Selbstentäußerung der Individuen, die sich an Leib und Seele nach der technischen Apparatur zu formen haben.”10 Das Selbst löst sich auf und dient allein der Erhaltung des Systems.11
Dieses Verhältnis bleibt dem Menschen verborgen, da dieser im Sinne der alles verwaltenden Rationalität auf allen lebens-relevanten Zweigen, etwa der Politik, der Ökonomie, genauer der Kulturindustrie oder der Freizeit manipuliert wird.
[...]
1 Zitat aus Penny Dreadful, S3 F4.
2 Adorno, Horkheimer (22. Auflage 2016), S. 9.
3 Ebd.
4 Vgl. Roth (2011), S.3.
5 Vgl. Adorno, Horkheimer (22. Auflage 2016), S.10, 31-33.
6 Ebd., S. 33.
7 Ebd., S.33.
8 Adorno (8. Auflage 2020), S. 468.
9 Vgl. Adorno, Horkheimer (22. Auflage 2016), S. 28, 31-36.
10 Ebd., S. 36.
11 Vgl. ebd., S. 36-38.